~Stille Post~ - Teil 2

Autor: Scinagirl
veröffentlicht am: 23.05.2011


(ALIDA) Ich musste gezwungenermaßen die Dezentheit des Briefes weitere 30 Sekunden lang anstarren. Es sah wirklich schön aus, die A´s in meinem Namen wurden gewollt hervorgehoben und das L und das I verliefen ineinander. Es war so schwungvoll geschrieben. Nicht einmal ich konnte meinen Namen so schön schreiben. Jemand schien sich viel mühe gemacht zu haben. Man könnte sagen, dass ich ziemlich beeindruckt war. „..nicht aufmachen?“ Hörte ich nur aus der ferne Elias´ Stimme fragen, der allem Anschein nach mit mir zu sprechen schien. Ich kehrte wieder in die Realität zurück und war ein bisschen verwirrt. (wie des Öfteren) „Bitte was?“ fragte ich und schaute kurz zu Elias auf. „Wie lange willst du diesen Brief noch anstarren? Willst dus´ nicht aufmachen? Ich meine Briefumschläge sind ja bekanntlich dafür da um die eigentlichen „Briefe“ zu transportieren und nicht um es 6518 Jahre anzustarren.“ Wiederholte er sich und begab sich damit wieder in seine übliche Rolle des neunmal Klugen. Während ich nuschelnd seine Worte nachäffte, öffnete ich den Brief. Der Brief gefiel mir immer besser: Schwarzes Briefpapier. „Oh man, wie spannend dus´ wieder einmal machen musst!“ drängelte Elias von der Seite. Ich aber ignorierte ihn und zog es vor mir Zeit zu lassen. Ich faltete den Brief auseinander und war auf dem ersten Blick überwältigt. Es schien so, als wäre dieses schwarze Briefpapier nur dafür gemacht um von dieser goldenen Farbe überdeckt zu werden. Keine anderen zwei Farben hätten diese Wirkung erzielen können. Der Brief war genauso wie mein Name auf dem Briefumschlag sehr Schwungvoll geschrieben. Auch wenn ich von der Schönheit dieses Briefes überwältigt war musste ich Elias Recht geben und fing deshalb an zu lesen:

Liebe Alida,
ich habe sehr lange überlegt dir diesen Brief zu schreiben und bin wie du siehst zu dem Entschluss gekommen, es zu tun. Ich hätte dir diesen Brief schon vor langer Zeit schreiben sollen. Dennoch brachte ich es aus Angst nicht übers Herz.
Aus Angst du würdest meine Liebe nicht erwidern. Aus Angst, ich würde dein Leben zerstören. Aus Angst, meine Gefühle nicht in richtige Worte fassen zu können.
Viellicht aber war ich auch nur egoistisch und wollte der Realität keine Chance geben meine Illusion zu zerstören. In meinen Vorstellungen war alles so schön, alles weiß, kein schwarz, kein grau. Aber es sind nur Wunschvorstellungen. Denn ich weiß, für dich ist meist alles schwarz oder grau. Ich wollte nie zu deiner schwarzen oder grauen Farbe gehören, ich wollte das weiße in deinem Leben sein. Deswegen war ich egoistisch. Aber nach so langer Zeit, wünsche ich mir letzten Endes nur noch wenigstens das Schwarze in deinem Leben sein zu dürfen..

Ich stand immer noch vor unserer Haustüre und war...ja, was war ich? Entgeistert, fassungslos, beeindruckt, überrascht, gerührt, verlegen, beschämt und bewältigt zugleich. Ich konnte einfach nicht beschreiben wie ich mich fühlte. Ich war tief in Gedanken versunken als ich wieder Elias´ Stimme aus der ferne zu hören begann und nahm ihn erst wieder wahr nachdem ich ihn ansah. „Und? Von wem ist er? Was steht drin?“ fragte er mich auf seine neugierige Art. „Ich habe anscheinend einen Verehrer.“ Gab ich knapp zurück. „Pfff, du denkst ja wohl nicht, dass du mir mit dieser Antwort davon kommen wirst Prinzessin! Ich möchte wissen wer es ist und was genau in dem Brief steht“ forderte er mit einem härteren Tonfall ein. Ich lächelte ihn nur an und sagte daraufhin: „Ich wollte auch soviel wissen heute morgen über die „Tanja“, wenn du es nicht für nötig hältst darüber zu reden, halte ich es auch nicht für nötig. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Tag Mr. Nichts Besonderes!“ Elias stand wie angewurzelt vor der Treppe und suchte vergeblich nach den passenden Worten. Ich ging (nein ich sprang eher) die Stufen zum Haus hoch, drehte mich um, winkte ihm kurz zu und ging hinein.

Kaum nachdem ich meinen Fuß rein gesetzt hatte fing das Telefon an zu klingeln. „MUM!!?“ rief ich in die leere um mich zu vergewissern ob ich für das abheben des Telefons zuständig war oder nicht. Als keine Antwort erfolgte ging ich in Richtung Telefon zur Küche. Auf dem Display des Telefons leuchtete eine mir Bekannte Rufnummer und ich hob sofort ab. „Juliiiiiiiii!!“ kreischte ich glücklich ins Telefon. „Aua! Was schreist du denn so? Demnächst werde ich 1km Abstand zum Telefon halten!“ erwiderte Juli sehr trocken wie immer. „Du glaubst mir nie, was mir eben passiert ist!“ rief ich euphorisch ins Telefon „So wie du drauf bist, muss es ja auch etwas ganz überragendes sein, schließ los!“ gab sie zurück.
Juli (Kurzform von Julieta) ist meine allerbeste Freundin. Wir sind zusammen groß geworden. Ihre Mutter (Tante Sofi) ist auch zugleich die beste Freundin meiner Mum. Seit Anfang des Schuljahres ist Juli ins Ausland gegangen. Sie ist nun seit 4 Monaten Austauschschülerin in USA. Deswegen hören wir uns wenn es hoch kommt 2 mal in der Woche. Das ist relativ wenig wenn man bedenkt, dass wir uns normalerweise mindestens 10 Stunden pro Tag hören oder sehen. (und das Seit 17 Jahren ) Sie ist mir vom Charakter her sehr ähnlich, (kommt aber auch sicherlich daher, dass wir uns in all den Jahren gegenseitig sehr beeinflusst haben) im Groben und Ganzen kann man sagen, dass sie sehr stur, aufmerksam, intelligent, liebenswert, loyal und sarkastisch ist. Sie ist meine bessere Hälfte. Wenn ich jemanden wirklich liebe, dann sie. Und da wir beide bisher gleichermaßen wenig Interesse an Beziehungen gezeigt haben, haben wir uns sogar versprochen (wenn wir bis zum 30. Lebensjahr nicht verheiratet sind oder eine Beziehung führen (die über 1 Jahr geht)), uns gegenseitig zu heiraten. Nur um einmal geheiratet zu haben und um eine gemeinsame Feier zu schmeißen. Wir sind keinesfalls lesbisch oder so, es gibt auch Männer auf die wir stehen. Aber wir halten im Grunde genommen beide nichts von dem typischen Beziehungsscheiß. Da sind wir einer Meinung.
Ich erzählte ihr die komplette Story vom Schulweg bis zu meiner Telefonannahme. „Ohne scheiß?“ fragte sie mich daraufhin sehr unbeeindruckt. „Ohne Scheiß!“ entgegnete ich ihr im Gegenteil sehr beeindruckt. „Ist bestimmt nur verarsche“ gab sie emotionslos zurück. „Niemand würde sich so viel mühe machen um jemanden zu verarschen. Echt nicht. Außerdem scheint er mich ja zu kennen!“ versuchte ich sie zu überzeugen. „Wie fühlst du dich denn?“ fragte sie daraufhin ernsthaft. „Keine Ahnung Juli, ich weiß es wirklich nicht. Auf der einen Seite denke ich mir „wow, jemand scheint mich echt zu mögen und sich Gedanken über mich zu machen“ und auf der anderen Seite denk ich mir „der Mann der mir gefallen würde, würde nicht mit so etwas ankommen, er würde mich einfach darauf ansprechen und nicht so drum herum reden und es nicht auf so eine romantisch-kitschige Art und Weise machen.“ Was soll das bitte heißen dein leben ist schwarz und grau ich will oder wollte das weiß in deinem Leben sein?!“ sagte ich mit leicht verstellter düsterer Stimme. Wir bekamen daraufhin einen Lachanfall der über Minuten ging. „Ich bin das weiße Licht in deiner schwarzen Seele Alidaaaaaaa“ verstellte auch Juli ihre Stimme und machte sich lustig über das Ganze.
Mit tränenden Augen und Bauchkrämpfen vom ganzen Lachen beendete ich das Gespräch nach einer Stunde.
Ich ging zum Küchentisch und nahm den Brief wieder zu mir den ich vorhin dorthin gelegt hatte, nachdem ich ihn Juli vorgelesen musste. Ich las es mir nun zum dritten mal durch, versuchte zwischen den Zeilen zu lesen, roch sogar an dem Brief und untersuchte ihn bis ins kleinste Detail auf irgendwelche Spuren die zu Mr. Anonymos führen könnten. Doch nichts, nicht einmal ein winziger Hinweis darauf wer Mr. Anonymos sein könnte. Das enttäuschte mich ein wenig. Dennoch beschloss ich es aufzugeben um auf neue eventuelle Hinweise zu warten, die sicherlich noch folgen würden. (Zumindest redete ich mir das ein) Tief in Gedanken versunken zuckte ich leicht zusammen, als ich unsere Eingangstüre ins Schloss fallen hörte. „Mum?!“ rief ich, mehr um mitzuteilen wo ich mich befand als mich zu vergewissern, dass sie es ist. Währenddessen lies ich den Brief in meiner Schultasche verschwinden. „Ja, ich bin es!“ rief meine Mutter aus dem Flur zurück. „Wer sollte es auch sonst sein?“ fragte ich sie grinsend, während sie in die Küche kam und mir einen Kuss auf die Wange drückte. „Wir war die Schule? Irgendwas Spannendes passiert?“ fragte sie und versuchte dabei so zu klingen als würde sie das nur nebenbei fragen. Ich wusste natürlich ganz genau, dass es keine Nebensache für sie war und versuchte abzulenken indem ich sie über ihren neuen Freund ausfragte: „Gut, und wie war es bei unserem lieben Freund Ben?, Irgendwas Spannendes vorgefallen?“ Ihre Wangen erröteten leicht und sie sagte ganz verlegen: „Gut. Nein, nichts spannendes, nennenswertes.“ Wie süß sie doch war! Sie war wie ein pubertierendes kleines Mädchen die sich zum ersten mal verliebt hatte. Ich fand es zu goldig. Dennoch beschloss ich das Thema zu beenden indem ich auf das Essen zu sprechen kam. „Gut, da wir beide uninteressanten Themen besprochen haben kommen wir zu den interessanteren Themen: Was gibt es heute zu Essen?“

Nach dem Abendessen ging ich in mein Zimmer, stellte all meine überflüssigen Sachen in meinem Zimmer ab und ging erst einmal duschen. Ich liebte es zu duschen. Ich ließ mir heißes Wasser über das ganze Körper laufen und stand mindestens 10 Minuten regungslos unter dem Wasserstrahl. Ich dachte nach. Ich dachte über meine Mum, über die Schule, über Julis´ Worte aber vor allem dachte ich natürlich über Mr. Anonymos nach. (Es sollte verboten sein, sich Gedanken um etwas zu machen, was so unrealistisch war!) Ich hatte nicht einmal irgendwelche Anhaltspunkte. Kein Aussehen vor dem inneren Auge, kein Geruch, keine Charakterzüge, nichts. Über was genau also zeriss ich mir denn gerade den Kopf?! Über einen Scheiß verdammten (mit goldener Farbe auf schwarzem Papier) geschriebenen Brief. Es konnte mir im Grunde genommen egal sein, solange ich nichts unternehmen muss, wird es mir auch egal sein! (nahm ich mir zumindest vor) Nach etwa einer Stunde verließ ich das Badezimmer (bevor ich selbst zum Dampf wurde) und begab mich in unser Ankleidezimmer, wo ich mich abtrocknete und mir eine Jogginghose und ein Top überzog. Anschließend ging ich in mein Zimmer, kämmte mir meine verknoteten Haare und fiel infolgedessen todmüde ins Bett. Bevor ich einschlief musste ich wie immer zwangsläufig nachdenken. Ich fragte mich wovon genau ich eigentlich so müde war. Und ob es gerade im Moment einen Menschen gab, der noch noch noch müder(er) war als ich. Es erschien mir als unmöglich und ich begann im Kopf mir mir selbst zu diskutieren.... (Heute mal ausnahmsweise nicht, weil ich ein wenig gestört bin sondern damit ich nicht über einen gewissen Mr. nachdenken musste.)

Mein Herz sprang fast aus meiner Brust. Ich rannte und rannte, doch ich bekam ihn nicht zufassen. Es schien mir unmöglich, jedoch wollte ich nicht aufgeben. Es war dunkel, mehr als nur dunkel: Stockfinster. Ich war außer Atem, es war sehr kalt und neblig. Ich gab mein bestes, ich rannte ihm hinterher so schnell ich nur konnte. War knapp 5cm von ihm entfernt, legte noch einen Zahn zu und griff nach seinem Arm. Er stolperte und ich flog mit ihm auf den Boden. Da wir so schnell waren überschlugen wir uns ein paar mal. Ich konnte mich nicht bremsen und landete auf ihm. Er lag unter mir mit dem Gesicht zum Boden und ich hielt ihn immer noch unnachgiebig am Arm fest. Ich versuchte ihn zu drehen, doch er wehrte sich dagegen. Ich steckte meine ganze Kraft hinein und versuchte ihn noch einmal zu drehen. Diesmal klappte es er knallte härter als gewollt auf seinen Rücken. Ich sah ihn. Ich sah ihn genau vor mir.





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