Die Stille der Nacht - Teil 6

Autor: chanti95
veröffentlicht am: 09.04.2011


Verdutzt öffnete ich am Morgen die Augen. Die Sonne schien mir durch einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen direkt aufs Gesicht und eine schwere Hand lag auf meiner Hüfte. Ohne mich zu bewegen versuchte ich im Zimmer umher zu sehen. Ich fand Damian nirgends im Zimmer, ich schloss daraus, dass es Toms Hand sein musste, die auf meinen dreckigen Jeans lag. Ich konnte seinen warmen Atem in meinem Nacken spüren und fragte mich sogleich, ob er wohl wach war. Als ich so dalag und über ihn nachdachte, merkte ich plötzlich, wie sein Atem stockte. Ich schlussfolgerte daraus, dass Tom gerade wach geworden war, und so war es auch, denn kurze Zeit später flüsterte er mir „Guten Morgen!“ zu. Er rückte ein Stück näher, nahm jedoch nicht seine Hand von meiner Hüfte. Wie gerne hätte ich jetzt meine eigene Hand auf seine gelegt, doch leider ging das nicht, denn ein dickes Seil umschloss immer noch meine Handgelenke und band die Gliedmassen an den Bettpfosten.
Ein weiteres Mal rief ich mir in den Sinn, dass ich mich nicht in diesen verführerischen Mann verlieben durfte. Nein, ich durfte es eindeutig nicht. Mein Verstand verbot mir diese Liebe, die noch keine war, mein Herz jedoch hüpfte nur schon bei dem Gedanken daran.
„Sammy?“, fragte Tom.
„Mhm?“, murmelte ich.
Er blieb still und zog seine Hand weg von mir. Ich spürte, wie sich sein Körper bewegte und wusste gleich darauf auch, weshalb dies geschehen war; Damian kam rein.
„Guten Morgen, ihr zwei!“, sagte er gut gelaunt und grinste uns an, als ob wir ein frisch verliebtes Liebespärchen wären.
„Morgen“, murmelte ich kaum hörbar.
„Morgen, Damian. Wo warst du denn schon wieder?“, fragte Tom, nicht weniger gut gelaunt.
„Ich war bei Charlie. Stell dir vor; Gestern war er in dem Saloon, an dem wir vorbei geritten sind und weißt du, wen er da angetroffen hat? Chris!“
Chris? Von einem Chris hatten die Männer am ersten Abend gesprochen. Wer war er?
„Das sind grossartige Neuigkeiten. Aber sag mal, wann willst du abreisen? Willst du heute gehen oder erst morgen? Ich hoffe, wir bleiben nicht länger als zwei Tage.“
Damian antwortete nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern. Ich wollte wissen, wer dieser Chris war, doch ich fragte nicht, schliesslich lag ich immer noch gefesselt auf dem Bett. Ich kam mir ausgeliefert vor, so wie ich dalag. In diesem Moment kam auch Charlie hinein.
„Damian? Chris ist hier“, sagte er kurz und bündig. Anscheinend hatte Damians gute Laune nicht auf Charlie abgefärbt, allerdings hatte der gebräunte Mann, der da den Kopf in die Türe steckte, sehr viel bessere Laune.
„Damian!“, sagte er und kam mit grossen Schritten hinein.
„Chris!“
Freudig sprang Damian auf und umarmte den für mich Unbekannten. Er war nicht so jung wie Tom, nein, er hätte locker mein Vater sein können.
Sein Lächeln verschwand in dem Augenblick, in dem Chris mich erblickte. Stirnrunzelnd wandte er sich an Damian.
„Wer ist das?“
„Eine Gefangene.“
Damian sprach dieses Wort so eiskalt aus, dass es mir kalt den Rücken hinunter lief. Ich schauderte und bekam Gänsehaut, worauf hin Tom mich ebenfalls stirnrunzelnd ansah. Chris’ Gesichtsausdruck hatte sich allerdings verändert, von einem freundlichen Lächeln zu einem hämischen Grinsen, welches ich bisher nur von Charlie kannte. Als ich dieses Grinsen sah, erkannte ich sofort die Parallelen und wusste mit Gewissheit, dass dieser Mann mit Charlie verwandt war. Obwohl er vorhin so freundlich gewirkt hatte, bekam ich Angst.
„Damian, vielleicht solltet ihr euer Gespräch im anderen Zimmer fortsetzen“, schlug Tom vor.
„Nein, was spricht denn dagegen, dass wir hier bleiben?“, wand Chris nun ein und grinste Charlie an. Dieser erwiderte den Gesichtsausdruck und ich war mir sicher, die beiden waren auf irgend eine Weise verwandt.
„Chris, es geht darum, dass John tot ist. Sicher hat dir Charlie davon schon erzählt. Auf jeden Fall macht es sich schlecht, wenn wir zu dritt mit dem Mädchen-“, er zeigte unnötigerweise auf mich, „-reisen. Sie und Tom könnten als Liebespaar durchgehen und ich als der nette Bruder, der die beiden begleitet. Charlie passt allerdings alleine nicht ins Bild. Ich habe mit ihm schon darüber gesprochen und er ist damit einverstanden, wenn wir dich bitten, mit uns zu reisen. So könntet ihr zwei die Führer spielen, falls wir jemandem begegnen.“
Jetzt war ich wirklich verdutzt. Was kümmert es Mörder, ob jemand auf falsche Gedanken kommt oder nicht? Chris dachte anscheinend das gleiche.
„Weshalb kümmert ihr euch darum, was andere Leute denken?“
Damian blieb stumm und überlegte. Was versuchten sie, zu verheimlichen? Weshalb wollten sie, dass dieser Mann mitreist, vertrauen ihm jedoch nicht vollends? Oder wollte er nichts sagen, weil ich dabei war? Fragen über Fragen und noch lange kein Ende in Sicht. Dann entschied sich Damian, doch etwas zu sagen.
„Die Umstände-“, sein Blick huschten kurz zu mir hinüber, „-lassen es nicht zu, dass jemand herumschnüffelt. Wir können keinen Ärger gebrauchen.“
Chris gab sich mit dieser Antwort zufrieden und versprach, dass er mitreisen würde. Allerdings sollten wir noch bis am nächsten Morgen warten, denn er habe noch einige Sachen zu erledigen. Dann ging er zusammen mit Charlie aus dem Zimmer. Damian seufzte. Erschöpft schaute er zuerst mich, dann Tom an.
„Würde es dir etwas ausmachen, mit ihr nach draussen zu gehen?“, fragte er Tom. Ich war erstaunt, denn Damian erteilte normalerweise nur Befehle. Wortlos nahm Tom einige Kleider und ein Stück Seife aus dem Schrank und band mich los.
„Duschen“, sagte er, als Damian ihn fragend anblickte. Er schob mich sanft aus dem Zimmer heraus, folgte mir und schloss dann die Türe. Mit der linken Hand hielt er die Kleidung, mit der rechten packte er jetzt mein Handgelenk und zog mich einfach mit. Er suchte den Weg zu den Bädern und ging selbstsicher voraus.
Als wir die Bäder gefunden hatten, sah ich, dass es einzelne Duschkabinen waren, die Geschlechter wurden also nicht getrennt. Auf der einen Seite freute mich das, auf der anderen wurde mir klar, dass Tom dann immer genau wusste, wo ich war. Er zerbrach das Stück Seife, als wäre es ein Häuschen Schokolade und gab mir die eine Hälfte. Er gab mir auch noch frische Kleidung und schickte mich dann wortlos in eine Duschkabine. Mir war egal, was er nun machen würde, ich wollte einfach endlich wieder mal richtig heiss duschen.

Nachdem ich mich gründlich gewaschen hatte und meine neue Kleidung, ein rotes Trägershirt und eine kurze Jeans, angezogen hatte, ging ich mitsamt der dreckigen Wäsche und dem übrig gebliebenem Seifenstück aus der Kabine. Tom wartete schon in seinem ärmellosen Shirt und brandneuen Bermudas mit tropfnassen Haaren. Wie er so dastand und sich mit der freien Hand durch das nasse Haar streifte, sah er einfach umwerfend aus. Ich musste verlegen lächeln, denn bisher kannte ich noch nie einen so schönen Mann, auch wenn er ein Verbrecher war. Unter seinem Shirt zeichnete sich jeder Muskel ab, dazu die gebräunte Haut. Wenn es den perfekt aussehenden Mann gab, dann war er das.
Er schenkte mir ein verlegenes Grinsen, was ich zögernd zurück gab.
Wir gingen den Gang entlang zurück, diesmal hielt er mich jedoch nicht am Handgelenk fest. Ich versuchte mir immer wieder meine langen Haare, die mir inzwischen bis zur Brust hinunter reichten, aus dem Gesicht zu streichen, allerdings fiel immer wieder eine neue Strähne hinaus. An unserer Zimmertüre, der Nummer sieben, angekommen, klopfte Tom und trat dann ein. Ich folgte ihm und entdeckte einen schnarchenden Damian quer über den drei Betten schlafen. Ich musste schmunzeln, als ich dieses Bild sah. Tom unterdrückte mit sichtlicher Mühe ein lautes Lachen und lenkte sich ab, indem er meine Kleider nahm und sie zusammen mit seinen auf die Kommode mit den hässlichen Blumen legte. Er reichte mir noch eine Bürste.
„Ich denke, die kannst du gleich behalten. Ich brauche sie eh nicht, bei mir nützt es gar nichts“, sagte er immer noch schmunzelnd.
Dankbar nahm ich sie entgegen und bürstete mein verknüppeltes Haar.
Als dann auch noch die letzten verhedderten Haare auseinander gebracht worden waren, nahm ich zum ersten Mal den Inhalt des Schrankes genauer wahr. Oben waren zwei Bretter angebracht, auf denen man seine Kleidung hinlegen konnte, unten war eine Stange, an der man die Klamotten aufhängen konnte. Ich sah, dass recht viel Kleidung verstaut war; mehrere Paar Jeans, Bermudas, Shirts und Unterwäsche, unter anderem sogar Damenunterwäsche, was mich natürlich freute, denn jetzt musste ich nicht mehr die viel zu grossen Unterhosen von dem verstorbenen John anziehen.
Am Boden des Schrankes lagen die Satteltaschen, ich erkannte sofort den schwarzen Wolf auf einer der Taschen. Ich zog sie heraus und stellte fest, dass Maliks Putzzeug nicht darin war.
„Wo ist Maliks Zeug?“, fragte ich Tom.
„Unten im Stall. Hier oben brauchst du es ja nicht. Wieso fragst du?“
„Ach, einfach so.“
Ich durchwühlte die Tasche und fand, nach was ich gesucht hatte: zwei meiner Lieblingsschokoriegel. Ich bot Tom einen an, er nahm ihn dankbar entgegen und wir packten beide gierig unsere Schokoriegel aus. Ich biss in die weiche Schokolade und erlebte eine Geschmacksexplosion in meinem Mund, schliesslich hatte ich seit dem letzten Abend nichts mehr gegessen. Als der Riegel verschlungen war, meldete sich mein Magen auch schon, der nach mehr Essen verlangte. Das Knurren war deutlich zu hören und Tom musste deswegen grinsen.
„Wir sollten etwas essen, nicht?“, schlug er vor und schob mich sanft zur Seite. Er griff zielsicher in den Schrank und zog eine Tüte hervor. Ich erkannte sie als eine dieser Tüten, die Damian und Charlie gestern dabei hatten und in diesem Moment zog sich mein Magen einmal mehr zusammen. Wir setzten uns gegenüber auf den Boden in den Schneidersitz. Tom suchte zwei Äpfel, ein Laib Brot und ein grosses Stück Käse hinaus, schnitt mit seinem Messer für uns beide je eine Scheibe Brot und ein Stück Käse ab und reichte mir von allem etwas. Gierig biss ich in die Scheibe Brot und musste grinsen, denn sobald Tom die Tüte abgelegt hatte, biss er ebenfalls gierig in sein Stück Brot. Wir assen schweigend, denn obwohl dies eher wie eine Henkersmalzeit war, schmeckte es wunderbar!






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