Wunderschön !? - Teil 10

Autor: Sternchen
veröffentlicht am: 12.05.2011


„Ihrs auch.“, sagte Sergej knapp und deutete auf das Türschloss. „Das ist der Schlüssel“
„Frechheit! Mein Vater bezahlt teures Geld für meine Unterbringung und jetzt nistet sich so eine Schmarotzerin bei mir ein?“, Anna schenkte Josi einen abschätzenden Blick. „Mit so einer will ich keine zwei Minuten zusammen wohnen!“
„Danke, gleichfalls.“, gab Josi zurück.
„Ich gehe mich jetzt beschweren.“ Und damit war Anna an ihnen vorbeigerauscht.
„Na toll. Und was mache ich jetzt?“, stöhnte Josi.
„Ach, bestimmt gibt es irgendeine andere Möglichkeit. Bis dahin können wir ja zumindest erst mal deine Sachen in dem Zimmer abstellen.“, schlug Sergej vor, dem langsam die Arme schwer wurden. Im Zimmer wurde Sergej fast von Schlag getroffen.
Es war, wie alle Zimmer des Internats, eigentlich einfach eingerichtet. Ein Zweierzimmer mit zwei Hochbetten, darunter jeweils ein Schreibtisch, außerdem zwei Schränke. Das war die Grundausstattung. Des Weiteren gab es einen großen Spiegel, einen Computer mit Flachbildschirm, überall diverses Schminkzeug. Ein Teil Annas Kleidung hing nicht im Schrank, sondern in Plastikhüllen, wie man sie aus der Wäscherei kennt, an der Wand.
„Krass…“, murmelte Sergej. Sei Blick fiel auf die seidene, blaue Bettwäsche, auf die vielen Schuhpaare, die in einer Ecke des Raumes aufgereiht waren. Es roch stark nach einem süßlichen Parfüm.
„Oh je…“, machte Josi.
„So wie ich Anna kenne, setzt sie sich durch und du musst hier nicht wohnen.“, versuchte Sergej sie zu beruhigen.
Doch in ebendiesem Moment kam Anna zurück.
„Was bilden die sich ein?!“, murmelte sie vor sich hin. Dann sah sie Sergej an, der immer noch mitten im Raum stand.
„Weißt du, es ist schon schlimm genug, dass ich mir mit IHR ein Zimmer teilen muss. Dann musst du nicht auch noch hier rumstehen.“, fauchte sie ihn an.
„Ich helfe beim Auspacken.“, bestand Sergej. Auf keinen Fall würde er Josephine mit Anna allein lassen, wenn sie schon, so wie es aussah, dort einziehen musste.
„Ist schon gut.“, murmelte Josi.
„Du hast es gehört!“, rief Anna. „Raus!“
Und damit schob sie den fassungslosen Sergej vor die Tür.


-


Tim kam in den Waschraum.
„Was machst du hier, habe ich nicht mal hier meine Ruhe?“, stöhnte Aurelius.
„Du hast das Bad hier nicht gemietet, du Blödmann.“, kam die Antwort des Kleinen zurück.
„‘Jeder ist für seine Dummheit selbst verantwortlich‘ – Dietrich Bonhoefer.“, zitierte Aurelius gelassen und lehnte seinen Kopf an die Wand. Aber schlagfertig war der Kleine, das fand auch Auelius.
„Hör auf, mich so dumm anzulabern. Ich hab was für dich. Aber das gebe ich dir auch nur, weil ich Geld dafür bekomme, glaub ja nicht, ich bin jetzt dein persönlicher Postbote.“, stellte Tim klar und knallte Aurelius ein Blatt vor die Füße.
Aurelius entrollte es.
Noch ehe er es überhaupt richtig ansehen konnte, fragte Tim: „Was ist das für ein hässlicher roter Stern?“
„Das ist kein Stern, du Unwissender, das ist eine Windrose. Steht bei Karten in der Ecke, damit man weiß, wo welche Himmelsrichtung – RAUS!“
„Hä?“
„Mach nen Abgang, Kleiner. Hophop!“, befahl Aurelius. Tim schüttelte den Kopf, verdrehte die Augen und ging.
Aurelius entrollte das Blatt noch einmal. Eine Windrose, von Hand gezeichnet. Eine rote Windrose.
In der Mitte stand in einer vertrauten, schrägen Schrift geschrieben:

Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris:
Nescio, sed fieri sentio et excrucior. , Gaius Vallerius Cartullus

Aurelius hatte nur zwei Jahre lang Latein gelernt. Dann war er hierhergekommen, wo als zweite Fremdsprache Französisch unterrichtet wurde. Trotzdem reichten seine Kenntnisse, den Text im Groben zu übersetzen: Ich liebe und ich hasse. Fragst du, warum? Ich weiß nicht, aber so fühle ich und ich leide darunter.

Es konnte nur von Wilma sein. Warum machte sie es ihm noch zusätzlich so schwer?
Er kramte nach Stift und Zettel. Das erstbeste Gedicht, das ihm darauf einfiel…
Muss es eine Trennung geben,
Die das treue Herz zerbricht?
Nein, dies nenne ich nicht leben,
Sterben ist so bitter nicht.
Das klang, als sei er suizidgefährdet. Aurelius zerriss den Zettel, stand auf, wusch sie die Hände am Waschbecken.

-


Ausgerechnet jetzt! Das konnte einfach nicht wahr sein!
Sergej hustete, der Regen prasselte ans Fenster.
„Tja, 38,5 Grad Fieber. Da hast du dir aber eine heftige Erkältung eingefangen.“, stellte die Krankenschwester fest. „Du bleibst erst mal im Bett.“
„Och bitte, das können Sie nicht machen! Es ist Sonntag, und ausnahmsweise gutes Wetter.“, krächzte Sergej.
„Dein Humor in Ehren, aber wenn du nicht im Krankenzimmer liegen willst, solltest du auf mich hören.“ Die Schwester strich ihr eisgraues Haar zurecht und machte eine drohende Geste mit dem Zeigefinger.
Sergej nießte. „Aber ich hab gar keine Zeit, ich wollte heute noch…“
Er wollte doch Josephine die Umgebung zeigen!
„Ach, können Sie mir nicht irgendeine Tablette geben, und dann bin ich wieder gesund? Bitte, ich MUSS morgen wieder in die Schule!“
„Du bleibst jetzt erst mal im Bett.“, entschied die Krankenschwester. „Morgen können wir, von mir aus, mal sehen, ob es besser geworden ist und dann entscheiden. Und jetzt ruhst du dich aus. Ich bin eigentlich noch gar nicht im Dienst.“


-


Aurelius stieß die Tür des Waschraumes auf, dass sie mit einem Knall an der Wand aufkam. Auf dem Flur überall Schüler mit Taschen. Eltern, die ihren Kindern zum Abschied noch einmal ans Herz legten, sich anzustrengen. Die Schulkrankenschwester mit dem Fieberthermometer. Herr Girschner mit einem Stapel Aktenordner.
Aurelius lief langsam über den Hof, durch den strömenden Regen. Die Nässe durchweichte ihn, tropfte aus seinen Haaren. Er hatte sie wachsen lassen, die letzten Wochen. Sie waren jetzt schon fast zwei Zentimeter lang.
Er stieß die Tür zum Mädchenflügel auf. Prallte mit einer kleinen Siebtklässlerin zusammen. Stieg die Treppen hinauf.
Seine Cousine kam ihm entgegen.
„Weißt du, wo Sergej ist?“
Er antwortete nicht, ging an ihr vorbei, den Gang entlang. Klopfte.
Wilma öffnete, und Aurelius stand da. Nass, stumm. Blickte in ihr Gesicht.
„Ich…“ Er hätte nicht gewusst, wie er seinen Satz hätte zu Ende führen können.
„Eigentlich wollte ich dir nur sagen, dass es mir Leid tut.“, sagte Wilma.
„Mir auch… mir auch.“
„Können wir nicht noch einmal von vorne anfangen?“, fragte sie.
„Ich habe mich nicht geändert.“, stellte Aurelius klar.
„Ich weiß.“
„Du hättest lieber einen Rosamunde-Pilcher-Freund: Einen, um den dich jeder beneidet, euer erstes Date wäre im Kino und nicht beim Lyrikprojekt; du willst einen, der dir ohne zu zögern sofort hinterherrennt, wenn du wegläufst; einen, der mit dir händchenhaltend über den Schulhof läuft.“
„So hatte ich es mir vorgestellt, ja. Aber was will ich mit einem stinknormalen Langweiler, wenn ich dich haben kann?“, fragte sie und sah ihn an. Er sagte nichts. Was hätte er auch darauf erwidern sollen?
Wilma blinzelte und fuhr niedergeschlagen fort: „Ich sehe schon, ich hab’s kaputtgemacht. Es tut mir wirklich leid.“
„Du machst mich fertig.“, rief Aurelius aus. „Du machst mich verrückt!“
Dann hob er mit einer Hand ihr Kinn leicht an. Küsste sie auf die Stirn, dann auf den Mund.
„Aurelius?“, sie sah ihm in die Augen.
„Sag jetzt nichts, mach den Moment nicht kaputt…“, murmelte er, beide Hände an ihrer Taille.
„Ich wollte nur sagen… Ich liebe dich auch.“






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz