Engelsstaub

Autor: Sonnenschein
veröffentlicht am: 14.03.2011


„Du wirst das ganze Wochenende wegbleiben? So lange?“, fragte Nina und richtete ihre Haare vor dem Spiegel.
„Es tut mir leid, Liebes, aber die Arbeit ruft.“, rief ihre Zwillingsschwester Lina. Nina setzte sich auf ihr Bett und schaute dabei zu wie ihre Schwester sich eilig ihr T-Shirt überzog.
„Noch zehn Minuten!“, rief Lina panisch und schnappte sich ihre vollgepackte braune Ledertasche und sprang die Treppe hinunter. Nina lief ihr hinterher und als Lina sich sicher war, das sie alles gepackt hatte, wollte sie das Haus verlassen, doch Nina verschränkte die Arme vor der Brust.
„Tut mir leid, Süße, hatte dich völlig vergessen. Leb wohl!“, verabschiedete sie sich, währenddessen sie Nina feste umarmte. Als die Tür zufiel, fühlte sich Nina allein gelassen und lauschte der unheimlichen Stille. Es war fast dunkel und noch nie war sie so lange ohne ihre Schwester zu Hause. Sogleich griff sie zum Telefon und wollte eine Freundin anrufen, die jedoch nicht abhob. Sie schaltete den Fernseher ein und schaute die Nachrichten. Ein Mann mit einer Brille und kurzen schwarzen Haaren, blickte zu ihr und hinter ihm erschienen passende Bilder zum Thema. Nach einer Stunde klopfte es schließlich an die Tür und Nina fragte sich wer sie wohl noch zu so später Zeit besuchen wollte. Zögernd öffnete sie die Tür und niemand stand dort. Kopfschüttelnd dachte sie an Kinder die ihr einen Streich spielen wollten. Gelangweilt legte sie sich wieder vor den Fernseher. Doch da klingelte es schließlich am Telefon und sie hob ab. Nichts. Die Leitung war tot. Genervt legte sie auf und wollte nun jedes kommende Geräusch ignorieren. In den nächsten Sekunden klingelte dieses Mal die Haustür und Nina wollte nicht aufmachen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schlich sie sich an die Tür um auf das nächste Klingeln ab zu warten. Sie schaltete noch schnell den Fernseher aus und dann fiel plötzlich der Strom im Haus aus. Es war stockdunkel. Mit zitternden Händen und weichen Knien suchte sie den Lichtschalter. Jedoch konnte man ihn so oft hoch und runter ziehen, es tat sich nichts. Ihr Herzmuskel zog sich zusammen, als sie aus dem Keller ein Geräusch hörte. Ängstlich und zugleich ein wenig neugierig schlich sie hinunter und musste alles abtasten um sich zu orientieren. Unten roch sie einen stechenden und brennenden Geruch und musste kurz die Luft anhalten. Es roch als wäre eine Aprikose verfault, jedoch den brennenden Geruch konnte sie nicht identifizieren. Der Betonboden war kalt und schmutzig und sie zog sich die Gartenschuhe an, die neben dem Türrahmen standen. Im Keller hangen ihre Schwester und sie immer die Wäsche auf und dort waren auch die Waschmaschine, der Trockner und Hängeleinen.
„Hallo?“, stotterte Nina ängstlich.
Doch es kam nur ein leises Brummen zurück und das ließ ihren Körper erstarren. Neben ihr war ein Rechen und den wollte sie sich greifen, aber ihre Angst war zu groß. Da hörte sie stumme Schritte auf sie zukommen und panisch griff sie doch nach dem Rechen. Sie hielt ihn vor sich und eine andere Hand umfasste den Stab des Rechens. Nina ließ ihn los und lief schreiend und kreischend nach oben. Sie hörte wie ihr jemand nachrannte und dann riss sie die Haustür auf um auf die Straße zu rennen. Ihre Angst und Panik war dabei so groß, dass sie nicht merkte auf die Straße aufzupassen und so sah sie das Scheinwerferlicht vor ihr. Die letzten paar Sekunden gingen schnell vorbei. Das Auto versuchte zu bremsen und hielt auch vor ihrer Nase, aber ein LKW bemerkte die Reaktion zu spät und prallte gegen das Auto, das dann auch Nina mitriss. Sie flog über die Windschutzscheibe und knallte vorne gegen LKW. Es gab keine einzige Überlebenschance.
Nach wenigen Minuten wurde über den schlimmen Unfall berichtet.
Eine Frau im Alter von zwanzig Jahren rannte auf die Straße und wurde von einem Auto mitgerissen. Die vierköpfige Familie in dem PKW hatten schwere Verletzungen erlitten. Das fünfjährige Kind, das hinten im Auto saß, verblutete an einer Kopfverletzung. Der LKW-Fahrer erlitt nur leichte Verletzungen. Es gab zwei Zeugen die bei dem Unfall dabei waren. Alle beide berichteten von der Frau, die panisch aus dem Haus rannte und auf die Straße nicht achtete.
An der Unfallstelle waren überall Blaulichter, viel Gedränge und einige Krankenwagen. Lina hörte sofort davon, weil ihr Nachbar sie sofort anrief und sie kam so schnell es ging. Gerade sah sie wie ihre Schwester auf einer Trage in einer weißen Plastikhülle verschlossen wurde. Ein Polizist kam zu ihr und schaute sie bemitleidenswert an.
„Frau Lenning?“, sprach er sie an, aber Lina war noch nicht bereit zu reden. Sie stand unter einem riesigen Schock. Als er sie das zweite Mal ansprach, fasste sie sich kurz und schaute ihn mit tränengefüllten Augen an.
„Ja, was ist mit meiner Schwester? Ist sie wirklich…“, verstummte sie zum Schluss.
„Es tut mir leid. Trotzdem wäre es nett, wenn sie nur ein paar Fragen beantworten könnten.“
Sie nickte zögernd. „Einige Zeugen berichteten, dass ihre Schwester panisch aus dem Haus rannte und dabei nicht auf die Straße achtete. Sie meinten sie wäre von Jemandem oder etwas weggelaufen. Haben sie vielleicht eine Erklärung bezüglich dazu?“
Sie schüttelte den Kopf und ging dann wieder ins Haus. Zuerst stellte sie sich ans Küchenfenster und starrte ins Leere. Aber dann überkam sie eine Einsicht. Sie wusste nun dass ihre Schwester tot war, für immer. Nie wieder würde sie diese Person sehen, hören oder ihre Liebe verspüren. Ihr Magen zog sich zusammen und sie musste sich in der Spüle übergeben. Ihre langen braunen Haare hielt sie dabei zurück und spülte ihren Mund aus. Mit einem Küchentuch putzte sie sich den Mund ab und ging zurück ins Wohnzimmer. Selbst nach fünfzehn Minuten stand sie dort immer noch und starrte ins Leere. Der Schock war immer noch da, aber dann rüttelte sie ein Gedanke wach. Nina rannte aus dem Haus und flüchtete von etwas oder jemanden. Der Strom funktionierte wieder Lina ging die Treppe hinunter. Im Kellerraum schaltete sie das Licht an und ein Rechen lag auf dem Boden. Als sie ihn genauer betrachtete sah sie einen weißen Händeabdruck oben an Stab. Es war keine Kreide, auch keine Farbe, es war eine Art Staub. Zwischen den Fahrrädern fand sie eine weiße Feder, die sehr lang war und stellte die beiden Gegenstände nebeneinander. Ihr fiel auf, das auf der Feder genau der gleiche Staub war wie bei dem Abdruck. Verwundert lief sie nach oben und legte die beiden Gegenstände auf den Tisch. Dann rannte sie hinaus zum Polizisten, um ihm die Fundgegenstände zu zeigen. Als beide hinein kamen, war der Abdruck auf dem Rechen verschwunden, sowie die weiße Feder. Verwundert blickte sie den Rechen an und schaute unter dem Tisch und um ihn herum nach. Doch es war nichts zu finden. Entsetzt setzte sich Lina auf das Sofa und erklärte dem Polizisten, dass es sich wahrscheinlich um ein Missverständnis handelte. Sie war so schockiert und musste Halluzinationen gehabt haben. Der Polizist verließ das Haus und es war für die nächsten Minuten still. Lina gab sich die Schuld an Ninas Tod, immerhin war sie zum ersten Mal am Wochenende allein gewesen. Sie hätte alles hingeschmissen, ihren Job, ihre Freunde, ihre Treue zu ihrem Freund, nur damit ihre einzige Schwester weiterhin bei ihr sein konnte. Aber es war zu spät. Nun war sie allein, und das wahrscheinlich für immer.
Nina konnte es nicht fassen. Sie lebte anscheinend. Sie lag auf dem Bauch und ihr Gesicht war in etwas Weiches und Bekanntes getunkt worden. Es war grünes Gras. Als sie sich umdrehen wollte, fiel grelles Licht in ihre Augen. War sie im Himmel?








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