Winternachtstraum - Teil 6

Autor: Addielein
veröffentlicht am: 12.04.2011


Auto fahren bei dieser Schneemenge ist schon ein kleines Abenteuer und mein gestriger Autounfall hat mir gereicht.
Melanie hat Ramon mit den Worten: „Du bringst euch ins Grab“ verabschiedet, was mich nicht gerade beruhigt hat und Lennard hat nur gelacht: „Ramon weiß schon, was er tut“ Doch es klang irgendwie ironisch.
Aber wenn ich ehrlich bin, bin ich über diese kleine Ablenkung dankbar.
Wir fahren gerade mal mit Schritttempo durch das kleine Städtchen. Etwas anderes wäre bei der Schneemenge auch halsbrecherisch.
Ich schaue an mir herab und denke erneut, dass die Skiklamotten von Melanie grässlich sind. Ich trage eine weiße Skihose und passend dazu eine weiß-rosa Jacke und ich komme mir vor wie Barbie höchstpersönlich.
Ramon bemerkt meinen kritischen Blick und grinst mich spöttisch an: „Fühlst du dich etwa nicht wohl?“ Die Ironie in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
„Ich sehe aus wie Barbie“ lache ich.
„Steht dir nicht“
„Danke“ Ich verdrehe die Augen und Ramon zuckt nur mit den Schultern, während er auf dem Gehweg vor einem Sportgeschäft parkt.
Er steigt aus, und er sieht sogar in den Skiklamotten nicht bescheuert aus, während ich mir vorkomme, wie ein dicker Käfer. Unbeholfen folge ich ihm.
Ein leises Läuten ertönt, als wir den Laden betreten und der rothaarige Junge, der an der Kasse steht schaut auf. Sein blasses Gesicht ist mit Sommersprossen übersät.
„Ah, hallo, Ramon“ sagt er und dreht sich dann über die Schulter um und ruft: „Florian! Ramon ist da!“
Durch die weiße Tür, auf der mit fetten Buchstaben „Privat“ steht, kommt ein hoch gewachsener, junger Mann. Mausbraunes Haar, matschgraue Augen. Er grinst und lacht dann: „Ramon, du bist der durchgeknallteste Typ, den ich kenne“
Ramon ringt sich ein Grinsen ab und deutete dann auf mich: „Ich brauche Skier für sie“
Florian mustert mich kurz und grinst: „Barbie mit dunklen Haaren“
Mir liegt schon ein bissiger Kommentar auf der Zunge, doch Florian redet gleich weiter: „Was ist passiert?“
Zuerst weiß ich gar nicht, was er meint. Doch dann fällt mir das große, weiße Pflaster auf meiner Stirn ein. Wie automatisch fliegt meine Hand zu meiner Stirn und ich antworte knapp: „Autounfall“
„Uuups“ ist die Reaktion von Florian und er wird mir immer unsympathischer. Hérémence hat also nicht nur freundliche Bewohner. Den einen oder anderen Arsch gibt es überall.
Florian drehte sich um und verschwindet wieder in die hintere Kammer und kommt nur wenige Minuten später wieder; mit Skiern und Stöcken in rosa.
„Willst du mich verarschen?!“ rutscht es mir raus und ich höre Ramon leise neben mir lachen.
„Ach, komm. Wenn schon Barbie, dann richtig“ rechtfertigt sich Florian und ich verdrehe nur die Augen und nehme beides an mich. Skischuhe habe ich von Melanie bekommen, da wir dieselbe Schuhgröße haben.
„Bezahlt nachher“ meint Florian, als Ramon sein Portemonnaie herausholt.
Ramon zuckt nur mit den Schultern: „Wenn du meinst“ Dann nimmt er den Schlüssel an sich, den Florian ihm reicht. Ich habe keine Ahnung, was das für ein Schlüssel ist. Doch ich frage jetzt auch nicht nach.
Ramon greift nach meinen Ellenbogen und zieht mich sanft aus den Laden. Ich drehe mich noch über die Schulter um und rufe noch: „Danke“, dann treten wir schon wieder in die eisige Kälte.

Erst als wir auf dem Parkplatz vor einer verlassenen Après-Skihütte parken, stelle ich meine Frage: „Was ist das für ein Schlüssel?“
Ohne zu antworten steigt er aus und ich folge ihm: „Warum ignorierst du so gerne Leute?“ stelle ich meine nächste Frage und kann nicht verhindern, dass meine Stimme wütend klingt.
„Das sagt die Richtige“ Er lächelt mich über das Autodach des schwarzen Mercedes an. „Du hast bis jetzt auch keine einzige Frage normal beantwortet“
Ich beiße mir ertappt auf die Lippen. Ich bin es gewohnt, dass ich die Verschlossene bin; die Kühle, die berechnend denkt und sich von niemanden etwas sagen lässt. Und jetzt stehe ich einem Mann gegenüber, der ähnlich wie ich zu sein scheint. Wenn nicht sogar noch schlimmer.
Um von mir abzulenken, wiederhole ich meine erste Frage: „Was ist das für ein Schlüssel?“
Ramon schaut auf, während er die Skier und das andere Zeug aus dem Kofferraum holt. „Glaubst du ernsthaft, dass der Lift bei einem solchen Schneesturm läuft?“
Mit klappt die Kinnlade runter und ich zerre die Mütze, die in meiner Jackentasche steckt heraus, als ich merke, dass sich viel zu viele Schneeflocken in meinen Haaren verfangen. „Wir dürften eigentlich gar nicht fahren?!“ fahre ich ihn an.
„Nur auf eigene Gefahr“
„Du bist doch verrückt!“
„Das habe ich heute schon öfters gehört“
„Das mach ich nicht mit! Ich will zurück! Ich kann doch noch nicht einmal Ski fahren! Ich werde mir sämtliche Knochen brechen“ schreie ich ihn an und die Hälfte meiner Worte wird von Schnee und vom Wind verschluckt.
„Jetzt stell’ dich nicht so an. Ich verspreche dir, dass nichts passiert“ Er läuft ein paar Schritte auf mich zu.
„Woher willst du das wissen?“ frage ich leise und irgendwie sorgt sein Blick dafür, dass ich mich nicht mehr aufrege.
„Weil ich gut Ski fahren kann“ antwortet er schlicht und tritt noch einen Schritt auf mich zu. Jetzt steht er so nahe bei mir, dass noch nicht einmal ein Besenstiel Platz zwischen uns haben würden. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und lächelt süffisant: „Außerdem bin ich Arzt“
Ich umklammere mit seinen Händen seine Handgelenke und lache leise: „Assistenzarzt“ verbessere ich ihn und ergänze dann noch: „Außerdem glaube ich, dass du ein ganz miserabler Arzt bist!“ Ich nehme seine Hände von meinem Gesicht und trete einen Schritt zurück.
„Und jetzt bring mir bei auf diesen dummen Dingern stehen zu können“ Ich zeige auf die Skier. „Ich will Hérémence nicht verlassen müssen, ohne Ski fahren zu können!“






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz