Zufallstreffer - Teil 3

Autor: Sternchen
veröffentlicht am: 13.01.2011


“Tante Wilma, siehst du dir den Film mit uns an?”, fragt Julius Frau Schneider.
“Tut mir Leid, ich habe noch einiges zu tun.”, sagt Frau Schneider und schüttelt den Kopf. Dann verschwindet sie in ihr Arbeitszimmer und der Film beginnt.
Ich konzentriere mich weniger auf dessen Handlung sondern vielmehr auf Julius, der neben mir sitzt. Viel spannendes gibt es da allerdings nicht. Er sieht einfach nur den Film an und rückt ein paar Mal das Kissen neben sich zurecht.
Aus dem Augenwinkel beobachte ich ihn weiter. Einmal hustet er, irgendwann stützt er seinen Kopf auf den Arm. Dann, am Ende des Filmes, als die Handlung eigentlich schon vorbei ist, sieht er mich an. Ich drehe diesmal den Kopf nicht weg, sondern eher noch etwas mehr zu ihm herüber. Er wird rot.
Was hat dieser Junge nur? Einerseits ist er so offen und freundschaftlich mir gegenüber (beim Abendbrot hat er sich sogar ganz locker mit mir unterhalten), andererseits ist er total schüchtern. Ich weiß nicht, woran das liegt; dass er mich so mag wie ich ihn möchte ich nicht glauben. Immerhin ist heute das erste Mal, das er überhaupt mit mir spricht. Wenn er irgendetwas für mich empfinden würde, hätte er sich schon früher einmal mit mir unterhalten.
“Und, was machen wir jetzt?”, fragt Paula und gähnt.
“Also, ich bin müde.”, sage ich. Zu Hause gehe ich eigentlich immer recht spät ins Bett. Aber aus irgendeinem Grund könnte ich jetzt auf der Stelle einschlafen. Direkt hier auf dem Sofa.
“Es ist doch erst um neun!”, empört sich meine Freundin. Ich zucke mit den Schultern.
“Ihr könnt ja noch irgendwas machen. Ich gehe auf jeden Fall schlafen.”
“Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee, jetzt ins Bett zu gehen. Morgen muss ich ausgeschlafen sein.”, mischt sich Julius ein.
“Wenn ihr unbedingt wollt…”, seufzt Paula.
Eine Viertelstunde später liegen wir alle im Bett, bzw. auf der Matratze. Jetzt, wo ich hier liege, fühle ich auf einmal gar keine Müdigkeit mehr. Ich bin regelrecht aufgekratzt. Also beginne ich gedanklich zu zählen. Als ich bei 426 angekommen bin habe ich keine Lust mehr. Paula hat inzwischen begonnen gleichmäßig zu atmen und gibt ab und zu einen kleinen Schnarchton von sich. Ich atme tief ein und lege mich auf die andere Seite.
“Emilie?”, flüstert Julius aus der Dunkelheit. “Bist du noch wach?”
“Ja”, flüstere ich zurück. “Warum schläfst du noch nicht? Ich dachte, du willst morgen auf jeden Fall wach sein?”
“Ach, ich hab keine Ahnung. Was mache ich, wenn ich das nicht schaffe?”
“Klar schaffst du das. In welchen Fach ist denn dieser Wettkampf?”
“Physik und Mathe gemischt.”
“Aber dein Bruder sagt, darin bist du sehr gut. Also brauchst du dir doch keine Sorgen zu machen.”, ermuntere ich ihn.
“Schon, aber in meiner Altersstufe sind auch Zwölftklässler, ich habe einfach Angst, mich komplett zu blamieren.”, sagt er leise.
Paula murmelt etwas im Schlaf.
“Wirst du nicht. Und selbst wenn du nicht gewinnen solltest kannst du dir später nicht vorwerfen, du hättest es nicht versucht.”, versuche ich ihn zu beruhigen.
“Hm. Du hast recht. Dann werde ich mal versuchen zu schlafen. Gute Nacht.”
“Gute Nacht.”, antworte ich ihm.
“Ach Emilie?”, sagt er noch einmal. “Ich habe mich gefragt ob… ähm… morgen…”
“Ja?”, frage ich.
“… also, ich würde gern mit dir ein Eis essen gehen, nach dem Wettkampf. Egal, wie es ausgeht. Als Siegesfeier, sozusagen.”, sagt er.
“Mit mir?” frage ich erstaunt. Wow…
“Äh, ja und mit Paula und vielleicht noch mit einem Kumpel.”
Ach so… Mit Paula und einem Kumpel. Wie peinlich. Jetzt denkt er sicher, dass ich auf ein Date mit ihm gehofft habe - was ich ja eigentlich auch getan habe…
“Klar, gern.”, antworte ich ihm und lasse mir die Enttäuschung nicht anmerken.
Bald darauf ist Julius eingeschlafen. Ich liege noch eine Weile wach und versuche an etwas anderes zu denken, als an mein peinlichen “Mit miiiieeer?”. Schließlich schlafe ich auch ein.
~~~
Am nächsten Morgen fühle ich mich wie erschlagen. Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen, und taste nach meiner Uhr. Es ist 6:12Uhr.
Warum wache ich um diese Zeit auf? Stöhnend setze ich mich auf. Paula ist auch schon wach.
“Hey, du kannst ruhig weiterschlafen.”, sagt sie.
“Warum bin ich aufgewacht?”, nuschele ich.
“Ju hat den Lichtschalter nicht gefunden und ist über seine Matratze gestolpert. Das war ganz schön laut, weil er dabei meine Schreibtischstuhl umgestoßen hat.”
“Hm…”, sage ich und drehe mich zu Julius’ Matratze um. Sie ist leer.
“Jetzt erzähl mal. Ich meine, ist er so, wie du dachtest?”, fragt Paula. “Schon. Das blöde ist nur… naja.”, irgendwie kann ich nicht so richtig mit ihr darüber sprechen. Immerhin kennt sie Julius viel länger als mich, seit ihrer Geburt.
“Was ist blöd?”, fragt sie nach. “Du kannst es mir ruhig sagen. Ich verrate es ihm nicht.”
“Ein paar Mal habe ich mir tatsächlich eingebildet, dass er irgendwie an mir interessiert ist.”, sage ich leise.
“Na, und wenn du einfach mit ihm reden würdest, und ihm sagen würdest wie du denkst? Falls er nicht in dich verknallt ist, wäre er garantiert nicht fies, da ist er nicht der Typ für. Und wenn doch, dann umso besser.”, schlägt sie vor.
“Was soll denn das bringen? Ich bin mir doch so wie so schon sicher, dass auf seiner Seite nichts ist.”, antworte ich mutlos.
“Und wenn ich mal mit ihm rede?”, fragt sie.
“Ne, das wäre mir einfach peinlich, wenn er davon weiß. Bitte, versprich mir, dass du es ihm nicht sagst!”, bitte ich Paula.
“Ja, klar, wenn du das nicht willst, sage ich es auch nicht.”, beruhigt sie mich.
“Danke.”
“Und du bist dir sicher, dass du keine Chance hättest?”
“Ach komm, ich bin nicht blöd.”, empöre ich mich gerade, als sich die Tür öffnet.
“Oh, Emilie, habe ich dich auch geweckt? Das tut mir leid. Ich habe das Licht nicht anbekommen und -”, erzählt er.
“Schon gut, wir wollen gar nicht wissen, wie du auf Toilette gegangen bist.”, witzelt Paula.
“Haha…”, sagt Julius ironisch, legt den Kopf schief und wird rot.
~~~
Wir beschließen, aufzustehen. Schlafen können wir so wie so nicht mehr, am allerwenigsten Julius. Der ist wirklich nervös.
Ich komme gerade aus dem Bad und bleibe an der Tür zur Küche stehen, als ich Paula und Julius sprechen höre. Sie bemerkt mich, bedeutet mir aber mit einer Handbewegung, stehen zu bleiben.
“Ju, bleib mal ganz ruhig!”, sagt Paula.
“Was. Soll. Ich. Denn. Machen?”, fragt er.
“Keine Ahnung. Denk an deine Freundin?”, sagt sie zaghaft.
Bittebittebittebitte, denke ich und drücke die Daumen.
“Hab ich nicht, weißt du doch.”, antwortet er. YEAH! Paula zwinkert mir unauffällig zu.
“Naja, also ich kenne da seit fast einem halben Jahr so ein Mädchen…”, redet er weiter.
Nein. Oh nein.
Ich rechne kurz nach. Bei den Rothmanns habe ich vor nicht einmal zwei Monaten angefangen. Das ist ja auch noch relativ … egal.
Das er nichts von mir will, wusste ich ja schon vorher. Aber er ist in ein anderes Mädchen verliebt und das ist wirklich tausendmal schlimmer, als wenn er mich nur nebensächlich wahrnehmen würde.

Ich gehe in Paulas Zimmer und rolle meinen Schlafsack zusammen. Dann hole ich tief Luft und gehe zu den anderen in die Küche. Ich setze mich an den Tisch. Die ganze Zeit sieht Paula mich besorgt an.
“Ich bin so müde, ich denke, ich fahre doch gleich nach Hause.”, erkläre ich.
“Das heißt, du kommst nachher gar nicht mit zu meiner Schule?”, erkundigt sich Julius.
“Nein, ich werde mich noch etwas hinlegen.”
“Willst du dann nachkommen zur ‘Sieges- oder Verliererfeier’ ?”, fragt er noch.
“Nein, ich glaube, ich werde krank.”, erkläre ich.
~~~
Eine Stunde später bin ich zu Hause angekommen. Ich lege mich tatsächlich noch mal ins Bett, ziehe mir die Decke über den Kopf und rolle mich zur Kugel zusammen. Goethe kommt und kriecht zu mir unter die Decke. Sein warmer Atem streift meinen Hals. Bald darauf beginnt er zu schnarchen.
Ich muss nachdenken. Warum bin ich eigentlich so schnell gegangen? Immerhin haben wir uns doch sehr gut verstanden, und bevor er gesagt hat, er wäre in ein anderes Mädchen verliebt, gab es keine Probleme. Wir waren den ganzen gestrigen Abend wie Freunde miteinander umgegangen und daran hatte sich wohl nichts geändert. Zwischen uns beiden war doch rein gar nichts vorgefallen und alles sollte eigentlich beim alten bleiben. Warum bringt es mich nur so aus der Fassung, dass ich jetzt noch einmal direkt aus seinem Mund gehört habe, dass er mich nicht so mag, wie ich ihn?
So ähnlich habe ich schon einmal gefühlt. Damals, in der Grundschule, war ich in unseren Praktikanten verknallt gewesen, doch eines Tages hatte ich ihn zusammen mit seiner Freundin gesehen. Da habe ich Paula angerufen und sie hat gesagt: “Wenn er so eine doofe Kuh lieber hat als dich, ist er selbst Schuld, der Blödmann!”
Diesmal fällt die Option “Paula anrufen” wohl weg. Sie würde über Julius nie etwas wirklich schlechtes sagen, da bin ich sicher. Ich würde es auch nicht von ihr erwarten.
Auf jeden Fall muss ich bin Montag wieder klar denke können. Denn die Hausaufgabenbetreuung bei seinen Geschwistern will ich nicht ausfallen lassen.
~~~
Am Abend ruft mich Paula an und versucht mich aufzumuntern. Auf meine Nachfrage hin sagt sie mir, dass Julius nicht gewonnen hätte. Am Anfang sah es wohl richtig gut für ihn aus, aber dann am Ende hat er auf einmal nichts mehr gewusst. Er hatte trotzdem noch den dritten Platz gemacht, aber in die nächste Runde ist er nicht gekommen.





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