Die allerlei anderen Dinge - Teil 5

Autor: himbaereis
veröffentlicht am: 12.10.2011


Ganz genau diese Reaktion war der Grund, weshalb ich so gut wie niemandem davon erzählte. Jannis hatte keine Ahnung wie tief ich damals für Shane empfunden hatte. Niemand konnte das verstehen, ich verstand es ja nicht einmal selbst. Sicher liebte ich Jannis. Aber auf eine andere Art und Weise. Nicht auf diese romantische, naive Art, sondern abgeklärter. Vermutlich war diese Liebe die Folge eines gebrochenen Herzens. Ich würde nie wieder den Fehler begehen und mein Leben von einer Person abhängig machen. Denn das das nicht gut ausgehen konnte, hatte Shane mir ja damals bewiesen.
Super. Jetzt hatte ich mich mit meinem Freund gestritten, die ganzen Dinge von damals wieder aufgewärmt und zu allem Überfluss stand morgen auch noch mein erster Arbeitstag an. Shane, oder eher mein Hirngespinst von Shane schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, mir jedes mal die Laune zu versauen! Aber damit würde er nicht durchkommen! Ich konnte mich doch nicht mein Leben lang im Selbstmitleid suhlen, nur weil mir so ein blöder Arsch das Herz gebrochen hatte! Puh. Wie oft hatte ich das schon zu mir gesagt, und eingehalten hatte ich es doch nie.
Geistesabwesend öffnete ich die Tür ein kleines Stück und sah nach, ob Jannis immer noch davor stand. Er stand immer noch da und sah die Tür böse an. Langsam trat ich hinter der Tür vor und sah ihn groß an.
„Jannis...es tut mir leid. Es war nicht so gemeint. Ich will mich nicht mit dir streiten...vor allem nicht, wenn ich dein Auto für Samstag brauche.“
Eigentlich hatte ich jetzt ein Grinsen einkalkuliert, aber leider ging mein schlapper Versuch ihn zum Grinsen zu bringen voll daneben. Statt zu grinsen sah er mich stirnrunzelnd an. Hatte es heute die gesamte Männerschaft darauf abgesehen mir das Leben schwer zu machen? Wollten sie mich vielleicht auf dem Fußboden rumkriechen sehen?!
„Okay, das war blöd. Hör zu, ich habs wirklich nicht so gemeint. Es ist mir so rausgerutscht.“
„Aber im Prinzip stimmt es, oder wie?“
„Äh na ja. So in etwa vielleicht.“
„Was heißt so in etwa?“
„Ach Jannis. Das ist doch keine große Sache. Das war vor über einem Jahr! Spielt es da eine Rolle wie ich dir anfangs gegenüber stand?“
„Ja allerdings spielt das eine Rolle. Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du plötzlich erfahren würdest das der Junge, in den du liebst, sich eigentlich überhaupt nicht für dich interessiert hat? Meinst du nicht, es würde dich selbst nach über einem Jahr glücklicher Beziehung nicht doch verletzen? Jetzt stell dir doch einfach vor, ich habe dich damals nur angesprochen, weil ich dachte du wärst leicht zu haben!“
„Muss ich mich jetzt etwa dafür entschuldigen, dass ich dir nicht vom ersten Augenblick an verfallen war?! Kratzt es etwa an deinem Ego, dass es mal länger gedauert hat ein Mädchen in die Kiste zu kriegen?! Nur zu deiner Information, Freundchen. Du hast mir auch nie erzählt wie du nun eigentlich an meine Handynummer gekommen bist! Aber soll ich dir mal was sagen? Es ist mir total egal! Wichtig ist, dass ich glücklich mit dir bin! Oder bist du etwa nicht glücklich mit mir?!“
„Jetzt fang bloß nicht an dich als Opfer hinzustellen. Ich habe gerade erfahren, dass die Frau meiner Träume am Anfang gar nichts von mir wollte.“
„Oh tut mir leid, aber das man mir damals das Herz gebrochen hat und ich einfach vorsichtig war, das tut natürlich nichts zur Sache, hab ich Recht? An euch Männern gibt es ja nichts auszusetzen, ihr seid ja perfekt.“
„Jetzt komm mir bloß nicht so. Vielleicht ist es dir in deinem ganzen Männerhass entgangen, aber es gibt da tatsächlich einen Typen, der dich wahnsinnig toll fand und immer noch findet. Nur du machst es kaputt, indem du ständig in deinem eigenen Selbstmitleid schwimmst! Ich kann verdammt noch mal nichts dafür, dass deine Beziehung damals schiefgelaufen ist. Aber ich habe von Anfang an versucht, das Beste aus unserer Beziehung zu machen. Lass doch das jetzt einfach mal auf dich wirken.“
Das nahm mir für einen Moment den Wind aus den Segeln. Sicher hatte ich Jannis damals völlig falsch eingeschätzt, aber ich hatte es einfach nicht für möglich gehalten, dass ein Mann so heiß und gleichzeitig kein Arsch ist. Aber er hatte Recht. Ich schwamm im Selbstmitleid, und das nicht zu wenig.
„Ich weiß das wird mir später leid tun, aber du hast Recht. Ich schwimme tatsächlich ständig im Selbstmitleid und ich habe dich am Anfang auch völlig falsch eingeschätzt. Trotzdem liebe ich dich. Hast du gehört? Ich liebe dich Jannis und ich bin wahnsinnig gern mit dir zusammen! Und ich will mich nicht mit dir streiten. Genausowenig wie ich mich mit Shane oder anderen Teilen meiner Vergangenheit befassen will. Ich bin mit dem Vorsatz ihn endgültig zu vergessen und mit ihm abzuschließen hier her gekommen. Und nur weil ich die Dinge zwischen Sascha und mir wieder ins Reine bringen will, habe ich nicht vor mir deshalb mein Leben zu versauen. Das habe ich auch so schon ganz gut hinbekommen. Zumindest was meine Wanne Selbstmitleid betrifft. So und ab ins Bett, ich will kuscheln und mich auf morgen vorbereiten. Da kann ich keinen Streit gebrauchen.“
„Die Herrin hat gesprochen, mit eingezogenem Schwanz werde ich mich fügen.“
Ich grinste ihn nur vielsagend an und verschwand dann im Badezimmer.

Nach einer doch sehr unruhigen Nacht wachte ich gegen fünf Uhr morgens auf und versuchte vergeblich wieder einzuschlafen. Schließlich gab ich es auf, ging in die Küche und begann Kaffee zu trinken.
Mit meiner Lieblingstasse voll Kaffee stellte ich mich ans Fenster und starrte ins Leere. Mein erster offizieller Arbeitstag. Ich war schrecklich aufgeregt. Aber noch viel aufgeregter war ich wegen des Treffens mit Sascha. Ob er sich sehr verändert hatte? Gesehen hatte ich ihn schließlich jahrelang nicht. Das letzte Mal hatte ich ihn gesehen, als ich nach Heidelberg gegangen war. Damals war er ziemlich groß, ziemlich kräftig und ziemlich traurig gewesen. Die Trennung von Reggie damals hatte ihm doch mehr zugesetzt, als wir alle erwartet hatten. Er hatte ziemlich zugenommen und am Ende mehr einem Hefekloß als meinem Bruder geglichen. Aber er hatte am Telefon erwähnt, dass er zwar das Fußballspielen aufgegeben, jedoch das Laufen für sich entdeckt hatte. Deshalb machte ich mir um seine Figur nicht so viele Sorgen.
Ich wandte mich vom Fenster ab und schielte nervös auf die Uhr an der Wand. Es war noch nicht einmal viertel sechs. Um acht sollte ich im Büro sein, also hatte ich noch ungefähr zweieinhalb Stunden um nervös durch die Wohnung zu rennen. Da ich so aber wieder einen Streit mit meinem Langschläferfreund Jannis provozieren würde, ließ ich diese Idee fallen. Stattdessen überlegte ich mir noch einmal wie man seinen Einstand so feierte. Alkohol um diese Uhrzeit war vermutlich keine so gute Idee, auch wenn ich kein Problem mit Sekt zum Frühstück hatte. Dann wohl doch lieber etwas kuchenartiges. Aber wo bekam ich jetzt auf die Schnelle ein Rezept her? Back- und Kochbücher hatten wir nicht, da ich meistens improvisierte oder wir einfach bestellten. Ich beschloss Google, meinen Freund und Helfer zu fragen. Jannis hatte Internet auf dem Handy, so brauchte ich nicht warten bis mein werter Laptop so weit war. Wie Winnetou auf dem Kriegspfad schlich ich zurück ins Schlafzimmer und nahm ganz leise sein Handy. Er würde ausflippen, wenn er wüsste das ich vorhatte mit seinem Lieblingsspielzeug in Reichweite Muffins zu backen.
Gott, ich hasste diese furchtbaren Smartphones. Jannis schwörte auf sie und machte jedes Mal Witze über mein abgegriffenes rosa Klapphandy, doch ich hatte mit mir selbst die Abmachung getroffen, mir solange kein Smartphone zuzulegen, bis ich keine andere Wahl mehr hatte.
Angestrengt versuchte ich nun Buchstaben einzugeben, aber irgendwie vertippte ich mich bei jedem Zweiten. Als ich dann endlich etwas gefunden hatte, suchte ich hektisch alle Zutaten zusammen, bemühte mich so wenig Lärm wie möglich zu machen und Jannis Handy nicht mit Teigspritzern zu versehen.
Eine Stunde später war ich mit den Muffins komplett fertig. Sogar glasiert waren sie. Und ich wusste schon wieder nichts mit mir anzufangen. Also beschloss ich die ganzen Muffins noch hübsch zu verpacken, bevor ich auf die wahnwitzige Idee kam sie zu essen.
Als es dann endlich halb acht war, fühlte ich mich wie ein Kind kurz vor seinem ersten Schultag. Ich war ganz schrecklich aufgeregt und machte mich deshalb auch viel zu früh auf den Weg. Aber da ich mir im Laufe meines Lebens angewöhnt hatte, immer gute fünf Minuten zu viel einzukalkulieren, machte das auch keinen weiteren Unterschied.

Mit klopfendem Herzen öffnete ich die Tür zur Agentur.
Meine Chefin stand schon am Eingang und erwartete mich mit einem freundlichen Lächeln. Da ich, geprägt von viel zu vielen Filmen, mir ein Horrorszenario von bösen Chefinnen und noch böseren Arbeitskollegen zusammengebastelt hatte, fielen die ersten Anspannungen schon von mir ab. Zurücklächelnd schüttelte ich ihr die Hand. Als sie mich dann meinen Kollegen und Kolleginnen vorstellte, verteilte ich artig die Muffins und erntete noch mal ein paar Lächeln. Nachdem die Kennenlernrunde dann vorbei war, wurde mir mein Arbeitsplatz gezeigt und um mich heute und morgen einarbeiten zu können, bekam ich erst mal ein haufenweise kleine Broschüren und Werbezettel zum übersetzen. Alles in Allem war es ein absolut entspannter erster Tag. Ich hatte echt riesiges Glück gehabt. Chefin und Kollegen waren allesamt nett gewesen und mein Arbeitsplatz sah auch sehr hübsch aus. Ich konnte sogar aus dem Fenster sehen und das Treiben auf der Straße beobachten.
Als ich zu hause war, rief ich Jule an und erzählte ihr glücklich von meinem Tag. Jannis und Wurschtl erging es nicht anders. Und zum krönenden Abschluss des Tages, gönnte ich mir eine Schachtel Pralinen und einen schönen kitschigen Liebesfilm.
Mein zweiter Arbeitstag war eben so schön wie der erste und am Ende wurde ich sogar eingeladen mit den Anderen noch etwas trinken zu gehen. Als ich dann mit meinen Kollegen in einer Bar saß ließ ich mir noch mal einzeln ihre Namen sagen, da die Kennenlernrunde von Donnerstag einfach zu schnell für mich gewesen war. Ich arbeitete mit 3 Männern und noch zwei anderen Frauen zusammen. Vera war 38 und verheiratet, Sarah war 30 und verlobt, Valentin war 28 und überzeugter Single, Jakob war 57 und somit der älteste von uns und Federico war 33 und Halbitaliener. Es war eine sehr nette Truppe und obwohl ich die Jüngste war, wurde ich ohne Vorbehalte aufgenommen. Den Horror vor den neuen Arbeitskollegen hätte ich mir wirklich sparen können. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut und ich freute mich unheimlich darauf mit ihnen zusammen zu arbeiten.
Ein wenig angetrunken landete ich dann neben Jannis im Bett und ließ meinen zweiten Arbeitstag ganz entspannt ausklingen. Schließlich musste ich morgen Autobahn fahren und das auch noch mit Jannis Auto. Der würde sich an seinem freien Wochenende dann einen Männerabend gönnen um zu verdrängen das ich allein mit seinem Auto in der Großstadt unterwegs war. Das jedenfalls war die offizielle Version. Ich war mir sicher, dass sie es nicht bei zwei Bier in der Küche belassen würden, dachte aber nicht weiter darüber nach, denn Jannis gehörte nicht zu den Typen die ihre Freundin mit einer zweitklassigen Stripperin betrügen oder überhaupt fremdgehen würden.

Der nächste Morgen begann ziemlich hektisch. Da ich es gestern total verpennt hatte, mir ein paar Klamotten für das Wochenende rauszusuchen, begann nun der ganz große Stress. Da ich wie immer nicht wusste was ich anziehen sollte, holte ich meinen Koffer unterm Bett vor und fing an Klamotten in den Koffer zu werfen. Als das geschafft war, sprang ich unter die Dusche, putzte in windeseile Zähne und föhnte mich. Von dem Lärm den ich verursachte wurde Jannis scheinbar wach und begann ohne Aufforderung Kaffee zu kochen. Heimlich grinste ich in mich hinein. Ich hatte solches Glück mit ihm gehabt!
Als die Haare dann lagen stand ich vor dem nächsten Problem. Klamotten waren zwar gepackt, aber jetzt stellte sich die Frage nach dem Autofahr-Outfit. Büroklamotten? Die würden vermutlich zu steif wirken. Aber in Jeans und T-Shirt wollte ich auch nicht vor Sascha aufkreuzen. Er sollte schließlich sehen, dass ich es auch allein zu etwas gebracht hatte.
Schließlich entschloss ich mich für ein Wollkleid und eine gemusterte Strumpfhose. Das sah nicht prollig aus, aber auch nicht zu leger. Stolz ein Outfit ohne Hilfe gefunden zu haben, ging ich in die Küche und gab Jannis einen entschuldigenden Guten-Morgen-Kuss. Schließlich war es meine Schuld gewesen, dass er wach geworden war. Aber er grinste mich nur gelassen an. Vermutlich wollte er mir so wenig Stress wie möglich machen, denn es ging immerhin um sein Auto. Obwohl ich nie erwähnt hatte, dass ich meine Prüfung nur gerade so geschafft hatte, schien er das irgendwie ahnen. Sagen würde ich es ihm trotzdem nicht. Es gibt einfach Dinge im Leben von denen Frau einem Mann nichts sagen sollte. Das war so ein Ding.
Obwohl Jannis sich wirklich alle Mühe gab ganz ruhig zu wirken, wurde ich mit jeder Minute die verging nervöser. Schließlich war es soweit. Er brachte mich zum Auto, lud meinen Koffer ein und gab mir einen letzten Kuss.
„Pass auf dich auf.“
„Du meinst wohl eher 'Pass auf mein Auto auf'.“
„Nur zum Teil. Nein im Ernst, fahr vorsichtig und...was auch immer zwischen Sascha und dir passieren mag, du weißt du kannst mich jederzeit anrufen.“
„Ich weiß. Ich bin froh das es dich gibt Jannis.“
Dann umarmte ich ihn noch einmal fest und stieg dann mit klopfendem Herzen ins Auto.
Ich legte meine extra für die Fahrt gebrannte CD ein, startete und dann fuhr ich endlich los.
Eigentlich kam ich ganz gut klar. Ich würgte den Motor nur einmal ab und als ich die Autobahn dann endlich erreicht hatte, hatte ich mir eingeredet, dass das Hupen nicht mir galt. In Großstädten wurde aus irgendeinem Grund immer gehupt. Vermutlich waren das all die Männer, die zu Hause nichts zu sagen hatten und das dann durch lautes Gehupe kompensieren wollten. Puh. Die Großstadt hatte ich so gut wie geschafft, jetzt standen mir nur noch die Autobahn und die andere nicht unbedingt kleine Stadt bevor. Oh Gott, ich hatte Autobahn fahren schon immer gehasst. Egal ob ich hinterm Steuer saß oder irgendjemand anders. Aber alles fluchen half mir jetzt auch nicht mehr weiter. Nervös suchte ich mein Lieblingslied und dann stellte ich mich dem Unvermeidlichen: ich fuhr die Auffahrt hoch und wurde mit jedem Meter den ich zurücklegte aufgeregter. Am Ende der Auffahrt war ich mit den Nerven total am Ende. Ich hatte das Gefühl, dass unter meinen Achseln gerade Niagarafälle ausbrachen. Junge, so hatte ich noch nicht mal am Tag meiner Prüfung geschwitzt!
Aber erstaunlicherweise war es gar nicht so schlimm wie befürchtet. Die Autobahn war nicht im Moment nicht sehr stark befahren, und deshalb hatte ich kein Problem mich einzugliedern. Nachdem ich das Auffahren hinter mir hatte, fiel all meine Anspannung von mir und ich lehnte mich ein wenig zurück. Jetzt kam der angenehme Teil: auf die Tube drücken. So gesehen war die Autobahn ein zweischneidiges Schwert: das Auffahren war der Horror aber das anschließende Fahren war genial. Da Jannis ja ganz gut betucht war, hatte er sich exakt das Auto gekauft, das außer ihm niemand fuhr: einen VW Golf. Nichts gegen das Auto, das fuhr sich super, aber aus irgendeinem Grund fand ich es so schrecklich erheiternd in dem Auto zu sitzen, das seinem Namen alle Ehre machte. Es war wirklich ein Volkswagen.
Da es keine weiteren Zwischenfälle während meiner Fahrt gab, erreichte ich Koblenz ziemlich schnell. Entspannt vom Autobahn fahren, meisterte ich auch den Verkehr in Koblenz und kam zwar unbeschadet, aber leider auch viel zu früh an. Weil ich nicht gewusst hatte, wie ich durchkommen würde, hatte ich eine Stunde mehr eingeplant. Eine Stunde, die ich nun irgendwie rumkriegen musste. Oder ob ich Sascha einfach mal anrief? Soweit ich das in Erinnerung hatte, hatte er sowieso nichts weiter vorgehabt und deshalb erschien es mir nur sinnvoll, ihn mal anzurufen.
Er ging auch gleich nach dem ersten Klingeln ran und versprach mich abzuholen. Zufrieden stieg ich aus und prüfte erst mal nach, inwiefern meine Panikattacken ihre Geruchsspuren hinterlassen hatten. Nachdem ich die dann bekämpft hatte, sah ich mich mal um. Es sah nicht mal schlecht aus. Kein Vergleich zu Heidelberg, da kam eh nix ran, aber es sah hübsch aus. Der Bahnhof war aus beigefarbenen Steinen gebaut und sah weniger nach Bahnhof als nach hübschem Steinhaus aus. Plötzlich hupte ein Auto. Ich suchte nach dem Huper und sah dann Sascha aus einem Auto aussteigen. Man, der hatte sich ja gemacht! Ich hätte nie gedacht, dass mein Bruder derart gut aussehen könnte! Er hatte -wie ich es auch nicht anders von ihm erwartet hatte- wieder abgenommen. Seine vorher undefinierbaren Haare waren mittellang und hatten auch nur eine Farbe. Das Experimentieren mit verschiedenen Tönen hatte er demnach also auch aufgegeben. Das Restliche machte sein Anzug. Ich hatte ja schon immer einen Faible für Anzugträger gehabt. - Noch etwas, das ich Jannis nie erzählt hatte. Denn der hasste es ja wie die Pest in Anzuügen rumzulaufen.
Aber wie sollte ich ihn nun begrüßen? Sollte ich ihn umarmen? Sollte ich ihm einen Kuss auf die Wange drücken? Sollte ich ihm die Hand geben?!
Ich merkte, wie ich schon wieder nervös wurde. Sascha, die Coolness in Person, kam locker auf mich zugeschlendert und blieb dann ca. einen Meter vor mir stehen. Nervös grinste ich ihn an und dann warf ich sämtliche Bedenken über Bord und fiel ihm um den Hals. Wie sehr ich meinen Bruder doch vermisst hatte! So blieben wir erst mal eine Weile stehen, denn ich konnte mich gar nicht mehr von ihm lösen. Und als ich dann auch noch registrierte, wie gut er roch, war es auch mit meinem letzten Rest Selbstbeherrschung vorbei. In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß und Tränen schossen mir in die Augen. Ich war so eine blöde Kuh gewesen. Er hatte damals so viel für mich getan und ich hatte mich einfach nicht mehr bei ihm gemeldet. Weil ich mich verraten gefühlt hatte. Es war mir immer nur um mich gegangen. So gut wie nie hatte es mich interessiert, wie es den Leuten um mich herum ging. Mein Leid war das Größte, und deshalb hatte ich mir auch die meiste Zuwendung zukommen lassen.





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