Oh, merry christmas.

Autor: MusicJunkie91
veröffentlicht am: 24.12.2010


Traurig sah sie den weiß-rosa geschmückten Baum an. Mit einem Seufzer erhob sie sich von ihrem Sessel und stellte sich ans Fenster. Der Gottesdienst würde gleich vorüber sein und lauter Kinder würden durch die Straße heim rennen, voller Vorfreude darauf, was das Christkind wohl gebracht hatte. Schnell drehte sie sich weg. Sie wollte die glücklichen Familien nicht sehen. Ihr Blick fiel auf ein Foto auf dem Kaminsims. Langsam ging sie hin und nahm es in die Hand. Eine einsame Träne lief über ihre Wange. Sie waren so glücklich gewesen.

Eineinhalb Jahre war es her, dass sie geheiratet hatten. Eine bombastische Feier in weiß, beinahe zweihundert Gäste, exzellentes Essen. Ihr Kleid spannte sich über ihrem Bauch und er konnte nicht oft genug glücklich lächelnd seine Hand darauf legen. Kurz darauf kam sie zur Welt, ein wunderschönes Mädchen, die Augen von ihrem Vater. Die ersten Wochen waren anstrengend gewesen für die jungen Eltern, aber dennoch erfüllend. Wunderschön. Die neue Wohnung war groß genug für alle drei und wenn es nach ihr ginge, sollte ein weiteres Kind bald folgen.
Er war beruflich oft unterwegs, was ihr viel Einsamkeit bescherte, aber es war zu ertragen, denn sie wusste, er würde immer zurückkommen. Das tat er auch und immer brachte er ihr eine Kleinigkeit mit. Sie bemühte sich eine gute Hausfrau zu sein, eine gute Mutter und eine gute Ehefrau.
Er war ihr Leben.

Sie starrte das Foto weiter an, keucht dann, ließ sich auf die Knie sinken und presste eine Hand auf ihr Herz. Da war er wieder. Dieser Schmerz, den sie schon das ganze Jahr über immer wieder spürte. Ein Stechen, ein schmerzhaftes Ziehen. Ihr Kardiologe hatte ihr Tabletten dafür verschrieben, aber sie brachten rein gar nichts, war dieser Schmerz schließlich nicht von körperlichen Ursprungs.
Als die Erinnerungen des letzten Jahres zurückzukommen schienen, presste sie sich ihre Fäuste auf die Schläfen. Nein, daran durfte, konnte, wollte sie nicht denken!
Mit einer fließenden Bewegung war sie auf den Beinen und mit einer weiteren stand sie vor ihrer Whiskey-Flasche. Sie machte sich nicht die Mühe, sich etwas in ein Glas zu schütten, sondern trank direkt. Sie schauderte und wischte sich über den Mund. Sie sollte dringend wieder damit aufhören. Als der Baum erneut in ihr Blickfeld fiel schrie sie auf. Weshalb hatte sie sich überhaupt die Mühe gemacht?! Mit ein paar schnellen Schritten war sie bei ihm und begann die Kugeln abzureißen und auf dem Boden zu zerschmettern.

Sie wurde davon geweckt, dass er sich auf sie warf und laut lachend rief, dass ihre Tochter jetzt den Baum schmücken wollte. Mit den Worten, dass sie dafür noch viel zu klein sei, stand sie gähnend auf und wurde von ihm mit einem innigen Kuss begrüßt. Lächelnd ließ sie sich gegen seine Brust sinken und eine Weile standen sie so da, aneinander geschmiegt, glücklich. Schließlich schob sie ihn vorsichtig weg und ging ins Wohnzimmer, wo ihre Kleine mit ein paar Strohsternen spielte. Lächelnd hob sie sie hoch und drückte sie an sich. Ihr Mann kam zu ihnen und küsste beide aufs Haar. Glücklich.

Nach den Kugeln riss sie die Strohsterne ab und warf sie aufs Feuer. Dann rannte sie in die Küche, holte ein scharfes Messer und begann die Äste des Baumes abzusäbeln.

Der Baum war fertig geschmückt, also ging sie in die Küche und begann das Essen vorzubereiten. Während die Gans im Ofen vor sich herbrutzelt, stellte sie fest, dass ihr ein wichtiges Gewürz für die Soße fehlte und seufzte. Ihr Mann kam in die Küche, fragte was los sei, lächelte dann und sagte, er würde sie noch besorgen. Er ging ins Wohnzimmer, packte das Kind, zog es dick an und ging dann mit ihm raus.

Ein Ast nach dem anderen wurde auf das Feuer geworfen. Es bereitete ihr Schwierigkeiten, den Stamm mit dem Messer durchzuschneiden und mehrmals traf sie ihre Arme, aber diesen Schmerz spürte sie nicht, ein anderer war zu groß.
Nervös lief sie auf und ab. Die beiden waren jetzt schon zwei Stunden weg, so schlimm konnte der Weihnachtsverkehr doch nicht sein. Die Kirche würde bald beginnen, sie war bereits frisch geduscht und schick angezogen. Sie ging zum Fenster und schaute raus, wurde dann von einem Türklingeln unterbrochen. Sie erwartete doch gar keinen Besuch? Verwirrt öffnete sie die Tür und sah zwei Männer vor sich stehen, die Mienen ernst. Sie fragten nach ihrem Namen und als sie diesen bestätigte, traten sie ein.

Sie hielt inne und sah sich die Wunden an ihren Armen an. Ja, wieso eigentlich nicht? Sie nahm das Messer und schnitt sich mit einer raschen Bewegung entlang der Pulsader.

Die Worte drangen wie durch Watte zu ihr. Unfall .. Tod .. Leid ..

Sie ließ das Messer fallen und rollte sich zusammen.

Sie hielt sich die Ohren zu und schrie.

Einfach nur noch warten ..

Die Männer fragten, ob sie Freunde hatte, die zu ihr kommen könnten. Sie schrie weiter.

Warten .. warten ..

NEIN, NEIN, NEIN!

Zu ihnen.







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