Zeit ist nur ein Wort - Teil 3

Autor: julia
veröffentlicht am: 16.12.2010


Schwer seufzend zog sich Conrad das graue Sweatshirt über den Kopf und betrachtete skeptisch das Ergebnis in dem mannshohen Spiegel der an der Wand in dem großen Badezimmer lehnte. Die Kleidung die die Frau namens Elisabeth im gegeben hatte bestand zwar aus einem hochwertigen Material, das sich weich und warm auf der Haut anfühlte, sah aber, wie er fand, ziemlich lächerlich aus. Die dunkelblaue Hose hing lose um seine schmalen Hüften und das Oberteil spannte ungemütlich um seine Schultern. Ob das in diesem Zeitalter wohl so Mode war? Conrad schüttelte müde sein Haupt. Die Leute in seiner Zeit hatten wenigstens noch Geschmack. Naja das war nun wohl nicht zu ändern. Es gab hier sowieso so viele Dinge die er nicht verstand. Wie konnten sich zum Beispiel Dienstboten so eine Unterkunft, so viele großflächige Spiegel und teure Möbel leisten? Nicht einmal sein König besaß solch filigran geschnitzte Möbel und solch exakt gemalte Bilder wie sie in diesem Gang an den Wänden hingen. Plötzlich entdeckte er ein Bild das ihn stutzen ließ. Es zeigte Elisabeth und ihre Tante wie er vermutete. Doch ganz sicher war er sich dabei nicht, denn Elisabeth musste auf diesem Gemälde noch sehr jung gewesen sein. Aber das war es nicht das ihn stutzig werden ließ. Sondern mehr wie das Mädchen mit dem goldenen Wuschelkopf den Betrachter anblickte. Die eisblauen Augen schienen fast zu groß für das kleine zierliche Gesicht, und blickten so traurig und verletzt, dass es Conrad einen Stich versetzte. Seltsam. Er verspürte ein dringendes Bedürfnis zu erfahren warum sie so todtraurig und hoffnungslos dreinblickte. So etwas musste doch einen Grund haben. Aber das würde er schon noch erfahren, versicherte er sich. Bisher hatte noch keine Frau ihm widerstehen können. Und so würde es ihm ein leichtes sein das Geheimnis das diese Frau umgab zu lüften, dachte er verschmitzt. Schließlich lenkte er seine Schritte weiter zu der Tür, die ihn wie er hoffte zu der Kochnische dieses Hauses führen würde. Kalte Zugluft strich sanft durch seine langen Haare und liebkoste mit kühler Hand sein Gesicht. Doch kaum hatte er die Quelle des frischen Windes ausgemacht, blieb ihm beinahe das Herz stehen. Schockiert musste er erblicken, wie seine Retterin auf dem Fenstersims, das sich in einer Höhe von sicherlich fünfzehn, zwanzig Metern befand, seelenruhig mit dem Kopf an den hölzernen Rahmen der Öffnung gelehnt schlief. Sie schien gar nicht zu bemerken, dass bereits ein Großteil ihrer linken Körperhälfte lose im eisigen Abendwind baumelte. Mit Entsetzten nahm er wahr, dass der Wind sich auffrischte und mit neuer Kraft an der Hausfassade entlangstrich und spielerisch an Elisabeths Haaren und Beinen zog. Mit einem leisen Seufzer wandte diese nur ein wenig ihren Kopf und kuschelte sich näher an den Rahmen. Ohne lange zu überlegen eilte Conrad zu dem verhängnisvollen Fenster, hob die junge unvernünftige Frau mit einem Ruck in seine Arme und schloss mit der Rechten die Öffnung. „Was?“, murmelte sie leise und blickte aus müden, halbgeschlossenen Augen um sich. Wütend knurrte er leise, „Dass du das noch fragst. Wie konntest du dich nur so in Gefahr bringen? Bist du lebensmüde?“ Ohne auf ihn einzugehen meinte sie nur, „Lass mich runter.“ „Damit du die nächste Dummheit machst? Sicher nicht!“, verneinte er. „Wenn du mich nicht auf der Stelle loslässt, dann…!“ „Was dann?“, knurrte er bedrohlich leise.


Ein Angstschauer jagte ihr Rückenmark entlang. Durch das was ihr Vater ihr angetan hatte, hatte sie nie eine wirkliche Beziehung gehabt. Sie hatte die Angst, die sie seither vor männlichen Wesen empfand nie wirklich überwinden können. Zwar schaffte sie es ihnen im Alltag normal zu begegnen. Doch zu viel mehr hatte ihr Mut nie gereicht. Und bei diesem Fremden schrie alles nach Testosteron und Gefahr. Aus jeder seiner Pore strahlte er die Männlichkeit, die ihm wie eine zweite Natur schien, aus und alle ihre Instinkte schlugen Alarm. Dass sie es geschafft hatte es bis jetzt zu ignorieren überraschte Elisabeth ungemein. Im Augenblick zitterte sie jedoch innerlich und hätte sich am liebsten in eine dunkle Ecke verkrochen. Er hatte sie ganz unverhohlen bedroht und ihr Angst gemacht. Doch im selben Moment stieg eine enorme Wut und Trotz in ihr auf. Zu lange hatte sie sich versteckt um sich auch noch in ihren eigenen vier Wänden bedrohen zu lassen. Sie würde sich das nicht länger gefallen lassen. „Das!“, fauchte sie leise und biss ihn so fest sie konnte in seinen Arm. Mehr überrascht als verletzt zog er seinen Arm zurück. Elisabeth nutzte die Chance die sich ihr bot und ließ sich fallen. Elegant fing sie ihren Fall mit einer Rolle ab und kam federnd auf die Füße. Mit in die Hüften gestemmten Fäusten beugte sie sich vor und rief, „ Damit eines klar ist. Ich lasse mir nichts befehlen! Schon gar nicht von einem Fremden!“ Mit vor Wut Funken sprühenden Augen warf sie ihm einen letzten Blick zu, wandte sich um und ging ins Wohnzimmer. Zurück blieb ein äußerst irritierter Conrad.
Genervt warf Elisabeth ihre Medizinbücher, die unordentlich auf dem Sofa verstreut lagen, von der weichen Sitzfläche und ließ sich darauf fallen. Sie hatte ja nicht gemein sein wollen, denn dieser Mann war sicherlich ein netter Kerl, aber wieso hatte er ihr auch ihre Freiheit genommen? Hätte er sie einfach in Ruhe am Fenster schlafen lassen und sich nicht aufgeführt wie ihr Beschützer, der er nicht war, hätten sie beide eine ruhig ereignislose Nacht verbracht. Doch so…. Seufzend schnappte sie sich die Fernbedienung vom Couchtischen vor ihr und schaltete den Fernseher ein. Sie hatte jetzt keine Lust den Streit noch einmal in Gedanken durch zu gehen und brauchte einfach etwas geistige Zerstreuung. Es lief gerade „Braveheart“. „Oh Mann! Nicht schon wieder.“, stöhnte sie auf. Sie hatte den Schinken bestimmt ganze sieben Mal mit ihrer Tante gesehen. Weil „Mel Gibson einfach so ein Sahneschnittchen und so sexy“ war. Aber zum umschalten hätte sie sich noch einmal nach der Fernbedienung bücken müssen und dafür war sie im Moment ganz einfach zu faul. Also ließ sie den Film laufen und wickelte sich in die dicke Wolldecke ein und drückte sich in ihre Lieblingsecke der Couch. Kaum hatte sie es sich gemütlich gemacht hörte sie wie sich die Tür zur Küche öffnete und wie sich die schweren Schritte Conrads näherten. Ohne aufzusehen wusste sie dass er sie beobachtete. Er schien nicht so recht zu wissen was er mit sich anfangen sollte, also zeigte sie versöhnlich mit dem Finger auf das andere Ende der Couch. „Du kannst dich dorthin setzen, wenn du möchtest.“ Sie hörte ein leises Rascheln und spürte schließlich wie er sich in die Kissen sinken ließ. Er räusperte sich und erst jetzt riss sie sich von den Fusseln auf dem Teppich, die sie gerade eingehend studiert hatte, los und blickte ihn an. „Ich werde mich nicht entschuldigen.“, war das erste was er sagte. Dabei schimmerten seine dunklen Augen durch das Licht des Fernsehers beinahe golden. Sie las keine Wut oder Verachtung in ihnen, viel mehr meinte sie Respekt für sie darin zu erkennen, doch sie schrieb es einer optischen Täuschung der Beleuchtung zu. Uninteressiert zuckte sie die Schultern. „Auch in Ordnung.“ Damit breitete sich wieder dieses unangenehme Schweigen zwischen ihnen aus, dass Beth so verhasst war. Dennoch ignorierte sie es und konzentrierte sich wieder auf die langweiligen Teppichflusen zu ihren Füßen. Ein überraschtes Keuchen ertönte plötzlich neben ihr und ließ sie schnell aufblicken. Conrad hatte sich vorgebeugt und blickte verwundert das Bild auf das sich auf der Mattscheibe spiegelte an. „Wie ist das möglich? Habt ihr dahinter ein paar Menschen eingesperrt, die für eure Unterhaltung spielen?“ Mit einem schnellen Satz sprang er auf und lief hinter den Fernseher, legte seine Hände auf die silberne Abdeckung und schüttelte entgeistert seinen Kopf. „Da ist zu wenig Platz. Wie macht ihr das nur? Habt ihr hier etwa einen eigenen Hausmagier, der hier seine Macht wirken lässt?“ Fragend blickte er sie an. Nun konnte sie sich ein lautes Lachen wirklich nicht mehr verkneifen. „Sicher nicht! Ein Magier was?!“ Als sie sich ein wenig gefasst hatte und ihm wieder ins Gesicht blickte, bemerkte sie erst den glühenden Blick mit dem er sie musterte. Seine dunkelbraunen Augen wanderten ihren Körper von oben bis unten entlang. So dass sie sich wieder bewusst wurde, dass sie immer noch ihre halb zerrissene Bluse und den kurzen schwarzen Rock trug. Schnell raffte sie die Decke enger zusammen um sich zu bedecken und wandte ihren Blick ab. „Naja das hat nichts mit Magie zu tun, dass ist reine Wissenschaft.“, versuchte sie ihm zu erklären. Er musste bemerkt haben wie unangenehm es ihr war dass er sie so anstarrte, denn er setzte sich wieder auf das Sofa und blickte auf den Fernseher. „Das sind alles Schausteller, die das Stück aufführen, Davon wird ein Film gedreht, das heißt die Bilder werden eingefangen und schließlich spielt man sie hier wieder ab. In dieser Kiste hier.“, erklärte sie so ausführlich es ihr möglich war. Sie wusste zwar nicht warum sie es tat, denn er musste doch wissen was ein Ferneseher war. Jeder hatte einen. Aber vielleicht war auch das eine Nebenwirkung des Traumas, das er erlebt hatte. Interessiert war er ihrer Erläuterung gefolgt und erfolgte nun mit noch größerem Interesse den Film. „Wieso sieht alles so echt aus? Es ist als stünde man auf dem Schlachtfeld.“, keuchte er als Mel Gibson eben einen Engländer brutal abschlachtete. „Tja das hat die Technik so möglich gemacht.“, meinte Beth nur. Sie war einfach zu müde um noch weitere langatmige Erklärungen abzugeben. Doch es faszinierte sie wie sehr Conrad sich in diesen Film hinein zu versetzten schien. „Das wird die englische Krone niemals hinnehmen!“, keuchte er entsetzt, als Mel soeben mit seinen Rebellen einen entscheidenden Schlag gegen das gegnerische Heer ausgeführt hatte. Müde legte sie ihren Kopf zurück. Eigentlich wollte sie ihre Beine ebenfalls hochlegen, doch er war ihr im Weg. Das Sofa war keinesfalls klein und normalerweise wäre es möglich gewesen dass sie die Füße trotz eines anderen Menschen hochlegen konnte. Doch nicht so bei Conrad. Er nahm mehr Platz als andere Menschen in Anspruch. Durch seine Gegenwart schien die Couch geschrumpft zu sein. Seufzend zog sie ihre Beine an und legte den Kopf auf die schmale Armlehne des Sofas. Es war zwar nicht sonderlich bequem so, aber es war besser als ihn dauernd berühren zu müssen. Sie hatte Berührungen noch nie sonderlich gemocht. Sie verband sie einfach mit ziemlich unangenehmen Erinnerungen, das war alles. Irgendwann döste sie trotz des Fernsehlärmes und Conrads aufgebrachten Kommentaren dann doch ein.





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