Zeit ist nur ein Wort - Teil 2

Autor: julia
veröffentlicht am: 12.12.2010


Das erste was Conrad wahrnahm war der sanfte Geruch nach Frau, Honig und Sonne. Es war ihm lange unmöglich gewesen auch nur die Augen zu öffnen, geschweige denn sich zu rühren, doch ihm wurde bewusst, dass er getragen wurde. Am Rande seines Bewusstseins nahm er plötzlich mehrere Stimmen wahr. Erst als er auf dem kalten harten Boden aufschlug kam er schließlich zu Bewusstsein. Das erste was er sah als er die Augen aufschlug war wie zwei Jungen auf eine wehrlose am Boden kniende Frau einschlugen. Unglaubliche Wut durchzuckte ihn. Sich an Frauen zu vergreifen war eines der schlimmsten Vergehen in Conrads Augen. So schnell es sein geschwächter Zustand zuließ raffte er sich auf und gab den Beiden eine Dosis ihrer eigenen Medizin. Der Anblick der gepeinigten Frau schnitt in Conrad’s Herz, das schon immer eine Schwäche für Frauen gehabt hatte. An ihrer Schläfe prangte ein großer böse aussehender blauer Fleck. Ihre Arme und Beine waren ebenfalls mit breiten dunklen Flecken und breitflächigen Schürfwunden übersäht. Doch am Meisten berührten ihn ihre großen grünen Augen. In ihnen lagen keine Angst oder Schmerz wie es sein sollte, sondern eine stille Resignation. So als habe sie sich bereits damit abgefunden dieses Schicksal tragen zu müssen. Instinktiv zog er sie an sich um sie zu trösten, doch kaum hatte sie in seinen Armen gelegen, hatte sie einen leisen Schrei ausgestoßen und angefangen um sich zu schlagen. Verwirrt hielt er ihre Arme fest und versuchte sie zu beruhigen. „Ruhig Frau! Du bist jetzt in Sicherheit. Ich habe mich um die beiden Anderen gekümmert. Ganz ruhig, dir wird nichts geschehen, so lange ich hier bin. Das verspreche ich.“ Tatsächlich hielt sie inne und hob verwirrt den Blick. Als sie ihm ins Gesicht blickte weiteten sich ihre Augen. „Du?!“, keuchte sie. „Aber wie…?“ Verwirrt wanderte ihr Blick zwischen ihm und einer Stelle hinter ihm hin und her. Conrad löste sein Griff von ihren Armen vorsichtig, bereit jederzeit wieder zuzugreifen, falls sie sich wieder auf ihn stürzen wollte. Nun da sie ihm so nahe war, bemerkte er ihren angenehmen Duft. Es war derselbe, den er gerochen hatte als er aufgewacht war. Überrascht zuckte er zurück. Sie musste ihn getragen haben. Aber warum? Er durchforstete vorsichtig sein Gedächtnis nach einer Antwort auf die Frage wie er hier gelandet war. Doch das Letzte an das er sich erinnerte war Wasser. Überall um ihn herum war Wasser gewesen. Er hatte noch versucht sich nach oben zu kämpfen, doch sein Brustharnisch hatte ihn unweigerlich in die Tiefe gezogen. Noch während er versucht hatte ihn loszuwerden musste er ohnmächtig worden sein. Aber wie war er dann aus dem Wasser gekommen. Nachdenklich musterte er nun die Frau in seinen Armen. Sie war vollkommen durchnässt und trug nicht mehr am Leibe als ein weißes Oberteil und einen kurzen schwarzen Rock, der ihr nicht einmal bis zu den Knien reichte. War sie etwa eine Dirne? Im selben Moment in dem er sich dies fragte wandte die Frau sich ihm wieder zu. Doch dieses Mal lag in ihren Augen eine tiefe Erleichterung. Mit einem schweren Seufzer lehnte sie ihre Stirn an seine Brust und murmelte, „Gott sei Dank. Ich dachte schon du erfrierst mir hier draußen.“ Was meinte sie bloß damit? „Erfrieren?“ Sie blickte ihn mit großen ernsten Augen an und klärte ihn schließlich auf. „Ja erfrieren. Nachdem ich dich aus der Seine gefischt hab, hattest du ganz blaue Lippen. Also habe ich versucht dich in die Wärme zu schaffen, aber dann sind diese drei Typen dort aufgetaucht. Den Rest weißt du ja.“ Verblüfft blickte er auf dieses zierliche Wesen hinab. Sein Respekt vor dieser Person wuchs enorm. Sie war dort in dieses eiskalte Wasser eingetaucht, hatte ihm seinen schweren Harnisch ausgezogen und ihn, einen mindestens doppelt so viel wiegenden Mann, ans Ufer geschafft. Nur um ihn dann bis hierher zu schleppen. Unglaublich! Eine solche Kraft hatte er ihr gar nicht zugetraut. Schließlich befreite sie sich aus seinen Armen und legte ihm mit besorgter Miene eine Hand auf die Stirn. „Du stehst zwar wieder auf den Beinen, aber du bist dennoch unterkühlt und solltest dich ausruhen.“ Sie ließ ihre Hand wieder sinken und blickte kurz auf die am Boden liegenden Gestalten und seufzte. „Ich denke wir sollten verschwinden bevor die Polizei diese Sauerei hier entdeckt. Das Beste wird sein du kommst mit zu mir. Dort ist es warm, du kannst dich hinlegen und es gibt was zu essen.“ Er hatte zwar keine Ahnung wo sie wohnte oder wer die Polizei war, aber es war sicherlich keine schlechte Idee sich in Sicherheit zu bringen. Also nickte er zustimmend. „Also los!“ Sofort nahm sie ihn an der Hand und führte ihn durch die Dunkelheit. Auf dem Weg zu ihrem Unterschlupf musterte Conrad seine Umgebung. Doch wohin er auch blickte alles hier war ihm völlig fremd. Die Häuser hier waren riesig, höher noch als sein Heimatschloss. Die wenigen Menschen an denen sie vorbeieilten trugen seltsame Kleidung und sprachen völlig anders als die Menschen in seinem Heimatland. Wo war er hier nur gelandet? Er hoffte seine Retterin konnte ihm diese Frage beantworten und ihm den Weg zurück in nach Hause zeigen. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich wieder auf die Frau vor ihm. Unter dem Schein der hohen seltsam anmutenden Laternen die am Straßenrand standen erkannte er dass sie barfuss lief, was seine Vermutung, dass sie zum Dienstgesinde einer Burg gehören musste oder eine Dirne war nur bestätigte. Plötzlich hielt sie an und bog in eine schmale Gasse ein. Keine zwei Meter weiter hielt sie ein weiteres Mal an und schien etwas in ihren Taschen zu suchen. Im spärlichen Licht sah er einen schmalen Schlüssel aufblitzen, den sie nun versuchte in das kaum erkennbare Schlüsselloch zu stecken. Erst nach mehreren Versuchen und einigen saftigen Flüchen, bei denen er sich ein lautes Auflachen verkneifen musste, gelang es ihr die Türe zu öffnen. Nachdem sie einige Stufen erklommen hatten gelangten sie zu einer weiteren Tür, die sich nun, da mehr Licht war, mit Leichtigkeit öffnen ließ. Doch bevor sie eintraten warnte sie ihn noch leise zu sein um nicht ihre Mitbewohnerin aufzuwecken, schließlich löste sie ihre zusammengefassten Haare und verdeckte den dunklen Fleck an ihrer Schläfe. Jetzt erst traten sie ein.
Das Haus dieser Frau war für die Gemächer einer Bediensteten ziemlich groß und ziemlich prächtig ausgestattet. Seine Retterin zeigte auf einen Fußabtreter neben der Türe und bedeutete ihm stumm seine Stiefel dort hinzustellen. Verblüfft tat er was sie verlangte, obwohl es eine recht absurde Forderung war. Doch wie sagt man so schön: Ist man in Rom soll man es den Römern gleich tun. Kurz darauf betraten sie einen weiteren Teil der Behausung. Hier schien sich der Essraum zu befinden, denn es gab einen großen Tisch, Stühle und so etwas das er als Kochplatte wiedererkannte. Sie waren nicht alleine. Ein junger braungebrannter Mann der nichts als eine Hose trug lehnte an einer der Arbeitsplatten in der Nähe der steinernen Kochplatte. Sofort steuerte die Frau vor ihm auf ihn zu und der Mann hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Salut Elizabeth! Wo warst du? Margareth hat sich wahnsinnige Sorgen um dich gemacht. Hätte es dich umgebracht sie anzurufen?“ Elizabeth hieß die Frau also. Ein schöner Name. Nun lächelte Elizabeth den anderen entschuldigend an. „Ich hatte keinen Akku mehr. Tut mir leid. Wo ist Margareth jetzt?“ „Was meinst du wohl?“, antwortete dieser mit einem anzüglichen Grinsen im Gesicht. Elizabeth kehrte nun ebenfalls grinsend zu ihm zurück. „Komm mit, ich zeig dir wo du dich hinlegen kannst.“ Sie kamen noch an zwei weiteren Räumen vorbei bevor sie an ihrem Ziel ankamen. „Da wären wir! Willkommen in meinem Reich!“, meinte sie mit einem bezaubernden Lächeln. Neugierig betrachtete er das Zimmer und stellte erstaunt fest, dass es nur drei Wände hatte. „Was zum Teufel ist das denn?“, keuchte er. Als er sich ihr näherte erkannte er, dass die vierte Wand aus Glas war. Das war doch nicht möglich! Wie konnte eine Bedienstete sich so etwas leisten? In keinem der Schlösser die er besucht hatte, hatte er so etwas gesehen! Diese Frau musste über einen unermesslichen Reichtum verfügen.


Verwirrt beobachtete Elizabeth wie der Mann den sie vor dem Ertrinken gerettet hatte, auf die Glasfront, der Stolz ihres Zimmers, zuging. Wenn er noch weiter ging würde er unweigerlich mit der Scheibe zusammenstoßen. Schnell trat sie zu ihm und hob die Hand um ihm Einhalt zu gebieten. „Wenn du nicht aufpasst, rennst du in die Glasscheibe!“, warnte sie ihn. Dieser hob die Hand und berührte vorsichtig die Fensterfront. Ein ungläubiger Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. „Unglaublich! Wie ist so etwas möglich?“ Sie beschloss dass dies noch eine Nachwirkung des Schockes beinahe ertrunken zu sein, war und machte sich daran das Bett herzurichten. „Du kannst im Bett schlafen. Ich lege mich auf die Couch im Wohnzimmer. Dann hast du die Möglichkeit dich richtig auszuruhen.“ Nun endlich wandte er sich zu ihr um. „Das kann ich nicht annehmen. Es ist schließlich dein Bett. Ich…“ „Ich sage doch, es ist in Ordnung!“ Es war normalerweise gar nicht ihre Art jemanden über den Mund zu fahren, doch sie hatte heute nicht mehr den Nerv dazu sich der Höflichkeit wegen zu streiten. Mit einem schweren Seufzer blickte sie zu dem Mann auf, der sie aufmerksam beobachtete. „Tut mir leid, das ist normalerweise nicht meine Art mit Fremden umzugehen. Ich schätze es ist einfach zu viel geschehen.“ Ihr Gegenüber nickte verständnisvoll. „Deine Stimmung ist nicht weiter verwunderlich wenn man bedenkt, dass du erst vor kurzem überfallen wurdest.“ Elizabeth lächelte ob seiner seltsamen Ausdrucksweise. „Danke. Darf ich fragen wie du heißt?“ „Man nennt mich Conrad, Graf von Vorarlberg und Tirol.“ Ungläubig sah Elizabeth zu, wie der Mann sich vor ihr eine elegante Verbeugung absolvierte. „Wie lautet dein Name?“ Er hatte doch nicht ernst gemeint dass er ein Graf war? Verunsichert streckte Elizabeth ihm ihre Hand hin. „Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt vorstelle. Mein Name lautet Elizabeth Maurer.“ Ihr Gegenüber lächelte leicht. „Ein schöner Name.“ Sein Lächeln löste ein leises Kribbeln in ihrem Bauch aus. Schnell räusperte sie sich. „Ich bringe dir noch schnell einen Satz neuer Kleidung. Warte bitte hier.“
Doch bevor sie ihrer Tante gegenübertrat, musste sie sich noch schnell umziehen. Also packte sie schnell ihre Jogginghose und ihren alten Pulli, die auf dem Bett lagen und zog sich im Badezimmer um. Schließlich klopfte sie vorsichtig sie an die Schlafzimmertür ihrer Tante. „Tante Margareth ich bin wieder da!“ Sofort flog die Tür auf und ihre Tante stürzte sich mit tränennassem Gesicht auf sie. „Endlich! Endlich bist du wieder da! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ein hübsches Mädchen wie du, so ganz allein nachts auf den Straßen von solch einer großen Stadt! Ich habe schon damit gerechnet deine Leiche am nächsten Morgen auf der Seine treiben zu sehen! Mach so etwas nie niemals wieder! Hörst du?“ Brav hörte sich Elizabeth die Tirade ihrer Tante an und nickte an den gegebenen Stellen. Schließlich kam sie zum Thema. „Hör mal, Tante! Ich habe einen Gast hier und er braucht dringend Kleidung zum wechseln. Hast du nicht zufällig was parat?“ „Oh mein Gott! Elizabeth! Endlich erkennst du die Freuden der Liebe! Natürlich habe ich für den Schatz meiner Lieblingsnichte Kleidung da!“, rief Margareth ganz aufgeregt. „Warte mal schnell.“ Und schon war die zierliche Gestalt ihrer Tante ins Innere ihres Schlafzimmers verschwunden. Elizabeth setze sich auf das Sofa im angrenzenden Wohnzimmer und seufzte. Das konnte jetzt eine Weile dauern. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr an der Wand. Obwohl es ihr vorkam als wäre sie Stunden weg gewesen, war es erst zehn Uhr abends. Es war noch früh genug um ihren Vater anzurufen und ein Treffen mit ihm auszumachen. Alles in ihr sträubte sich dagegen, doch wenn sie es jetzt hinter sich brachte konnte der Anruf ihr nicht mehr den Tag versauen. Schnell blickte sie sich um. Niemand zu war sehen, also packte sie das Telefon neben dem Sofa und wählte die ihr nur allzu bekannte Nummer. „Hallo?“, meldete sich eine raue Stimme am anderen Ende der Leitung. Elizabeth zuckte leicht zusammen als sie den Klang vernahm. Zu sehr erinnerte es sie an die schmerzliche Vergangenheit die sie zu vergessen suchte. Sie schluckte schwer und überwand ihren Widerwillen. „Heile Papa.“, antwortete sie auf Deutsch mit vorarlbergerischem Dialekt. Sofort antwortete ihr hörbar aufgeregter Vater. „Endlich ich dachte schon du würdest dich nie mehr melden! Kommst du wieder mit nach Österreich? Weißt du ich habe dich furchtbar vermisst! Wir könnten wieder eine Familie sein.“ Wieder zuckte sie zusammen. Das letzte was sie wollte war wieder mit ihrem Vater zusammenzuwohnen. Dem Mann der ihr Leben zerstört hatte. Doch sie musste ihn irgendwie zum Treffen kriegen. „ Luagan mr mol! Ich hätte einen Vorschlag. Lass uns zusammen essen gehen und über alte Zeiten sprechen und sehen wie es weiter geht. Was hältst du davon?“ Er schwieg kurz. „Wann und wo?“ Elizabeth überlegte kurz. „Wie wäre es wenn wir uns in zwei Tagen in Marseille treffen und dann einfach ein Restaurant aussuchen?“ „In Ordnung. Und wann?“ „Also ich kann erst um acht abends.“ „Das passt mir auch gut.“ Sie atmete erleichtert auf. Jetzt wollte sie nur noch so schnell wie möglich auflegen. „Also hör mal. Ich muss noch was fürs Studium erledigen. Aber wir treffen uns dann um acht in Marseille?“ Ihr Vater schwieg eine Weile und antwortete dann, „In Ordnung.“ „Dann bis morgen! Wiedersehen.“ „Pfüate!“ Elizabeth legte sofort auf und ließ den Hörer fahren als ob sie sich verbrannt hätte. Wie sehr hatte sie sich gewünscht diese Stimme niemals mehr hören zu müssen. So sehr hatte sie gehofft ihn nie wieder zu sehen. Immer wenn sie an diesen Mann dachte, überkamen sie diese verhassten Erinnerungen. Erinnerungen daran wie seine Hände immer wieder auf sie einschlugen, daran wie er mit dieser rauen kehligen Stimme schrie, „Verdammtes Miststück! Zu nichts zu gebrauchen, genau wie deine verfluchte Mutter! Und hör auf zu flennen du widerst mich an!“ Elizabeth blinzelte und bemerkte überrascht dass ihre Hände zitterten. Wütend dass sie sich schon wieder in ihrer Vergangenheit verloren hatte, ballte sie ihre Hände zu Fäusten. „Bist du in Ordnung?“ Erschrocken fuhr Elizabeth herum und hatte Mühe nicht laut loszufluchen. Ihr Gast lehnte am Rahmen ihrer Schlafzimmertür und beobachtete sie aus dunklen aufmerksamen Augen. Sofort brachte sie ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle und nickte. „Natürlich.“ Ihr Gegenüber stieß sich von dem Holzrahmen ab und ließ sich neben ihr auf der Couch nieder. Elizabeth konnte es nicht leiden wenn Fremde ihr so nahe kamen, besonders nicht wenn sie sie dabei so ansahen, als wollten sie in die Tiefen ihrer Seele sehen. Im sanften Licht der Wohnzimmerlampe wurde Elizabeth sich erst der Attraktivität dieses Mannes bewusst. Sein tiefschwarzes Haar war länger als es der gängigen Mode entsprach und einige Strähnen davon hingen ihm in die tiefbraunen Augen. Er konnte nicht viel älter als sie selbst sein, denn sein Gesicht zeigte keine erkennbaren Spuren von Falten. „Dann ist’s ja gut. Was ich dich nun schon eine Weile fragen wollte, wo in welchem Land befinden wir uns im Moment und welches Jahr schreiben wir?“ Perplex starrte Beth ihn an. „Das weißt du nicht? Wir sind hier in Paris, der Hauptstadt Frankreichs im Jahre 2010!“ Nun war es an Conrad sie anzustieren. „Frankreich? 2010?! Wie kann das sein? Christopherus hat mich doch ….?“ „Ja?“, ermunterte Beth ihn begierig darauf zu mehr über den geheimnisvollen Fremden zu erfahren.„Ach nichts. Nicht so wichtig. Sag mir lieber woher du kommst.“ Überrascht zuckte sie zurück. Woher wusste er, dass sie nicht aus Frankreich stammte? „Woher…?“ Mit einem leisen kehligen Lachen, das ihr kleine Schauder über den Rücken jagte, meinte er, „Naja, du hast doch eben in diese Apparatur gesprochen. Und zwar nicht in dieser fremdländischen Sprache sondern auf Deutsch. Mit einem unverkennbaren Dialekt aus meiner Grafschaft, Vorarlberg.“ Wieder wunderte Elizabeth sich über die seltsame Aussprache von diesem Mann namens Conrad. Und wieder sprach er über seine „Grafschaft“. Der Arme musste wirklich unter einem Trauma von vorhin leiden. Sie hoffte nur dass sich diese Verhaltensweise in ein paar Tagen legen würde, ansonsten würde sie ihn wirklich in eine Krankenanstalt einweisen lassen müssen. Für den Moment würde sie am Besten einfach mitspielen. „J…Ja. So ist es. Ich stamme ursprünglich aus Vorarlberg.“, antwortete sie schließlich zögerlich. „Wusste ich’s doch! So schöne Mädchen gibt es eben nur in Österreich.“ Gegen ihren Willen schlich sich eine zarte Röte in Elizabeths Wangen. Sofort wandte sie ihr Gesicht ab und räusperte sich leise. Glücklicherweise riss ihre lebhafte Tante in diesem Moment soeben ihre Schlafzimmertür auf und baute sich mit einer handvoll Kleider im Arm vor ihnen auf. „Hey Mäuschen! Ich hab was für deinen Schatz gefunden!“, trällerte sie fröhlich. Als ihr Blick den neben ihr sitzenden Conrad bewundernd taxierte entwischte ihr ein leises. „Hui! Ich bin mir nicht mehr sicher ob ihm die Kleidung auch passen wird.“ Nun noch verlegener sprang Elizabeth auf und nahm ihr den kleinen Stapel. „ Danke Tantchen.“ „Nichts zu danken. Für dich doch immer.“, grinste sie fröhlich und zwinkerte Conrad im vorbei gehen noch frech zu. „Für dich natürlich auch.“ Oh Mann! Margarethe machte sich wirklich an jedes einigermaßen attraktive männliche Wesen ran, dass ihren Weg kreuzte. Aber das konnte ihr ja eigentlich egal sein. Sollte sie doch. Ruhig drehte sie sich zu ihrem Besucher hin und reichte ihm die Oberteile und Hosen. „Hier. Du kannst dich im Badezimmer gerne umziehen. Wenn du vor meinem Zimmer auf die rechte Seite einbiegst, siehst du es gleich.“ Bevor er antworten konnte, hatte sie sich bereits abgewandt und steuerte auf ihre Küche zu. Die Lust nach einem schönen Glas Milch und ein paar Keksen hatte sie nach all den Ereignissen heute gepackt. Dieser Conrad würde wohl schon zurecht kommen. So beruhigt öffnete sie den Kühlschrank und goss sich ein Glas Milch ein. Nach einigen Schlucken fühlte sie sich schon um einiges wohler und besser. Langsam ließ sie ihren Blick durch die ihr so vertraute Küche schweifen, während sie auf Conrad wartete. Das Besondere an diesem Raum war das große doppelflügelige Fenster das in derselben Höhe wie die marmornen Arbeitsplatten angebracht war. Von dort aus hatte man einen perfekten Ausblick auf einen großen Teil des hell beleuchteten Paris bei Nacht. Einem plötzlichen Impuls folgend hievte sie sich trotz der schmerzenden blauen Flecken auf den kalten Marmor hoch, öffnete die beiden Flügel des Fensters und setzte sich rittlings auf das schmale Sims. Der Wind streichelte ihre Wangen und zerzauste ihr kurzes blondes Haar. Mit tiefen Atemzügen genoss sie die frische Nachtluft. Was für ein befreiendes Gefühl es war hier zu sitzen. Wie lange hatte sie schon nicht mehr hier gesessen? Zu lange, schloss Elizabeth. Schon als junges Mädchen, das frisch zu ihrer Tante gezogen war, war das ihr Lieblingsplatz gewesen. Innerhalb weniger Tage hatte sie den Mut aufgebracht sich auf dieses schmale Sims zwischen Leben und Tod zu setzen. Sie hatte zwar keine Todessehnsucht, aber auf eine gewisse Art und Weise hatte sie sich so immer wieder mit sich und der Welt ausgesöhnt. Wenn es sein sollte das sie am Leben blieb und nicht fünf Stockwerke tief fiel, würde sie auch das Beste daraus machen und nicht der tiefen Verzweiflung anheim fallen, die sie schon seit ihrer Kindheit bis hin in ihre zahlreiche Albträume verfolgten. So lautete zumindest die Abmachung, die sie mit sich selbst getroffen hatte. Zur Zeit jedoch gab es immer mehr Momente in denen sie sich in den quälenden Erinnerungen der Vergangenheit verlor. Kein Wunder nachdem ihr Vater hier in Paris aufgetaucht war. Langsam schloss Elizabeth ihre Augen, lehnte entspannt ihren Kopf an die hölzerne Fassung des weit geöffneten Fensters und ließ eines ihrer Beine im kühlen Nachtwind baumeln. Nach und nach wurden ihre Glieder schwerer und immer schwerer. Langsam forderte die Müdigkeit ihren Tribut. , dass sie nicht merkte wie ihr das immer noch halbvolle Milchglas aus der Hand glitt und mit einem leisen Pfeifen in die dunkle Tiefe stürzte.




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