Zeit ist nur ein Wort

Autor: julia
veröffentlicht am: 09.12.2010


Elizabeth Maurer warf seufzend die Hausschlüssel auf den Tisch und ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. Wieder stieß sie einen lauten Seufzer aus. Auf dem Küchentisch waren brennende Kerzen und romantisches Gedeck für zwei, das Licht war gedämpft und leise Musik ertönte aus dem Zimmer nebenan. Jedoch nicht laut genug um das Stöhnen, das lautstark von den Wänden der Wohnung widerhallte zu überdecken. Genervt begann Elizabeth den Tisch vom Gewicht der Teller und des Besteckes zu befreien, die Kerzen ließ sie stehen, denn Margareth und ihre neue Flamme würden die Wärme des Kerzenlichtes und die Stimmung die sie erzeugten dringendst brauchen, wenn sie ihn länger als zwei Wochen behalten wollte. Trotz all der Mühe die Elizabeths Tante Margareth sich gab ihre gemeinsame Wohnung in ein kleines Liebesnest zu verwandeln, schien es ihr nie gelingen zu wollen einen Mann für immer oder zumindest für längere Zeit an sich zu binden. Denn bisher hatte es sich spätestens nach zwei Wochen ausgeliebt und ihre Tante trennte sich unter größter Dramatik, wie es sich in ihren Augen gehörte, von ihrem Liebhaber. Nur um sich dann mit einem Unmengen Pommes von Mac Donalds, die vor Fett trieften, zu trösten. Meistens jedoch nutzte auch das nicht viel und so blieb es an Elizabeth sie zu trösten. Margareth bestand dann immer darauf, dass sie sich zusammen Filme wie Titanic oder Forest Gump ansahen, woraufhin dann auch Elizabeths Tränendrüsen die Schleusen öffneten. Zusammen heulten sie sich dann in den Schlaf oder zumindest Margareth. Elizabeth begann dann damit liegen gebliebene Arbeit aufzuarbeiten. Ob das nun für das Studium war, für ihren Nebenjob oder für den Haushalt, war ihr dabei ganz egal. Für sie war das eine willkommene Ablenkung von ihrem jämmerlichen Liebesleben. Sie hatte zwar schon einige Geliebte gehabt, doch an keinem von ihnen war ihr wirklich viel gelegen. Sie hatte sich eher an sie gewöhnt, als sie geliebt, so war es auch nie zu solch schmerzenden Abschieden, wie sie ihre Tante durchlebte, gekommen. Worüber Elizabeth eigentlich ganz froh war, auf der anderen Seite wünschte sie sich sehnlichst, sie hätte auch einmal tief und innig geliebt. Zurzeit hatte sie mit ihrem Chef, der das Restaurant in dem sie nebenberuflich arbeitete führte, eine kleine aber umso leidenschaftlichere Affäre, zumindest war das im Bett so. So war es mit ihren Beziehungen immer schon gewesen, sie waren kurz und unkompliziert, ohne große Gefühle. Für mehr als das fühlte sich Elizabeth zur Zeit nicht in der Lage, denn alles andere erforderte mehr Vertrauen und Zeit als sie hatte. Vielleicht gefiel ihr diese Unkompliziertheit auch, weil der Beruf als Chirurgin, den sie in weniger als einem Jahr ergreifen würde, ebenso klare und scharfe Linien, in diesem Fall eher Schnitte, und Ordnung erforderte. Chaos und Undurchsichtigkeit, könnten im OP tödlich enden. Ihre Kindheit hatte Elizabeth in Österreich, genauer gesagt im zweitkleinsten Bundesland von dort, in Vorarlberg, verbracht. Ihre Mutter, Anna Maurer war ebenfalls Ärztin gewesen, hatte aber Privatleben und Beruf streng voneinander getrennt gehalten. Nie hätte sie Elizabeth oder ihrem mit acht Jahren verstorbenen Bruder Joseph Wunden selbst zugenäht oder sie selber behandelt, wenn sich eine Krankheit anbahnte bei der ein Arzt vonnöten war. Joseph entstammte aus der ersten Ehe Annas mit einem Internisten aus Wien. Sie hatte nicht sehr lange gehalten, es wurde Josephs Vater schon kurz nach der Geburt seines Sohnes zu viel und er suchte Entspannung in einer kleinen Affäre. Elizabeths Mutter hätte es wohl nie erfahren und die Beiden hätten noch lange eine glückliche Lüge leben können, wenn er sich nicht gerade eine enge Freundin von Anna ausgesucht hätte. Doch so kam seine Untreue schnell ans Licht und sie ließen sich scheiden. Der Richter gab Anna das Sorgerecht für ihr Kind. Zwei Jahre später lernte die junge nun wieder voll auf ihre Karriere konzentrierte Mutter Elizabeths Vater, Markus Maurer kennen, einen attraktiven Oberösterreicher, der es mit seiner eigenen kleiner Tischlerei weit gebracht hatte, kennen. Anna war noch immer von der ersten Ehe im tiefsten Inneren verletzt gewesen, hatte nicht lange nachgedacht und den liebenswürdigen Markus, der sie und Joseph immer gut behandelte, geheiratet. Tatsächlich war die Beziehung dieses Mal glücklich und so freuten sich Markus und Anna als sie erfuhren, dass sie bald ein weiteres Kind bekommen würden. Die junge Familie ging oft und gerne auf Reisen, wandern oder in Restaurants. Sie lernten viele neue Leute kennen, mit denen sie sich gut sowie oft unterhielten. Neben all diesem kam die Kinderbetreuung nicht zu kurz und Joseph und die gerade mal fünf Jahre alte Elizabeth erfuhren viel Zuneigung und Wärme von ihren Eltern. Jedoch wie überall, gab es einen Haken, der hier in Form einer Kinderlähmung bei dem achtjährigen Joseph auftrat. Es hatte keinerlei Anzeichen dafür gegeben, bis sie plötzlich mit voller Wucht ausbrach. Er war einer der letzten Fälle von Poliomyelitis. Joseph bekam Lähmungserscheinungen, er konnte zuerst die beiden Beine, dann die Arme schließlich nicht einmal mehr den Kopf bewegen. Niemand konnte etwas mehr tun, für eine Impfung war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät gewesen. Anna und Markus konnten nur mit der größten Verzweiflung und Hilflosigkeit zusehen, wie ihr Sohn immer unbeweglicher wurde, bis er am 16. Juli 1991 schließlich starb. Die Beisetzung erfolgte im kleinsten Familienkreise. Diese wehmütige Erinnerung versetzte Elizabeth, die gerade dabei war den Abwasch zu machen, einen wehmütigen Stich. Denn von diesem Moment an, wurde die Familiensituation immer schlimmer. Es war vorher, als Joseph noch am Leben, aber krank war, nicht einfach. Immer öfter hatten die Eltern sich gestritten, gaben einander die Schuld oder sprachen gar nicht mehr miteinander. Sie vergaßen bei ihrem Streit ganz ihr gesundes jüngeres Kind. Immer mehr wurde sie vernachlässigt, was dazu führte, dass Elizabeth versucht mit allen Mitteln ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Sie begann plötzlich wieder ins Bettchen zu machen, obwohl sie schon längst aufgehört hatte oder sie legte sich zu ihrem kranken Bruder um wenigsten ein bisschen Wärme zu bekommen und er war froh mit einem anderen Kind zu reden. Als Anna und Markus dahinter kamen, hagelte es Ohrfeigen, denn die Kinderlähmung war ansteckend. Doch welches kleine Kind versteht schon etwas von Infektionen oder Viren? So zog sich Elizabeth, die sich völlig unverstanden und einsam fühlte, immer mehr in sich selbst zurück. Nach Josephs Tod, begann Markus sich mit den falschen Leuten einzulassen und begann zu trinken. In seiner Trauer um seinen geliebten Sohn, war er besonders anfällig für die Falle des Alkohols und wurde abhängig. Er gestand es sich jedoch absolut nicht ein, auch als seine Frau ihn darauf hinwies, glaubte er ihr kein Wort sondern wurde nur wütend auf die „Lügen“ die sie ihm an den Kopf warf. Nach nicht allzu langer Zeit war er nicht mehr fähig sich im betrunkenen Zustand zu kontrollieren. Markus schlug seine Frau und seine Tochter aus wütender Verzweiflung heraus. Am nächsten Morgen, wenn er wieder nüchtern war erinnerte sich in keinster Weise daran, was er am Vortag alles verbrochen hatte. Bald kam er nur noch betrunken nach Hause und Anna sperrte sich weinend im Schlafzimmer ein. Nur Elizabeth zu klein um rechtzeitig zu entkommen, blieb allein mit ihrem besoffenen Vater im Wohnzimmer zurück.
Elizabeth ließ das Wasser aus der Spüle laufen, wischte sich schnell die Hände an der Hose ab und blickte auf die billige Armbanduhr an ihrem Handgelenk. Schon zehn vor vier!! Sie erschrak. Wenn sie sich nicht sehr beeilte, würde sie zu spät zur Arbeit kommen. Mit weit ausgreifenden Schritten, eilte sie zu ihrem Kleiderschrank, zog eine Bluse und einen schwarzen Rock heraus, die sie sich gleich darauf schnell überstreifte. In der Küche packte sie die Hausschlüssel und auf dem Weg nach draußen ein Stück Obst. In Augenblicken wie diesen, war sie froh, dass ihr Arbeitsplatz „Le garcon“ sich nur zwei Straßen weiter von ihrer Wohnung befand. Als Elizabeth auf die Straße trat schlug ihr die, wie es bei allen großen Städten üblich war, schmutzig Stadtluft entgegen. Inzwischen war sie das genauso wie viele andere Dinge die es in der Stadt gab, die sie früher als sie noch in dem kleinen Dorf Feldkirch in Vorarlberg wohnte, nie gegeben hatte. Sachen wie riesige Menschenmengen, viel Verkehr, mit Abgasen verseuchte Luft. Dennoch musste Elizabeth unwillkürlich lächeln als sie an ihre Ankunft in Paris dachte. Vor sechs Jahren als sie von zuhause wegging und bei ihrer Tante einzog, hatten diese Eindrücke sie geradewegs überschwemmt und sie hatte noch verlorener gefühlt als ohnehin schon. Nur mit einem kleinen Zettel in der Hand auf dem die Adresse von Margareths Wohnung stand, war das kein Wunder. Schließlich, als sie vor der Tür der kleinen Wohnung stand, hörte sie schon das laute Schluchzen ihrer Tante, die soeben von ihrem spanischen Geliebten Rodriguez verlassen worden war. Ohne ein Wort zu sagen, mit tränennassem Gesicht hatte Margareth sie eingelassen. Die Wohnung sah aus, als hätte sie nach dem 19. Jahrhundert keinen Besen mehr gesehen. Sich unbehaglich fühlend, hatte die damals achtzehnjährige Elizabeth versucht ihre fünf Jahre ältere Tante zu trösten, sie war nie gut in so etwas gewesen. Ihr fehlten immer die richtigen Worte für so eine Situation. So war sie froh, als sie sich dann um den Haushalt kümmern konnte und nicht mehr um eine seelisch Verletzte, denn ersteres war wesentlich einfacher. Es dauerte keine zwei Tage, da schien Margareth über ihre verflossene Liebe schon hinweggekommen zu sein und keine drei weitere, da brachte sie schon einen Neuen mit nach Hause. Sie hatte mit keinem Wort erwähnt, dass Elizabeth willkommen war, aber auch nie gesagt, dass sie das nicht war. Auch hatte sie nie einen Anteil an der Miete verlangt, dafür überließ sie Elizabeth alles was mit dem Haushalt zu tun hatte. Das erschien Elizabeth nur fair, außerdem hatte sie sowieso gerade genug Geld für das Essen, die Transportkosten und solche Sachen. Denn das Essen für ihre Tante und sich zu kaufen fiel auch in ihren Zuständigkeitsbereich. Sie nahm den letzten Biss vom Apfel, der ihr Mittagessen war, und bog gerade um die Ecke hinter der das „Le garcon“ stand. Jean ihr Kollege und gleichzeitig ihr Freund hatte bereits auf sie gewartet. „Du hast Glück, Michael ist noch nicht hier. Wüsste er, das du wieder zu spät bist, würde er dich was hören lassen!“ Elizabeth atmete erleichtert auf. Sie war gerade noch rechtzeitig gekommen, Michael, ihrer beider Chef hasste es, wenn man unpünktlich war, egal zu welcher Gelegenheit. Auch wenn sie beide gerade eine heiße Affäre am Laufen hatten hieß das nicht, dass er sie in solchen Angelegenheit milder oder auch nur anders behandelte als die anderen Angestellten. Ohne Leistung kam sie hier nicht weit, auch nicht mit Charme, da war Michael beinhart. Nicht umsonst gehörte sein Restaurant zu den Besten in diesem Stadtviertel und hatte drei Sterne. „Wer war zu spät?“, ertönte eine scharfe Stimme hinter ihr. Erschrocken wandte sie sich um. Ihr Chef stand hinter ihr, mit warnender Miene. Wenn man vom Teufel spricht. „Doch nicht etwa du, Elizabeth?“ Jean holte hinter ihr tief Luft, sie wusste, dass er sich insgeheim vor Lachen wand und nun Mühe hatte sich das nach außen hin zu verkneifen suchte. Da hatte sie sich alle Mühe gegeben vor Michael herzukommen und er erwischte sie gerade in eben diesem Moment, wie peinlich! Mit versucht unschuldigem Blick sah sie zu ihm hoch, „Ähh…nein?“ Sie wusste sehr wohl, dass es keinen Zweck hatte, aber ein Versuch war es wert. Denn sie konnte es sich nicht leisten diesen Job zu verlieren. Tadelnd blickte Michael sie an. „Das ist jetzt schon das dritte Mal diese Woche.“ Er seufzte. „Ich muss sowieso mit dir reden. Komm mit nach hinten, da können wir uns ungestört unterhalten.“ „Hinten“ war das kleine Büro, in dem Michael alles Geschäftliche abwickelte, mit problematischen Angestellten sprach und seinen geliebten Mittagslatte trank. Leider hatte sie sich dort die letzten Wochen öfters einfinden müssen, der Grund dafür war ihre Familie. Wortlos beschied er ihr ihm zu folgen. Im Vorbeigehen gab Elizabeth dem nun unverhohlen grinsenden Jean einen leichten Knuff. „Und hör endlich auf zu lachen, verdammt“
Michael hielt ihr die Tür auf und schloss sie leise hinter sich. „Setz dich Elizabeth.“ Sprach er mit dem Kopfnicken zum einzigen Stuhl im Zimmer. „Danke“ Auch Michael setzte sich. „Worüber ich mit dir sprechen wollte, ist das kleine Problem, das wir mit deinem Vater haben. Die letzten beiden Wochen war er mindestens einmal pro Woche hier. Ich möchte dir ja nicht zu nahe treten, aber er vergrault mir meine Gäste.“ Natürlich tat er das, das war Elizabeth durchaus bewusst denn welcher Betrunkene tat das nicht? Doch wie sollte sie dieses Problem nun lösen? Vor einem Monat hatte sie den fatalen Fehler gemacht bei sich zuhause anzurufen, in der Hoffnung, irgendjemand hätte sich um sie gesorgt oder sie vermisst. Wenn sie nicht zuvor, mit Margareth den traurigsten Film ihres Lebens angesehen hätte, wäre sie wahrscheinlich nicht so dumm gewesen, vom Restaurant aus anzurufen sondern hätte es entweder gar nicht erst getan oder zumindest von einer Telefonzelle aus. Leider war es nun zu spät noch irgendetwas zu ändern, denn Elizabeths Vater, Markus, hatte, nachdem sie einen heftigen, emotional geladenen Streit gehabt hatten, die Nummer zurück verfolgen lassen und stand dann nur wenige Wochen später vor der Tür des „Le garcon“ und verlangte lautstark nach seiner Tochter. Gott sei Dank befand sich Elizabeth zu diesem Zeitpunkt in der Küche um die Bestellungen abzugeben. Jean musste gewusst haben, dass er ihr kein willkommener Gast war und behauptete steif und fest, dass es hier keine Person namens „Elizabeth Maurer“ gab. Erst gegen die späten Abendstunden ließ er sich schließlich abwimmeln. Natürlich gab es dann unangenehme Fragen, schließlich wollte Michael als Geschäftsführer wissen was los war. Widerwillig hatte sie dann mit der Sprache herausrücken müssen und fest damit gerechnet nun gefeuert zu sein. Den anderen Kollegen, darunter auch ihr guter Freund Jean, erzählte sie, dass dieser Betrunkene nur ein Stalker sei, der ihr anscheinend bis hierher gefolgt war. Diese Erklärung wurde so ohne weiteres akzeptiert, dass dieses haltlose Vertrauen in Elizabeth Gewissensbisse auslöste. Damals hatte sie geglaubt, dass ihr Vater spätestens nach einer Woche aufgeben würde, doch dem war leider nicht so. Mit dem heutigen Tag ging das schon ganze drei Wochen und vier Tage so. Dass Michael nun endlich genug hatte war nur allzu verständlich. Elizabeth unterdrückte einen schweren Seufzer. „Das ist mir durchaus bewusst. Ich werde mich darum kümmern, ich versprech’s!“ Michael sah sie skeptisch an. „Und was genau willst du also unternehmen?“ Sie hatte nicht die geringste Ahnung. Aber sie wusste, was sie nicht tun wollte und das war mit ihrem Vater in Kontakt zu treten. Doch so wie es aussah würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben. Sie holte tief Luft. „Ich werde mich mit meinem Vater treffen und ihm klar machen, dass ich nichts mit ihm zu tun haben will.“ Sie hatte niemandem je erzählt wie Markus sie früher misshandelt hatte, dennoch schien es so als ob Michael bereits so etwas ahnen würde. Er blickte sie mit offener Sorge in seinen leuchtend grünen Augen an. „Ich denke nicht dass so eine gute Idee ist.“ „Und warum nicht?“ Diesmal war es an ihm zu seufzen. „Naja, er mag zwar dein Vater sein und dich lieben, aber immerhin ist er ein großer und starker Mann den man nicht unterschätzen sollte. Verstehst du was ich damit sagen will?“ „Du meinst er könnte unter gegebenen Umständen eine Gefahr für mich darstellen und dass ich nicht hingehen sollte, richtig?“ Er hatte ja recht, sie wusste besser als alle anderen, wie gefährlich dieser Mann werden konnte, aber wenn sie endlich wieder Frieden finden wollte, musste sie es tun. Michael nickte sichtlich zufrieden. Ihre nächste Frage schien er bereits erwartet zu haben denn sie schien ihn nicht im Geringsten zu berühren. „Aber wenn ich mich nicht mit ihm treffen soll, wie soll ich ihn dann bitte schön davon abhalten hier weiter hereinzuplatzen?“ Mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht beugte er sich näher zu ihr. „Ich habe nicht gesagt dass du ihn nicht treffen sollst, sondern nur, dass du ihn nicht allein treffen sollst! Meiner Meinung nach solltest du jemanden mitnehmen. Am besten einen Mann der es notfalls mit deinem Vater aufnehmen kann.“ Er lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in seinem weichen Bürosessel zurück. „Am besten jemanden wie…mich!“ Überrascht schnappte Elizabeth nach Luft. Es berührte sie zutiefst, dass er sich um sie sorgte, doch das Letzte was sie wollte war ihn zu dem Treffen mit Markus mitzunehmen. Sie wollte nicht dass irgendjemand irgendetwas über ihre Vergangenheit erfuhr. Schließlich war sie zu ihrer Tante nach Frankreich gezogen um ein neues Leben anzufangen und um all die verfluchten Ereignisse zu vergessen die sich in ihrer Heimat zugetragen hatten zu vergessen. Doch wenn Michael sie begleiten würde würden all ihre Anstrengungen zunichte gemacht werden. Sie wusste genau dass er nun da er auf die Idee gekommen war, nicht mehr so schnell locker lassen würde. Also musste blieb nur die Möglichkeit so schnell es ging aus seinem Arbeitszimmer zu verschwinden. Elizabeth erhob sich unter dem forschenden Blick von Michael aus ihrem Stuhl und setzte ein höfliches Lächeln auf. „Das ist nett von dir, aber ich denke nicht dass das nötig sein wird. Meine Tante wird mich zu diesem Treffen begleiten. Trotzdem vielen Dank für dieses verlockende Angebot.“ Sofort wandte sie sich zur Tür und versuchte zu entkommen, doch sie kam nicht weit. Innerhalb kürzester Zeit war Michael ebenfalls aufgestanden und blockierte nun die Tür indem er seine Hände, die er in Windeseile neben ihrem Kopf platziert hatte, dagegen stützte. Verdammt noch mal! Sie hasste es wenn er seine körperliche Überlegenheit auf diese Weise demonstrierte und warf ihm einen verärgerten Blick zu, der ihn jedoch nicht in geringster Weise zu beeindrucken schien. „Lass mich gehen!“, forderte Elizabeth verärgert. „Nicht bevor du mir versprichst nicht allein zu gehen.“, forderte er nun ebenfalls. Resigniert seufzte sie. Elizabeth wusste dass es keinen Zweck hatte mit ihm zu streiten, denn dieser Mann war sturer als jeder Mensch den sie bis jetzt kennengelernt hatte. Aber er konnte noch so stur sein, mitnehmen würde sie ihn auf keinen Fall, schließlich ging es um ihr neu erworbenes Leben. Um ihn abzuschütteln würde sie wohl lügen müssen. Was sie zwar nicht gerne tat aber tun würde wenn es nötig war. Sie schoss ihm einen vermeintlich wütenden Blick zu und knurrte, „Also schön wenn du darauf bestehst nehme ich meine Tante und meinen Bruder mit! Reicht das damit du mich jetzt endlich loslässt?“ In diesem Moment war sie froh ihm so wenig über ihre familiären Angelegenheiten erzählt zu haben. Michael wusste nur, dass sie bei ihrer Tante um die Ecke wohnte. Kein Wunder also dass er ihr nun einen ungläubigen Blick zuwarf. „Du hast einen Bruder, hier in Frankreich?“ So überzeugend wie möglich nickte sie. „Natürlich. Er ist vor Jahren mit mir hierher gezogen und hat auch bei meiner Tante gelebt. Aber nachdem er seine große Liebe gefunden hatte ist er mit ihr aufs Land gezogen. Wenn ich ihn anrufe wird er wohl nicht nein sagen.“ Elizabeth sah Michael an, dass er noch nicht wirklich von ihren Worten überzeugt war also zog sie ihn zu sich herab und umarmte ihn zärtlich. „Keine Angst, ich kann schon auf mich aufpassen. Mein Bruder wird mich sicher begleiten, also kannst du dich beruhigt entspannen und dich um deine Arbeit kümmern.“ In Michaels Augen lag zwar immer noch eine gewisse Skepsis, doch er schien ihr nun zu glauben. „Also schön, dann nimm eben deinen Bruder mit. Aber ich möchte auf jeden Fall dass du ihn hierher bringst bevor du zu deinem Vater gehst damit ich sehen kann ob er geeignet ist auf dich aufzupassen. Versprich mir das!“ Als er ihr nun tief in die Augen sah, hatte Elizabeth mühe nicht loszuheulen, so sehr berührte sie seine Fürsorge. Sie hatte so lange niemanden gehabt der sich um sie sorgte, dass es sie nun wie ein Schlag ins Gesicht traf. Da sie ihrer Stimme nicht traute nickte sie nur. Endlich löste er sich von ihr. „Also gut. Nun da das geklärt wäre. nichts wie an die Arbeit.“ Nun musste sie lachen und salutierte amüsiert. „Zu Befehl, Sir!“

Erleichtert trat Elizabeth Stunden später unter dem Baldachin eines ihr unbekannten Hotels hervor. Sie hatte vor einigen Stunden ihre Schicht beendet und befand sich bereits auf dem Heimweg als ihr ihre Tante entgegenkam und sie mit sanfter Gewalt dazu zwang mit ihr und einer ihrer Eroberungen Essen zu gehen. Normalerweise gelang es Elizabeth sich vor diesen Dingen zu drücken indem sie vorgab Unmengen von Erledigungen zu haben, doch diesmal hatte Margareth sie schlicht und einfach überrascht. Das Essen war die reinste Folter gewesen. Ständig hatten der junge Mann und ihre Tante zusammengeklebt. Es hatte beinahe an ein Wunder gegrenzt dass sie nicht einfach an Ort und Stelle übereinander hergefallen waren. Elizabeths Rettung erfolgte schließlich in Form eines Anrufs. Sofort hatte sie diese Gelegenheit genutzt und hatte es als Ausrede benutzt um zu verschwinden. Im Moment hatte sie keine besondere Lust nach Hause zu gehen, denn sie wusste, dass in nicht allzu langer Zeit Margareth mit ihrem Lover dort auftauchen und ihr ihre wohlverdiente Ruhe stehlen würden. Prüfend blickte sie zum Himmel auf und erkannte zu ihrem Leidwesen, dass es bald dunkel werden würde. Normalerweise war es ihr, auch wenn sie einige Jahre einen Kurs zur Selbstverteidigung besucht hatte, zu gefährlich in einer Stadt wie Paris nachts alleine unterwegs zu sein. Doch an einem Abend wie diesem konnte sie einfach nicht widerstehen und so schlenderte sie gemächlich zu den nahe gelegenen Ufern der Seine. Elizabeth liebte es an der Seine entlang zu laufen und dem leisen Plätschern zu lauschen. Es erfüllte sie ganz einfach mit einem inneren Frieden, den sie sonst eher selten fühlte. Nach einigen Metern setzte sie sich nieder, zog ihre hohen Schuhe aus und streckte ihre nackten Füße ins Wasser. Beinahe völlig entspannt schloss sie die Augen, atmete tief durch und genoss die Stille. Elizabeth wusste nicht wie lange sie so dagesessen hatte als sie ein lautes Platschen vernahm und ihr Wasser ins Gesicht spritzte. Erschrocken zuckte sie zusammen und riss ihre Augen auf. Was war das? Es hatte sich so angehört als ob ganz in der Nähe etwas Schweres ins Wasser gefallen wäre. Was wenn das nun ein Mensch war? Sie musste nachsehen! Denn wie oft hörte man in den Nachrichten von Leuten die nach einer Party einen jähen Wassertod fanden, weil sie zu betrunken waren um zu schwimmen? Auch wenn sie sich fürchtete, und wie sie das tat, so war es eigentlich ihre Pflicht als angehende Ärztin ein Leben zu retten wenn sie konnte. So versuchte sie ihr wild klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen, kratzte all ihren verbliebenen Mut zusammen und erhob sich auf die Zehenspitzen um über die nun glatte Oberfläche der Seine zu spähen. Plötzlich nahm sie aus den Augenwinkeln im Dunkeln eine Bewegung wahr. Schnell sprang sie zu der Stelle an der sie die Person im Wasser vermutete und tatsächlich war unter der Wasseroberfläche ein dunkler Umriss zu erkennen. „Verflucht nochmal!“, entfuhr es Elizabeth. Es war jemand im Wasser und benötigte höchstwahrscheinlich ihre Hilfe. Sofort riss sie sich ihren Rock und die Bluse, die sie behindert hätten, vom Leib und sprang ohne lange Nachzudenken ins kühle Nass. Unter Wasser zwang sie sich die Augen zu öffnen und spähte nach dem Ertrinkenden. Zuerst war es Elizabeth nicht möglich irgendetwas zu erkennen doch als sich ihre Augen schließlich einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erblickte sie die Person die sie suchte. Mit kräftigen Schwimmzügen brachte sie sich näher an den, wie sie nun erkannte ohnmächtigen Mann und packte ihn unter den Achseln um ihn nach oben zu ziehen. Doch er war viel zu schwer! Nach einem weiteren Versuch bemerkte sie verzweifelt wie ihr die Luft auszugehen drohte. Wenn sie nicht mit diesem Mann ertrinken wollte musste sie so schnell wie nur möglich eine Möglichkeit finden ihn aus dem Wasser zu schaffen. Hastig ließ sie den Blick über den Körper des Mannes gleiten und stöhnte innerlich auf. Kein Wunder dass er so schwer war! Er trug einen schweren Brustpanzer aus stabilem Eisen! Die Frage warum er den trug verdrängte Elizabeth entschlossen, das musste jetzt warten. Sie spürte wie sie am Ende ihres Luftvorrats angekommen war, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Schnell jetzt! Fieberhaft fuhr sie mit ihren Fingern an diesem Harnisch entlang auf der Suche nach einer Öffnungsmöglichkeit. Endlich als sie schon nahe dran war in Panik zu verfallen fand sie Schnallen, die sich öffnen ließen. In Windeseile löste sie diese und drückte den Mann tiefer um ihm den Brustpanzer abzunehmen. Während sie sich mit dem schweren Eisen abmühte verstärkte sich der Drang einzuatmen zusehends. Panik erfasste Elizabeth. Dieses verfluchte Ding! Nach einer endlosen Zeit wie es schien gelang es ihr endlich den Harnisch über den Kopf des Mannes zu hieven. Zu Tode erleichtert ließ sie ihn unbeachtet zu Boden des Flusses sinken und zog den Mann am Arm mit letzter Kraft nach oben.
Als Elizabeth die Wasseroberfläche durchstieß sog sie so viel Luft wie es ihr möglich war in ihre Lungen und schoss ein kurzes Dankesgebet zum Himmel. Sie wandte sich wieder dem Herrn neben sich zu und überprüfte ob sich sein Kopf auch weit genug aus dem Wasser befand, dass er Luft bekam. Sie hoffte inständigst, dass er noch am Leben war. Die letzten Schwimmzüge zum Ufer gestalteten sich als reinste Tortur. Dort angekommen hievte sie sich mühevoll hoch und machte sich daran auch ihren Beinahe-Ertrunkenen aus dem Wasser zu schaffen, was sich weit schwieriger gestaltete als angenommen.
Endlich in Sicherheit! Schwer atmend lag sie neben dem jungen Mann auf dem kühlen Steinboden. Warum war der Typ überhaupt im Wasser gewesen? Er roch noch nicht das kleinste Bisschen nach Alkohol. War er etwa freiwillig dort hinein gesprungen oder hatte man ins geschubst? Tausende von Fragen wirbelten ihr durch den Kopf. Doch so wie es aussah würde sie darauf nicht so schnell Antworten bekommen. Sie hielt es nicht lange so aus, denn die nächtliche Kälte ließ sie richtiggehend schlottern. Erst dann stand sie auf und streifte sich ihre Kleider über, was zwar nicht viel gegen das Zittern half, denn sie trug immer noch ihre klatschnasse Unterwäsche. Sie kniete sich neben dem Mann nieder und prüfte seinen Puls. Erleichtert stieß sie den angehaltenen Atem aus. Er lebte noch! Aber nun fielen ihr die blauen Lippen auf und sie zuckte ob ihrer eigenen Dummheit zusammen. Natürlich musste er frieren, wenn er so lange im kalten Wasser gewesen war. Sie musste ihn schnellstmöglichst in die Wärme schaffen. Ihre Wohnung lag nicht weit entfernt von hier. Obwohl ihr Arme und Beine sich so schwer wie Blei anfühlten stemmte sie ihn, unter seinem Gewicht keuchend, hoch und legte seinen Arm um ihre Schultern. Langsam schleppte sie sich mit ihrer Last vorwärts. Ihre Kräfte erlahmten immer mehr. Sie hoffte bloß dass sie die paar Meter zu sich nach Hause noch schaffte. Mit zusammengebissenen Zähnen lehnte sie sich an die Wand eines Gebäudes um kurz durchzuatmen, als sie plötzlich Schritte und lautes Gelächter vernahm. Als sie den Kopf in die Richtung aus der die Geräusche stammten wandte, hätte sie am liebsten aus Frust laut geschrien. Drei offensichtlich nach Aufregung suchende Jugendliche steuerten direkt auf sie zu. Das Schicksal schien es heute anscheinend wirklich nicht gut mit ihr zu meinen. Elizabeth blieb noch nicht einmal die Möglichkeit sich gegen die Drei zu wehren, denn der Mann auf ihrem Rücken hinderte sie daran. So konnte sie nur hoffen, dass die Jungen sie nur auslachen und weiterziehen würden. Doch so wie es aussah würden sie das nicht tun. Sie hatten sie bereits eingekreist. „Na sieh mal an was wir uns hier gefangen haben!“, kicherte einer. „Sieht so aus als müsstest du deinen Kumpel nach hause schleppen, du Arme! Ihr hattet wohl `ne ziemlich wilde Nacht, was?“, meinte ein anderer. Der wahrscheinlich Älteste kam näher und beugte sich mit einem schadenfrohen Grinsen über sie. „Wir könnten dir ja helfen aber…“, der Junge packte den Arm des Mannes den sie gerettet hatte und stieß ihn von ihrer Schulter, so dass er hart auf dem Boden aufschlug. „…so wie es aussieht will der Typ da hier bleiben.“ Wie konnten sie das nur einem Verletzten antun? Elizabeth ignorierte den Jugendlichen vor ihr und beugte sich über den Mann am Boden und machte sich daran ihn wieder hochzuheben. Doch bevor sie dazu kam, riss der Junge an den Haaren hoch und schleuderte sie gegen die Gebäudewand hinter ihr. Der Aufprall nahm ihr den Atem und ihr Herz setzte einen Schlag aus als sie in das wutverzerrte Gesicht über ihr blickte. „Glaubst du etwa du kannst uns ignorieren? Merkst du nicht in welcher Situation du bist?“, knurrte er. Das war zu nahe, viel zu nahe, schoss es Elizabeth durch den Kopf und sie reagierte ohne nachzudenken. Ihr Arm schoss hoch und schlug mit der ihr letzten verbliebenen Kraft gegen den Kehlkopf ihres Bedrohers. Mit weit aufgerissenen Augen und nach Atem ringend stolperte dieser nach hinten und fiel hin. Schockiert blickte sie auf ihre Hände hinunter. Was hatte sie da eben getan? Der Junge könnte sterben! Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Ihr Gedankenfluss wurde jedoch jäh von einem wütenden Aufschrei unterbrochen. Noch bevor sie wusste wie ihr geschah traf sie schon ein Faustschlag an der Schläfe. Ein schmerzerfülltes Keuchen entrang sich ihrer Kehle und die Beine gaben unter ihr nach. “Verdammte saloppe! Was fällt dir ein Pascal zu schlagen?“ Ein wuchtiger Tritt traf sie an der Seite. Sie hatte keine Change überhaupt zu reagieren. Die Hiebe der verbliebenen Zwei prasselten nur so auf sie nieder. „ Hure! Wenn wir mit dir fertig sind, wirst du nicht mal mehr sitzen können!“ Elizabeth hatte nicht einmal mehr die Kraft die Arme zu heben um ihren Kopf vor den wuchtigen Schlägen der Beiden zu schützen. Sie hoffte nur dass es bald vorbei sein würde. Sie war so unglaublich müde. Sie war der Gewalt langsam müde. Zu oft war schon in dieser Lage gewesen. „Du verdammtes Miststü…!“ Abrupt brach der Junge ab und ein lautes Klatschen war zu hören. Verwirrt hob Elizabeth den Kopf auch auf die Gefahr hin wieder einen saftigen Tritt zu kassieren und zuckte zusammen als ein Körper direkt neben ihr auf dem Straßenpflaster aufschlug. Nun erst wurde sie der großen Gestalt gewahr, die nun mit raschem Schritt auf sie zutrat. Wer auch immer das war, hatte auf jeden Fall die beiden Typen die sie bis eben noch mit ihren Hieben penetriert hatten, niedergeschlagen. Hoffentlich hatte dieser Mann keinerlei bösartige oder krankhafte Absichten. Angespannt ließ sie es schweigend zu, dass er näher kam, doch als er sie am Arm auf die Beine und an sich zog machte sich Panik in ihr breit und sie versuchte verzweifelt um sich schlagend sich zu befreien.




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