Die Damen von Bradshaw - Teil 3

Autor: LaDameParis
veröffentlicht am: 12.12.2010


Als ich mit Rose und Jessica nach unten ging und den Speisesaal betrat war es schon mächtig voll. Die Jüngeren rannten um die Tische herum, während Mrs. Norley aufgeregt in die Hände klatschte. „Ruhe bitte!“ rief sie. „Setzt euch bitte! Ginny! Es reicht!“ Ein kleines blondes Mädchen blieb stehen und setzte sich schuldbewusst neben ihre Freundin. Jessica und Rose steuerten einen Tisch an, der ganz rechts im Saal stand. Es saßen schon 5 weitere Mädchen am Tisch und unterhielten sich. Mir fiel sofort die Blonde auf, die durch ihre Art, wie sich auftrat alle Aufmerksamkeit auf sich zog.
Und eine Andere fiel sofort durch ihre feuerrote Mähne und durch ihr lautes Lachen auf. Erschrocken hielt sie die Hand vor den Mund und kicherte nun leise weiter.
Jessica trat an den Tisch warf ihr hellblaues Kleid beiseite und setzte sich neben die Blonde. Rose setze sich neben ein pummeliges Mädchen mit rot-blondem Haar und wies mich auf den Platz neben sich.
„Mädels, das ist…“ Rose suchte nach meinem Name. „Lilli“ vollendete Jessica den Satz. „Mrs. Norley hat doch schon von dem neuen Mädchen erzählt, dass bei uns in die Klasse kommt“
Das Mädchen mit dem feuerrotem Haar nickte und ihre grauen Augen blitzen auf: „Ich bin Julia… Julia Norris“
Ich lächelte ihr zu. Sie wollte gerade weiterreden, als sie von der rauen Stimme von Mrs. Bradshaw unterbrochen wurde: „Meine Damen“ begann sie. „Bitte setzen sie sich gerade hin, und seien sie leise“ Sie wartete bis alles still war, dann fuhr sie fort: „Ich hoffe das Essen schmeckt euch“ Damit setzte sie sich wieder hin und nippte an ihrem Wein.
Das Essen wurde von Antonia und Nana serviert. Kalbsfleisch und Kartoffeln mit Erbsen.
Sofort griff ein etwas pummeliges Mädchen zum Essen und die Blonde fing leicht an zu kichern: „War ja irgendwie klar?“ zischte sie Julia zu. Diese nickte und auch Jessica, die mitgehört hatte kicherte.
Die Blonde schaute auf: „Elly? Wärst du so gut uns auch noch etwas übrig zu lassen?“
Julia brach wieder in lautes Gelächter aus. Und auch Jessica kicherte.
Elly wurde rot und stellte schnell die Schüssel wieder hin. Die Blonde nickte selbstgefällig und nahm sich das Fleisch.
Ich beugte mich zu Rose rüber: „Wer ist denn das?“
„Das ist Sara. Sie versucht alles um bei Julia anzukommen“ raunte Rose mir zu.
„Wer sind die anderen?“ hakte ich nach.
Rose ging reih um: Jessica, daneben Sara, das Mädchen mit den feuerroten Haare war Julia, neben ihr saß ein Mädchen mit orangen Locken, Nicole, das Mädchen mit den weißblondem Haar war Jane, und dann noch Rose und Elly.
Ich nickte und musterte alle noch einmal genau, als Rose mir die Schüssel mit dem Essen reichte. Ich nahm mir Kartoffel und Gemüse, nur Kalbsfleisch mied ich.
„Nimmst du kein Fleisch?“ fragte Jane, als ich ihr die Schüssel weiterreichte. Ich schüttelte mit dem Kopf: „Nein“
„Du isst kein Fleisch?“ hakte Julia nach und klemmte sich eine rote Haarsträhne hinter’s Ohr.
„Gewöhnlich schon. Ich esse nur kein Kuhbaby“ meinte ich und zuckte mit den Schultern.
Julia schaute mich geschockt an und blickte dann auf ihr Fleisch.
„Tot ist es doch so oder so“ warf Jessica ein. „Wenn wir es jetzt nicht essen, wird es weggeworfen“
Das war natürlich ein berechtigter Einwand und Julia fing sich wieder: „Das sehe ich auch so“
Für mich war es dennoch nicht das „Ja“ zum Essen von Kuhbaby.
Nach dem Essen zeigte mir Rose das gesamte Haus. Es war gigantisch. Wintergarten, Küche, Teesalon, Kaminsalon, Foyer, die Schlafsäle, Tanzsaal, Bibliothek und Bäder.
„Was ist mit den Parkanlagen?“ fragte ich, als wir oben im Zimmer waren und ich nach draußen schaute.
„Die kann ich dir morgen zeigen. Aber wir dürfen nicht mehr allein raus, wenn es dunkel ist“ erklärte Rose. Sie zupfte an ihrem lavendelfarbenem Kleid. „Wolltest du nicht ins Bad?“ fragte sie.
Ich nickte. „Ja… nach der langen Fahrt“ Ich holte meine Seife aus der Kommode und suchte nach einem passenden Kleid. Ich hob ein dunkelblaues heraus, mit einem Stehkragen und nickte.
„Du hast viele Kleider“ meinte Rose.
Ich drehte mich um und zuckte mit den Schultern: „Meine Tante geht gerne einkaufen“
Sie lächelte und setzte sich auf ihr Bett.
Ich wollte gerade zur Tür gehen, als diese aufgerissen wurde. Erschrocken wich ich zurück. „Oh, es tut mir Leid“ meinte Jessica mit einem Lächeln im Gesicht. Hinter ihr war Sara. „Rose“ rief sie. „Du glaubst nicht, wer gerade gekommen ist“
Rose stand auf und schaute fragend zu Jessica und dann zu Sara.
„Mr. Rumble ist wieder da“ Jessica grinste verschwörerisch. Rose fing an zu lachen: „Die Ärmste“
Sara nickte. Als sie meinen irritierten Blick sah, erklärte sie: „Mr. Rumble ist ein 30-jähriger Mann, der Julia anhimmelt“
„Oh ja“ kicherte Jessica. „Er hat sogar schon zweimal um ihre Hand angehalten. Doch sie hat ihm beide Male einen Korb gegeben. Aber dieser Kerl gibt nie auf. Er besucht sie jeden Monat!“
Auch Rose prustete weiter: „Meistens spielt sie ja auch ihre Spielchen mit ihm“
„Und ihre Mutter wäre nur zu froh, wenn sie Mr. Rumble als Mann nehmen würde. Dabei finde ich Julia so hübsch. Sie hat echt einen besser aussehenden Mann verdient“ plapperte Sara.
„Wie sieht er denn aus?“ fragte ich und schaute von einem zum anderen.
„Oh!“ Rose lachte noch mehr. „Er hat rotes, lichtes Haar. Blaue Knopfaugen und eine Bierbauch. Und dazu noch einen Schnauzer!“
Jessica und Sara bogen sich vor Lachen. „Aber er ist reich“ warf Sara plötzlich ernst ein. „Sie hätte mit ihm eine viel versprechende Zukunft“
„Als was?“ hakte ich nach.
Plötzlich verstummten alle drei Mädchen. Jessica zuckte mit den Schultern: „Na, als Mutter, Hausfrau und Gattin. Sie hätte es immer gut bei Mr. Rumble“
Wieder fingen Sara und Rose an zu kichern. „Deswegen sind wir doch alle hier, oder etwa nicht? Um irgendwann einmal einen stattlichen Mann zu haben und Kinder zu bekommen. Um eine schöne Zukunft als Hausfrau zu führen“ fuhr Jessica ernst fort.
Sara nickte: „Oder man wird Gouvernante“
Rose stimmte zu: „Ich will einmal Gouvernante werden“
Ich sah kurz alle an, dann nickte ich: „Ja, wie ihr meint. Ich gehe ins Bad“
Auf dem Weg nach unten, in den zweiten Stock in dem sich das Bad befand begegnete ich Julia, welche ziemlich niedergeschlagen aussah. Sie schaute mich an: „Lilli? Oder?“
Ich nickte.
„Weißt du wo Sara ist? Oder Jessi? Nicole wäre auch gut“ Sie schaute mich mit ihren grauen Augen erwartungsvoll an.
„Sara, Jessi und Rose sind oben. Im Turmzimmer“ erklärte ich.
„Danke“ Sie lächelte ein falsches Lächeln und ging die Treppen weiter nach oben.

Nach meiner Dusche und nach der Abendandacht ging ich nach oben ins Turmzimmer und legte das braune Kleid, was ich in der Eile lieblos auf’s Bett geworfen hatte zusammen.
Nur wenige Minuten nach mir kamen Jessica und Rose ins Zimmer. „Die arme Julia“ seufzte Jessica. „Er hat ihr schon wieder einen Antrag gemacht“ Sie schaute mit trauriger Miene zu mir.
„Was hat sie gesagt?“ fragte ich.
„Sie hat natürlich abgelehnt“ rief Rose aufgebracht. „Für wen hältst du Julia?!“
Ich musste lächeln: „Ich kenne sie nicht“ erinnerte ich sie höflich.
Rose nickte: „Ja, natürlich. Aber sie würde niemals einen Kerl wie Rumble heiraten“
„Abwarten“ meinte ich sachlich.
Jessica lachte: „Julia und so ein Kerl? Nein, Julia wird irgendwann mal einen reichen und hübschen Kerl heiraten“ Sie schaute zu Rose: „Genau wie wir alle. Denn deswegen gehen wir ja nach Bradshaw“ Sie nickte und drehte sich zur Wand: „Rose, würdest du bitte?“
Rose nickte und begann das Korsett von ihr aufzuschnüren. Dann drehte sich Rose um und Jessica schnürte ihr das Korsett auf.
Ich versuchte selber an die Bändel zu kommen, allerdings ohne Erfolg. „Komm, ich mach schon“ meinte Rose und schnürte die Schnüre auf. Ich schlüpfte aus dem Korsett und huschte zur Kommode. Ich holte mein blassblaues Nachthemd heraus und strich es mir über den Kopf.
„Wisst ihr, wie mein Traummann sein sollte?“ fragte Jessica und warf sich auf ihr Bett. „Er muss mich auf jeden Fall verstehen können“ Sie seufzte und ließ den Kopf auf das Kissen fallen, als sie laut aufschrie: „Au“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog sie eine Haarnadel aus ihren Locken hervor.
„Ich hätte gerne einen Mann, der Humor hat“ Rose schaute über mein Bett aus dem Fenster. „Aber nie so jemanden, wie Mr. Rumble“
Ich nickte und blickte auf den See, in dem sich der Mond spiegelte. Es war eine Vollmondnacht. „Die Aussicht ist schön, nicht?“ fragte Rose in die Stille hinein.
Ich drehte mich um: „Ja, warum belegt niemand von euch das Bett, ich meine, wegen der schönen Aussicht“
Doch Jessica schüttelte mit dem Kopf: „Bis vor zwei Wochen war es noch Annas Bett. Doch sie wurde vermählt und wohnt jetzt in einer noblen Gegend von Dublin“
„Dublin“ murmelte ich. „Das ist ziemlich weit weg“
„Ja, aber völlig normal. Alle drei Monate kommen Herren aus dem ganzen britischen Reich in unser Mädchenpensionat und schauen sich uns an. Und wenn ihm eine gefällt, dann hat er die Möglichkeit sie näher kennen zu lernen. Oder er kann gleich um ihre Hand anhalten“ erklärte Rose.
„Ablehnen kann man natürlich“ warf Jessica ein.
Ich nickte wieder nur. Das war wie auf einem türkischem Bazar. Wie, als wären wir nur Gegenstände.
„Manchmal sind auch ganz nette Herren dabei“ redete Jessica weiter. Sie machte eine Pause und verzog das Gesicht: „Oder man lernt eben auch solche Männer kennen, wie Mr. Rumble! Er hat sich anscheinend in Julia verliebt“
„Mir hat ein ganz grässlicher Kerl mal den Hof gemacht. Er war zwar reich und wohlerzogen, doch ich mochte ihn nicht. Also habe ich ihm ehrlich, dennoch höflich gesagt, dass ich ihn nicht heiraten will. Er war sehr verständnisvoll“ Rose lächelte. „Ich glaube Julia macht Mr. Rumble einfach zu viel Hoffnungen. Sie ist einfach zu charmant“ Rose kicherte. „Armer, verliebter Rumble“
„Ich habe mir vorgenommen nur aus Liebe zu heiraten. Meine Mutter ist damit auch einverstanden. Sie kann es verstehen, nur mein Vater macht Ärger. Er sagt ich solle einfach nur einen heiraten, der Geld hat“ Jessica zog eine Schnute. „Doch ich bin überzeugt, dass es irgendwo noch so etwas wie Liebe gibt“
„Ich weiß nicht“ murmelte Rose. „Schön wäre es schon“
Plötzlich schaute Jessica zu mir: „Du hast heute Nachmittag gesagt deine Tante hätte dich hierher geschickt. Was ist mit deinen Eltern?“
Ich schaute auf den Boden: „Sie sind gestorben“
„Oh, das tut mir Leid“ sagte Jessica leise.
„Lass die Höflichkeitsfloskeln. Du hast mit den Tod meiner Eltern nichts zu tun“ meinte ich leise und ließ mich auf’s Kopfkissen fallen. Dann drehte ich mich zu Wand und schloss die Augen.




Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz