Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 11

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 07.01.2011


Nervös saß Donna im Wartezimmer der Praxis von Dr. Erlinger. Sie befand sich allein in einem kleinen Raum, auf einem Sofa neben dem ein großer Benjaminbaum stand. Niemand sonst war in dem Wartezimmer. Immerhin sollte Donnas Anonymität bewahrt werden. Unruhig blätterte sie in der Vogue und klopfte in regelmäßigen Abständen einen Rhythmus auf ihren Oberschenkeln.
Hektisch warf Donna einen Blick auf die Uhr. Es war schon um 17 Uhr. Und um 16.30 Uhr hatte sie eigentlich ihren Termin gehabt.
Vielleicht sollte sie einfach schnell wieder gehen, und diesen ganzen Psychologenkram vergessen. Vielleicht war es so das Beste.
Was sollte ein Psychologe auch bei Schlafproblemen schon anstellen? Ein Psychologe behandelte andere Dinge, als schlimme Träume einer 17-jährigen.
Sie wollte gerade aufspringen und aus der Praxis stürmen, als ihr Name von der Arzthelferin aufgerufen wurde: „Donna Dameno?“
Donna kniff die Augen zusammen, und stand langsamer auf, als sie es bei ihrer Fluchtaktion geplant hatte. „Ja“ sagte sie mit schwacher Stimme und öffnete die Augen wieder.
Die Dame mit dem Klemmbrett in der Hand lächelte freundlich und deutete auf die Tür, die vom Wartezimmer abführte: „Der Herr Doktor wird gleich für Sie da sein“ Sie schob ihre Brille wieder weiter hoch zur Nasenwurzel und wandte sich dann von Donna ab, welche mir Knien weich wie Pudding zur Tür ging.
Mit zittrigen Händen drückte sie weiße Plastikklinke herunter und trat ein. Die Tür schloss sie wieder leise hinter sich.
Der Raum war kein typischer Arztraum.
Ein großes Fenster ließ viel Sonnenlicht durch und auf der Wand gegenüber des Fensters stand ein Schreibtisch, mit einem schwarzen Ledersessel dahinter. Auf der anderen Seite standen zwei etwas kleinere Ledersessel.
Rechts von Schreibtisch und Sesseln stand ein kleiner Wohnzimmertisch, mit einer Couch und einem Sessel, der Donna stark an den Sessel einer Urgroßmutter erinnerte.
Eine Weile stand sie unschlüssig im Raum herum und fuhr erschrocken rum, als die Tür sich öffnete.
Ein älterer Mann mit weißem Haar und einem Schnurrbart trat ein und lächelte sie freundlich an. Die altmodische Hornbrille hatte er an einem Kettchen um den Hals. Auch er trug ein Klemmbrett unter dem Arm. „Guten Tag, Sie sind Fräulein Dameno?“
„Sie können mich duzen. Ich bin Donna – einfach nur Donna“ erwiderte Donna leise und es klang beinahe so, als würde sie flüstern.
„Nun gut, Einfach-nur-Donna“ sagte der Mann, den sie für Dr. Erlinger hielt. „Wie wär’s wenn wir uns erst einmal setzen“ Er zeigte mit der Hand auf die Couch und Donna gehorchte und setzte sich.
Dr. Erlinger setzte sich ihr gegenüber auf den alten Sessel und nahm sein Notizbuch, was auf dem Wohnzimmertisch lag zur Hand. „Nun erzähl mit doch einmal, warum du eigentlich hier bist, Donna“
Sie zögerte ziemlich lang und knetete ihre Hände, bis sie wehtaten. Ihre Augen huschten von einer Ecke im Raum zur anderen.
„Du kannst dir Zeit lassen, Donna“ meinte Dr. Erlinger ruhig. „Am Telefon sagtest du bereits, dass du dauernd träumst. Hast du vielleicht irgendwelche Probleme, die du in deinen Träumen verarbeiten musst“
Erst jetzt wurde ihr Blick fixierend. „Jeder hat Probleme. Doch ich glaube kaum, dass meine Probleme so dramatisch sind, dass ich sie dermaßen heftig in meinen Träumen verarbeiten muss“
„Das heißt, du träumst oft sehr heftig und nicht gerade schön?“
„Ich träume NIE schön. Und träumen tu’ ich jede Nacht“
„Könntest du mir von diesen Träumen erzählen?“
„Wird das denn etwas bringen?“
„Ich denke schon“
Wieder zögerte Donna eine ganze Weile, dann begann sie zu erzählen: „Es begann mit dem Umzug, von Jena hierher… Plötzlich hatte ich diesen schlimmen Traum: Ich umgeben von einem schwarzen Nichts. Ein Junge mit schwarzem Haar, mit dem Rücken zu mir. Und Seifenblasen, die nach und nach aufsteigen. Und irgendwann ist überall Blut, und auch das schwarze Nicht verfärbt sich blutrot. Es droht mich zu erdrücken. Und der Junge ist auch verschwunden! Dann wache ich meistens auf, und schreie“ Donna holte tief Luft und schlug die Augen nieder.
„Träumst du jede Nacht dasselbe?“ hakte der Doktor sachlich nach.
Donna öffnete wieder die Augen und schüttelte mit dem Kopf. „Nicht immer. Manchmal träume ich auch andere Dinge. Doch die haben meistens nichts mit meinem Leben gemeinsam. Es ist wie als würde ich dauernd irgendwelche Träume sehen“
Dr. Erlinger nickte geduldig und hörte ihr schweigend zu. Dann stellte er wieder eine seiner Fragen: „Aber deinen Traum, der mit dem Jungen und dem schwarzen Nichts, was dann zu Blut wird, träumst du jede Nacht?“
Donna nickte heftig: „Ständig. Ich habe keine ruhige Nacht mehr. Dabei geht es mir doch wirklich gut! Es kann kein stressbedingter Traum sein. Ich weiß doch auch nicht, was mit mir los ist. Können Sie mir denn nicht sagen, was das alles ist?“ Sie schaute ihn flehend an.
„Leider kann ich das noch nicht. Es tut mir Leid. Aber wenn sie wöchentlich vorbei kommen, dann finden wir bestimmt einen Grund für ihre Träume“ meinte Dr. Erlinger lächelnd. Dann blickte er auf die Uhr: „Unsere Stunde ist leider schon vorbei“
Donna blickte ebenfalls schnell zur Uhr. Die Stunde ist schneller vergangen, als sie dachte, und sie konnte Dr. Erlinger noch nicht einmal alles erzählen. Dorian zum Beispiel hatte sie ihm verschwiegen…
Doch dazu würde sie wohl nächste Woche Zeit haben.
Sie erhob sich und auch Dr. Erlinger stand auf und reichte ihr die Hand: „Wir sehen uns dann nächste Woche um dieselbe Zeit, ist das okay für dich“
Wieder brachte Donna nur ein Nicken zustande. Sie hatte einem Fremden noch nie soviel von sich erzählt. Das war ein komplett neues Gefühl für sie.
„Danke, und auf wiedersehen, Doktor“ brachte sie schließlich hervor und ging mit leisen Schritten zur Tür. Sie wollte gerade aus dem Raum gehen, als Dr. Erlingers Stimme sie noch einmal zurückhielt: „Donna, warte doch noch mal einen Moment“
Sie gehorchte und drehte sich mit fragendem Blick um: „Was gibt es denn?“
Der Doktor nahm eine kleine weiße Dose aus der weißen Glasvitrine, die neben dem Schreibtisch stand: „Damit du mal wieder durchschlafen kannst“ Er reichte ihr das Döschen und Donna nahm es an sich. „Danke“ Damit schloss sie die Tür hinter und verließ die Praxis ohne vom Boden aufzuschauen.
Erst als sie vor der Tür stand warf sie einen Blick auf das Döschen, das ihr Dr. Erlinger gegeben hatte: Schlaftabletten stand auf dem beigen Etikett. Eine halbe Tablette am Abend.
Ob ihr das wirklich helfen würde? Ob sie dann nicht mehr träumen würde?
Donna bezweifelte es, doch einen Versuch war es immerhin wert. Schnell packte sie das Tablettendöschen in ihre Tasche und versuchte den Weg nach Hause zu finden. Hoffentlich hatte niemand gesehen, wie sie aus der Praxis kam und hoffentlich war niemand in der Praxis gewesen, den sie kannte, obwohl das eher unwahrscheinlich war, da sie hier sowieso noch nicht viele kannte, die sie hätte treffen können. Und außerdem wurden die Sprechzeiten sowieso so gelegt, dass sich die Patienten beinahe unmöglich begegnen konnten.
Donna senkte den Kopf und schaute traurig auf den tristen, grauen Asphalt unter ihren Füßen während sie nach Hause lief. Sie kam sich plötzlich so abnormal vor.
Doch was war normal?
Mit 17 zum Psychologen gehen ganz sicher nicht!

Samstagmorgen um 3.56 Uhr konnte Donna endlich wach werden. Schreiend und keuchend saß sie erneut im Bett und schaute wie gehetzt um sich.
Die Schlaftabletten hatten ihre Wirkung völlig verfehlt. Zwar war sie eingeschlafen wie ein Baby, doch vor den Träumen haben sie sie nicht bewahrt.
Wieder hüpfte sie von einer Kulisse zur anderen, bis sie schließlich wieder in ihrem üblichen Traum war. Das schwarze Nichts um sie herum, die Seifenblasen, die empor stiegen. Nur der Junge fehlte wieder, bis sich das schwarze Nichts sich plötzlich wieder blutrot färbte und Donna in sich zusammensackte. Plötzlich war wieder überall Blut und auch der Junge tauchte plötzlich auf. Doch dieses Mal sah sie sein Gesicht: Dorian!
Sie hatte die Hand nach ihm ausgestreckt. Er versuchte ihre Hand zu erreichen, doch er wurde von einer unsichtbaren Macht zurückgehalten. Sein Blick war verzweifelt und flehend.
„Lass mich nicht allein!“ schrie sie.
Auch er schien ihr irgendetwas zuzurufen, doch seine Worte drangen nicht an ihr Ohr. Sie sah nur wie sich seine Lippen bewegten, doch sie verstand nichts.
Und dann, so plötzlich wie er da war, war er auch wieder verschwunden und Donna schrie wieder. Sie vergrub das Gesicht in den blutigen Händen.
Und dann schaffte sie es endlich auszuwachen. Dann nach ewiger Quälerei – so kam es Donna zumindest vor, konnte sie sich aus ihrem Traum befreien.
Und nun saß sie zitternd, keuchend aber nicht mehr schreiend im Bett. Sie wischte sich über die feuchten Wangen und schaute auf die Uhr. Dann wanderte ihr Blick auf die Tabletten. Donna seufzte und schon begannen wieder die Tränen ihr die Sicht zu verschleiern.
Langsam stand sie auf und warf sie Tabletten in den Müll. Schlaftabletten waren keine gute Idee gewesen. Doch Dr. Erlinger hatte es ja nur gut gemeint.
Donna stand auf und schlurfte in die Küche, wie jeden Morgen und machte sich einen Kaffee… einen starken Kaffee, auch wie jeden Morgen.
Sie blätterte wieder in der neuen Ausgabe der Cosmopolitan, während sie auf ihren Kaffee wartete. Dieses koffeinhaltige Getränk war für sie in den letzten Wochen wie ein Lebenselixier. Ohne konnte sie nicht mehr überleben.
Wann diese Träumerei wohl aufhören würde? Donna konnte es nicht sagen.

Am Nachmittag klingelte Donnas Handy und Juanita meldete sich.
„Hey, Donna-Bonna“ begrüßte sie se.
Donna runzelte die Stirn bei dem Ausdruck Donna-Bonna. So hatte sie wirklich noch niemand genannt. Noch nicht mal ihr Vater, der sie damals, als Donna noch ein Kind war, alle möglichen Spitznamen für Donna ausgedacht hatte.
Doch sie sagte nichts, und ließ Juanita sie Donna-Bonna nennen, wenn sie es so wollte. „Was gibt’s?“ fragte sie stattdessen.
„Wegen der Party heute, geht das klar?“
Donna nickte und fügte dann schnell ein „Ja“ hinzu, als sie bemerkte, dass Juanita ja gar nicht sehen konnte, ob sie nickte.
„Find ich toll“ flötete Juanita. „Mein Freund kommt erst um acht, und ich dachte mit, dass du vielleicht zu mir kommen möchtest. Dann können wir uns schon mal ein herrlich schreckliches Outfit überlegen!“ Sie begann zu kichern wie ein kleines Kind und wieder legte Donna die Stirn in Falten: „Du willst da wirklich wie der letzte Depp herumlaufen?“
„Na, hör mal. Das ist ne Bad Taste Party. Wer da nicht dämlich herumläuft, ist der Depp“ wies sie Donna zurecht.
„Alles klar. Wann soll ich bei dir sein?“ Doch gleich darauf verbesserte sie sich: „Oder warte mal! Kannst du mich vielleicht hier am Arsch der Welt abholen. Ich finde niemals zu dir“ Sie musste wieder über ihre eigene Orientierungsschwäche lachen.
„Na ja… ist zwar ziemlich umständlich. Aber okay“ meinte Juanita schließlich. „Bis dann“ Mit diesen Worten legte sie, und auch Donna warf ihr Handy auf’s Bett.

Eine Stunde später stand Juanita vor der Tür und klingelte Sturm. Dirk warf genervt seinen Pinsel weg und erhob sich stöhnend: „Einmal klingeln würde auch reichen“
Donna schaute ihrem Vater nur kurz hinterher, dann stopfte sie ihre Parfümflasche in die Tasche und stand auf. „Du bist immer so gereizt, wenn du zeichnest“ bemerkte sie trocken und zog sich ihre Ballerinas an.
Dirk drückte auf den Türöffner und zuckte nur mit den Schultern: „Mein Pizzabild ist wirklich gut geworden. Ich glaube ich hänge es in der Küche auf“
„Mach das“ Sie drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und angelte sich ihren Schlüssel vom Karton. „Wann soll ich wieder da sein?“
Dirk schaute eine Weile nachdenklich zur weißen Decke, dann wandte er sich wieder an seine Tochter: „Zwei, aller spätestens. Und keine Minute später“
Donna wusste, dass wenn sie bis zwei Uhr nachts raus durfte, ihr Vater besonders viel Vertrauen in sie hatte, und es deswegen besser wäre, wenn sie sogar ein wenig früher kommen würden. Impulsiv gab sie ihm noch einen Kuss auf die Wange: „Danke, Paps“ Dann schulterte sie sich ihre Tasche und rannte die Treppen hinunter, als Juanita noch einmal klingelte.
„Sie kommt ja schon“ hörte sie ihren Vater noch maulen, dann wurde die Wohnungstür geschlossen.
Bevor sie die Tür geöffnet hatte, meinte Juanita schon: „Dein Vater ist vielleicht ein Grieskram“
Donna lachte leise und schüttelte dann mit dem Kopf: „Normalerweise ist er das nicht. Er zeichnet nur gerade“
„Ach ja, stimmt ja“ meinte Juanita und hakte sich bei Donna unter und ging los. „Dein Vater ist ja der gescheiterte Künstler“
„Gescheitert würde ich ihn nennen. Er ist einfach nur noch nicht so ganz am Ziel“ verschönerte Donna die Wahrheit, die Juanita eben ausgesprochen hat.
Die Spanierin zuckte nur mit dem Schultern: „Ist ja auch egal! Ich habe auf jeden Fall totaaaal das abgefahrene Outfit. Da wirst du Augen machen“
„Hm…“ murmelte Donna. „Das sollte wohl eher dein Freund“
„Wird er, glaub mir“ Sie kicherte, dann wurde sie wieder ernst: „Hast du eigentlich einen Freund?“
Donna schüttelte schnell mit dem Kopf: „Nein“ Hoffentlich würde Juanita das Thema jetzt fallen lassen. Doch da hatte sie sich getäuscht.
„Auch nicht in Jena – oder wo du auch immer herkommst“ hakte sie nach, und Donna musste wieder mit dem Kopf schütteln: „Nein, auch dort nicht“
Juanita machte eine Weile ein trauriges Gesicht, doch dann begann sie zu lachen: „Na ja, dann kannst du heute wenigstens deinen Spaß haben, ohne an irgendjemanden gebunden zu sein“ rief sie begeistert aus und Donna zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln und nickte träge. Was wenn sie aber gerne an jemanden gebunden wäre? Nicht, dass sie dabei an jemanden Bestimmtes dachte…
Juanita und ihre Familie (Mutter, Vater, eine kleine nervende Schwester und eine zerbrechliche Urgroßmutter) bewohnten ein kleines Altbauhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, ziemlich außerhalb der Stadt. Der Vorgarten sah sehr gepflegt aus und die Rosen, die dort blühten dufteten herrlich.
Als Juanita Donnas Blick sah, erklärte sie: „Der Vorgarten ist der gesamte Stolz meiner Mutter. Sprich sie lieber nicht darauf an, sonst wird sie bis morgen früh nicht fertig zu erzählen. Und meiner Oma stellst du auch besser keine Fragen über die Vergangenheit. Und nimm das Wort Krieg am besten gar nicht in den Mund. Auch nicht das Wort kriegen“
Donna riss die Augen auf: „Hat sie etwa noch den zweiten Weltkrieg miterlebt?!“
Juanita nickte: „Ja, sie und ihre Familie haben damals Leute in der Scheune versteckt. Sie war damals natürlich noch ziemlich jung. Und dann lernte sie durch irgendeinen Zufall meinen Urgroßvater kennen. Er war Spanier“ erklärte sie, während sie den Schlüssel im Schloss herumdrehte.
Eine richtige Augenzeugin, schoss es Donna durch den Kopf. Sie wollte schon immer mal jemanden persönlich kennen lernen, der den zweiten Weltkrieg am eigenen Leibe miterlebt hat. Und jetzt hatte sie die Chance dazu.
„Was hast du dir eigentlich schreckliches zum Anziehen mitgenommen“ fragte Juanita und riss Donna somit aus ihren Gedanken.
Donna zuckte mit den Schultern und zog sich ihre Schuhe aus, wie es auch Juanita tat. „Ich habe keine verrückten Sachen“ meinte sie leise.
Juanita schaute auf: „Nicht?! Dann müssen wir uns für dich was aussuchen“ Sie zwinkerte Donna zu und feuerte ihre Römersandalen in die Ecke, als auch ein kleines Mädchen mit langen, schwarzen Haare und olivfarbener Haut in den Flur gerannt kam: „Jua! Jua“ schrie es.
Donna wusste sofort, dass das Juanitas kleine Schwester sein musste. Die beiden sahen sich zum Verwechseln ähnlich.
„Wer ist das?“ Das Mädchen zeigte mit ihrem kleinen Finger auf Donna, diese kniete sich hin und lächelte: „Ich bin Donna. Und wer bist du?“
Die Kleine zögerte eine Weile, dann streckte sie Donna die Hand hin: „Alba!“ Sie sagte mit einer Mischung Trotz und Niedlichkeit.
Donna nahm ihre Hand und die Kleine schüttelte mehrmals heftig, dann ließ sie schnell wieder los und rannte ebenso schnell wie sie gekommen war auch wieder davon.
„Süß die Kleine“ murmelte Donna und Juanita zuckte nur mit den Schultern: „Ja, sie kann aber auch nerven. Und zwar mehr, als es ihr eigentlich zusteht“ Sie verdrehte die Augen und folgte Alba.
Vom Flur aus, kam direkt in eine große Küche, in der es nach Hackbraten roch. Am Herd stand eine stämmige Frau mit ebenso schwarzem Haar, wie das von Alba und Juanita.
Sie drehte den Kopf, als Donna und Juanita eintraten. „Ah, hallo“ Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und reichte Donna, wie Alba vorhin schon, die Hand: „Du musst Donna sein“ vermutete die Frau, die Donna stark für die Mutter von Juanita und Alba hielt. Sie nickte und schüttelte wieder eine Hand.
„Ich bin Carmen, die Mutter von den beiden Gören“ Sie bedachte Juanita mit einem liebevollen Blick, wie es nur Mütter können.
Nicht, dass Donna jemals solch einen Blick von ihrer Mutter bekommen hatte. „Und du bist neu hier?“ hakte Carmen nach und riss Donna aus ihren Gedanken. Sie nickte: „Na ja… Das ist jetzt aber auch schon zwei Monate her“
„Auskennen tut sie sich trotzdem nicht“ warf Juanita kichernd ein. „Donna gehört zu den Menschen, die Rechts und Links nicht auseinander halten können“
„Ach, tatsächlich. Das muss schlimm sein“ meinte Carmen während sie in einem Topf rumrührte, in dem rote Soße schwamm.
„Man gewöhnt sich daran“ erwiderte Donna leise.
„Wo ist Papa?“ wechselte Juanita das Thema und schaute fragend zu ihrer Mutter.
„Arbeiten“ antwortete Carmen knapp und begann die Soße zu würzen.
„Alles klar, wir gehen dann nach oben“ meinte Juanita und hakte sich wieder bei Donna unter und begann sie mit sich mitzuziehen, als Carmen noch rief: „Wenn ihr einmal auf dem Weg nach oben seid, dann schaut doch mal bei Oma vorbei und fragt, ob sie irgendetwas braucht und wann sie essen will“
Juanita nickte: „Alles klar“ Sie verdrehte leicht die Augen und meinte erklärend, als die Küchentür hinter ihnen verschlossen wurde: „Oma kann manchmal auch nerven. Sogar noch mehr, als Alba“
Donna konnte das Ganze nicht so wirklich nachvollziehen. Sie selber lebte schon ziemlich lange nur mit ihrem Vater zusammen, und der war wirklich ein angenehmer Geselle. Zumindest meistens. Er ließ Donna einfach ihr Ding machen, und sie ließ ihn in Ruhe. Doch sie konnte jederzeit zu ihm kommen, wenn sie Probleme hatte.
Doch, da sie nur mit ihrem Vater unter einem Dach lebte, konnte sie es sich so gar nicht vorstellen, wie es sein musste in einer Großfamilie zu leben.
„Wie alt ist deine Oma eigentlich, wenn sie den zweiten Weltkrieg überlebt hat?“ fragte Donna schließlich, während sie die mit Teppich belegte Treppe hinauf gingen.
„90“ antwortete Juanita und drehte sich dann leicht zu Donna um: „Auch wenn sie nervt so habe ich eine Hochachtung vor ihr. Sie hat viel erlebt, und ist unglaublich klug. Und was sich die Frau alles merkt. Die weiß heute noch, was ich zu meiner Kommunion trug! Ich kann mich an dieses Fest noch nicht einmal mehr erinnern“ Sie machte eine Pause, um Luft zu holen und um zu kichern. „Na ja, ich habe ja auch ein Gedächtnis wie ein Sieb“
Donna lächelte und gab Juanita im Stillen Recht. Die junge Spanierin konnte sich so gut wie gar nichts merken. Erst nachdem man es ihr zum dritten Mal erzählt hatte, wusste sie es auch noch einen Tag darauf.
Leise klopfte Juanita an eine dunkle Holztür und trat dann ein. Der Raum roch nach alter Frau und nach Erbsengemüse. Eine tödliche Mischung, wie Donna fand. Sie schloss die Tür hinter sich und schaute in das Gesicht einer alten Frau mit tiefen Falten und schneeweißem Haar. Sie saß zusammengekauert auf einem Sofa, eingehüllt in eine dicke Wolldecke und schaute durch ihre dicken Brillengläser zu ihrer Urenkelin. „Juanita, mein Schatz!“ sagte sie mit dünner Stimme.
„Hallo, Oma“ antwortete sie übertrieben laut und Donna wusste sofort, dass die alte Frau schwerhörig sein musste. „Ich habe Donna, eine Freundin aus der Schule mitgebracht“
Donna erkannte ihr Stichwort und hob zaghaft die Hand: „Hallo“ meinte auch sie auch etwas lauter, als normal.
„Guten Tag“ nickte die alte Frau und nickte.
Juanita lächelte matt und setzte sich neben ihre Oma: „Ich soll dich von Mama fragen, ob du irgendetwas brauchst und wann du essen willst“
Doch die Oma schüttelte mit dem Kopf: „Ich brauche nichts. Und Essen will ich heute nichts mehr. Ich habe keinen Hunger“
„Wie du meinst“ meinte Juanita und stand auf. „Wenn doch, dann sag Bescheid“
Die alte Frau nickte und nahm sich ein Buch zur Hand, das aussah wie eine Bibel. Es war in ziemlich großen Buchstaben gedruckt und für schlechte Augen geeignet.
Donna folgte Juanita nach draußen, als sie die Stimme der Alten zurückhielt: „Mädchen, warte einmal“
Donna hielt sofort inne und drehte sich zur der Omi um: „Ja?“
„Du bist neu in der Klasse, was? Juanita hat am ersten Schultag von dir erzählt“ plauderte die alte Frau.
„Ja, ich bin vor den Sommerferien hierher gezogen“ antwortete Donna und warf schnell einen Blick auf Juanita, welche ungeduldig wartete. Eine Weile sagte die alte Dame gar nichts, dann meinte sie plötzlich „Du bist eine Träumerin, das merke ich sofort“
Donna zuckte sofort zusammen, als hätte man sie geschlagen. Sie stand wie versteinert da, bis sie schließlich ein mattes Lächeln zu Stande brachte. „Kann sein. Auf Wiedersehen“ sagte sie hastig und verhaspelte sich mehrmals.
„Gehen wir in mein Zimmer“ Wieder hakte sich Juanita bei ihr unter und zog Donna mit sich. Die Spanierin plapperte ununterbrochen, doch Donna hörte ihr gar nicht zu. Das, was die alte Frau gesagt hatte verwunderte sie.
Woher wollte sie wissen, dass Donna ständig träumte? Oder war das eher metaphorisch gemeint und gar nicht auf Donnas nächtliche Träumereien? Vielleicht war das auch nur Geschwafel einer 90-jährigen Frau…
Donna hatte keine Ahnung. Es alles aber auch wieder nichts bedeuten. Vielleicht konnte die Alte ihr ja helfen, dass diese Albträume endlich aufhörten! Auch wenn Donna das tief in ihrem Innerem bezweifelte.
Egal, was dieser eine Satz der alten Frau bedeutete, er verwirrte Donna und würde sie so schnell nicht mehr loslassen.
Es musste doch eine Erklärung für Donnas Träumereien geben. Und egal, wer ihr helfen konnte, sie würde diese Hilfe annehmen. Und wenn es eine 90-jährige Frau wäre, dann würde das Donna auch nichts ausmachen.
„Hörst du mir überhaupt zu?“ drang Juanitas Stimme plötzlich ungewohnt schrill an Donnas Ohr.
Sie zuckte zusammen und drehte den Kopf: „Was?“
„Ja, ja!“ nickte Juanita. „Schon klar. Ich sagte, das hier ist mein Outfit für heute Abend“
Donna schaute auf die Kleidungsstücke, die Juanita ihr hinhielt: Eine kurze Jeans, dazu rosa Kniestrümpfe und ein neongrünes Oberteil. Die roten Pumps setzten dem ganzen das Sahnehäubchen auf.
Donna verzog das Gesicht: „Da wird man ja blind“ Sie ließ sich auf den blauen Sessel fallen, der direkt unter dem Fenster in Juanitas Zimmer stand.
Juanita lachte und warf ihre Sachen auf’s Bett und plumpste hinterher: „Das ist ja der Sinn einer Bad Taste Party“ Sie kicherte noch eine Weile, dann wurde sie plötzlich ernst und rieb sich die Hände: „Und da du nichts…“ Sie begann Donna nachzumachen. „…nichts Verrücktes hast, wirst du was von mir anziehen. Das wird dann zwar etwas zu weit sein, aber egal“
Donna schloss die Augen und seufzte und befürchtete das Schlimmste.




Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz