Zwischen Traum und Wirklichkeit - Teil 2

Autor: Giraffi
veröffentlicht am: 16.11.2010


Donna fuhr sich mit dem Handrücken über ihre schweißnasse Stirn. „Das wäre geschafft“ Zufrieden schaute sie sich in ihrem Zimmer um. Keine einzige Kiste stand mehr auf dem Boden, und auch keine Tüte. Die Schränke waren eingeräumt, das Bücherregal zum zerplatzen voll, die Bilder und Poster aufgehängt und der Boden sogar schon gesaugt. Sie hatte ihren Vater gefragt ob der das letzte Bisschen im Wohnzimmer auch allein schaffen würde, damit sie endlich mal ihr Zimmer auf Vordermann bringen konnte. Auch, wenn er verneint hätte, hätte sie ihr Ding durchgezogen.
Da es im Sommer spät dunkel wurde, schien auch um diese Zeit noch die Sonne. Also hatte Donna noch Zeit sich das kleine Städtchen anzuschauen. Sie kramte ihre braune Tasche aus dem Schrank hervor und stopfte ihr Buch Sinn und Sinnlichkeit hinein, sowie ihren Schreibblock und ihren kleinen, grauen Apple Notebook, den sie nur für’s Schreiben verwendete. Hektisch wühlte sie in ihrem Schrank nach ein paar frischen Sachen. Jetzt würde es eh’ wieder unordentlich werden! Schließlich entschied sie sich für eine kurze ausgefranste Jeans und einer schwarzen Tunika. Dazu nur noch ihre schwarzen Converse, dann würde sie losgehen.
Bevor sie zu Tür hinausging, angelte sie sich vom Schuhregal die Schlüssel und rief: „Ich geh’“
Ihr Vater schaute aus dem Wohnzimmer verwundert zu Donna: „Wohin?“
„Ich will mich hier nur ein wenig umschauen“ meinte sie und zuckte mit den Schultern. „Ist doch okay, oder?“
Dirk nickte: „Sei aber um neun wieder zu Hause“
Donna stimmte zu und zog dann die Haustür hinter sich zu. Mit leichten Schritten hüpfte sie die Treppe hinunter. Irgendwie tat ihr frühes Aufstehen gut. Sollte sie öfters machen.
Draußen vor der Haustür schaltete Donna ihren iPod an und hörte ihr Lieblingslied Under the Surface von Marit Larsen. Dann ging sie weiter durch die Gassen dieser malerischen und schönen Stadt.
An der Galerie, wo ihr Vater demnächst arbeiten würde, blieb sie erneut stehen und schaute durch die Schaufenster hinein. Viele verschiedene Bilder hingen in dem weißen Raum. Einige Leute liefen schon herum und schauten sich einige Bilder an.
„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte eine Stimme und riss damit Donna aus ihren Gedanken. „Sie können ruhig reinkommen und sich einiges anscheuen, wenn Sie wollen“
Donna blickte den Mann an. Er war schon etwas älter und seine Schläfen ergrauten leicht. Als Donna ihn länger in die Augen sah, meinte er verwundert: „Sie kommen mir so bekannt vor“
Das Mädchen lächelte: „Ja, ich sehe meinem Vater sehr ähnlich. Dirk Dameno. Er wird hier arbeiten und einige seiner Kunststücke ausstellen“
„Ach ja!“ rief er. „Der Herr Dameno. Und du bist seine Tochter?“
Donna nickte: „Ja“
„Du siehst deinem Vater wirklich ähnlich“ wiederholte der Mann. Er wirkte auf Donna sehr freundlich und offen, doch oftmals konnte sie mit solchen Leuten nicht umgehen, es fiel ihr einfach schwer. Meist wusste sie nicht, wie sie sich dann verhalten sollte.
„Ja, das sagen mir mehrere Leute“ Und damit hatten alle auch Recht. Donna hatte die dicken brauen Locken von ihrem Vater geerbt, welche sie hüftlang trug mit einem Pony, das ihr immer wieder in die blau-grauen Augen fiel, auch diese hatte sie von ihrem Vater geerbt.
Nur die blasse Haut hatte sie von ihrer Mutter.
„Willst du vielleicht mal mit reinkommen und dir ein paar Bilder anschauen?“ bot der Mann an, der wahrscheinlich ein Arbeitskollege von ihrem Vater sein würde.
Doch Donna schüttelte mit dem Kopf: „Nein, danke. Ich möchte mir ein wenig die Stadt anschauen. Aber auf dem Rückweg komme ich bestimmt mal vorbei“
„Ich wollte dich auch nicht aufhalten“ meinte der Mann und verabschiedete sich mit einem Nicken. Dann ging er wieder in die Galerie.
Donna warf noch einen letzten Blick durch’s Schaufenster auf ein Bild, dass mit besonders gut gefiel. Sie konnte nicht alles genau erkenne, dennoch ging eine gewisse Anziehungskraft von dem Bild aus. Deswegen nahm sie sich fest vor, auf ihrem Rückweg wirklich einen Blick in die Galerie zu werfen.
Schließlich erreichte sie das Ufer des Sees, der am Rande der Stadt lag. Das Grad kitzelte um ihre Füße und sie atmete tief ein und aus. Diese Stadt und der See könnte auch ihrem Traum entsprungen sein. Und Donna fragte sich automatisch, ob sie nicht wieder in einen ihrer Tagträume gefangen war. Solche lebensechten Tagträume hatte sie oft. Sie wirkten so real und wirklich. Sie nahm dann auch gar nichts anderes um sich herum wahr. Dann schien sie komplett in einer anderen Welt – oder eben komplett im Traum zu sein.
Doch diesen See gab es wirklich. Da musste sich Donna keine Sorgen machen. Die Sonnenstrahlen glitzerten auf der Wasseroberfläche und der Wind verursachte, dass kleine Wellen die glatte Oberfläche uneben machten.
Donna lächelte automatisch und steuerte auf’s sandige Ufer zu. Einige Bewohner der Stadt lagen auf ihren Handtüchern und ließen sich in der Sonne bräunen, andere schwammen und einer angelte sogar.
Doch sie beschäftigte sich nicht lange mit dem, was andere Leuten machten. Mit schnellen Schritten lief sie über den dunklen Holzsteg, welcher unter jeden ihrer Schritte knarrte. Rechts und Links von ihr standen Ruder- und Tretboote. Bestimmt konnte man sich die hier irgendwo ausleihen. Auch ein kleines Motorboot war am Steg angeseilt.
Auf der anderen Seite des Sees war nur Gras und Schilf, kein Sand, wie auf der Seite, wo Donna war.
Dahinter erstreckten sich mit Tannen bewachsene Berge und Hügel. Und zum ersten Mal verstand Donna wirklich warum ihr Vater als Künstler unbedingt hierher ziehen wollte. Vorher hatten Donna und ihr Vater in einer großen Stadt gewohnt, wo alles hektisch und laut war. Noch dazu war die Luft verpestet und die Straßen verdreckt. Donnas Vater hatte sich dort nie richtig kreativ ausleben können.
Dieses Örtchen hier war etwas ganz anderes.
Seufzend ließ sich Donna am Ende des Steges nieder und stellte ihre Tasche neben sich ab. Sofort zog sie ihre Chucks aus und ließ die Füße im kühlen Wasser baumeln. Erst kitzelte das kalte Wasser, doch nach einer Weile hatte sie sich daran gewöhnt.
Sie nahm ihren Block und ihren Stift zur Hand und biss sich auf die Unterlippe, wie jedes Mal, wenn sie nachdachte.
Was könnte sie schreiben? Über was? Hatte sie überhaupt gerade das Bedürfnis zu schreiben? Mit grüblerischem Blick schaute sie um sich und entdeckte den Jungen, der ihr am nächsten saß. Er saß mit dem Rücken zu ihr und beugte sich über ein Blatt Papier. In der einen Hand hatte er einen Bleistift, mit dem er schnell über das Papier strich.
Mit der anderen Hand strich er sich immer wieder das schwarze Haar, welches in der Sonne glänzte, aus der Stirn.
Donna kniff die Augen zusammen. Der Junge kam ihr beunruhigend vertraut vor. Als würde sie ihn kennen. Doch das war schier unmöglich. Ein wenig Ähnlichkeit hatte er auch mit dem Jungen aus ihrem Traum, den sie fast jede Nacht hatte.
Aber es gab viele Jungen, die schwarze Haare hatten. Und man konnte Leute, die man nur von hinten gesehen hatte doch gar nicht identifizieren.
Sie wollte sich gerade wieder ihrem leerem Blatt Papier widmen, als der Junge den Kopf drehte. Er war etwa so alt wie Donna, vielleicht auch etwas älter.
Steingraue Augen starrten sie, welche im Sonnenlicht wie Quecksilber aufblitzen. Er hatte blasse Haut und hochstehende Wangenknochen und Donna spürte eine düstere Aura vom ihm ausgehend.
Er zog die schwarzen Brauen zusammen und blickte kurz irritiert, dann wandte er den Blick wieder ab und nahm sich ein neues Blatt von seinem DinA3-Block.
Donna, welche ebenfalls verwirrt drein sah, hätte über das Bild, das sich einen Außenstehenden gerade eben geboten hatte, lachen können. Schmunzelnd malte sie eine Blume auf ihr Blatt und dann noch ein paar Sterne und eine Mondsichel. Alles sah ein wenig verkrüppelt aus, da sie im Gegensatz zu ihrem Vater kein bisschen künstlerisch begabt war. Sie konnte nur schreiben. Aber zum Zeichnen hatte sie zwei linke Hände. Und auch basteln konnte sie nicht. Schon im Kindergarten hatte sie es gehasst, wenn sie malen oder basteln sollte.
Nach einer Weile seufzte sie und nahm ihre Füße, welche langsam taub geworden waren aus dem Wasser. Schnell zog sie ihre Schuhe wieder an und packte Block und Stift weg. Irgendwie würde sie nicht zum Schreiben kommen. Vielleicht wann anders. Sie hängte sich ihre Tasche um die Schulter und stand auf. Ohne es zu wollen blickte sie kurz auf die Blätter, die der Junge vor sich liegen hatte. Doch wirklich etwas erkennen konnte sie nicht.
Weil es unhöflich war jemanden nur zu beobachten riss sie ihren Blick los und ging über den Steg zurück ans Ufer.
Dann würde sie eben wieder nach Hause gehen und einige Kisten ausräumen müssen. Doch davor würde sie noch schnell einen Blick in die Galerie werfen.




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