Take me anywhere - Teil 29

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 07.12.2012


Ohne anzuklopfen stürmte ich ins Moritz’ Zimmer, doch ich fand es leer vor. Und eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass er nicht da ist. Immerhin war morgen die Beerdigung von seinem Vater.
Sein Bett ungemacht wie immer, ein paar Klamotten flogen auf den Boden rum und bedeckten einige Physikbücher. Ich zog mein Handy aus meiner Hosentasche hervor und wählte schnell seine Nummer: Kurzwahltaste #1.
Ich ließ es solange klingeln, bis seine Mailbox ran ging und überlegte kurz ob ich ihm auf’s Band sprechen sollte, doch ich entschied mich dagegen. Was Moritz und ich brauchten, war ein persönliches Gespräch. Keine typische Mila-Nachricht auf dem AB.
Mit einem genervten Seufzen verließ ich den Raum und klopfte laut an Fabis Zimmertür.
Von drinnen hörte man nur ein verschlafenes Knurren: „Geh’ weg, Max. Ich räum jetzt nicht auf. Ich will schlafen!!!“
Ich klopfte kein weiteres Mal, sondern betrat einfach das Zimmer und konnte nur hoffen, dass er keine Frau bei sich hatte. Ich hatte schon genügend peinliche Situationen mit Fabi, die Liste sollte nicht noch länger werden.
Fabians Zimmer war noch unordentlicher als das von Moritz.
Kleidung, ein leerer Pizzakarton, Bücher, ein paar Gesetzesunterlagen und irgendwo in einer Ecke ein BH, der schon länger da rum liegt und hoffentlich nicht Fabi gehört.
„Wann holt Steffi eigentlich mal ihren BH ab?“ fragte ich laut und zog Fabi die Bettdecke weg und hoffte, dass er nicht nackt schlief. Doch ich hatte Glück. Er trug einen Flanellpyjama, in dem er beinahe jungenhaft süß aussah.
„Alter, was geht denn hier ab?!“ Er schnellte hoch, wobei er sich den Kopf an der Dachschräge anstieß. „Ach, verdammte scheiße! Immer dasselbe!“ Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und schaute mich ungläubig an: „Bist du verrückt geworden?!“
Ich schüttelte hastig mit dem Kopf: „Ich hab Moritz’ Geschenk geöffnet!“
Er gähnte gelangweilt, zuckte mit den Schultern und ließ sich wieder rücklings auf das Bett fallen: „Na dann hast du eben…“ Erst jetzt schien die Nachricht zu ihm durchzudringen. Er riss die Augen auf, stieß sich gleich noch mal den Kopf an und fragte hastig: „Und? Es gefällt dir doch, oder?“
„Ja, schon. Aber darum geht es gerade nicht!“
„Hä? Worum denn dann?“
„Ich brauche dein Auto“
„Du brauchst mein…“
„Ach, Fabi! Jetzt stell’ dich nicht dümmer als du bist“ Ich ließ mich zu ihm auf die Bettkante sinken und nahm ihn bei den Schultern: „Bitte. Ich muss nach Neuenkirchen“
Er warf einen Blick auf seinen Wecker: „Mila, es ist 4.00 Uhr!“
„Ich weiß. Aber ich muss es tun. Ich… ich… ich weiß auch nicht. Ich muss es einfach tun. Ich muss einfach zu ihm. Es ist die Beerdingung von seinem Vater. Ich kann ihn nicht allein lassen. Nicht jetzt!“
„Du willst also wirklich nach Neuenkirchen? Du willst ihm… hinterherfahren?“
„Nein, also eigentlich will ich nach Disneyland! Verdammt, Fabi! Wo sind deine Autoschlüssel?“
Er grinste breit und deutet auf seine Jeans die über dem Schreibtischstuhl hing: „Rechte Tasche“
Automatisch begann ich zu strahlen, beugte mich vor und küsste Fabi auf die Stirn: „Du bist der Beste! Grüß die anderen von mir“

Nachdem ich den alten Polo von Fabi ungefähr dreimal abgewürgt hatte, befand ich mich nun endlich auf der Autobahn und die Navi-Tante meines BlackBerrys hielt auch die Klappe. Da ich mich oft verfahren habe und selten auf sie hörte, stritten wir öfters einmal – einen Streit, den sie immer gewann mit ihrem bescheuerten: „Bitte, wenn möglich, wenden!“
Ich trat das Gaspedal weiter durch, sodass die Nadel des Tachos auf 170 km/h sprang. Die Autobahn war bis auf ein paar andere Fahrzeuge weitgehend leer. Das dunkle Blau des Himmels wich langsam einem grau-blau und es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis die Sonne aufging. Auf Grund meines Verfahrens und meines schlechten Fahrstils dauerte die Reise nach Neuenkirche deutlich länger, als vor ein paar Wochen mit Moritz.
Ich dachte an unser Spiel – unser Frage-Antwort-Spiel - und musste automatisch lächeln. Er war kein schlechter Mensch, das wusste ich von Anfang an. Er war kompliziert. Er war schwierig und arrogant. Und ich hielt ihn für überheblich und emotional verkrüppelt. Aber für schlecht habe ich ihn nie gehalten.
Mit einem leisen Seufzen schaltete ich das Radio an, das irgendwelche Lieder spielte, die keiner hören wollte. Doch um 5.45 Uhr konnte sich das der Radiosender wohl erlauben. Ich drehte die Musik lauter und versuchte an etwas anderes zu denken, als an Moritz. Doch selbst die schlechte Musik konnte Moritz nicht aus meinen Gedanken vertreiben. Vielmehr blendete ich das Gegröle der Preluders aus und dachte nur noch an Moritz. An sein Lächeln, an das spöttisches Blitzen in seinen braunen Augen, an seine Stimme, an seine sehnigen Muskeln, an…
Störrisch schüttelte ich mit dem Kopf und seufzte. Warum von ihm träumen?
Ich fuhr zu ihm, um ihm zu helfen, um ihm die zweite Chance zu geben, die er eigentlich gar nicht verdient hatte. Ich fuhr zu ihm, um die ganze Sache zwischen uns ein für alle mal zu klären.
Ich wollte von ihm hören, ob ihm das zwischen uns genug bedeutete, um gegen all seine Prinzipien eine Beziehung mit mir zu führen. Oder ob er einfach nicht über seinen Schatten springen kann.
Ich fuhr zu ihm, weil ich einfach nicht anders konnte.






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