Take me anywhere - Teil 26

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 31.01.2012


Die nächsten sechs Tage waren die schrecklichsten meines ganzen bisherigen Lebens. Ich konnte Moritz nicht ansehen, ich wurde nervös wenn ich ihn sah und hätte gleich wieder in Tränen ausbrechen können.
Ich schaffte es, Karo zu verzeihen; sie wusste es nicht besser. Sie konnte es nicht besser wissen. Sie war nun mal so. Und das Beste von allen: Ich wohnte nicht mit ihr zusammen. Ich hatte also genügend Abstand zu ihr, dass ich ihr verzeihen konnte.
Aber Moritz…? Ich sah ihn jeden Tag – jeden Gott verdammten Tag. Und es war grausam. Es war wie Folter, nur schlimmer.
Jedes Wort von ihm, jeder Bewegung, jede Kleinigkeit die ihm gehörte, war wie ein Stich direkt in mein Herz. Schon nach zwei Tagen wusste ich, dass ich das nicht lange aushalten würde; dass mich das früher oder später zerstören würde.
Also fasste ich einen Entschluss, der fast noch mehr weh tat, als das Desaster mit Moritz: Ich würde ausziehen. Ich würde die WG verlassen.
„Lukas hat angerufen“ bemerkte Moritz leise, als er in die Küche kam, um sich eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank zu holen. Es war das Erste, was wir wieder miteinander redeten.
„Lukas? Welcher Lukas?“
„Wie viele kennst du denn?“ Da war er; der Spott, der so gut zu ihm passte und kurz kam es mir vor, als wäre alles wie früher. Belustigt zwinkerte er mir zu und füllte sich eine Kaffeetasse mit Wein – sehr fein!
Soweit ich weiß, war morgen die Beerdingung von seinem Vater, was ihm immer noch schwer zu schaffen machte, deswegen trank er.
„Nur den einen“ sagte ich leise und ging weiter die Wohnungsanzeigen in der Zeitung durch. Doch es war nichts Brauchbares dabei. Entweder war es zu teuer, oder zu weit von der Uni entfernt oder die Anzeige war einfach schon so gruselig geschrieben, dass ich mir die WG erst gar nicht anschauen wollte.
„Bist du… bist du… mit ihm…“ fragte Moritz schließlich unbehaglich und ich schaute skeptisch von der Zeitung auf: „…zusammen?“ beendete ich seine Frage und kicherte hysterisch. Ich schüttelte mit dem Kopf und seufzte leise: „Nein, ich hatte in der letzten Zeit genug Stress. Ich brauche nicht noch einen Freund, der mich am Ende nur betrügt“
Mit einem lauten Knall donnerte die Kaffeetasse auf den Tresen, sodass ein wenig Rotwein überschwappte: „Verdammt, ich habe dich nicht betrogen! Wir waren noch nicht mal zusammen. Wie hätte ich denn da betrügen können?!“
„War von dir die Rede?“ fauchte ich und studierte weiter die Anzeigen und hörte wie Moritz scharf die Luft zwischen den Zähnen einzog und mit einem Lappen den Wein aufwischte: „Seit wann liest du Zeitung?“
„Ich lese keine Zeitung, ich suche ein Zimmer“
„Für was?“
„Für was wohl, du Trottel?! Ich will ausziehen“ Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durch die Haare: „Es ist besser für uns beide, wenn ich verschwinde“ Als ich aufschaute, blickte ich in sein Gesicht. Seine Mimik war überrascht, traurig und auch wenig verzweifelt. „Das ist nicht dein ernst?“
„Doch, leider!“
„Du kannst nicht ausziehen“
„Dann musst du ausziehen“ bemerkte ich und reichte ihm das Zeitungspapier. Anstatt nach der Zeitung zu greifen, ergriff er mein Handgelenk und zog mich zu sich ran: „Mila, ich habe nachgedacht“
Ich wich zurück und entwand mich aus seinem Griff: „Glaub mir, das habe ich in letzter Zeit auch genug. Es ist besser so“
Moritz wollte gerade etwas erwidern, als Fabi gefolgt von Leon und Max in die Küche kam: „Was ist besser als was?“
Moritz schwieg nur und wich Fabians Blick aus. Er nahm die Flasche Wein an sich und verließ den Raum. Ich schaute ihm hinterher, bis mich Fabis Räuspern aus meinen Gedanken riss.
„Ehm…“ setzte ich langsam an. Ich wusste, dass das was ich zu sagen hatte keinen von beiden gefallen würde, dennoch würde es Fabi mehr zusetzen als Leon. Wie ein kleines Kind hasste er Veränderungen und er hasste es eine Person zu verlieren. „Ich werde ausziehen“
Zuerst fiel Fabi alles aus dem Gesicht, dann sprang er wütend auf: „Ich werde diesen Idioten umbringen. Das schwöre ich dir“ Mit festen, lauten Schritten wollte er die Küche verlassen, doch ich hielt ihn an der Schulter zurück: „Das ist ein verlockendes Angebot, aber ich kann es nicht zulassen“ Ich zwinkerte ihm zu.
„Dann müsstest du nicht mehr ausziehen. Seh’s positiv“ warf Leon ein, während er zwei Pizzen in den Ofen schob.
„Ich sagte doch, sehr verlockendes Angebot“ grinste ich und ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. „Aber ich glaube, es ist sinnvoller und auch legaler, wenn ich einfach ausziehen“
„Gibt es wirklich keine Möglichkeit, dass du es mit ihm hier aushältst?“ fragte Fabi und nahm mein Gesicht in seine Hände, um mir einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn zu drücken.
„Ach Gott, ich glaube nicht“
„Dann bring ich ihn um“ lachte Fabi leise und ich schob ihn kichernd von mir. „Ich weiß nicht, warum es soweit kommen konnte“
„Du hast dich verliebt. Das ist immer problematisch“
„Sagt der, der seit 3 Monaten eine glückliche Beziehung führt“ Ich zog eine Grimasse und streckte Leon trotzig die Zunge raus.
Er zuckte mit den Schultern und beugte sich über irgendein langweiliges Bundesgesetzbuch.
„Ich denke, du solltest noch mal mit ihm reden. Nur reden, nicht wieder mit ihm schlafen“ bemerkte Max und dies war das Erste, was er in dieser Situation sagte.
Gespielt empört schaute ich ihn an: „Das war nur einmal“
„Und einmal zu viel“
„Kümmer du dich erst mal um deine Sache mit Helena, bevor du mich zurechtweist“ gifte ich aggressiver als beabsichtigt und schon im gleichen Moment tat es mir Leid, doch ich konnte meine Worte nicht mehr zurück nehmen.
Ich hörte wie Fabi zischend einatmete und den Kopf zwischen die Schultern zog
Eine Weile schaute Max mich tötend an, bevor er leise und unverständlich fluchte und den Raum verließ. Irgendwie vertrieb ich heute jeden!
„Das hättest du nicht sagen sollen“ bemerkte Leon unnötigerweise.
„Das weiß ich auch!“ Ich fuhr mir mit beiden Händen durch meine Locken und ließ dann die Arme motivationslos fallen. Dann umkreiste ich mit dem Kuli eine Wohnungsanzeige und zuckte mit den Schultern: „Diese Wohnung sollte ich mir mal anschauen“

Noch am selben Abend hatte ich spontan einen Termin zu Wohnungsbesichtigung in der WG, die ihre Anzeige in der Zeitung aufgegeben hatte. Es war zwar ziemlich spontan, doch ich hatte sowieso nichts Besseres zu tun, was ziemlich bitter für einen Freitagabend war, aber ich musste noch bis 19.00 Uhr in der Frittenbude arbeiten. Den Termin hatte ich um 19.30 Uhr, das heißt mir blieb noch nicht mal mehr Zeit um zu duschen.
Stinkend, ungeschminkt und mit ungemachten Haaren saß ich also in der S-Bahn und ging die SMS in meinem Handy durch. Zwei von Fabi, welche beide denselben Inhalt hatten: „Zieh nicht aus, oder ich rede nie wieder mit dir!“
Und eine von Helena: „Hab gehört, dass du ausziehen willst. Ruf mal bei meiner Freundin Nadja an. Die suchen jemanden in ihrer WG. Hier die Nummer: 01577892386“
Ich verdrehte die Augen. Ich hatte jetzt keinen Nerv mit Nadja zu telefonieren und ganz sicher würde ich nicht in die WG von ihr ziehen. Nadja war eine flüchtige Bekannte von Helena und eine wahre Nervensäge. Sie redete dauerhaft im Ultraschallbereich, lachte total hysterisch und konnte einfach nie den Mund halten. Ganz sicher würde ich mich nicht bei Nadja melden!
An der richtigen Haltestelle stieg ich aus und verzichtete auf die Rolltreppen, um schneller wieder an die frische Luft zu kommen und auch weil ich für den Besichtigungstermin schon viel zu spät dran war.
Mit dem Stadtplan in der Hand stand ich am Jungfernstieg, eine teure Gegend, in der ich mir eigentlich gar keine Wohnung leisten kann. Doch die Not zwang mich wohl dazu. Ich ging eine Weile an der Alster entlang, während es schneite und der Boden vom Schnee mit einer feinen weißen Schicht bedeckt wurde. Aufmerksam las ich die Straßenschilder, bis ich den Straßennamen las, in dessen Straße sich die WG befinden sollte.
Das Haus Nummer 10 sah gewöhnlich aus. Gelb-braune Fassade, weiße Fenster; in manchen von ihnen brannte Licht, andere waren dunkel. Das Klingelschild gab auch nicht viel her. Es war alles gewöhnlich, nicht ansprechend, nicht besonders – es war eben nicht meine WG in der Sternschanze. Ich suchte das Klingelschild nach den Namen Müller, Thoms und Feuerstein ab, doch ich fand keinen einzigen Namen davon. Nachdenklich und auch ein wenig verwirrt runzelte ich die Stirn. Hatte ich mich vertan oder war die Anzeige in der Zeitung nur ein schlechter Scherz?
Wahllos klingelte ich bei einem türkisch aussehenden Namen. Der Türöffner wurde betätigt und ich trat ein.
Innen roch es nach alter Frau und die drei Gehwagen im Flur ließen mich schmunzeln. Das hier war eben nicht die Sternschanze mit ihren vielen Bars, Diskos und anderen verrückten, voll Leben sprühender Läden.
Die erste Tür wurde aufgerissen und braune, fast schwarze Augen eines bärtigen Mannes musterten mich kritisch: „Was wollen Sie?!“ Er sprach akzentfrei.
„Wohnt hier eine WG?“
„WG? Sie meinen Wohngemeinschaft?“
„Genau, Wohngemeinschaft“ Ich konnte mir eine genervte Grimasse nur knapp verkneifen.
„Hier gibt es keine WG!“
„Sagt Ihnen der Name Feuerstein was?“
Kopfschütteln.
„Thoms?“
Wieder Kopfschütteln.
„Vielleicht…“
Er unterbrach mich barsch: „Hören Sie, ich kenne Ihre komischen Leuten nicht! Sie belästigen mich!“ Rums! Krach! Die Tür wurde zugeschlagen.
Eine Weile stand ich noch vor der verschlossenen Tür, bevor ich seufzte und wieder umkehrte. Ich zerrte mein Handy aus meiner Handtasche und wählte die Nummer von Lisa Thoms. Ich riss dir Tür auf und sofort kam mir eisiger Wind entgegen. Mit zusammengekniffenen Augen presste ich mein Handy gegen mein Ohr und hörte es das erste Mal tuten als ich gegenüber des Hauses das Café Extrablatt entdeckte. Und davor stand Moritz mit einer schwarzen Kellnerschürze und einer Zigarette in der einen und einem Tablett in der anderen Hand. Ich legte wieder auf und packte mein Handy zurück in die Tasche.
Ob das ein Zeichen war?






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