Take me anywhere - Teil 23

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 10.01.2012


Ich tappte verschlafen am Samstagmorgen meines 20. Geburtstages zur Tür und drückte auf den Türöffner der Sprechanlage. Es war bestimmt wieder nur die Post. Da musste ich nicht fragen, wer unten stand.
In der WG war es noch still. Man hätte sogar eine Stecknadel fallen hören können. Normal für Samstagmorgen. Helena hat sich gestern von Dave getrennt und ich habe Seelsorger spielen müssen, während Leon und Anna relativ laut präsentiert haben, wie sehr sie sich lieben. Max fuhr übers Wochenende nach Hause und ich gab mir Mühe nicht beleidigt zu sein, dass er sich dafür gerade das Wochenende aussuchte, an dem ich Geburtstag hatte.
Und Moritz und Fabi waren bis vor drei Stunden noch unterwegs gewesen.
Ich wollte gerade die Haustür wieder schließen, da der Postbote die Briefe einfach in die Briefkästen unten im Flur werfen konnte, als ich das Hundgebell vernahm. Wie versteinert blieb ich stehen, als ich es erneut bellen hörte. Ich würde dieses Bellen überall erkennen.
Ich riss die Tür wieder auf und sah wie Jake die Treppe hoch gehechelt kam – diese hässliche, sabbernde und riesengroße Dogge. Mausgraues Fell, blutunterlaufene Augen und eine lange Zunge, welche äußerst unschön zwischen seinen Zähnen hing. Er war hässlich wie eh’ und je.
Einige Speicheltropfen fielen auf den Boden und er gab ein freudiges Kläffen von sich, als er mich sah. Sofort beschleunigte er sein Tempo, rannte auf mich zu und bevor ich ausweichen konnte, lagen seine riesigen Pfoten auf meiner Brust. Er warf mich mit solcher Wucht um, dass ich noch nicht einmal die Chance hatte irgendwo nach Halt zu suchen. Mit einem lauten Knall prallte ich auf den Boden und begann zu lachen, während Jake mir das Gesicht abschleckte.
„Jake hat Mila flach gelegt“ hörte ich Karos amüsierte Stimme irgendwo über mir.
„Mal wieder“ war Dorotheas trockener Kommentar.
„Oh, Leute. Hätten wir ihn wirklich mitnehmen müssen?!“ Klaras Gejammer. Dann wurde die Tür zugeschlagen.
Mit einem erstickten Stöhnen schob ich Jake von mir herunter, strich mir die Haare aus dem Gesicht stand plötzlich meinen drei (ehemaligen) besten Freundinnen gegenüber. Und ohne, dass wir es kontrollieren konnten und ohne, dass ich an meine WG-Mitbewohner dachte, fingen wir an zu kreischen und fielen uns in die Arme.
„Oh Gott, was macht ihr denn hier?!“
„Na, hör mal! Du hast doch Geburtstag“ Sie stemmte die Hände in die Hüften, beugte sich zu mir vor und küsste mich freundschaftlich auf den Mund, so wie sie es früher auch immer gemacht hat.
Jake tänzelte aufgeregt um uns herum und bellte immer wieder – und das nicht gerade leise.
„Und das ihr auch noch Jake mitgebracht habt!“
„Es war nicht gerade leicht, deinen Vater zu überreden. Also solltest du uns dankbar sein“ mahnte mich Karo mit gespieltem Ernst.
„Ich bin euch mehr als dankbar“
„Ach, Karo übertreibt. So schwer war’s eigentlich gar nicht! Mit ein bisschen Diplomatie ist dein Vater ganz umgänglich. Im Gegensatz zu deinem besten Freund Jake“ plapperte Doro los.
„Die Autofahrt war die Hölle!“ stimmte Klara nickend zu. Dann machte sie eine kurze Pause und winkte mich zu sich ran: „Aber jetzt komm’ erst mal her! Alles Gute zum Geburtstag!“
„Jetzt gehörst du zum alten Eisen“ witzelte Karo.
„Du bist älter als ich, Schätzchen“ bemerkte ich spitz und ließ mich auch von mir drücken. Sie wollte gerade etwas erwidern, als Jake dazwischen kläffte und Fabis Zimmertür aufging: „Mila, verdammt! Was ist denn das für ein Lärm?“ Er rieb sich mit den Fäusten den Schlaf aus den Augen. „Du kannst froh sein, dass Max nicht da ist und Moritz schlafen kann wie ein Stein – sonst wärst du jetzt tot“ Erst jetzt öffnete er die Augen, welche immer größer wurden, als er meine drei Freundinnen und die hässliche Dogge sah.
„Von dem hast du uns aber nichts erzählt“ Doro stößt mich spielerisch in die Seite macht ein bedeutungsvolles Gesicht, während Karo schon auf ihn zugeht – völlig unbeirrt von der Tatsache, dass er ihr eigentlich halbnackt gegenüber steht: „Ich bin Karoline. Eine Freundin von Mila“
„Ähm…“ Fabi fuhr sich verschlafen durch die hellblonden Haare, welche in alle Richtungen abstanden. „Ich bin Fabian und geh jetzt duschen“ Damit verschwand er schnell ins Bad und Karo begann laut zu kichern: „Der ist ja knuffig“
„Du musst ihn ja nicht gleich so erschrecken“ schalt Klara sie.
Ich kicherte und musste den Kopf schütteln über meine Freundin. Die Geburtstagsüberraschung ist ihnen tatsächlich gelungen.
„Fabi verkraftet das“ winkte ich Klaras Kommentar ab und dirigierte die drei in die Küche, damit nicht auch noch die anderen wach werden. Einen morgenmuffligen Moritz konnte ich gar nicht gebrauchen.
„Wollt ihr Kaffee?“
„Oh ja, gerne. Die Autofahrt war der Horror und wir sind seit sechs Uhr auf den Beinen“ jammerte Doro und ließ sich auf einen der Stühle fallen, während Karo unseren kleinen Weihnachtsbaum begutachtete. „Ist Weihnachten nicht erst in vier Wochen“
Ich verdrehte die Augen und nickte: „Aber erklär’ das mal Helena“ Als ich die fragenden Gesichte sah, fügte ich schnell hinzu: „Meine Mitbewohnerin“
„Ah, die Einzige, oder?“ hakte Karo nach.
Ich nickte.
„Wenn der Rest der Herren genauso so süß ist wie Fabian…“ Karo ließ den Satz offen im Raum hängen und kassierte dafür einen freundschaftlichen Stupser von Klara. „Du bist so was von untervögelt seit Jan dich abserviert hat“
Ich lachte erneut über Karo und Klaras Dialog und goss Kaffee in die Tassen ein, während Jake um meine Beine herumrannte: „Max ist nicht da und Leon ist vergeben“
„Bleiben nur noch zwei“ sagte Karo gedehnt.
„Fabian und Moritz“
„Beide frei?“
Ich zögerte keine Sekunde: „Du kannst beide haben – meinetwegen auch gleichzeitig“ Ich zwinkerte Karo verschwörerisch zu.

Mit schmerzenden Füßen schloss ich die Eingangstür hinter mir und ließ meine Einkaufstüten alle gleichzeitig fallen. „Jetzt hab ich für den Rest des Monats kein Geld mehr“
„Dafür aber ein Wahnsinns-Outfit für heute Abend!“ plapperte Dorothea und zog ihre Schuhe aus. „Wir gehen doch feiern?“
„Ehrlich gesagt hab ich nur ein paar Freunde aus der Uni und die WG eingeladen. Ich wollte heute nicht weggehen“ Ich nahm die Post vom Schreibtisch und durchsuchte die Papiere nach wichtigen Briefen für mich, dennoch entging mir nicht die Schnute, die Doro zog.
Karo stupste ihr in die Seite: „Dann eben ne Hausparty. Ist doch auch cool“
Ich schaute auf und lächelte leicht, als ich den letzten Brief in den Händen hielt. Er war Moritz adressiert. Von irgendeinem Bestattungsunternehmen in Neuenkirchen. Ich schluckte und bemerkte wie meine Hände zu zittern begannen. „Geht doch schon mal in die Küche. Bedient euch einfach. Ich komme gleich“
Klara schaute mich prüfend an: „Ist alles klar bei dir?“ Ich mochte Klara wirklich, aber eine Sache an ihr störte mich; ich konnte nichts vor ihr geheim halten.
Ich schaute auf und nickte: „Ja, alles bestens. Ich muss nur schnell was klären. Ich komme gleich“
„Alles klar“ flötete Doro und stellte ihre Einkaufstüten in meinem Zimmer ab, bevor sie mit den anderen in die Küche ging.
Ich klopfte leise an Moritz Tür und trat gleich danach ein. Moritz saß im Schneidersitz auf den Boden, vor sich einige Bücher und paar vollgeschriebene Blätter. Mit der linken Hand fuhr er sich verzweifelt durch die Haare.
„Ich habe gehört, deine Freundinnen sind da“ sagte er ohne aufzuschauen.
„Woher wusstest du, dass ich es bin?“ fragte ich reflexartig und lehnte die Tür hinter mir an.
Jetzt erst schaute er auf und grinste: „Ich erkenne dich am Gang und an der Art zu klopfen“ Er zuckte mit den Schultern, kritzelte schnell irgendwelche Zahlen auf das Papier und stand dann auf: „Was gibt’s?“
„Der hier kam mit der Post. Er ist für dich“ Ich reichte ihm den Brief und sah wie sich seine Miene versteinerte. „Bestimmte die Rechnung“ knurrte er.
„Wann ist die Beerdingung?“
„In einer Woche“ ungeduldig riss er den Brief auf und überflog ihn kurz. „Ich hoffe, Ramona hat auch einen bekommen“
„Kommt sie zur Beerdigung?“
„Keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht“ Und noch im selben Atemzug fügte er hinzu: „Kommst du mit?“
Ich schaute ihn überrascht an und lachte leise: „Eigentlich hab ich gehofft, dass du mich das fragst“
Er zwinkerte mir zu und nickte: „Also, kommst du mit“
„Sicher“
Dann standen wir uns eine Weile schweigend gegenüber, bis ich mich räusperte: „Ähm… ich sollte… ich sollte dann wieder zu den anderen gehen“ Gerade als ich mich umdrehen wollte, hielt Moritz mich zurück. „Warte! Ich komme mit. Vielleicht erfahre ich ja paar schmutzige Details über deine Vergangenheit“
Ich drehte mich zu ihm um und schnitt eine Grimasse. „Da gibt es keine schmutzigen Details“
Er grinste nur und ging an mir vorbei, ohne noch ein Wort zu sagen. Und in diesem Moment liebte und hasste ich ihn gleichzeitig.






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz