Take me anywhere - Teil 17

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 05.11.2011


„Erzähl mir was von deinem Vater“
Am nächsten morgen saß ich Moritz in der Küche am Tisch gegenüber, während ich an meinem Kaffee schlürfte.
Das Haus von Moritz’ Vater war nicht gerade groß. Ich glaubte sogar, dass der Garte mehr als doppelt so viel Fläche hatte, wie das Haus selbst, dennoch reichte es für fünf Zimmer.
Das Gästezimmer, das ich für die paar Tage bezogen hatte, wurde vor langer Zeit bestimmt einmal von einer Frau eingerichtet: Landhausstil mit rosa Eichenholz. Ein Himmelbett aus demselben Holz und ein hellblauer Tüllhimmel, ließ das Zimmer mehr als weiblich wirken. Ich fand es beinahe ein wenig kitschig. Und die Porträts von adeligen Frauen aus dem neunzehnten Jahrhundert machten mir sogar ein wenig Angst. Egal, wo ich im Raum stand, die Frauen schienen mich immer anzustarren. Doch das Bett war bequem und ich schlief ich tief und fest und damit stellte ich mich zufrieden.
„Da gibt es nichts zu erzählen“ brummte Moritz und schob ruckartig seinen Stuhl zurück. Der Goldenretriever seines Vaters gab ein leises Winseln von sich und legte seinen Kopf wieder auf meinen Oberschenkel. Kara schien schon ziemlich alt zu sein – zumindest sagten das die roten, blutunterlaufenen Augen und das matte Fell. Doch trotz ihres Alters konnte man sehen, dass sie bestimmt mal ein schöner Rassenhund gewesen sein muss.
„Wir können uns gerne auch die ganze Zeit anschweigen!“ gab ich giftig zurück und stand ebenfalls auf. „Doch dann hätte ich auch in Hamburg bleiben können“
Moritz blieb stehen, drehte sich zu mir um und schwieg noch kurz, bevor er zu mir sagte: „Tut mir Leid“
„Vielleicht hilft es dir, wenn du über ihn reden kannst. Vielleicht hilft es dir Abschied zu nehmen“
„Ich war nie der Typ, dem Reden geholfen hat“ Er nahm die Hundeleine, die neben der Hintertür des Hauses hing und sofort sprang Kara auf.
„Was ich damit eigentlich nur sagen wollte, war, dass du mit mir reden kannst“
Er nickte nur, schwieg, band Kara an die Leine und ging durch die Hintertür hinaus in den Garten, bevor er sich über die Schulter umdrehte: „Was ist? Kommst du mit?“
Ich lächelte, nahm meine Jacke vom Stuhl und rannte hinter Moritz her und eine ganze Weile liefen wir schweigend am Damm entlang. Rechts von uns war nur Wald und links von uns ein breiter Fluss, dessen Name ich nicht kannte. Ich wusste nur, dass er nicht weit von hier im Meer mündete.
„Ich fahre heute Nachmittag noch mal ins Krankenhaus. Willst du mit?“ brach Moritz schließlich das Schweigen.
Überrascht schaute ich ihn an und zögerte eine Weile, dann zwinkerte ich ihm zu und nickte: „Gerne – aber nur wenn ich fahren darf“

Es war verblüffend, wie ähnlich Moritz seinem Vater sah. Er hatte dieselben kantigen Gesichtszüge, dieselben karamellfarbene Augen und das wellige, mittlerweile ergraute Haar hatte sicherlich einmal dieselbe blonde Farbe gehabt.
Eine Weile blieb ich noch im Türrahmen stehen, betrachtete Konrad Freisleben und musste zugeben, dass man ihm ansah, wie die Krankheit an ihm zehrte. Die Wangen waren eingefallen, seine Haut war milchig weiß und beinahe ein wenig durchsichtig. Auch, wenn ich das Moritz gegenüber nie erwähnte, so dachte ich bei mir, dass sein Vater erschreckend aussah
„Wer ist das, Moritz?“ fragte er noch, bevor er uns überhaupt begrüßte.
Moritz wollte gerade antworten, als ich ihm zuvor kam, durch die Tür trat und dem Mann höflich die Hand reichte: „Milana Merowa“
Er zögerte kurz und schaute mich misstrauisch an, dann drückte er meine Hand mit erstaunlich festem Druck. Er setzte an, etwas zu sagen, schloss dann aber doch wieder den Mund und dachte kurz nach, so als müsste er seine Worte sammeln: „Merowa – was ist das für ein Name?“
Ich wunderte mich über die Frage und musste schmunzeln. „Russisch – mein Großvater kam aus St. Petersburg“ Und noch während ich antwortete, drehte ich mich über die Schulter zu Moritz um und lächelte ihn unsicher an, während er mich mit einem Blick betrachtete, welcher völlig undeutbar für mich war.
„Schöne Stadt, wirklich sehr schöne Stadt“ riss mich die Stimme von Moritz’ Vater aus meinen Gedanken. Ich drehte mich wieder zu ihm um und fragte: „Sie waren schon in St. Petersburg?“
„Oh, mehr als einmal“
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Moritz die Augen verdrehte und sich mit einem leisen Seufzen gegen die Wand lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte.
„Ich war leider noch nie in St. Petersburg. Ich habe meinen Großvater nie kennen gelernt“
Moritz’ Vater lachte einmal kurz laut auf: „Ha! Da war die Russin noch nie in St. Petersburg. Diese Stadt muss man gesehen haben“ Er klopfte auf das Krankenhausbett mit der typischen, weißen Bettdecke: „Setz dich. Ich will dir ein wenig über die Heimatstadt deines Großvaters erzählen“
Ich riss überrascht die Augen auf und drehte mich kurz hilfesuchend zu Moritz um, doch dieser zuckte nur mit den Schultern: „Wenn ihr beschäftigt seid, rede ich kurz mit deinem Arzt“
„Für was denn?! Du weißt, ich werde sterben. Reicht das denn nicht?“ zischte Herr Freisleben und machte eine hilflose Handbewegung.
„Nein, mir reicht das nicht“ erwiderte Moritz tonlos und mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Kurze Zeit sah ich ihm noch hinterher, dann drehte ich mich wieder zu Moritz’ Vater um und setzte mich auf den Platz, den er mir vorhin angeboten hat: „Herr Freisleben, er macht sich große Sorgen um Sie. Sie dürfen… sie dürfen nicht so hart zu ihm sein“
Dann herrschte eine Weile Schweigen zwischen uns und ich wurde nur prüfend gemustert, bis er schließlich murrte: „Hör’ mir auf mit Herr Freisleben. Mein Name ist Konrad“
„Gut, dann bleiben wir per Du“ nickte ich zustimmend
Wieder schwiegen wir beide eine Weile, bis Konrad sich räusperte und zu erzählen begann: „Ich war das letzte Mal in Petersburg im Winter 1994 – ein sehr kalter Winter. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Moritz gejammert hat. Ihm ist kalt, er hat Hunger, er mag nach Hause. Er hatte gar kein Auge für diese schöne Stadt. Für die Kultur, für die Mensche, für die Sprache. Du sprichst doch russisch?“
„Leider nein“
Er schnaubte verächtlich aus: „Du bist keine waschechte Russin!“
„Das habe ich auch nie behauptet. Mein Vater verleugnet seine Herkunft. Ich wäre auch lieber zweisprachig aufgewachsen“
„Das kann ich mir vorstellen“ Dann hielt er einen Moment lang inne. „Wo war ich stehen geblieben?“
„Du hattest erzählt, dass Moritz viel gejammert hat“
„Ah ja, genau!“ Wieder räusperte er sich und redete dann weiter: „Damals hat meine Frau auch noch gelebt. Sie teilte meine Begeisterung für Russland – ebenso Ramona, Moritz’ Schwester. Ich weiß nicht, ob er dir von ihr erzählt hat? Sie ist zurzeit in Amerika, deshalb kann sie mich nicht besuchen. Aber sie würde es auch so nicht tun“
„Ja, er hat mir von ihr erzählt“
„Das wundert mich“
Mir lag das „Warum?“ schon auf der Zunge, doch ich beherrschte mich und fragte nicht neugierig nach.
„Auf jeden Fall hasste Moritz St. Petersburg. Und dann, kaum dass er mit dem Abi fertig war, haute er plötzlich ab. Ab in ein fremdes, anderes Land, das ihn anscheinend mehr interessiert“
„Wo ist er denn hin?“
„Nach Afrika ist der Bengel abgehauen. Für ein ganzes Jahr!“
Auch, wenn ich mich eigentlich zusammenreißen wollte, so begann ich jetzt zu kichern: „Ja, das klingt nach Moritz. Einfach für ein Jahr irgendwohin abhauen“
„Und dann musste er ja unbedingt nach Hamburg, um irgendetwas zu studieren. Und mich ließ er hier allein zurück. Und jetzt sieh, was aus mir geworden ist“
Und erst jetzt spürte man die bisherige unterschwellige Verbitterung ganz deutlich. Mir wurde schwer ums Herz und am liebsten hätte den kranken Mann, der mir gegenüber saß einfach umarmt. Doch Konrad wirkte nicht so, als würde er auf Körperkontakt bedacht sein.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, was sowieso nur völlig unpassend gewesen wäre, als Moritz wieder ins Zimmer kam: „Ich gehe in die Caférteria – einen Kaffee holen. Soll ich jemandem was mitbringen?“
Und ohne sich mit seiner Antwort Zeit zu lassen, rappelte Konrad sich auf und stieg aus dem Bett. Für seine schmächtige Figur war er erstaunlich groß, was ihn zerbrechlich wie ein Streichholz wirken ließ. „Wir kommen mit, nicht wahr, Mila Merowa?“ Und dann geschah etwas schier Unglaubliches: Der verbitterte, traurige Mann zwinkerte mir spöttisch zu und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich mir vorstellen, wie Moritz in 35 Jahren aussieht.






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