Take me anywhere - Teil 14

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 19.10.2011


Ich kam erst spät abends in der WG an, dennoch brannte noch Licht in der Küche und in Moritz Zimmer. Er war bestimmt noch wach und las wieder irgendein Buch oder beschloss um diese Uhrzeit dann doch noch joggen zu gehen – so was tat er oft…
Gedämpft hörte ich seine Stimme, doch niemand der ihm antwortete. Entweder führte er Selbstgespräche oder er telefonierte. Ich vermutete Letzteres.
Mit einem Seufzen ging ich in mein Zimmer, legte Tasche und Jacke ab und schlich leise in die Küche, um meine Tafel Schokolade aus dem Kühlschrank zu holen. Obwohl es mittlerweile November und kühl genug war, um die Schokolade draußen zu lagern, so legte ich sie doch aus alter Gewohnheit immer wieder in den Kühlschrank.
Auch brach ich die Tafel nie, sondern biss immer nur ab. Eine Angewohnheit, die viele als unhygienisch ansahen.
Leise klopfte ich an Moritz’ Zimmertür, welche nur angelehnt war und trat dann langsam ein. Wie ein Raubtier im Käfig lief er auf und ab. Das Handy fest ans Ohr gedrückt nickte er immer mal wieder oder antwortete schlicht und einfach mit „Ja.“.
Als ich eintrat und leise „Hallo“ flüsterte, schaute er kurz auf und rang sich ein Lächeln ab. Das war nicht der Moritz, den ich kannte. Doch ich hakte nicht weiter nach, da er noch telefonierte und blieb am Türrahmen gelehnt stehen.
Er begann wieder auf und ab zu gehen, zog kritisch die Brauen zusammen und nickte erneut. „Ja, ich verstehe. Heute Abend werde ich nicht mehr losfahren, aber morgen kann ich da sein… Ja, ich werde da sein – Natürlich, wenn er mich braucht“ Mit diesen Worten legte er auf, ließ das Handy aufs Bett fallen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Deutlich hörbar atmete er aus und rieb sich verzweifelt übers Gesicht.
Eigentlich wollte ich ihn nicht fragen, doch in diesem Moment konnte ich nicht anders: „Was ist los?“
Moritz schaute auf und zögerte kurz, so als müsste er überlegen, ob er mir antworten sollte. Er seufzte leise und schüttelte mit dem Kopf: „Nichts. Geh’ schlafen“
„Moritz – du hast mich angerufen! Du hast mir eine SMS geschrieben, die dringlich geklungen hat. Außerdem…“ sagte ich warnend und stemmte beide Hände in die Hüften. Und ohne nachzudenken, fügte ich hinzu: „…außerdem bin ich deine Freundin, du kannst mit mir reden. Ich dachte, das weißt du“
Wieder schaute er auf; diesmal lag weder Verzweiflung, noch der für ihn typische Spott in seinem Blick. Seine Augen hatten einen Ausdruck, den ich bei ihm zuvor noch nie gesehen hatte.
„Mila… Es ist…“ setzte er an, doch er brach schnell wieder ab. „Es geht um meinen Vater“
„Oh“ Ich trat weiter ein und schloss die Tür hinter mir. „Was ist mit ihm?“
„Oh Gott, wenn ich das wüsste!“ rief Moritz verzweifelt aus und ließ sich auf den Boden nieder; mit dem Rücken zur Wand. Er griff neben sich und nahm eine Flasche Tequila vom Tisch und trank einen großen Schluck. Ich glaubte nicht, dass das die beste Idee war, doch ich schwieg zu diesem Thema.
„Wie kannst du so was nicht wissen?“ fragte ich leise und setzte mich neben ihn.
„Er hat Krebs“ antwortete er völlig nüchtern und trank noch einen Schluck – ohne das Gesicht zu verziehen.
Anscheinend hatte er von dieser Diagnose schon vor längerer Zeit erzählt bekommen. Er schien sich damit abgefunden zu haben.
„Mir scheint, dass es nicht das ist, was dich so dermaßen geschockt hat“ Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand, trank aber nichts – ich hasste Tequila.
Moritz schüttelte mit dem Kopf und stützte die Unterarme auf seinen Knien ab. „Er hat die Chemotherapie abgebrochen und das schon vor längerer Zeit. Sein Arzt hat es mir gerade eben erzählt. Mein Vater selbst hielt dies anscheinend nicht für nötig“ Er griff wieder nach dem Alkohol.
„Moritz… Ich… Ich weiß gar nicht was ich sagen soll“ flüsterte ich leise und griff nach seiner Hand und drückte sie zaghaft.
„Ist ja auch egal“ meinte er abweisend, doch er ließ meine Hand nicht los.
„Ist es nicht! Es geht um deinen Vater!“
Er schwieg lange, bis er schließlich nickte: „Er liegt wieder im Krankenhaus. Nachdem er die Chemo abgebrochen hat, kein Wunder!“ Er trank erneut und das nicht gerade zaghaft.
„Willst du zu ihm fahren?“
„Ich muss. Der Arzt war ehrlich zu mir; meinem Vater bleibt nicht mehr viel Zeit, nehme ich an“
Ich drückte erneut seine Hand und legte meinen Kopf an seiner Schulter ab. „Es tut mir Leid, Moritz“
„Du hast nichts damit zu tun, Milalein“
„Trotzdem – das sagt man doch so, oder?“ Ich schaute auf und blickte in seine karamellfarbene Augen, welchen ihren spöttischen Glanz vollkommen verloren hatten. Es tat mir weh, Moritz so zu sehen.
„Vielleicht. Ich halte nicht viel von Redewendungen“
Wieder schwiegen wir eine Weile und blieben einfach nur so sitzend; uns an der Hand haltend, mein Kopf an seiner Schulter, und wäre da nicht das Drama mit Moritz’ Vater, dann wäre der Moment perfekt.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dasaßen, bis ich Moritz schließlich meine Hand entziehen wollte und sagte: „Lass’ uns einen Kaffee trinken oder ein Tee. Ich glaube nicht, dass der Tequila dir jetzt gut tut. Du kannst deine Mutter anrufen, kannst ihr sagen, dass du morgen nach Hause kommst…“
Er hielt meine Hand fest und schüttelte mit dem Kopf: „Bleib’. Bitte, bleib’ einfach“
„Aber du solltest zu Hause anrufen und…“
„Meine Mutter ist vor zehn Jahren gestorben. Autounfall“
Geschockt schaute ich ihn an und stammelte wahllos irgendetwas, das keiner verstand, bis ich schließlich herausbringen konnte: „Da warst du ja gerade mal dreizehn!“
Er nickte und wandte den Kopf von mir ab. „Es ist lange her“
„Moritz“ Ich legte meine Hand an seine Wange – unter meinen Fingerspitzen konnte ich raue Bartstoppel fühlen - und schüttelte mit dem Kopf: „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“
Er zuckte nur mit den Schultern, nahm meine Hand von seiner Wange und sagte genau das, was ich nie von ihm hören wollte: „Ich brauche dich, Mila. Du bist doch meine beste Freundin“
Ich schluckte hart und musste mich zusammenreißen, dass ich nicht anfing zu weinen. „Ja“ erwiderte ich mit schwacher Stimme. „Ich bin deine beste Freundin“
„Eigentlich bist du mehr als das… Mila, ich…“
Ich unterbrach ihn hastig: „Ich weiß, was du sagen willst“ Ich wollte nicht noch mehr Sachen hören, die mir nur weh taten.
„Lass’ mich nicht allein zu meinem Vater fahren! Komm mit mir mit, bitte“
Überrascht riss ich die Augen auf und sprang auf. Ich hatte Moritz nicht als Mensch eingeschätzt, der andere um etwas bat.
„Wie stellst du dir das vor? Ich habe Vorlesung. Am Samstag hat Lukas Geburtstag…“
„Was läuft zwischen dir und dem Kerl?!“ fragte er ungewohnt scharf.
Ich zögerte kurz, dann rief ich heftig auf: „Darum geht es nicht! Und es geht dich auch nichts an!“
Moritz erhob sich ebenfalls und nickte: „Du hast Recht. Das geht mich nichts an. Ich finde nur, dass er nicht zu dir passt“
„Das kannst du gerne finden“ entgegnete ich schnippisch und wollte mich umdrehen, um zu gehen, als Moritz’ Hand sich um meinen Arm schließt und mich zurückhält. „Geh’ nicht. Du kannst mich jetzt nicht allein lassen. Und du kannst mich nicht allein zu meinem Vater fahren lassen. Mila, ich brauche dich jetzt!“
Eine Weile schaute ich nur in seine Augen, welche auf mir mit einem herzerwärmenden Blick ruhten. Wenn er mich doch nur immer so anschauen würde!
Ich seufzte lautlos und nickte: „Ich werde es mir bis morgen überlegen“
Sofort ließ er meinen Arm los und nickte: „Danke, Mila. Ich bin dir was schuldig“
„Bist du nicht. Es ist meine Art, für Leute da zu sein, die ich…“ Die ich was? Die ich liebe? Ich schluckte das Wort „liebe“ herunter und sagte stattdessen: „…die ich mag. Ich überleg’s mir bis morgen“ Mit diesen Worten verließ ich Moritz’ Zimmer und obwohl ich Moritz noch nicht fest zugesagt hatte, ging ich in mein Zimmer, um Lukas anzurufen und ihm für Samstag abzusagen.






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