Take me anywhere - Teil 3

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 23.11.2010


Da ich eigentlich die Nacht nur ruhig schlafen wollte, war ich äußerst gereizt, als durch die dünnen Wände plötzlich ein ohrenbetäubendes Knallen trat. Die Wohnungstür wurde laut zugeschlagen, dann wurde irgendetwas umgeworfen, was mit einem Klirren zu Boden fiel.
Zuletzt ein lauter Ausruf: „Scheiße!“
Dann war es einen Moment still. Nur noch die schlurfenden Schritte im Flur waren zu hören. Dennoch war es mir unmöglich noch einmal einzuschlafen.
Ich war einen Blick auf meinen Wecker: 05.07 Uhr. Schön, hoffentlich war das nicht jede Nacht so.
Ich warf die Beine aus dem Bett, zog mir schnell meine blaue kurze Jogginghose an und tappte hinaus durch den Flur in die Küche.
An dem runden Küchentisch an dem gestern Abend die vier anderen Mitbewohner und ich saßen, saß nun ein junger Mann, welcher über einem Buch gebeugt saß und eine Tasse schwarzen Kaffee vor sich sitzen hatte.
„Du bist also der, der soviel Krach macht“ meinte ich, und lehnte mich gegen den Türrahen.
Erst jetzt schien er mich zu bemerken und er hob den Kopf, sodass ihm das honigblonde Haar in die Augen fiel. Unter den Haarspitzen leuchteten bernsteinfarbene Augen auf und er zwinkerte mir zu: „Und du bist die, die davon noch wach wird… Du musst die Neue sein“
Die Neue! Wie das klang. Und schon nach den wenigen Worten und dieser einzigen Reaktion, konnte ich ganz genau beurteilen, welcher Typ Mann da vor mir saß.
„Ich heiße Mila“
„Ich bin Mo… Na ja, eigentlich Moritz. Aber kein Idiot nennt mich so“ Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und strich sich danach die Haarspitzen aus den Augen. Natürlich war er auf eine gewisse Art und Weise attraktiv. Und das wusste er auch. Und das war genau das, was ihn zum Arsch machte.
Ich kannte solche Typen zu Genüge.
„Wann bist du angekommen?“ fragte er nach einer Weile und ich seufzte innerlich und setzte mich auf den Stuhl ihm gegenüber.
„Heute… ähm… gestern Abend“
Er nickte, nahm sich eine saubere Tasse von der Spüle und stellte sie mir vor die Nase, bevor er Kaffee eingoss. „Milch?“ fragte er, und ich nickte, stand aber selber auf und nahm mir die letzte Packung aus dem Kühlschrank: „Heute gehe ich auch selber mein Zeug einkaufen… Dann muss ich euch nicht die Haare vom Kopf fressen“ Ich kippte Milch zu der braunen Brühe, sodass sie sich hellbraun färbte.
„Max hat dir auch schon ein Fach frei geräumt, wie ich gesehen habe“
„Ja, nett von ihm“
„Der Kerl hat einen zwanghaften Ordnungssinn“
„Ja, das habe ich schon bemerkt“
„Ich komme deswegen nicht so gut mit ihm klar“ erzählte er weiter, zuckte mit den Schultern und leerte dann seine Tasse mit einem Zug. Er klappte sein Buch zu und stand auf: „Ich werde ne Runde laufen gehen“ Ich war schon versucht zu sagen, dass ich auch gerne laufen ging und dass ich gerne mitkommen würde – doch das wirkte wohl etwas aufdringlich. Also ließ ich es bleiben.
Auch ich stand jetzt auf und stellte meine Tasse in die Spüle, während Mo über meine Schulter griff und seine Tasse dazustellte: „Vielleicht kannst du ja noch mal einschlafen“
„Glaube ich kaum“ murmelte ich, obwohl ich genau wusste, dass ich nachher wie tot wieder ins Bett fallen würde.
Bevor er aus der Tür verschwand, blieb Moritz noch mal stehen: „Tut mir übrigens Leid, dass ich dich geweckt habe“
Ich schaute auf und zuckte mit den Schultern: „Kein Problem“ Obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich war todmüde und sah bestimmt furchtbar aus. Doch ich fand es nett von Moritz – Mo – oder wie auch immer, sich dann doch noch zu entschuldigen. Daniel hätte das nie getan.

Am nächsten Morgen schlief ich bis knapp elf Uhr, was gar nicht zu mir passte, weil ich normalerweise eine totale Frühaufsteherin war und mich nichts länger als acht im Bett hielt – noch nicht einmal Daniel damals.
Träge und immer noch irgendwie müde streckte ich die Arme nach oben und gähnte, bevor ich noch im Halbschlaf zu meinem Schrank tappte, welcher noch ordentlich eingeräumt war – fragte sich nur für wie lange noch. Wahllos zerrte ich ein schwarz-weiß gestreiftes Kleid vom Bügel und zog es an, bevor ich meine Locken versuchte zu bändigen und sie schließlich mit einem lauten Seufzen hochsteckte. Schnell legte ich noch ein wenig Make-up auf, schnappte mir meine Tasche und kroch in meine roten Ballerinas.
Die Wohnung war ungewohnt still und ich dachte mir schon, dass die Jungs und Helena alle unterwegs sein mussten.
Also trank ich in Ruhe meinen Kaffee, klaute mir noch mal Max’ Milch und schrieb mir dann eine Einkaufsliste, welche ungewollt lang wurde und mich wohl das letzte Geld in meinem Portemonnaie kosten würde.
Wenn ich finanziell über die Runden kommen wollte, dann müsste ich mir wohl einen Job suchen. Zwar bekam ich eine nicht gerade kleine Summe zum Leben von meinen Eltern, doch wenn man Miete, Essen und all den Kram mit einberechnete, so bemerkte ich schnell, dass mir das Geld hinten und vorne nicht reichen würde.
Seufzend ließ ich mich auf einen der Plastikklappstühle nieder, als mein Blick auf das Buch fiel, das Moritz wohl vorhin hier liegen gelassen haben muss. Schnell trank ich die Tasse halbleer und nahm dann das Buch an mich. Brief an den Vater von Franz Kafka.
Ich hätte nicht erwartet, dass ein Schwachkopf wie Moritz so ein geistreiches Buch lesen würde. Doch kaum hatte ich meinen Gedanken beendet, schalte ich mich auch schon dafür. Ich wollte immer ein Mensch sein, der vorurteilsfrei auf andere Leute zuging, und ich kannte Moritz ja eigentlich gar nicht. Also durfte ich mir auch kein Bild von ihm machen.
„Hast du’s schon gelesen?“ fragte eine Stimme hinter mir und riss mich damit so aus meinen Gedanken, dass ich schreckhaft aufschrie, eine unkoordinierte Handbewegung machte und die halbvolle Kaffeetasse vom Tisch fegte. Die Tasse fiel mit einem Klirren zu Boden, zerbrach in tausend Stücke und der Kaffee verteilte sich wie ein brauner See auf dem weißen Fliesenboden.
„Scheiße“ fluchte ich und warf Moritz einen bösen Blick zu.
„Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht erschrecken“
„Hast du aber“ fauchte ich und angelte mir den Lappen von der Spüle und sammelte erst die Scherben ein, bevor ich den Boden zu wischen begann. „Ich dachte ihr wärt alle weg“
Moritz schüttelte mit dem Kopf: „Helena ist mit Fabi und Leon im Schwimmbad, aber Max und ich sind noch hier. Ich war joggen, in der Bibliothek und hab bis jetzt gelernt. Und jetzt würde ich am liebsten einfach nur schlafen“ Er lachte leise.
Welch unnötige Informationen.
„Bist ja auch spät nach Hause gekommen“ meinte ich schulterzuckend, warf die Scherben weg und spülte den Lappen aus.
„Und? Hast du’s schon gelesen?“
„Brief an den Vater?“ hakte ich nach und Moritz nickte.
Ich schüttelte mit dem Kopf: „Ich hatte es zwar mal in der zwölften Klasse begonnen, aber aufgehört. Ich weiß nicht, ich konnte mich nicht rein finden“
„Hm… also ich find’s ziemlich gut. Ich kann Kafkas Gefühle gut nachvollziehen. Mit so einem Vater hätte ich mich erschossen“ erklärte er, während er im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchte.
„Du studierst Literatur, oder?“
„Nö, wieso?“
„Du wirkst so“ Ich zuckte wieder mit den Schultern.
Er lachte leise und schüttelte mit dem Kopf: „Ich studiere genau das Gegenteil: Mathematik, Physik und Bio-Technologie“
Ich riss die Augen auf und lachte: „Du musst verrückt sein!“
„Wieso? Wenn man’s kann ist es okay“ Er strich sich das honigblonde Haar aus den Augen und grinste mich breit an.
„Ja, wenn man’s kann“ Ich verdrehte die Augen und lehnte mich gegen den Küchenschrank. „Ich bleibe doch lieber bei Medizin“
„Oh, wie Jürgen. Ich hoffe für dich, dass du ordentlicher als er bist, sonst wirst du mit Max keinen Spaß haben“ Er hob bedeutungsvoll die Brauen und setzte sich an den Tisch.
„Denke schon. Sag mal, wo ist denn hier in der Nähe der nächste Supermarkt. Ich brauch unbedingt mein eigenes Essen“
„Ähm“ machte Moritz während er in sein Croissant biss und aus dem Fenster starrte. „Wenn du noch zehn Minuten warten kannst, dann komm ich mit“
Ich riss überrascht die Augen auf und nickte schließlich: „Alles klar“
„Mila war dein Name oder?“ fragte er, bevor ich die Küche verlassen konnte. Ich blieb stehen und drehte mich um. „Ja, Mila“
„Schöner Name“ Er grinste spitzbübisch und ich dachte gleich, dass ich ihn vielleicht doch nicht falsch eingeschätzt habe und dass er tatsächlich ein Schwachkopf war – ein verdammt süßer Schwachkopf.




Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30 Teil 31 Teil 32


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz