Mein Engel... - Teil 24

Autor: Demre
veröffentlicht am: 31.01.2012


Es war 12 Uhr, als ich schließlich aus meinem gemütlichen Bett aufstand und - um mich abzulenken - mein Zimmer ein wenig aufräumte. Ich hatte wieder unzählige Tränen vergossen, denn bei jedem Gedanken an Cian überfiel mich pure Hilflosigkeit, und die Wunde in meinem Herzen blutete immer wieder aufs Neue. Dieser Gedanke, dieser Schmerz, zu wissen das Cian beschuldigt worden war einen alten Mann verprügelt zu haben, und diese Gewissheit, dass er unschuldig war, nagte jeder Sekunde an mir, wich nicht aus meinem Kopf.
Schließlich setzte ich mich an meinen Schreibtisch, versuchte ein paar Matheaufgaben aus der Schule zu erledigen, die ich zufälligerweise entdeckt hatte und ließ nach höchstens zehn Minuten den Stift frustriert sinken und schaltete dann den Computer an.
Ich war schon seit einer Ewigkeit nicht mehr auf Facebook gewesen und auch wenn ich wusste, dass mich das nicht ablenken würde, meldete ich mich trotzdem an. Ich hatte unzählige, wahrscheinlich unnötige Neuigkeiten, zwei Freundschaftsanfragen und eine Nachricht.
Die Neuigkeiten ignorierend schaute ich mir die die Leute an, die mir eine Anfrage gesendet hatten und löschte beide, da sie mir nicht bekannt vorkamen.
Schließlich öffnete ich die Nachricht.
„Wundervoll.“, murmelte ich sarkastisch vor mich hin, als ich sah von wem die Nachricht war. Aiden. Und anscheinend hatte er sie erst vor knapp einer Stunde verschickt.
Wohl wissend, was für ein Blödsinn darin stehen würde, öffnete ich sie. Satz für Satz fraßen sich die Wörter, die Buchstaben in mein inneres. Ein Schrei, ein Wort wollte mir über die Lippen. Aber ich war nur zu Tränen Überfluteten Wangen möglich.

Na Ava, ich denke Mal, du hast von dem Geschehen gehört.
Wir waren ja alle entsetzt, als wir gehört haben, was Cian getan hat. Böser Junge! Einen armen Mann einfach zu überfallen und Krankenhausreif zu schlagen. Naja, jeder verdient seine gerechte Strafe, jetzt steht für Cian wahrscheinlich Jahrelange Haft an. Du armes, armes Mädchen ;D Das Urteil wurde ja schon gefällt. Hatte gehofft der Trottel würde noch mit Sozialstunden davon kommen.
Hoffe du bist nicht zu traurig, komm vorbei und ich beschere dir heiße Stunden. ;)
Mein Angebot steht dir jederzeit zur Verfügung und natürlich…

Zuerst kreiste mir ein Gedanke durch den Kopf. So früh schon eine Gerichtsverhandlung? So schnell hatte man ein Urteil gefällt? Doch dann schmiss ich Wutentbrannt meinen Stuhl, beim aufstehen nach hinten und griff nach meinem Handy. Irgendjemanden musste ich doch anrufen können! Cians Eltern kannte ich nicht, Geschwister hatte er nicht… Mit hastigen Bewegungen griff ich nach einer Hose und einem Rollkragen Pullover, zerrte meine schwarzen Mantel aus dem Schrank und polterte die Treppen nach unten zur Eingangstür. Nirgends war mein Vater zu sehen. Bitte lass ihn mich nicht sehen, flehte ich in Gedanken missmutig.
Mit zwei Schritten war ich an der Tür. Riss die Klinke herunter. Nichts geschah.
„Verdammt!“, fluchte ich und suchte im Flur nach unserem Hausschlüssel.
Er hatte einfach die Tür abgeschlossen! Er hatte mich einfach eingesperrt! Wie sollte ich zu Cian, wie sollte ich erfahren, dass das alles eine Lüge von Aiden war, und Cian draußen war. Aber wieso sollte mich Aiden anlügen? Mein Inneres verkrampfte sich als ich wieder an die Nachricht dachte. Verfluchter Mistkerl!
„Wo gedenkst du hinzugehen junge Frau.“ Bei dem kalten Ton zuckte ich zusammen und fuhr erschrocken zu meinem Vater um, der an der Wohnzimmertür stand.
Mein Inneres zitterte stark.
„Ich…ich.“, stammelte ich und wusste, das meine Chance, irgendwie die Wahrheit zu erfahren vorbei war. Mein Vater würde mich nie raus lassen.
„Du gehst nirgends hin.“, befahl mein Vater, und holte den Hausschlüssel aus seiner Hosentasche heraus. Ließ ihn dann provokant vor seinem Gesicht hin und her baumeln.
Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber als ich sprach war es nur pures flehen.
„Bitte Papa, ich muss zu Cian. Ich…“, mit einem wütenden zischen unterbrach mich mein Vater, sobald er Cians Namen hörte. Verdammt seiest du Ethan! Wegen dir hat Papa so eine schlechte Meinung von Cian.
„Du gehst nirgendwohin habe ich gesagt.“ Nie zuvor klang er so kühl und wütend.
Mit hochgezogenen Schultern warf ich ihm einen letzten, verletzten Blick zu. Ich konnte ja randalieren, ich konnte alles kurz und klein schlagen, bis mir mein Vater die Tür aufmachte, aber das konnte ich nicht. Ich war weder stark genug, noch respektlos.
Mit leisem schniefen, und Tränen in den Augen stieg ich die Treppen hoch. Es musste doch eine Lösung geben.
Ich schloss meine Zimmertür und setzte mich aufs Bett. Angestrengt dachte ich nach, und wischte mir dann meine Tränen weg.
„Jetzt ist nicht der Zeitpunkt um zu flennen Ava.“, murmelte ich leise vor mich hin. „Wenn du wissen willst was mit Cian passiert ist, dann muss du einen Weg finden!“
Ich konnte ja so tun, als wäre ich total krank geworden. Vielleicht konnte ich meinen Vater dazu bringen, mich ins Krankenhaus zu fahren. Da konnte ich einen Fluchtversuch starten. Aber nach kurzem Überlegen verwarf ich den Gedanken wieder. Das würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen und - ich warf einen Blick auf die Uhr - schließlich war es schon kurz nach zwei Uhr.
Das mein Vater ein Mittagsschläfchen machen würde, war auch sehr unwahrscheinlich.
Mehrere Minuten lang überlegte ich, bis ich schließlich auf den absurdesten, und dümmsten Gedanken überhaupt kam.
Ich stand auf, stellte mich vor mein Fenster und blickte zwischen den Gardinen hinaus. Dann öffnete ich das Fenster und ignorierte den eisigen Luftzug, der mir entgegen kam.
Zweiter Stock, ungefähr 10 – 15 Meter.
Es kam mir vor wie reiner Selbstmord, auch wenn ich mir höchstens ein paar Knochen brechen würde.
Unten war der Boden nur mit Schnee bedeckt. Hoher, weißer Schnee.
Fluchend eilte ich zu meinem Schrank und holte die Bandage raus, die mir der Arzt im Krankenhaus gegeben hatte, die ich aber kein einziges Mal getragen hatte, dass sie unbequem war. Mit hastigen Bewegungen befestigte ich mir die Riemen an meinem Bein fest und Griff dann nach meinem Handy. Vor dem Fenster blieb ich wieder stehen.
Ich konnte natürlich wie die ganzen Mädchen aus den Filmen, einfach mehrere Bettlaken zu einem Seil zusammenbinden, aber wieder würde das viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Also hüpfte ich auf die breite Fensterbank und setzte mich so hin, dass meine Füße über dem Brett nach unten baumelten. Gott, das war so hoch. Mit zittrigen Händen und Säure im Magen, blickte ich einige Minuten runter. „Bitte Lieber Gott, lass mich nicht im Stich.“, flüsterte und schickte hinterher: “Bitte mein geliebter, aber kaputter Fuß, lass mich nicht im Stich.“ Dann zählte ich bis drei und Sprang mit einer schnellen Bewegung hinunter.
Als ich auf den Boden aufschlug, und mein Gesicht, auf den kalten Schnee aufschlug, fluchte ich schmerzhaft. War ja wohl klar, dass ich auf diesem doofen Fuß aufkommen musste! Ich rappelte mich auf, wollte aufstehen, aber mein Fuß knickte ein und ich blieb auf dem Boden liegen. „Verdammte Scheiße! Verdammt, verdammt, verdammt!“ Ich wollte schreien, aus vollem Hals wollte ich all den Zorn, all das Leid hinaus schreien, aber mit Mühe konnte ich die Wut unterdrücken und betastete meinen pochenden Fuß. Der würde bestimmt nicht mehr lange mitmachen. Der Schmerz; der immer wieder in meinem Bein einschlug, war unerträglich und brachte mich schier um den Verstand. Wie Messerstiche fühlte es ich an.
Mit zusammengebissen Zähnen rappelte ich mich schließlich auf, stöhnte vor mich hin und stützte mich an der Hauswand ab. Es war jetzt nicht der Zeitpunkt um rumzumeckern, es gab schließlich wichtigeres.
Humpelnd zerrte ich mich durch den Schnee, und meine schwarzen Stiefel sanken tief in die Kälte ein. Vorsichtig spähte ich um die Ecke, entdeckte keine Menschenseele und hoffte inständig, dass mein Vater nicht plötzlich raus kommen würde. Mit Schmerz verzogenem Gesicht schaffte ich es schließlich auf die Straße und humpelte dann zu Girard Avenue um nach einem Taxi Ausschau zu halten.

„Ich muss zu Cian Clark.“ Ich machte mir gar nicht die Mühe, die Frau von gestern, die an der Rezeption des Polizeipräsidiums saß, zu begrüßen. Das brachte mir natürlich erstmal einen giftigen Blick ein.
Das Taxi war wie ein verrückter durch die Straßen gerauscht, und ich war endlos dankbar gewesen, als wir kurze Zeit später hier angekommen waren. Als ich dann, die Treppen hoch gehumpelt, im Gebäude an gekommen war, schwitzend und völlig außer Atem, schaffte ich es gerade noch auf den Tresen der Information zu zulaufen, ohne Ohnmächtig zu werden. Und jetzt stand ich hier und hatte die Warterei satt. Ich musste endlich Cian sehen!
„Das geht nicht.“, antwortete die Frau kurz und knapp, brachte mich beinah um den Verstand.
„Wie das geht nicht?“, fragte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und beugte mich weiter über den Tresen, sah die Frau missbilligt an.
„Das geht halt nicht. Sie können ihn nicht sehen.“ Mein Herz zog sich zusammen. Nicht wieder dasselbe wie gestern!
Hart und zornig schlug ich mit der Handfläche auf den Tresen, blickte die Frau aus zornigen Augen an und ignorierte ihren erschrockenen Blick.
„Ich möchte ihn sehen verdammt noch mal! Sagen sie mir wo er zu finden ist und ich warte.“ Die Frau atmete langsam und hörbar aus, und ich bemerkte die Ungeduld in ihren Augen.
„Hören sie…“, setzte sie an, wurde aber von einer tiefen Männerstimme unterbrochen.
„Gibt es hier ein Problem?“, hastig drehte ich mich um, damit ich den Herren darum bitten konnte mich zu Cian zu bringen. Aber diese Hoffnung starb, als ich dem Officer von gestern vor mir stehen sah.
„Sie schon wieder.“, sagte er als Begrüßung und blickte mich aus seinen braunen Augen lange an.
„Die junge Dame hat den Ausgang nicht gefunden, deswegen war sie ein wenig in Panik.“ Geschockt blickte ich zu der Frau. Sie hatte gelogen! So eine Frechheit, was bildete sich diese eingebildete Schlange eigentlich ein?
„So ein Quatsch!“, schrieb ich beinah. Ich hatte das Gefühl als würden alle mit mir irgendein abgekorktes Spiel spielen!
„Ich möchte Cian sehen!“, wiederholte ich, zum wahrscheinlich 50. Mal.
Doch der Officer zeigte keine einzige Gefühlsregung, er packte mich einfach nur sanft, aber bestimmend am Arm und zog mich Richtung Ausgang. Ich wollte schreien, um mich treten, aber letztendlich würde es nichts bewirken. Also riss ich meinen Armen mit einem harten Ruck aus seiner Hand und rannte durch die Tür, an die frische Luft. Dabei stieß ich gegen irgendeine Frau, die mich empört ansah, jedoch nicht weiter beachtete.
Ich rannte, rannte immer weiter. Mein Fuß schmerzte, knickte ein und ich verlor beinah mein Gleichgewicht, schaffte es aber trotzdem weiter zu laufen. Ich konnte nichts mehr fühlen, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Cians Gesicht, sein Name war das einzige in meinem Gehirn, das zurzeit in Betrieb war. Seine schönen braunen Augen beherrschten mein Inneres, diese herrlichen Lippen raubten mir den Verstand und der Gedanke an unsere gemeinsame Zeit, die Bilder mit ihm, die mir durch den Kopf schwirrten, brachte mich schließlich dazu, stehen zu bleiben. Mitten auf der Straße hielt ich an, bemerkte nicht, dass Autos direkt vor meinen Füßen bremsten, die Fahrer mir Beleidigungen an den Kopf warfen und mich an schrien. Ich wusste keinen Ausweg mehr, ich wusste nicht mehr was ich tun sollte. Sie hatten mir Cian weggenommen, sie hatten mir die Liebe genommen. Und dann verlangten sie, dass ich so weiter machte?
Mein Handy klingelte. Hörte nicht auf, klingelte ununterbrochen weiter. Ohne auf den Anrufer zu achten schaltete ich es aus.
Ich blickte mich um, schaute empor zum Himmel und entdeckte dann, was ich suchte. Mit langen Schritten überquerte ich die Straße und lief auf das hohe Gebäude mit den 9 Stockwerken zu. Die Haustür war offen, die Eingangstür war grau und Blumentöpfe standen neben den Treppenabsätzen. Ich schaute mich um, sah das Schild an der Tür links von mir, auf dem „Dachterrasse“ zu lesen war und bemerkte erleichtert, dass sie nicht verschlossen war. Als ich den ersten Schritt auf die Stufe der Treppen machte, knickte ich beinah wegen meinem schmerzenden Fuß ein.
Ich stieg die Treppen hoch, eine Stufe nach der anderen. Ich beeilte mich nicht, blickte einfach nur, mit Tränen im Gesicht, geradeaus. 3. Stock. Noch ein Mal knickte ich um, rieb mir den scherzenden Fuß, aber schaffte es dann mich wieder aufzurappeln. 5. Stock.
Das Ausatmen tat mir langsam unglaublich weh, ich hatte das Gefühl, als würde eine dicke Faust mein Herz umklammern, und fest zudrücken. Ich redete mir ein, dass das alles gar kein Sinn mehr machte. Sie würden Cian einsperren, er würde Jahrelang in einer kalten Zelle sitzen, egal ob er es getan hatte oder nicht. Wer weiß wann ich ihn sehen würde.
Mein Vater würde mir nach dieser Aktion sowieso nicht mehr verzeihen.
Mein Bruder war wahrscheinlich ein Drogenjunkie, und Jeff redete nicht mit mir. Also, wozu das ganze?
9. Stock.
Ich stieg die letzten Stufen hoch, drückte dann gegen die Terrassentür rechts von der Treppe, und hoffte inständig, dass sie nicht verschlossen war.
War sie zum Glück nicht. Ich stieß die Tür auf und trat hinaus. Zuerst begrüßte mich ein eisig kalter Wind, dann blickte ich mich um. So ein atemberaubender Anblick! Zwar war der Boden vom Dach zugeschneit und sehr glatt, doch hinderte es mich nicht daran, weiter in die Mitte der großen Fläche zu humpeln. Um mich herum waren nur Gerüste, Eimer und noch weitere belanglose Gegenstände, doch sah ich über die schmale Mauer, dann erblickte ich die Skyline von Philadelphia. Da es noch Mittag war, war der Himmel nur von einem trüben grau bedeckt. Wäre es jetzt dunkel, dann würde die Stadt von hier oben einen unglaublich schönen Ausblick bieten, vor allem an Weihnachten. Rechts vom Gebäude sah ich das Polizeipräsidium. Ich schritt auf den schmalen Vorsprung zu und blickte runter. Ein keuchen entfuhr mir.
Es war so verdammt hoch! Die Menschen sahen aus wie kleine Ameisen, und ein Fall von hier oben würde mir definitiv nicht nur die Knochen brechen.
Da die Mauer breit genug für meine Füße war, stellte ich den ersten drauf. Mich trennten nur zwei Schritte vom Ende meines Lebens. Plötzlich war alles wie leer gefegt. Ich hatte keine Angst. Ich fühlte nichts außer Schmerz, und es schwirrten so viele Wörter, Bilder, Fragen in meinem Kopf herum, dass ich glaubte gleich zu explodieren. Doch anstatt einen Schritt weiter zu machen, setzte ich mich vorsichtig hin. Zuerst säuberte ich den Schnee von der Mauer, so viel, dass mein Hintern drauf passen würde. Ich ignorierte meine taub gewordene Hand und ließ dann meine Füße nach unten taumeln. Gott, es war so entsetzlich kalt hier oben! Trotz dessen, das unter mir kein Schnee war, fror ich unglaublich, und die Kälte drang mir tief unter die Haut.
Ich wusste nicht wie lange ich da saß, doch plötzlich schrie eine Stimme.
„HEY! KOMM DA RUNTER!“ Ich beugte mich nach unten und konnte zuerst die Person, die in der Menschenmenge geschrien hatte nicht ausmachen, doch dann gestikulierte eine Hand nach oben und außer dem kurzen Bobhaarschnitt und der weißen Daunenjacke konnte ich einen Hund neben der Person erkennen. Seit wann hatten sich so viele Personen dort unten versammelt? Selbst Autos waren auf der Straße stehen geblieben. Mehrere schrien durcheinander, andere blickten zu mir hoch.
„MÄDCHEN KOMM DA RUNTER!“ Eine andere, laute Stimme. Die Leute schrien laut und deutlich und ich sah sogar einige Menschen auf das Gebäude zusteuern.
Ich wusste nicht was in mich gefahren war, aber ich stand plötzlich auf und blieb nah am Abgrund stehen. Dann blickte ich mit verschwommenem Blick hinunter. Das Leben hatte keinen Sinn mehr. Ich wollte das alles nicht mehr mit machen.
„NEIN!“, schrie ich genauso laut und verzweifelt runter. „DAS IST ALLES EURE SCHULD! IHR MENSCHEN SEIT SCHULD!“, mit der Hand wischte ich mir die Tränen weg. So eine bescheuerte Welt! Immer verlangten Sie etwas von mir, aber niemand gab mir im Gegenzug etwas. Okey, ich konnte wieder runter gehen, ich konnte zu den Menschen dort unten gehen, aber würden sie mir im Gegenzug Glück geben können? Würden sie mir ein glückliches Leben verschaffen können? Wohl kaum. Menschen waren selbstsüchtig. Sie taten nur das, was für sie von Vorteil war, sie achteten nicht auf andere. „Das ist alles eure Schuld.“, schluchzte ich, meine Hände zitterten unkontrollierbar. „ICH WILL MEINEN CIAN! ICH WOLLTE IHN DOCH NUR EINMAL SEHEN! ABER NEIN, Ihr MUSSTET IHN JA EINSPERREN! SIE KÖNNEN CIAN CLARK NICHT SEHEN, HIEß ES! SO EIN SCHEIß!“ Meine Stimme verlor sich, vor Wut drohte ich beinah zu platzen.
Unten standen so viele Menschen! Und alle starrten sie zu mir nach oben.
„HÖREN SIE MISS, KOMMEN SIE DARUNTER UND WIR HELFEN IHNEN. ES GIBT DOCH BESTIMMT EINE LÖSUNG.“
Ach ja, was für eine Lösung denn bitte. Die würden mich nur in die Psychiatrie stecken, oder in eine Selbsthilfegruppe.
Es war ein Polizist, der durch einen Lautsprecher sprach. Ich blickte mich um und entdeckte gleich mehrere Polizisten und Polizeiwagen.
Der Uniformierte Mann, der eben zu mir gesprochen hatte gab den Lautsprecher an eine Person neben sich weiter, und an den Haaren und an der braunen Winterjacke erkannte ich entsetzt, dass es mein Vater war.
Woher wusste er wo ich war, oder wann war er überhaupt gekommen.
„AVA MEIN SCHATZ.“, schrie er, und ich konnte den tiefen Schmerz in seiner Stimme nicht überhören. “AVA KOMM HERUNTER, BITTE. ICH HABE DIE GANZE ZEIT NACH DIR GESUCHT. ICH WAR EBEN IM PRÄSIDIUM, DOCH DANN… SIE HABEN MICH NICHT ZU DIR HOCH GELASSEN. AVA, BITTE TU MIR DAS NICHT AN. GEH VON DA RUNTER.“ Ich schluchzte laut auf. Ich hatte kein Recht ihm das anzutun.
„ES TUT MIR LEID PAPA.“, schrie ich mit Tränen im Gesicht zurück, und flüsterte dann. “Aber du hast es auch nicht verstanden. Du hast nicht verstanden, dass ich ohne Cian nicht leben möchte.“
Cian war doch mein Leben, wie sollte ich es aushalten, ihn nicht zu sehen. Wie sollte ich mit dem Gedanken umgehen, das Cian wegen einem Verbrechen in der Zelle saß. Ich hätte ihm alles vergeben sollen. Ich hätte nicht mehr sauer auf ihn sein sollen. Ich verachtete mich dafür, dass ich so nachtragend war, dass ich ihm nicht geglaubt hatte. Aber es hatte so weh getan! Der Gedanke, dass er nur mit mir spielte, dass er mich gar nicht geliebt hatte.
Plötzlich krachte etwas hinter mir und erschrocken fuhr ich herum.
Vor der Tür, die zum inneren des Hochhauses führte stand ein dicker, uniformierter Mann der mit ernstem Ausdruck im Gesicht auf mich zu Schritt. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen.
„Kommen sie ja keinen Schritt näher!“, schrie ich ihn an. Er blieb abrupt stehen, streckte den Arm nach mir aus.
„Lass uns reden. Komm da runter und wir reden. Das, was du vor hast ist keine Lösung. Ich möchte dir helfen, ich…“ Wütend unterbrach ich den Mann. „Ich brauche keinen verdammten Psychologen! Sie wissen doch gar nicht von meinen Problemen, und reden ist das letzte was mir hilft!“ Meine Stimme verlor sich in dem eisigen Wind der plötzlich aufkam, und ich legte zitternd meine Arme um meinen Körper. Ich konnte jetzt springen. All meine Probleme wären auf einem Schlag gelöst, all das Leid, der Schmerz würde verschwinden. Ich hatte meine Mutter immer dafür gehasst, dass sie sich umgebracht hatte, ich wusste nie warum, aber ich hatte sie gehasst. Und jetzt wollte ich dasselbe tun. Aber vielleicht würde mich das ja zu meiner Mutter bringen. Vielleicht konnte ich ihr endlich begegnen!
Als ich einen Blick zu der Tür hinter dem Polizisten warf, trat auf ein Mal eine weitere Person raus. Kleiner, und viel schmaler als der Mann.
Mit einer schwarzen Lederjacke, einer dunklen Jeans Hose und verwuschelten Haaren stand der Junge meiner Träume da.
„Cian.“, flüsterte ich fassungslos und eine weitere Träne rollte mir über die Wange, fiel in meinen offenen Mund.
Mit sanfter Miene erwiderte er meinen Blick und ich musste mehrmals blinzeln, um sicher zu gehen, dass dies kein Traum war. Doch die Fantasie war nicht mit mir durch gegangen.
Cian nickte dem Polizisten kurz zu, der an die Seite trat und ihm Vortritt gewahr.
„Ava.“, rief er mir zu, doch blieb mehrere Meter von mir entfernt stehen. Von der Straße hörte ich immer noch das Geschrei der Leute. Doch ich ignorierte sie. Ignorierte auch den Polizisten vor der Tür, der geduldig zu uns herüber sah. Ich konnte nur ihn ansehen, wahrnehmen.
„Cian.“, flüsterte ich wieder.
„Was machst du da?“, fragte er, hatte die Hände nach mir ausgestreckt. Meine Unterlippe bebte, als ich mit zitterndem Körper zu ihm blickte. Ich konnte es immer noch nicht fassen, Cian stand vor mir, und Gott hatte ich ihn vermisst!
„Ich…ich.“, stammelte ich. „Ich wollte dich sehen, aber sie haben mich nicht zu dir gelassen. Ich wollte mit dir reden aber…“Cians Gesichtsausdruck wurde ganz weich, doch trotzdem waren die tiefen Augenringe in seinem Gesicht nicht zu übersehbar, sodass mir sofort klar wurde, das Cian kaum geschlafen hatte und total erschöpft sein müsste.
„Jetzt bin ich hier Ava.“ rief er mir zu und ich musste lächeln.
„Aber wie…“ Ohne, dass ich es aussprechen musste, beantwortete er meine Frage schon.
„Sie haben mich rausgelassen.“ Er grinste mich schief an, die Hände immer noch nach mir ausgestreckt. „Sie haben mir erlaubt zu dir zu kommen. Und ich möchte dich mit nehmen. Komm Ava, lass uns hier weg.“
Erleichterung durchfuhr mich, und ich wollte ihn zu nicken, doch dann dämmerte es mir.
´Sie´, waren die Polizisten und das hier, dass…
„Sie werden dich wieder mit nehmen“, schrie ich plötzlich und schluchzte laut. „Sie werden dich wieder mitnehmen Cian. Sie haben dich doch nur benutzt um mich…“, ich konnte nicht zu ende sprechen weil mir die Stimme versagte und mir wieder unaufhörlich die Tränen flossen. Gott wie viel salziges Wasser konnte dieser Körper eigentlich produzieren.
„Nein!“, widersprach mir Cian heftig. Verwirrt blickte ich ihn an.
„Sie werden mich nicht mitnehmen, ich bin frei. Sie haben mich freigelassen.“
Ich war nur noch verwirrter, mein Gehirn weigerte sich, die Informationen aufzunehmen. „Aber wie…“, flüsterte ich doch er unterbrach mich wieder.
„Ich hab nichts getan, und Joy konnte es vor drei Stunden auch bezeugen, als er im Krankenhaus erwacht ist. Es war jemand mit blonden Haaren. Nicht ich. Jetzt komm da bitte runter Ava.“ Aiden hatte gelogen! Dieser Mistkerl hatte nur Quatsch erzählt!
Endlich, als ich begriffen hatte, was er mir gesagt hatte, durchfuhr mich schiere Erleichterung. Die Erleichterung war so groß, sodass ich vergaß wo ich war oder worauf ich stand. Von Glücksgefühlen überschwemmt machte ich automatisch mit meinem rechten Fuß einen Schritt nach hinten.
„AVA NEIN!“
Es war nur ein winziger Schritt nach hinten gewesen, doch anstatt auf festem Boden aufzukommen, wurde mein Fuß von leerer Luft empfangen. Ich konnte kaum handeln, da verlor ich schon das Gleichgewicht.















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