Tell the truth 2 - a new beginning - Teil 4

Autor: Angel of Summer
veröffentlicht am: 16.11.2010


„Steff, du siehst großartig aus.“, Steffi drehte sich vor dem lebensgroßen Spiegel im Kreis und beide Frauen stellten überrascht fest, dass sie doch noch auf einen Nenner gekommen waren. Keiner hatte dies für möglich gehalten. Ihr Geschmack lief geradezu in die entgegengesetzte Richtung.
„Ich bin so aufgeregt, hoffentlich ist Niclas bald hier.“, sie sah auf die Uhr: Kurz nach drei. Er würde sicher bald kommen. Niclas war schon immer überpünktlich gewesen. „Ich bin da, glaube ich, doch ein wenig traditioneller. Ich würde das Kleid erst mit Eintritt in die Kirche präsentieren.“
„Erstens: das nennt sich altmodisch und nicht traditionell und zweitens: such dir erstmal einen, dem du ein Kleid präsentieren kannst.“, Steff streckte die Zunge heraus und grinste breit. Wie glücklich sie war! Mag war verzückt. Unter diesen Umständen konnte Mag ihr nicht mal diese böse Aussage übel nehmen. „Mum, guck! Darf ich Schuhe haben?“, Beirut kam angeflitzt mit vierzehn Zentimeterabsätzen in den Händen. Stolz hielt sie diese in die Höhe. Mag begann zu lachen. „Die Absätze sind größer als deine Füße.“
Auch Steff strahlte das Kind an. Sie war ein süßer Fratz und so friedlich. Zumindest heute…bis jetzt. Doch was da für eine Diva heranwuchs! Unfassbar. Von wem konnte sie das bloß haben? Von Mag sicher nicht.
„Entschuldige die Verspätung, Schätzchen!“, kam Niclas ohne ein Wort der Begrüßung hereingestürzt und küsste Stefanie auf den Mund. Er nickte Mag nur kurz tonlos zu und wendete sich wieder seiner Ehefrau in Spe zu. „Wie findest du das Kleid?“, Steff drehte sich erneut und wartete gespannt auf seine Reaktion. Er schwieg, doch seine Mundwinkel verzogen sich etwas. „Nicht gut?“, fragte Mags beste Freundin überrascht, denn sie hatte sich schon mit dem Kleid vor dem Altar ja sagen hören.
„Okay, dann müssen wir wohl weitersuchen.“, seufzte sie und blickte durch den Laden.
„Suchen wir auch für dich?“, fragte Beirut und zog an der zu weit gewordenen Jeans der Mutter. „Nein, für mich nicht. Zumindest nicht hier.“
„Und ich?“
„Du bekommst auch ein neues, schönes und du darfst es dir sogar selbst aussuchen. Aber auch nicht hier. Wir gehen nachher noch gucken, ja?“
„Jetzt!“, Beirut nahm einen Befehlston an.
„Nein, später.“
Mag entfernte sich etwas von dem verlobten Paar und sah sich selbst um. Ein Paradies. Weiße Kleider wohin das Auge reicht. Doch auch rote und cremefarbene schimpften sich Brautkleider. Rot?! Wer heiratete denn bitte in rot?
Mag war überrascht, wie traditionell sie doch war. So lernt man sich eben doch immer wieder neu kennen. Sie suchte sich durch verschiedene Modelle, Beirut im Schlepptau, und blieb bei einem stehen, welches in der hintersten Ecke versteckt vor sich hin glänzte. Es war schön. Sehr schön. Mag verliebte sich nahezu in das Kleid. Doch warum war es so versteckt? Man konnte es nur sehen, wenn man sich an den Anproben vorbei vor einem Abstellraum verirrte. Mag strich über den samtigen Stoff und stellte sich vor, wie sie wohl darin aussehen würde.
„Eine gute Wahl, Miss.“, wurden ihre Träumereien von einer netten, etwas rauchigen Frauenstimme unterbrochen. Mag schüttelte sich innerlich. „Ich…Ich will gar nicht heiraten. Ich habe nur geschaut.“
Die Frau mittleren Alters stellte sich neben sie, reagierte gar nicht darauf, dass Mag sich gerade als mögliche Kundin selbst ausgeschlossen hatte. „Es sieht fast aus, als sei es das Kleid von Sissi persönlich, nicht wahr?“
„Ja, aber warum steht es so unpraktisch hier? Man könnte fast vermuten, es soll nicht verkauft werden.“
„Das ist eine komische Geschichte. Als das Kleid angeliefert wurde, war ich sofort wie vernarrt.“, der Blick der Verkäuferin hing an dem Traum in weiß, „Es hat von mir sofort einen Ehrenplatz am Schaufenster bekommen, doch irgendwie wollte es niemand haben. Wie ein Fluch, alle haben durch es hindurchgeguckt. Irgendwann wollten wir es zu einem unverschämt billigen Preis verhökern. Ende der Geschichte ist, dass wir es nicht verkaufen konnten und nun steht es hier seit zwei Jahren. Aber ehrlich gesagt, hätte ich die Chance noch einmal zu heiraten, sollte es in keinem anderen sein. Meine Kolleginnen wollen es regelmäßig wegtun, doch ich hüte es wie einen Schatz. Eines Tages wird es jemand kaufen und darin wie eine Göttin aussehen. Da bin ich mir sicher.“
Mag lächelte die Frau an. Sie hatte Recht. Es war ein besonderes Exemplar. Doch warum wollte es keiner?! Was hatten die Leute gegen altbewährte Traditionen?
„Würde ich nun heiraten, wäre es auch meine erste Wahl.“
Die beiden Frauen strahlten sich an und hatten das Gefühl sich fast wortlos verstehen zu können.
„Mama, das dein Kleid?“, Beirut nahm mit Schwung ihren Daumen in den Mund und hielt sich wieder an der Jeans fest.
„Nein, lass uns gehen Schatz.“, sie wendete sich noch einmal der Frau zu, „Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen.“
Einen weiteren kurzen Blick zu Steffi, die gerade gar nicht glücklich aussah. Sie winkten sich einverständlich zum Abschied und Mag mit Tochter verließen einvernehmlich Hand in Hand den Laden.
„So Beirut. Jetzt erstmal ein schönes Eis!“
„Ja!“, Beiruts Augen wurden einen Zentimeter größer. „Eis, Eis, Eis, Eis…“, parodierte sie im Gleichschritt hüpfend. Die nächste Eisdiele war glücklicherweise nur ein Katzensprung, sonst hätte Mag ihre Liebste wieder zum Schweigen bringen müssen. Irgendwie hatte sie momentan schwache Nerven und da kam ihr Beiruts Drang immer und überall Lärm zu verbreiten nicht unbedingt zu Gute. „Guten Tag die Damen. Sie wünschen?“
„Eis!“, kam prompt.
Der dicke Eismann lachte, „Das kannst du natürlich gerne haben. Aber welche Sorten?“
Mag nahm Beirut auf ihren Arm, damit diese die vielen Eissorten überhaupt überschauen konnte. „Das, das, den, das….“
„Na, Beirut, entscheide dich mal für Zwei, hm?“, bremste Mag kichernd. Eins Stand fest: Beirut würde in ferner Zukunft nicht viel Taschengeld bekommen. Ausgeben konnte sie dafür viel zu gut.
Diese blies beleidigt die Backen auf und begann quengelig zu werden. „Hey, du bekommst gleich gar nichts, wenn du so weiter machst.“
Mag war langsam an einen Punkt angelangt, wo es ihr schwer viel, ruhig zu bleiben.
Zu allem Übel begann Beirut zu weinen, da ihr ihr Eis nun in so greifbarer Nähe doch noch verwehrt wurde. Richtig zornige Tränen kullerten ihre dicken Pausbacken hinab und sie schrie aus vollem Halse. „Beirut! Hör sofort auf!“, auch Mag wurde zornig und nahm ihre Hand, welche schon durchnässt war, da sie sich diese über die Augen gedrückt hatte. Mag hockte sich zu dem Kind. „Du bekommst heute gar nichts. Wir fahren Heim!“, zischte sie.
Mit großen, nassen Augen blickte die Vierjährige ihre Mutter an und verstand endlich den Ernst der Lage. Sie schluckte und hakte ihre Hände in die große Ledertasche.
„Mama!“
„Nichts Mama, du hast mich sehr verärgert!“
„Mir tut das Leid.“, ihre Stimme klang ernsthaft reumütig. Hoffnungsvoll wartete sie darauf, dass die Mutter Gnade vor Recht ergehen ließ.
„Na, gut. Du bist auf Bewährung. Wir werden jetzt erst nach deinem Kleid gucken gehen, und wenn du dich dabei gut benimmst, bekommst du danach dein Eis. Okay!“
„Au ja!“, Beirut fielen mehrere Steine vom Herzen. Sie hatte immer noch die Chance auf ein Eis!
Mag seufzte. Wie schön die Zeit doch war, wo ein Eis mehr erfreuen konnte als alles andere. Es stellte sogar ein neues Kleid in seinen Schatten. Beneidenswert, das Sorgenlose Leben eines Kindes.
Doch zu dieser Eisdiele würden sie sicher nicht mehr kommen. Ganz schön geschämt hatte sich Mag für das Verhalten der Kleinen. Das sie mal wieder nachgegeben hatte, passte ihr dazu überhaupt nicht.
Nun nahmen sie sich die Zeit und klapperten die nächstgelegenen Läden ab. Beirut hatte genaue Vorstellungen: Rosa musste es sein! War doch klar!
Mag verzog bei dem Gedanken ihr Gesicht, doch sie hatte ihrer Tochter Entscheidungsrecht gegeben. Da diese aber immer nach Mamas Meinung fragte, was Mag ungewöhnlich fand, hätte sie in ihrem Alter nie getan, hatte sie doch ein wenig Gewalt, um in das Geschehen einzugreifen. Mag hatte das Gefühl, Beirut wählte die Kleider nur nach dem Farbkriterium aus. „Schööööön!“, rief sie jedes Mal und hielt den Stoff in die Höhe. Rüschen? Oh, bitte nicht.
Nach ewig langem Bummeln hatten sie endlich ein passables Exemplar gefunden, womit beide glücklich waren. Es war rosa, und hatte einen schönen, kindlich verspielten Schnitt, der Mag sehr zusagte. Es betonte das Süße in Beirut. Es war zu putzig. Doch bei dem Geld, was Mag hatte dafür hinblättern müssen, hatte sie geschluckt. Dabei würde das der Kleinen nicht mal lange passen. Eine Schande war das. Doch im Anbetracht der blattgelatschten Füße und dem Stresspegel konnte sie das einmal verschmerzen. Beirut bekam sonst relativ wenig im Gegensatz zu anderen Kindern. Das wusste Mag. Aber sie setzte auf die gleiche Methode wie ihre Mutter damals: Kinder sollten nicht zu sehr verwöhnt werden. Irgendwann fehlt ihnen die Dankbarkeit und sie haben keine Ahnung von Wertschätzung.
Und das war Beirut, was man heute kaum zu glauben wagte, schon deutlich anzumerken. Wenn Mag etwas von ihren Geschäftsreisen mitbrachte, war sie so überglücklich und den ganzen Abend vollkommen erfüllt und das hielt die ganzen nächsten Tage an, während Lili, die kleine Nichte Steffis, schon immer beteuerte, dass sie sich nicht auf ihren Vater freute, sondern auf die Geschenke, die er von jeder Reise mitbrachte. Horrorvorstellung. Mag war ganz froh, dass sich Beirut so ehrlich freute, wenn sie heimkam.
Dies war auch jetzt wieder zu spüren. Beirut freute sich so über den neuen Fummel, dass sie das Eis komplett vergessen hatte. „Vielen Dank für Blumen. Vielen dank lieb von dir!“, sang sie den ganzen Weg über die Kopfsteinpflaster und hielt ihre Tüte fest in den Armen, damit dem guten Stück nichts passierte. Mag musste kichern. Singen konnte die Kleine nicht und Texte sich behalten auch nicht. Wie oft hatte sie schon Tom und Jerry geguckt? Aber es war zu niedlich.
Auch wenn Beirut es vergessen hatte, wollte Mag ihr Versprechen wahr machen und ihr noch ein Eis kaufen.
„Vielen Dank für Blumen. Vielen dank, lieb von dir!“, sang sie weiter, während sie, ohne das sie es ahnte, unterwegs zur Eisdiele waren.
Vor ihnen entdeckte Mag plötzlich eine Gestalt und glaubte, sie als Helena zu identifizieren. Was machte die denn hier? Sie begann zu winken und ihren Namen zu rufen. Helena schwang ebenfalls ihren schmalen Arm in die Luft und warf ihn hin und her. „Mag, schön dich zu treffen. Hallo Beirut, wie geht’s dir?“, sie beugte sich herunter und sah dem Kind in die Haselnussaugen. „Wie alt bist du denn jetzt.“
„So alt!“, sie hob vier Finger in die Luft. „Vier? Mensch bist du groß geworden und hübsch bist du auch noch.“
Beirut zeigte erfreut ihre Milchzähne. „Was hast du denn da in der Tüte?“
„Mein Kleid. Willst du gucken?“, bot Beirut ihr freundlich an und holte das Kleid aus der Papiertüte. „Pass auf, dass du damit nicht an den Boden kommst.“, ermahnte Mag und beobachtete die Kleine, wie sie mit sich und der Tüte kämpfte.
„Oh, sehr schön.“, beteuerte Helena, „damit wirst du aussehen, wie eine Prinzessin.“
„Ich will wie Jasmin“
„Schöner, Beirut, schöner.“, kicherte Mags Arbeitskollegin. Jasmin aus Aladin war Beiruts Lieblingszeichentrickfigur. Mag bevorzugte es, ihrer Tochter nur alte Zeichentrickfilme und Serien zu zeigen. Meistens von Disney. Diese animierten Neuerscheinungen hielt sie nicht für das Richtige. Außerdem war es schade, wenn den Kindern von Heute diese äußerst wertvolle Filmkunst durch die Lappen gehen würde.
„Wo wollt ihr denn gerade hin?“
„Zur Eisdiele.“, Mag half das Kleid wieder ordentlich in die Tüte zu packen.
„Schön, dahin lade ich euch ein.“, beschloss Helena und erwartete gar keine Widerrede.
Und so setzten sie sich in ein schönes Eiscafe. Beirut stöberte verzückt die Karte durch und die beiden Frauen genossen die spätherbstliche Sonne. „Halten wir dich eigentlich gerade irgendwie auf?“, fragte Mag und fing die leere Zigarettenpackung auf, bevor sie sich vom Wind getragen auf und davon machte. Helena sog genießend den Rauch in ihre Lunge. Mag hoffte nur, dass weder Beirut noch sie etwas von dem Qualm abbekommen würden.
„Nein, ich war auf der Suche nach einem Geschenk für Stefanies Hochzeit. Sie hat sich von mir ein Waffeleisen gewünscht und ich wollte da schon ein bisschen Qualität haben, versteht sich. Aber ich habe ein Schnäppchen gemacht, da hab ich mir auch gleich eins mitgenommen.“
Mag nickte. Als Trauzeugin würde sie wohl mit etwas größerem ankommen müssen als einem Waffeleisen. Doch da sie und Steff schon seit ewigen Zeiten Freunde waren und auch Niclas viel mit ihnen erlebt hatte, hatte sie genügend Bilder und Videos, die sie zu einem Film verarbeiten wollte. War ein typisches Geschenk, doch sie hoffte, dass es Stefanie gefallen würfe. Offen für so Gefühlsduseleien war sie auf jeden Fall.
„Mum, das ist Biene Maja!“, Beirut zeigte auf ein bunt verziertes Eis. „Ja, und da ist Mickey Mouse. Welches möchtest du denn, Schatz?“
„Hm, das da!“
„Aber nein, da ist Likör drinnen, das geben die dir gar nicht, bleib auf den Kinderseiten, ja? Warum nimmst du nicht einfach die Biene Maja.“
„Gut!“
„Okay, und was magst du, Helena?“
„Einen Eiskaffee, denke ich.“
„Dann werde ich bestellen gehen, irgendwie scheinen die Kellner viel zu tun zu haben.“
Mag stand auf und verließ den Tisch. Helena wartete, bis sie ein paar Meter weg war und lehnte sich etwas zu der Kleinen herüber. „Sag mal, Beirut, kennst du eigentlich deinen Papa?“
Beirut schüttelte den Kopf und spielte weiter an der Karte herum. „Was hat Mama dir denn bisher von ihm erzählt?“
Beirut sah auf und hatte einen etwas schockierten Gesichtsausdruck: „Ich habe keinen Papa!“
„Also hast du noch nie etwas von ihm gehört?“
Beiruts Blick wurde fragender. Das Mädchen verstand nicht, warum sie damit immer konfrontiert wurde. Auch Lili hatte sie damit verwirrt. Lili hatte doch tatsächlich behauptet, dass Beirut einen Papa haben muss, dabei konnte das doch gar nicht sein. Sie hatte nur eine Mama.
„Ich habe nur meine Mum“, erklärte sie als Endresultat.
„Entschuldigt, ich war noch schnell auf Toilette.“, Mag setzte sich wieder zu den anderen und wie auf ein unausgesprochenes Kommando kam der Kellner mit der Bestellung. „Biiieeene Maja!“, freute sich Beirut und klatschte in die Hände.
Einen Moment lang waren alle mit ihren Köstlichkeiten beschäftigt und hingen schweigend ihren Gedanken nach, bis es aus Helena herausplatzte.
„Oh, jetzt sag schon. Die Gala ist jetzt zwei Wochen her und aus deinem Mund hab ich noch nichts davon gehört. Nichts! Wie war es denn?“
Mag sah schockiert auf, beruhigte sich langsam und überlegte ihre Worte. „Es war schön, ich habe eine alte Klassenkameradin getroffen. Das war eine gelungene Abwechslung.“
„Das sagst du jedes Mal. Den Satz kann ich schon auswendig. Ich weiß, dass du Kyle dort getroffen hast. Immerhin ist er unser neuer Chef und du wirst ihm in Kürze nicht mehr aus dem Weg gehen können. Also erzähl doch endlich! Hat er dich erkannt? Wie hat er reagiert? Wie geht es dir?“
Mag seufzte. Sie hatte keine Lust darüber zu reden. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken. Doch das war natürlich unmöglich. Durch Helena wieder daran erinnert, lief die letzte Szene vor ihrem inneren Auge ab. Sie hatte Kyle tatsächlich ihren wahren Namen ins Gesicht geschmettert. Seine Reaktion war ernüchternd gewesen. Sie hatte sich zum Gehen gewendet und er war ihr nicht gefolgt. Sie hatte lange seinen Blick im Nacken gespürt, hatte sich danach gesehnt, sich umzudrehen, doch hatte es nicht getan. Was dachte er nun? Konnte er den Namen zuordnen? Empfand er Hass oder Gleichgültigkeit? Was war es? Natürlich war sie neugierig und äußerst aufgeregt, wie es am Montag werden würde. Doch erst kam seine Einweihungsfeier auf sie zu, die am Samstagabend stattfinden sollte.
Wieder hätte sie ihre liebste Beirut zwischenparken müssen. Dieses mal bei ihrer geliebten Oma Maggan. Dort war Beirut auch glücklicher, aber diese hatte nur selten Zeit. Die Wechseljahre hatten Mags Mutter einen erneuten Aufschwung gegeben. Nun trieb sie sich mehr mit irgendwelchen Typen herum, als ihre zweiundzwanzigjährige Tochter, die sich manchmal sowieso für ihr Alter viel zu erwachsen vorkam. Sie vermisste die Zeit, in der man unbesorgt dem Leben nachhängen konnte. Doch passend dazu hatte sie beschlossen, der Einweihungsfeier nicht beizuwohnen und hatte sich krank gemeldet. Ob es Feigheit war? Wahrscheinlich. Aber so konnte sie ein Wochenende mit ihrem kleinen großen Schatz verbringen. Viel zu oft musste sie woanders schlafen, was Mag sowieso jedes Mal einen Stich ins Herz gab. Es war furchtbar.
„Mama, wer ist Kyle?“, fragte Beirut, die es immer noch nicht übers Herz gebracht hatte, den Waffelflügel der kleinen Biene abzutrennen. Mag hatte ebenso die ganze Zeit in ihrem Eisbecher herumgerührt, wodurch das Eis nun zu einer cremigen Masse mutiert worden war.
„Mein neuer Chef, Liebling.“, erzählte sie kurz und blickte zu Helena auf, um sie mit warnenden Augen davon abzuhalten etwas anderes zu behaupten. Es war schon traurig genug, dass so viele ihre Geschichte kannten.

*
Sie hatte Beirut pünktlich im Kindergarten abgeliefert und brachte sich nun selbst zur Arbeit. Sie hatte Bauchkribbeln. Alle Mitarbeiter hatten Kyle nun auf der Einweihungsfeier kennen gelernt. Wie er wohl gekleidet gewesen war? Ob seine Rede gut gewesen war?
Oh, nein. Warum hatte sie sich das nur entgehen lassen? War sie von allen guten Geistern verlassen?!
Sie schlug sich auf die Stirn. Himmel. Sie musste sich zusammenreißen. Nach ihrem Outing würde er ihr sowieso höchstens die Klos schrubben lassen, bis die Kündigung zwischen Wassereimer und Wischmopp im Dreck lag. Ihre Vergangenheit hatte sie in der Tat eingeholt.
Sie betrat das Gebäude und stempelte am Empfang ab, dass sie überpünktlich anwesend war. Die Empfangsdame, Marion, gönnte ihr an diesem Morgen lediglich ein Nicken.
Mag wurde das Gefühl nicht los, die ganze Zeit über angestarrt zu werden. Von allen Seiten. Bildete sie sich das nur ein? Es konnte doch nicht sein, dass sie alle Kollegen im Fahrstuhl anglotzten oder?
Es kam ihr vor, wie ein Segen, wenn der Fahrstuhl hielt und immer mehr Menschen den engen Raum verließen, bis sie schließlich alleine dort stand. Sie starrte in den Spiegel an der Wand gegenüber. Ihr geglättetes Haar glänzte heute besonders schön und ihr Kostüm mit dem Rock stand ihr, als hätte sie ihn schneidern lassen, dennoch gefiel sie sich heute gar nicht. Sollte sie ihre Haare wieder wachsen lassen? Standen ihr ihre Locken vielleicht doch? Sie war ratlos.
Als der Aufzug auch in der obersten Etage seine Foren öffnete, war es wohl zu spät sich darüber Gedanken zu machen.
Mit heftigem Herzklopfen ging sie an dem Büro vorbei, was nun wohl Herr Avery bewohnte und huschte schnell durch ihre Tür. Mit Schwung schloss sie die weiße Trennwand wieder und atmete tief durch.
„Du hast es heute Morgen aber eilig.“, hörte sie Herrn Scholz lachen und sie drehte sich zu ihm um, „schön, dass es dir wieder gut geht, Mag.“
„Ja, alles bestens.“, verwirrt schaute Mag durch den Raum. Welch Chaos herrschte denn bitte in ihrem Büro. War das ein Scherz?
„Na, was guckst du denn so verwundert?“
„Es ist für mich nicht alltäglich mein Büro so entstellt zu sehen.“
„Ja, das liegt daran, dass meine alte Assistentin, Helena, meine neue Assistentin ist. Herr Avery hat mich darum gebeten. Du bist seine neue Assistentin. Dein neues Büro befindet sich gegenüber.“
„Herr Scholz…“, Mag stockte der Atem. Das war fast wie in ihrem Albtraum, den sie letzte Nacht gehabt hatte. Unheimlich. „Du warst ja am Samstag nicht da.“
Das klang ja fast Vorwurfsvoll. „Aber wieso will er das? Was…ich verstehe das nicht.“
- Das Schicksal spielt mir einen gemeinen Streich – ergänzt sie im Stillen.
„Dann werde ich mal meine Sachen packen und rüber gehen.“, gab sich Mag geschlagen. „Sind schon drüben.“, grinste Herr Scholz, „och, Komm her. Lass dich mal drücken.“, er nahm Mag in seine Arme und drückte sie fest gegen seinen Bierbauch.
„Mir fällt es auch nicht so leicht mein Temperamentsbündel herzugeben, aber er hat nun mal siebzig Prozent des Unternehmens und ich nur dreißig.“
Mag nickte. Das war es wohl. Wie konnte Kyle nur so erfolgreich sein? Er hatte es tatsächlich geschafft. Eigentlich hätte er da tatsächlich genug Geld, um für Beirut Unterhalt zu zahlen, aber nachdem er sich nicht mal darum gekümmert hatte, ob Mag die Wahrheit sagte, war ihr das zu blöd gewesen. Und im Nachhinein war es ihr eine Genugtuung, dass sie auch ohne ihn klargekommen war. Bestens!
Dabei musste man sich überlegen, dass er eine siebzähnjährige schwanger sitzen gelassen hatte. Er hatte ihr nicht einmal die Chance gegeben sich zu erklären.
Schon wieder hing sie ihren Gedanken nach.
-Du willst doch nicht gleich am ersten neuen Arbeitstag zu spät kommen- sagte sie sich und öffnete langsam die gegenüberliegende Tür. Ihre Sachen waren tatsächlich schon hier. Doch im gleichen Durcheinander wie drüben waren sie nur lieblos auf allen möglichen Möbeln abgelegt worden. Da hatte sie einen Tag mit zu tun. Sie ordnete die Ordner im Regal immer chronologisch und nun flogen die Hälfte auf dem Tisch und die andere auf dem Regal. Der Rest an Zeug war in Kartons geräumt. Das war ja schlimmer als bei ihrem Auszug aus Hotel Mama. Da hatte sie weniger Zeug gehabt.
Sie zog ihren Blazer aus und hängte ihn über den Lederstuhl. Dann begann sie mit ihrem Schreibtisch. Eigentlich machte sie so was sehr gerne. Sie liebte es ihre Wohnung ständig neu umzuräumen. Auch wenn das nur Kommode verschieben war. Beirut mochte diese Eigenart der Mutter gar nicht. So fand man sich doch nie zurecht.
Sie beendete ihre einstündige Arbeit mit dem Bild von Beirut, welches sie, als sie sah, dass sich die Tür öffnete mit einem kleinen Schubs in die Schublade fallen ließ. Ihr Herz rutschte in den Rock, während sie sich darüber ärgerte, dass sie nun Beirut auch noch verheimlichte. Langsam leuchtete es ihr ein. Kyle wollte sie als Assistentin, um sie zu schikanieren und sich an ihr zu rächen. Das musste es sein.
Ihr Kopf. Ihre Gedanken waren leer, als sie Kyle mit seiner altbekannten Geste, den Händen in den Hosentaschen, in den Raum treten sah.





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