Der Traum vom glücklichen Leben

Autor: Aerzte-Monster
veröffentlicht am: 17.10.2009




'Beiße niemals die Hand, die dich füttert.'
Im Heim wurden die Betreuer nach Stationen aufgeteilt, jeweils zwei Betreuer pro Station. Wir hatten die schlimmsten Betreuer von allen. Mona schien nie jung gewesen zu sein. Sie erlaubte uns nicht abends um acht ins Kino zu gehen oder mal bis elf fernzusehen. Aber Rosa war tausendmal schlimmer. Sie war um die 120 Jahre alt und hatte keine Probleme uns zu schlagen, wenn wir mal nicht gehorchten. Besonders gegen mich schien sie etwas zu haben. Ich hatte oft genug blaue Flecken und rote Stellen auf den Wangen, wegen denen Alice jedesmal total ausflippte und schwor, Rosa bei der nächsten Gelegenheit umzubringen.

'Jeder gute Menschen tut mal Sachen, die er bereut. Bereut er sie nicht, ist er kein guter Mensch.'
Ich glaube, es war ein Dienstag, als ich das Bild meiner Großmutter fand. Es klebte an meinem Spint. Über ihrem rundlichen Gesicht war ein Pfeil und die Aufschrift 'Hurenmutter'. Ich kämpfte mit den Tränen, als ich das Foto fand. Meine Großmutter war immer mein Idol gewesen, meine Hoffnung, die Quelle, aus der ich meine Kraft schöpfte. Ich konnte nicht ertragen, dass so mit ihr umgegangen wurde. Ich nahm das Bild in die Hand und drehte mich um. Hinter mir stand Ema und grinste mich böse an. Ich atmete tief durch, um nicht die Fassung zu verlieren und verschwand auf der Mädchentoilette. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Denn auch wenn es weh tat, wieder und wieder an seinen unglaublich niederträchtigen Blick denken zu müssen, wusste ich doch, dass ich niemals aufhören konnte ihn zu lieben.

'Manche Chancen bekommst du nur einmal in deinem Leben. Trotzdem solltest du gut überlegen, ob du sie ergreifst.'
Nicht mal eine Woche später klebte wieder etwas an meinem Spint. Es war ein kleiner weißer Umschlag. Mir kamen schon wieder die Tränen vor Angst einer weiteren Beschimpfung meiner Großmutter. Mit zittrigen Händen öffnete ich den Umschlag. Darin war ein kleiner gefalteter Brief, auf dem in ordentlicher Schrift stand:
'Es tut mir so furchtbar leid. Ich wollte dir dieses Bild gar nicht an den Spint kleben.Aber du weißt ja, wie es in unserer Klasse zugeht. Hätte ich es nicht getan müsste ich Angst um meine Beliebtheit haben. Ich kann wirklich verstehen wie du dich da gefühlt haben musst. Ich glaube, bei dir und deiner Großmutter ist es wie bei mir und meinem Vater. Wir verstanden uns total gut. Leider ist er vor 3 Jahren an Krebs gestorben. Es hat mir das Herz gebrochen, dich so zu sehen.
Aber ich schreibe dir diesen Brief nicht nur, weil ich mich entschuldigen möchte. Nein, ich möchte dich auch etwas fragen. Wenn es dich interessiert, komm heute Abend um 6 vor die Schule. Wenn es dich nicht interessiert, musst du nicht kommen. Ich fände es aber sehr schade…
Ema.'
Ungläubig starrte ich die paar Zeilen an. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber ganz sicher nicht mit so etwas.
Als ich nach der Schule alleine im Schlafsaal auf meinem Bett saß und meine Augen nicht von dem Brief lösen konnte, kam Anne herein. Sie lächelte mir zu. Wortlos setzte sie sich zu mir und las den Brief. 'Und?', fragte sie mit gedämpfter Stimme 'Wirst du hingehen?' Ich zuckte mit den Schultern. 'Was würdest du tun?' Ich sah sie fragend an. Sie lächelte und strich sich die braunen Haare aus dem Gesicht. 'Die Entscheidung kann ich dir wirklich nicht abnehmen. Tu was dir dein Herz sagt.' Dann nahm sie mich in den Arm.







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