Braune Augen sind gefährlich, aber in der Liebe ehrlich...

Autor: its mee_
veröffentlicht am: 28.08.2009




Am nächsten Morgen brummte mein Kopf, als würde sich ein Schwarm Bienen darin befinden. Dabei hatte ich abends bloß ein Glas Wein mit meinen Eltern getrunken. Zur Feier unseres erfolgreichen Umzugs, der nun knapp ein Monat zurücklag. Mir kam die Zeit wie eine halbe Ewigkeit vor.
Seufzend kroch ich aus dem Bett. Ich hatte Montage immer schon gehasst. Sie waren schier unerträglich. Nach einem langen, wunderbaren Wochenende wurde man plötzlich und ohne, dass man etwas dagegen tun hätte können, in den harten Alltag hineingerissen, der aus Sorgen, Problemen und Komplikationen bestand. Natürlich nicht nur, aber großteils. Oh ja, und wie ich Montage hasste.
'Nela, beeil dich!', rief meine Mutter aus der Küche. Ich verspürte kaum Lust mich zu bewegen, geschweige denn mich zu beeilen. Meine müden Knochen sehnten sich schon wieder nach dem warmen, gemütlichen Bett und meine Augen drohten jede Sekunde wieder zuzufallen.
Nachdem ich mich angezogen und meine Morgentoilette erledigt hatte, wurde ich etwas frischer, aber eben nur etwas. Ich war Morgenmuffel aus Überzeugung, was meine Mutter auch nicht mit einem leckeren Frühstück zu ändern vermochte. Obwohl sie sich wirklich bemüht hatte. Der Tisch war so köstlich gedeckt, wie normalerweise nur am Sonntag, wenn die ganze Familie zusammen frühstückte.
'Haben wir heute irgendeinen besonderen Feiertag?', fragte ich Mum verwirrt. 'Keinen offiziellen', verkündete sie mit strahlender Miene. Und das an einem frühen Montagmorgen. Mir wurde übel.
'Mum, was ist los?', fragte ich und setzte mich an den Tisch. Obwohl ich normalerweise in der Früh keinen Biss hinunterbekam, nahm ich mir meiner Mutter zuliebe ein Stück Brot und kaute darauf herum. 'Ich habe einen neuen Job', verkündete Mum auf einmal und ich sah das fröhliche Funkeln in ihren Augen. 'Du hast was?', ich war mir nicht sicher, ob ich mich für sie freuen sollte.
Vor meiner Geburt war sie irgendwas in Richtung Sozialpädagogin gewesen. So genau hatte mich das nie interessiert. Jedenfalls hatte sie ihren Job mir und Jonas zuliebe aufgegeben und war seitdem ich denken konnte mit Leib und Seele Hausfrau. Ich konnte mir meine Mutter nicht als arbeitende Karrierefrau vorstellen.
'Jonas und du seit mittlerweile alt genug und braucht mich nicht mehr den ganzen Tag. Ich bin jetzt schon so lange zuhause und irgendwie habe ich mich immer danach gesehnt wieder arbeiten zu gehen. Und jetzt mit dem Umzug hat sich diese Chance für mich aufgetan meinen Beruf als Sozialarbeiterin erneut aufzugreifen. Ganz in der Nähe hatte ich gestern ein Vorstellungsgespräch und nun ja. Sie haben sofort zugesagt', erzählte sie mit einem glücklichen Lächeln.
'Toll, Mum', meinte Jonas, aber ich sah den Zweifel in seinen Augen. 'Warum hast du gestern nichts gesagt?', wollte ich wissen. 'Ich wollte es dir und Jonas gemeinsam erzählen', erklärte Mum und damit schien für sie alles gesagt. Sie sah auf die Armbanduhr und erschrak, als sie bemerkte, wie weit der Zeiger schon vorgerückt war. 'Nela, du solltest jetzt losgehen. Du möchtest doch nicht zu spät kommen, oder?', sagte sie und verschwand aus der Küche, um Jonas Schultasche zu holen.
'Wird jetzt alles anders?', fragte Jonas mich ängstlich, als Mum außer Hörweite war. 'Ich weiß es nicht, Süßer, ich hab echt keine Ahnung', zuckte ich hilflos mit den Schultern. Dann machte ich mich ohne Verabschiedung auf den Weg zur Schule. Oh ja, wie ich Montage hasste.

'Hallo Nela', begrüßte mich Miri erfreut, als ich das Schultor passierte. Ich nickte ein paar Klassenkameraden zu, die an mir vorbeigingen und begrüßte Miri dann ebenfalls. Mir kam das seltsame Telefongespräch vom Vortag wieder in den Sinn. 'Alles in Ordnung?', fragte ich sie ehrlich besorgt. 'Klar, alles bestens', sagte sie lächelnd, hakte sich bei mir ein und zog mich mit in Richtung unserer Klasse. Dabei fiel mir auf, dass sie humpelte. Ich merkte, dass sie sich leicht auf meinen Arm stützte. 'Tut dein Fuß weh?', fragte ich sie verwundert. Überrascht blickte sie mich an. Noch eine Verletzung fiel mir auf. Ihr Kiefer war leicht bläulich und geschwollen. 'Nein, wie kommst du den darauf?', fragte sie betont gleichmütig, aber ihr Lächeln war diesmal schmerzverzerrt. Nicht überzeugt folgte ich ihr in den Unterricht. Wenn sie es mir nicht von selber sagen wollte, dann würde ich auch nicht nachbohren. Doch ein schrecklicher Verdacht schlich sich in meine Gedanken. Hatte es etwas mit ihrem Aufschrei gestern am Telefon zu tun? Sie hatte Leons Namen gerufen. Jedoch konnte es nicht sein, dass er für die Schmerzen seiner Schwester verantwortlich war. Oder?Ansonsten verging der Vormittag recht ereignislos. In meinem Kopf schwirrten die die Gedanken in einem einzigen Chaos herum. Ausnahmsweise hatte ich nicht die Kraft dem Unterricht zu folgen, ansonsten interessierte mich eigentlich immer, was ein Lehrer erzählte. Ich war schon immer eine gute Schülern gewesen, was vielleicht auch der Grund dafür war, dass ich von den Lehrern weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Miri war ebenfalls außergewöhnlich schweigsam. Anscheinend fiel das nicht nur mir auf. Auch andere Leute aus der Klasse kamen immer wieder her und erkundigten sich nach ihrem Ergehen. In der Mittagspause war ich gerade auf dem Weg zum Mädchenklo, als ich ein paar Satzfetzen von einer Clique aus meiner Klasse aufschnappte.
'...fängt er schon wieder damit an...' '....arme Miri und kann nicht...' '...warum sperren sie ihn nicht noch länger...'
Neugierig geworden stellte ich mich zu ihnen. 'Redet ihr gerade über Miri?', fragte ich Leonie, die sich nicht so heiß an der Diskussion beteiligte. Mittlerweile waren allerdings auch die anderen verstummt. 'Ähm...ja', erwiderte sie zögernd und warf ihren Freunden einen schnellen Blick zu. 'Belauscht du uns?', sprach mich ein Junge namens Niko missmutig von der Seite an. Ich kannte die Leute kaum, hatte noch nicht viel mit ihnen zu tun gehabt. Aber einschüchtern hatte ich mich noch nie lassen. Und schon gar nicht, wenn es um meine Freunde ging. 'Ich hab nur beim Vorbeigehen ein bisschen was aufgeschnappt', sagte ich bemüht freundlich, 'Ich mach mir einfach Sorgen um Miri. Habt ihr eine Ahnung, was los ist?'
Charlotte, ein weiteres Mädchen in der Runde, seufzte. 'Ich denke mal, du als ihre Freundin, hast mitgekriegt, dass ihr Bruder aus dem Knast zurückgekommen ist, nicht?' Ich nickte.'Es begann vor zirka vier Jahren in der sechsten Klasse', fing Niko an zu erzählen, 'Wir waren es gewöhnt von Miri, dass obwohl sie eigentlich nicht sehr tollpatschig war, öfter mal mit einem blauen Fleck oder ähnlichen kleinen Verletzungen zur Schule kam, immer mit der Erklärung, sie sei wo gestolpert oder dagegen gerannt. Damals haben wir ihr das noch alle abgenommen. Aber als wir ungefähr zwölf waren, verschlimmerten sich diese kleinen Unfälle. Man traf sie fast nur mehr mit einem geprellten Arm, einem verstauchten Knöchel oder einem blauen Auge an. Sie blieb bei ihren Erklärungen von Unfällen, aber keiner glaubte ihr mehr so recht. Die Lehrer fingen spätestens dann an zu fragen, als sie immer öfter krank geschrieben wurde und nach einiger Zeit mit blauen Flecken überall und gebrochenen Knochen in die Schule kam. Alle haben sich Sorgen gemacht, der Direktor hat ihre Eltern zu einem Gespräch unter vier Augen eingeladen, hat ihrem Vater ins Gewissen geredet. Natürlich dachten alle, dass er es wäre, der die kleine Miriam so misshandelte.'Niko machte eine Pause. Leonie, Charlotte und die anderen sahen schuldbewusst auf ihre Schuhspitzen. 'Wir haben viel zu wenig getan damals', sagte Niko traurig, 'Abgewandt haben wir uns von ihr. Nicht direkt absichtlich, aber als sie sich von uns abschottete, haben wir auch nichts getan, um das aufzuhalten. Die lustige, lebensfrohe Miri wurde zu einem schweigsamen Trauerkloß. Erst als ihr Bruder wegen Mordes in den Knast kam, kam auf, dass er es gewesen war, der sie immer geschlagen hatte. Keiner weiß, wieso und warum. Niemand versteht, wie man seine eigene Schwester dermaßen schlecht behandeln kann.'Betretene Stille war eingetreten. Mein Herz hämmerte laut in meiner Brust. Hatte ich mich so sehr in Leon getäuscht? War meine Menschenkenntnis wirklich so schlecht? War er tatsächlich nichts weiter als ein gewalttätiges, mörderisches Schwein? Mein Magen zog sich zusammen, ich bemerkte, dass mir Tränen in den Augen standen. Schnell wischte ich mit der Hand darüber.
'Das habe ich nicht gewusst', krächzte ich heiser. Bildfetzen schossen durch mein Gedächtnis. Miri, die Leon um den Hals fällt und ihm sagt, dass sie ihn liebt. Leon, wie er mich vor meiner Haustür abliefert und mir in der Finsternis tief in die Augen schaut. Leons nackter Oberkörper auf der Treppe bei ihm zuhause. Das glückliche Strahlen in seinen Augen, als auf der Party alle auf ihn anstoßen. Hingegen die Verzweiflung darin, als er mich kurz vor unserem ersten Kuss fragt, ob ich ihn wirklich küssen will, obwohl er einen Jungen ermordet hat. Seine Abfuhr, seine Hände auf meiner Taille, seine Hände in meinen Haaren, seine Lippen auf den meinen, seine Tränen auf den Wangen.
Mir wurde schwindlig, mein Puls beruhigte sich nicht. Mir wurde klar, wie wenig ich von ihm wusste. Und auch wie sehr ich in ihn verliebt war.

Nachdem die letzten Unterrichtsfächer für diesen Tag hinter uns lagen, machten uns Miri und ich auf den Weg zu ihr nachhause. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, bei dem Gedanken Leon wiederzusehen.
Miri schwärmte in den höchsten Tönen von den Sachen, die sie letztens im Einkaufszentrum gesehen hatte und die ich unbedingt heute probieren musste. Auch was unseren bevorstehenden Shoppingausflug anging, hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Eigentlich ging ich gern shoppen. Aber im Moment beschäftigten mich andere Dinge. Vielleicht war Ablenkung jedoch nicht so schlecht. Deshalb sagte ich Miri nichts und tat so, als würde ich mich genauso darauf freuen, wie sie.
Bei ihr daheim angekommen, fiel mir als erstes der leere Beistelltisch neben dem Haustelefon auf. Normalerweise stand da immer eine wunderschöne Vase, kunstvoll verziert und ziemlich wertvoll aussehend. Heute war sie nicht da.
'Wo ist denn eure schöne Vase?', fragte ich Miri beiläufig und merkte, wie sie kurz zusammen zuckte. 'Mum hat sie weggeräumt', sagte sie und zog ihre Schuhe aus. Dabei verzog sie ihr Gesicht vor Schmerz. Erschrocken registrierte ich den dicken, weißen Verband um ihren Fuß.
'Miri! Was hast du gemacht?'
'Nichts. Hab beim Abwasch ein Glas fallen gelassen und bin in eine Scherbe gestiegen', antwortete sie. Ich zog ungläubig eine Augenbraue in die Höhe. 'Und den geschwollenen Kiefer hast du, weil du danach gegen die Tür gerannt bist?', fragte ich. Der ironische Unterton in meiner Stimme war unüberhörbar. 'Das geht dich nichts an', fauchte sie mich an und ging mit erhobenem Kopf in die Küche. Seufzend folgte ich ihr. Es war mir ein Rätsel, warum sie nicht darüber sprechen konnte. Aber wer konnte schon gut zugeben, dass sein Bruder ein Schwein war? Ich wollte ja selbst nicht glauben, dass Leon so schlimm war.







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