Auf und Ab

Autor: Principessa
veröffentlicht am: 06.06.2009




Ich dirigierte Flavio unsere Strasse entlang und zeigte ihm mein zuhause. Die Roller brachten knatternd ihre Motore zum Stillstand. Flavio klappte das Visier seines Helmes hoch und betrachtete mein Haus. Ich wusste nicht, wie ich mich verabschieden sollte. Jess hatte einfach gewunken und war verschwunden. Ganz toll! Sie liess mich hier allein stehen. Ach nein, doch nicht. Sie kam auf mich zu und nahm mich am Arm.
'Komm, wir sollten gehen!'
Ich wandte mich an Flavio: 'Vielen, vielen Dank! Kannst du deiner Mutter meinen Dank ausrichten? Bis Morgen!'
'Na klar! Mach ich! Schau mal, ob du morgen schon wieder zur Schule kommen willst. Wäre besser, wenn du dich noch ein wenig ausruhen würdest! Tschüss!'
Sie liessen die Motore anspringen, winkten noch einmal und bogen dann knatternd um die Ecke.Ich umarmte Jess und verabschiedete mich von ihr.

Als ich die Haustür aufschloss, stand meine Mutter im Flur, die Hände in die Hüfte gestemmt, den Fuss ungeduldig auf den Boden klopfend. Ich lächelte verlegen.
'Carina Anina Hartmann! Warum kommst du erst jetzt? Und wieso gibst du mir nicht Bescheid, wenn du krank bist? Ich war verrückt vor Sorge! Du hättest tot im Strassengraben liegen können, den Kopf völlig verschlagen, vielleicht hätte dich vorher noch ein Bankräuber vergewaltigt und zusammengeschlagen...'
Okay, jetzt übertrieb sie aber.
'Mama, ich könnte NICHT tot im Strassengraben liegen! Erstens, weil es hier keinen Strassengraben gibt, zweitens, weil es hier keine Bankräuber gibt, weil auf unserer Bank so oder so nichts zu holen ist und drittens weil ich krank bin und zwar krank im Sinne von Husten, nicht krank im Kopf!'Sie atmete tief durch. Es sah so aus, als würde sie sich der Lächerlichkeit ihres Vorwurfs erst jetzt bewusst.
'Gut, du magst Recht haben aber nächstes Mal möchte ich, dass du dich bei mir meldest! Hab ich mich klar genug ausgedrückt?'
'Ja Mama.'
'Dann komm. Ich habe dein Lieblingsessen gekocht. Papa möchte, dass du ihm alles haargenau erzählst. Er ist sehr interessiert an dieser Frau, die dich gepflegt hat, er möchte sich dann noch bei ihr bedanken.'
Ich seufzte. Alles noch mal gut ausgegangen.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich tatsächlich bereits wieder so fit, dass ich in die Schule gehen konnte. Noemi war schon eine halbe Stunde zu früh bei mir und wollte alles haarklein erzählt bekommen. Auf dem Weg schätzten wir immer wieder ab, wie wohl unsere Chancen bei Flavio und Leo standen. Noemi beteiligte sich nicht wirklich an unserem Gespräch, sondern telefonierte mit Bastian, ihrem Freund.
In der Schule wiederholte ich unsere Geschichte auf ein Neues für Annik.
Flavio zwinkerte mir zu. Ich schwebte auf meinen Platz. Die Mathelektion begann. Ächz! Eigentlich war ich leicht für Mathe zu begeistern aber heute konnte sie mir echt gestohlen bleiben. Und als mich Herr Merzer so auffordernd anschaute, blickte ich überhaupt nicht mehr durch. Was wollte der von mir? Und warum guckte er auf einmal so säuerlich?
'Das solltest du doch eigentlich wissen, findest du nicht?', sprach er mich an.
Ups! Ich hatte doch nicht etwa laut gedacht?! Ach Mist! So was doofes!
'Carina, würdest du dich bitte zusammenreissen? Wir sind in der Mathe, nicht im Fluchclub!'Hilfe! Schon wieder!
'Entschuldigen Sie, Herr Merzer!'
Ach Mensch! Ich legte den Kopf auf das Pult und liess die Zahlen und Formeln kommentarlos auf mich nieder prasseln.

'Weisst du, ich versteh ja schon, wenn du mit deinen Gedanken bei jemand anderem bist, aber ein gewisses Mass an Konzentration solltest du schon aufbringen können!', schimpfte Annik, 'Sonst müssen wir wieder alles nachholen, weil du nicht aufgepasst hast!'
Da kam uns Livio aus der Parallelklasse entgegen.
'Hi Annik!', grüsste er.
'Hallöchen Livio!', flötete sie und klimperte mit den Wimpern. Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sie sich in ein grinsendes, hirntotes Huhn. Summend - es tönte völlig falsch, was normalerweise nie vorkam - hüpfte sie vor uns her und verpasste dabei die Tür zum Musikzimmer. Genervt zog Noemi sie am Ärmel zurück und schubste sie ins Zimmer.
Der mir so vertraute Geruch schlug mir entgegen. Es roch nach dem Spannteppich am Boden, nach dem Blech der Instrumente und nach den Kabeln der Mikrofone. Herr Kitter sass bereits an seinem Klavier und spielte Tonleitern rauf und runter. Ich wollte mich schon hinstellen, um einzusingen, als er uns bedeutete, abzusitzen.
'Also ihr Lieben, ich haben ein gute Nachricht für euch! Nächste Woche findet bei uns in der Aula und der Turnhalle anlässlich des Frühlingsfestes ein Ball statt!'
Ich spürte, wie ich hochgerissen wurde; die Klasse war aufgesprungen und jubelte.
'Es besteht Abendkleiderpflicht, das heisst für die Jungs Anzüge und für die Mädchen Kleider. Ausserdem kommt ihr immer zu zweit, immer ein Männchen und ein Weibchen zusammen. Wir haben es ausgerechnet, es sollte aufgehen.'
Die Mädchen begannen augenblicklich zu tuscheln. Die Jungs musterten uns abschätzend.
'Das reicht! Jetzt wird gesungen! Aufstehen!'

Als ich aus dem Musikzimmer kam, regnete es. Dicke schwere Tropfen klatschten auf mein Heft, zerplatzten und spritzten mich nass. Ich rannte unter das Vordach. Jess drückte mir ihr Heft in die Hand und krempelte sich die Hosen hoch. Schreiend und kreischend tanzte sie im warmen Frühlingsregen und hüpfte durch die Pfützen. Innert Sekunden war sie klatschnass. Die Haare klebten ihr im Gesicht und ihr T-Shirt hätte man auswringen können.
'Ich dachte, du bist krank!', rief ich ihr zu.
Sie nickte lachend und rief zurück: 'Krank sein macht mich krank!'
Ich schüttelte den Kopf. Sie war so wunderbar verrückt!
In der Toilette zog sie das T-Shirt aus und ihren trockenen Pullover an, die Hosen tauschte sie gegen ihre Trainerhosen für den Sportunterricht.
Wieder im Zimmer, bemerkte ich Flavios Zwinkern, als ich mich setzte.
Und dann begann der Tumult. Von der hinteren Ecke hörte ich zuerst lautes Geschrei und dann die ersten klatschenden Geräusche, die es gibt, wenn man jemandem eine Ohrfeige gibt. Ich sprang auf. Jess stand mitten unter den Prügelnden und versuchte zu vermitteln. Mirko hatte die Haltung eines zum Sprung ansetzenden Löwen eingenommen und musterte Jakob angriffslustig. Dieser blinzelte ihn grimmig an. Schon wieder Mirko! Konnte der eigentlich nie stillsitzen? Und dann auch noch gegen den kleinen Jakob!
'Halt die Klappe Jessica! Misch dich nicht immer ein!', ertönte es von Lucian und Moritz gleichzeitig.Jess fuhr wütend herum, schoss giftige Blitze aus ihren Augen und wandte sich wieder den Prügelnden zu. Mirko hatte Jakob in den Schwitzkasten genommen und holte aus. Jess zerrte ihn von Jakob weg und schubste ihn entschieden an seinen Platz. Die Prügelheinis (Mirko, Lucian und Moritz) wurden wütend. Zu dritt stapften sie auf Jess zu. Sie blieb mit hoch erhobenem Haupt stehen, doch ich konnte erkennen, dass sie sich nicht mehr so wohl fühlte in ihrer Haut. Als Lucian ausholte, um ihr eine Kostprobe seiner Kraft (Ächz!) zu geben, wie er sagte, wurde es mir zu bunt.
'Stopp! Wenn ihr hirnkranken Affen nicht sofort aufhört, werde ich stinksauer! Dann könnt ihr was erleben! Eure Puddingmuckis könnt ihr zuhause auspacken, wir haben hier kein Interesse! Wenn ihr uns zeigen wollt wie stark ihr seid, dann haut euch mal ein bisschen Hirn in den Schädel! Und Jess wird erst recht in Ruhe gelassen! Stopp hab ich gesagt Lucian! Hast du Tomaten auf den Ohren? Noch einen Schritt weiter und ihr seit so gut wie tot! Hab ich mich klar genug ausgedrückt?' Ja ich weiss, den hab ich von meiner Mutter! Passte jetzt aber wirklich super.







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