Vom ewigen Alltagstrott, Jungs, komplizierten Gedanken und allerlei anderen Dingen

Autor: himbaereis
veröffentlicht am: 30.08.2009




'Aber...'
'Kein Aber. Du bist in einem fremden Land und wer weiß, was dir hier alles passieren könnte!'
'Mama, das hier ist eine kleine Stadt an der Küste und nicht Chicago oder New York!''Das tut nichts zur Sache! Ich habe dir gesagt was passiert, wenn du noch ein Mal zu spät kommst und du wirst dich daran halten.'
Und das nennt sich also Ferien.
Klar, als ob die auch noch nicht schlimm genug wären. Wahrscheinlich hat der Eisfuchs von Rudolf recht. Denk immer, dass es schlimmer kommen könnte. Das hilft wahrscheinlich mehr, als zu denken, dass es nicht mehr schlimmer werden kann.
Damit liegt man nämlich grundsätzlich falsch.
'Jaja. Bis morgen. Gute Nacht.'
Ich drehte mich genervt von ihr weg und stapfte missmutig zu Reggies Zimmer. Warum hatten die hier alle so ein Glück und nur ich wieder so ein Pech?
Wer auch immer die Gerechtigkeit verteilte, sollte mal kräftig durchgeprügelt werden. Denn die Gerechtigkeit hier, war scheinbar nur auf ein paar Menschen verteilt.
Je näher ich Reggies Zimmer kam, desto schlechter wurde meine Laune. Ich war so wütend auf mein Leben, dass ich Tränen in den Augen hatte.
Warum immer ich?
Warum nie die anderen?
Warum verliebten die sich und fanden dann auch noch ihr Glück?
Wieso stand ich immer außen vor?

Ich schmiss mich auf mein Bett und fing an, mein Kissen voll zu heulen. Zwischen den Schluchzern schrie ich auch in mein Kissen.
So wütend war ich wirklich selten. Aber das, was meine Mutter da abgezogen hatte, war einfach nur Scheiße!
Sonst war sie nie so unfair.
Wer weiß, was ich schon wieder falsch gemacht hatte.

Als ich mich beruhigt hatte, ging ich ins Bad, um mein Gesicht wieder herzustellen. Das ist nämlich der schreckliche Nachteil am heulen. Man heult sich aus, es geht einem wieder halbwegs besser, man sieht sich im Spiegel...und würde am liebsten noch mal losheulen.Schnell nahm ich mir einen Waschlappen, machte ihn nass und legte ihn auf die geschwollenen Augen.
Mit Kopf nach oben, damit der Lappen nicht runter fiel, tastete ich mich zurück zu Reggies Zimmer und blieb apprupt stehen, als ich ein unterdrücktes Lachen hörte.
Oh Gott! Bitte nicht auch noch das!
Nein, nein, nein, nein! Nicht jetzt, hier und heute!
'Hey Nina! Was machst du da? Spielst du mit dir selber blinde Kuh?'
Blödmann. Klar. Als würde der Tag nicht schon bescheuert genug sein. Wahrscheinlich halfen da auch die Kommentare einer Zeichentrickfigur nicht mehr weiter.
Blöde Tage konnte man wahrscheinlich nur im Bett verbringen.
Na ja wenigstens der Sternenhimmel hat sich gelohnt.
'Redest du nicht mehr mit mir oder spielst du taube, blinde Kuh?'
'Haha, sehr lustig. Ich spiele gar nichts. Danach ist mir im Moment nicht besonders.''Hast du irgendeine Augenkrankheit oder warum hältst du dir den Lappen so krampfhaft ins Gesicht?'
'Ja, etwas ganz schlimmes und ansteckendes. Du solltest Abstand halten!'
'Und was? Bindehautentzündung oder irgendwas anderes Schlimmes?'
'Ich glaube kaum, dass meine Gesundheitsprobleme dich etwas angehen.'
Mit Zickigkeit konnte man Jungs am besten verscheuchen, also musste das ja eigentlich klappen. Es war nur ziemlich doof, dass ich nicht einmal wusste, wohin ich überhaupt sprechen sollte. Ich hatte ja die Augen unter dem Lappen und sah deshalb nicht, ob er vor, hinter oder irgendwo neben mir stand.
Plötzlich wurde es hell.

Er hatte mir tatsächlich den Waschlappen von den Augen gezogen!! Mutig, angesichts der Tatsache, dass er nun mit meinem Gesicht konfrontiert war. Hoffentlich jagten die verquollenen Augen ihm auch einen richtigen Schrecken ein.
Er hätte es verdient.
Denn eine Szene würde ich sicher nicht machen. Nicht heute. Ich war einfach zu fertig dafür. Ich wollte mich nur noch ins Bett legen und in Selbstmitleid versinken. Dann hätte ich mich vielleicht noch ein bisschen in den Schlaf geheult und wäre Morgen an meinen kleinen Strand zum Baden gegangen.

'Scheiße, hast du geheult?'
'Nein, das ist eine gefährliche Augenkrankheit. Ich hab dir doch gesagt, dass du Abstand nehmen sollst. Warum hörst du nicht einfach auf mich?'
'Weil du das auch nicht tun würdest.'
Stimmt.
'Und warum hast du geheult? Hast du dir einen Nagel abgebrochen?'
Was für ein mega Arschloch.
'Hast du keine Freunde oder so? Warum tust du zur Abwechslung nicht mal was für deine sozialen Kontakte? Dann würdest du vielleicht auch nicht auf die Idee kommen, kleine Mädchen zu belästigen.'
'Wenn es dich beruhigt, ich habe sehr wohl Freunde. Nur leider, hatte heute Abend keiner Zeit. Vielleicht nächstes mal. Außerdem macht es Spaß, kleine Kinder zu ärgern.'
Wieder überkam mich das Gefühl ihn zu schlagen.
'Lass mich doch einfach nur in Ruhe Shane. Ich habe keine Lust auf deine überflüssigen Witze. Morgen vielleicht. Aber ich bin wirklich nicht in der Stimmung dazu. Gute Nacht.'Ich nahm ihm den Waschlappen aus der Hand und grinste in mich hinein, als er mir mit offenem Mund nachsah.
Ja ich konnte nett sein. Aber wozu sollte ich? War es denn einer zu mir? Abgesehen von Reggie, Gina und Ray?
Nein. Also brauchte ich es auch nicht. Jedenfalls nicht mehr heute.
Wieder schmiss ich mich aufs Bett. Ich stöpselte mir die Ohren zu und schloss die Augen. Vor meinem geistigen Auge sah ich Blödmann.
Was wollte der denn in meinem Kopf? Eingeladen war der sicherlich nicht.
Aber egal wie ich mich auch hinlegte, sein Bild verschwand nicht.
Das war ja nicht zum aushalten!
Was hatte ich nur verbrochen?
Wahrscheinlich das schrecklichste, was man verbrechen kann. Denn die Strafe dafür war echt mehr als mies.
Ich machte die Augen wieder auf. Dann quälte ich mich aus dem Bett, zog mir eine Jogginghose an und guckte vorsichtig aus der Tür.
Gut. Kein Blödmann war in Sicht. Schnell tappte ich den Gang entlang zur Treppe. Leise brachte ich auch die hinter mich und dann musste ich eigentlich nur noch die Tür schaffen. Ich machte sie einen Spalt weit auf und quetschte mich so gut es ging nach draußen. Als ich es geschafft hatte, kontrollierte ich, ob ich meine Musik dabei hatte und dann machte ich mich auf die Suche nach einer Sitzgelegenheit. Vielleicht hatten die ja auch so coole Steine im Garten stehen.

Steine fand ich leider nicht, dafür aber eine kleine Mauer.
Die musste reichen. Ich zog mich gekonnt nach oben und ließ nun die Beine baumeln. Man hatte eine atemberaubende Sicht auf das Nichts.
Aber immerhin war ich hier allein und an der frischen Luft. Den Sternenhimmel konnte ich mir auch noch anschauen! Was wollte ich mehr?
Tja. Irgendwie hatte ich Lust mich mit Blödmann zu unterhalten. Keine Ahnung wieso aber es wäre schön gewesen.
Er war wirklich ein super Gesprächspartner. Nur doof, dass wir uns immer so anzicken mussten. Na ja...eigentlich war das ja zum Großteil meine Schuld. Ich grinste. Aber selbst anzicken machte mit ihm Spaß. Er war so schlagfertig. Nicht wie die Loser in meiner Schule, die sofort den Schwanz einzogen, wenn ein böses Wort kam.
Aber ich glaube Blödmann wäre einer der letzten Menschen, die jetzt hier zu mir in den Garten kommen würden.
Ich machte meine Musik wieder an und legte den Kopf auf meine Knie. Gebannt sah ich auf das Nichts vor mir. Es hatte, genau wie das Meer, etwas unendlich Beruhigendes an sich. Schon lustig, dass man Dreck und ein paar Grasbüschel so beruhigend finden kann.Manchmal verwundere ich mich sogar selbst.

Plötzlich spürte ich eine Hand an meiner Schulter. Ich zuckte zusammen und sah mich panisch um. Blödmann!?
Was wollte der denn hier?
Wie zum Teufel...?
Ich zog einen Stöpsel aus dem Ohr und sah ihn erstaunt und verwundert an.
'Hey Nina...du...Sorry wegen der Sache mit dem Lappen eben. Ich wusste nicht, dass du so schlimm aussiehst.'
Na super.
Komplimente machen war wahrscheinlich nicht seine Stärke. Aber ich sah auch echt zum fürchten aus. Also verzieh ich ihm das mal großzügig.
'Ja okay. Nicht so schlimm. Ich hoffe du hast dich wenigstens erschreckt.'
Er grinste...verlegen??
Was war denn hier los?
Spielten plötzlich alle verrückt?
Blödmann wurde nett und verlegen, ich wünschte mir mit ihm reden zu können, mein Bruder schmalzte Reggie voll und meine Mutter entwickelte sich zu einer paranoiden Zicke!Was auch immer es war... es krempelte jedenfalls irgendwie alles um.
Und das war beunruhigend...
'Ja na ja das wollte ich dir eigentlich nur sagen...also nicht, dass du die nächstbeste Möglichkeit nimmst, um mich abzustechen.'
'Keine Angst. Hätte ich nicht gemacht...aber die Nummer hättest du dir echt sparen können. Weißt du... ausnahmsweise lag der Waschlappen nicht ohne Grund in meinem Gesicht.''Warum hast du eigentlich geheult?'
Oh. Scheiße!
Ich meine...ich kann ihm ja nun nicht auf die Nase binden, dass ich geheult habe, weil er mein Aufpasser wird, wenn ich noch einmal zu spät komme.
Wahrscheinlich hat meine Mutter ihm auch schon erzählt, dass er die Ehre hat, Babysitter für mich zu spielen, wenn ich die Uhr mal wieder nicht kann.
Also, fiel der Grund schon mal weg.
Eine Ausrede musste her.
Nur welche?
Ich meine was kann man als Grund zum heulen nehmen?
Ob er wusste, dass ich zu spät war? Wenn nicht, könnte ich ihm nämlich einfach erzählen, ich hätte einen traurigen Film gesehen...oder ein trauriges Buch gelesen...oder was auch immer.Aber wenn er weiß, dass ich zu spät war und Anschiss bekommen hab...jaaaa was dann?

Am besten ich versuche es mit der halben Wahrheit. Die ist nicht gelogen...nur eben nicht die ganze Wahrheit. Also lasse ich den Teil mit ihm als Aufpasser weg...dann kann ich das als Grund nehmen.
Bingo! So werd ich das machen.

'Na ja...ich bin zu spät zurück gekommen und dann gab es halt Ärger. Meine Mutter hat Stress gemacht und am Ende meinte sie dann, dass ich, wenn ich noch ein Mal zu spät komme, so etwas wie Hausarrest bekomme. Tja und weil ich das halt so scheiße fand, hab ich geheult. Das ist halt so eine Mädchenmasche. Heulen. Allerdings haben die nicht viel davon mitbekommen. Ich bin nämlich hoch in Reggies Zimmer gestürmt und hab anschließend erst angefangen zu heulen.'
'Wieso musstest du da heulen?'
'Sag mal! Hörst du mir überhaupt zu? Die wollten mir in den Ferien Hausarrest geben!''Und das ist ein Grund zum heulen?'
'Allerdings.'
'Na wenn du das so siehst...mir egal. Ich lass dich hier einfach weiter Trübsal blasen und geh wieder rein. Also dann, man sieht sich.'
Und damit ging er ganz lässig wieder zum Haus.
'Ja und das wahrscheinlich schneller, als du Scheiße sagen kannst! Morgen beim Ponyreiten zum Beispiel.', murmelte ich ihm noch hinterher.

Der Typ konnte einen aber auch echt in den Wahnsinn treiben! Da kommt er schon extra an, um sich zu entschuldigen...und dann lässt er wieder den ganz coolen Macho raushängen.Aber immerhin. Er war hier. Mein Wunsch ist quasi wahr geworden. Auch wenn das Ganze ziemlich kurz war...es war ein Anfang. Wäre ich nun darauf aus, das missglückte Gespräch zu retten, würde ich ihm jetzt schnell hinterher rennen und mich bei ihm für seine...Rücksichtnahme oder so zu bedanken. Anschließend würde ich ihn ganz geschickt in ein Gespräch verwickeln.
Tja aber da ich im Dunkeln lieber nicht rennen sollte und ich mich sowieso nur mit ihm gestritten hätte, konnte ich genauso gut auf der Mauer sitzen bleiben.
Wie ich es ihm schon hinterher prophezeit hatte: Er würde mich wahrscheinlich öfter sehen, als ihm lieb war.
Aber warum freute ich mich eigentlich darauf ihn wiederzusehen? Es würde eh nur Streit und Stress zwischen uns beiden geben...also sollte ich mich eher auf eine Enttäuschung gefasst machen oder ihm am besten gleich aus dem Weg gehen.
Aber sollte er wirklich mein ‚Aufpasser' werden, müsste ich mir wahrscheinlich Ohrenschützer und Scheuklappen zulegen um ihn richtig ignorieren zu können.
Aber für Scheuklappen müsste ich erst in die Nähe eines Pferdes und das wollte ich eigentlich vermeiden.
Also musste irgendein anderer Plan her. Entweder ich müsste von jetzt an freundlich sein und mir meine Bemerkungen verkneifen...oder ich belasse einfach alles so wie es jetzt ist, denn so geht es schließlich auch.
Trotzdem war mir schleierhaft, wieso mein Kopf oder Verstand oder was auch immer Gefühle steuerte, sich darauf freute, ihn wiederzusehen.
So toll war er ja schließlich auch nicht.
Er war nur irgendein Blödmann, der mit Grinsen im Gesicht geboren wurde und dem die Schlagfertigkeit wahrscheinlich gleich mit in die Wiege gelegt worden war.
Kein Grund zur Aufregung.
Er war schließlich nur irgendein Typ.

Irgendwann wurde das Sitzen unbequem und ich stieg aufs Liegen um. Die Beine ließ ich angewinkelt und die Arme verschränkte ich hinter dem Kopf. Dann legte ich mir meinen Ipod auf den Bauch und dachte an meine Freundinnen in Deutschland. Wie es denen wohl gerade so ging? Ich hatte noch keine einzige Nachricht von ihnen bekommen?
Ob sie mich vergessen hatten?
Ob mich überhaupt noch jemand mochte?
Anscheinend nicht. Meine Eltern wollten mir Hausarrest verpassen, Blödmann war sowieso scheiße zu mir, Reggie und Sascha seilten sich komplett ab, Gina und Ray waren auch selten da und meine Freundinnen hatten mich dann auch noch vergessen.
Super Leben. Gratulation Nina.

Dann schlug ich mir mit der Hand ins Gesicht.
‚Hör endlich auf dir immer diesen Blödsinn einzutrichtern und versink nicht immer so im Selbstmitleid! Das ist ja nicht zum aushalten!'

Nachdem ich mit mir fertig war, setzte ich mich wieder hin und hopste von der Mauer herunter. Dann ging ich langsam und den Kopf in der Luft in Richtung Haus.
Ich ging und ging und auf einmal lag ich im Gras. Erstaunt, worüber ich denn nun gestolpert war, sah ich nach oben und guckte in ein wohlbekanntes Grinsen.
'Pass auf das du nicht stolperst, kleine Eisprinzessin!'







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