Vom ewigen Alltagstrott, Jungs, komplizierten Gedanken und allerlei anderen Dingen

Autor: himbaereis
veröffentlicht am: 31.05.2009




Nach ca. einer Stunde fahrt, waren wir am Flughafen. Wieder spürte ich dieses Kribbeln im Bauch. Ich musste mich wirklich stark zusammenreißen um nicht vor dem gesamten Flughafen wie ein Gummiball auf und ab zu hüpfen.
Ich liebe Flughäfen. Die sind so riesengroß. Da besteht die große Gefahr, dass man Geschwister verlieren kann. Leider ist uns das noch nicht passiert. Vielleicht sollte ich es mir nächstes Jahr zum Geburtstag wünschen. Umbringen konnte ich Sascha schließlich schlecht...er war ja leider Gottes mein Bruder. Oder eher Blutsverwandtes Etwas. Bruder klang für ihn zu geschmeichelt.
Der große Nachteil an Flughäfen sind lediglich die Wartezeiten. Wir saßen da also stundenlang wie bestellt und nicht abgeholt in dem Ding was glaub ich Terminal heißt. Ob es nun wirklich so war, war mir eigentlich herzlich egal. Terminal war das einzige Wort was mir so von der Flughafenfachsprache bekannt war und deswegen beschloss ich einfach, dass wir im Terminal waren.
Gelangweilt guckte ich in der Gegend rum. Mir gegenüber saß Ekel Sascha. Er hatte sich die Ohren zu gestöpselt und hörte Musik. Oder zumindest das, was er als Musik bezeichnete. Er hörte Schranz.
Ein Grund mehr ihn für gestört zu halten. Ich meine, Schranz. Das, was er hört könnte ich selber als musikalisch total unbegabt produzieren. Nämlich indem ich mir kaputte Küchengeräte zulegte und dann auf irgendwelchen metallischen Unterlagen damit um mich schlug.
Ich grinste über die Bilder die mir dabei durch den Kopf gingen. Wenn ich wild um mich schlug könnte ich ja vielleicht Sascha verletzen.
Ich wandte mich von meinem Gegenüber ab und guckte weiter herum.
Und dann sah ich etwas, was meine gesamte Urlaubslaune mit einem Schlag verscheuchte.
Blödmann stand da.
Ich glaube ich hatte mich verguckt! Was machte der denn hier? Oh Gott. Unbewusst ballten meine Hände sich zu Fäusten. Aber ich hielt mich zurück.
Vielleicht wollte er ja auswandern. Nach Katmandu oder irgendwo ins hinterste Russland oder so. Ich beschloss nicht weiter über seine Absichten am Flughafen nach zu denken.

30 Minuten später wurde endlich unser Flug aufgerufen. Schnell sah ich zu Blödmann und erstarrte. Der Typ ging in Richtung unseres Flugzeugs.DU SCHEIßE! Der wollte allen ernstes auch nach Australien. An meinen geliebten Arsch der Welt. Na toll. Im selben Flieger wie Blödmann. Das war ja noch schlimmer als die Tatsache, mit Sascha verwandt zu sein.

Ich dachte an meinen Lieblingsfilm aus Kindertagen. Rudolf mit der roten Nase. Da sagte der kleine Eisfuchs doch zu ihm, man soll immer denken, es könnte viel schlimmer kommen. Laut eines animierten Tieres sollte das die Umkehrlösung zu dem Satz ‚Schlimmer kann es nicht mehr kommen.' sein. Also hörte ich in meiner Verzweiflung einfach mal auf ein Trickfilm Tier. Vielleicht half es ja.

Gut. Immerhin lief es nicht wie in irgendwelchen Filmen, so dass ich auch noch neben ihm sitzen musste. Ich durfte sogar am Fenster sitzen. Neben mir saß meine Mutter, dann mein Vater und neben dem dann Sascha.Blödmann konnte ich glücklicherweise nirgendwo entdecken und deshalb hoffte ich einfach, dass ich vielleicht eine andere Durchsage überhört hatte. Ich redete mir das solange ein, bis ich es endlich selbst glaubte.Das Flugzeug startete. Das Kribbeln kam wieder. Das Flugzeug fuhr an, wurde schneller und hob schließlich ab. Mein Magen kribbelte weiter. Hoffentlich war das Kribbeln nicht ein verstecktes Anzeichen meines Magens, der vielleicht das Bedürfnis hatte, sich zu leeren. Das wäre ein denkbar ungünstiger Moment.
Eigentlich wurde mir selten schlecht und ich war auch schwindelfrei und alles. Nur bei Flugzeugstarts hatte mein Magen die blöde Angewohnheit sich leeren zu müssen. Kommt Brechreiz eigentlich aus dem Magen oder kommt er woanders her?
Ich beschäftigte mich mit dieser Frage und lenkte mich und meinen Magen somit vom kotzen ab.

Als ich drei Stunden später noch immer nicht zu irgendeiner logischen Antwort kam, fragte ich meinen Vater. Der war Mediziner. Na ja eigentlich war er nur ein Kinderarzt... Aber dazu musste man sich auch mit Medizin und Körpern und solchen Dingen auskennen. Also müsste er mir theoretisch die Frage beantworten können.'Papa, kommt der Brechreiz eigentlich vom Magen, der sich entleeren will oder kommt der aus anderen Regionen des Körpers?'
'Nina...wie um alles in der Welt kommst du denn auf diese Frage?'
'Na ja...ich musste meinen Magen vom kotzen ablenken und deshalb überlege ich schon seit dem Start woher Brechreiz kommt. Kommt der nun aus dem Magen?'
'Nein natürlich nicht. Der Brechreiz wird durch einen komplizierten Fremdreflexmechanismus vom Brechzentrum im verlängerten Mark des Hirnstammes produziert. Meistens wird Brechreiz durch Schwindelgefühlen, Ekel oder eben durch ein verabreichtes Mittel erzeugt.'
Ich glaube, ich werde das zuhause googlen. Mediziner in der Familie gut und schön...aber für Otto
Normalverbraucher kann das unter Umständen ein wenig kompliziert werden.
'Ah. Okay, danke Papa. Es ist doch wirklich praktisch einen Mediziner in der Familie zu haben.'
'Keine Ursache.'
So nun konnte ich mir aussuchen, ob ich mich weiter mit dem Brechreiz des Menschen beschäftigte oder ob ich mir einfach ein Buch aus dem Handgepäck holte und las.

Die Frage war überflüssig. Sinnlos grinsend holte ich mir ein Buch aus der Tasche und begann zu lesen.Der Nachteil an Büchern ist eigentlich nur der, dass sie einen nach einer gewissen Zeit müde machen. Mich zumindest.
Ich lese wirklich für mein Leben gern und auch viel. Aber es ist nicht so wie bei meiner Mutter. Die kann sich ein Buch schnappen, und je nach dicke des Buches ist sie dann für eine Weile ruhig gestellt.
Egal. Ich schlug das Buch auf und begann zu lesen.
Jostein Gaarder. Sofies Welt. Die Geschichte der Philosophie. Himmel, was hatte ich mir da eingepackt!?Obwohl mich schon allein der Titel des Buches schockierte, begann ich zu lesen. Dabei stellte ich fest, Philosophie ist echt geil. Vielleicht hatte ich mir doch die richtige Lektüre eingepackt. Normalerweise langweilt Ethik mich zu Tode. Schon öfter hatte ich festgestellt, Ethik ist eigentlich eins der Fächer, die kein Schwein braucht.
Aber das Buch war echt gut. Genau das was mir nach und nach auch klar geworden war, stand da drin. Also war ich schon ein kleiner Philosoph, wenn man Alberto Knox Glauben schenken konnte.

Irgendwann fielen mir aber doch die Augen zu. Sokrates und Aristoteles hin oder her. Ich schlief ein.

Soweit ich mich an meinen Schlaf zurück erinnern kann, träumte ich eine Zeit lang erst einmal gar nichts. Und plötzlich lag ich wieder im Schnee. Aber diesmal stand ich sofort auf. Dann sah ich mich wieder um. Der Schnee deckte alles zu, es war unheimliche Stille.
Aber diesmal, kam kein Knacken, das die Stille zerriss. Es blieb so unheimlich still. Dann sah ich an mir herunter. Ich sah eigentlich ganz normal aus. Vielleicht ein wenig zu dünn angezogen aber ansonsten okay. Kalt war mir zum Glück nicht.
Nicht einmal meine Füße, die eigentlich bei der kleinsten Temperaturschwankung kalt wurden, waren kalt.Ich begann zu laufen. Mein Orientierungssinn, glich dem, einer Bratwurst. Aber das interessierte mich nicht weiter. Fast schon zielstrebig ging ich in irgendeine Richtung und war mir nicht sicher, ob ich Angst vor dem hatte, was ich nicht kannte, oder ob mir etwas passieren sollte...
Eine halbe Ewigkeit später, lichteten sich die Bäume langsam und auch die Schneeschicht schien dünner zu werden. Gespannt ging ich weiter. Plötzlich fand ich mich auf einer kleinen Lichtung wieder. Der Schnee war weg und Blumen blühten. Es war wie in einem Disneyfilm. Vielleicht kam Bambi ja noch zu Kaffeeklatsch vorbei, denn langsam ging mir diese Wandrerei mächtig auf den Keks.
Ich setzte mich mitten auf die Lichtung...und wartete scheinbar. Aber worauf?

'Hey Nina du olle Schlafmütze! Wach auf, wir machen Zwischenstopp.' Unsanft weckte Sascha mich. Wütend schlug ich die Augen auf. Immer wurde ich in meinen Träumen unterbrochen! Und wie sollte es anders sein, natürlich auch genau an den spannendsten Stellen. Brummelnd schnallte ich mich ab und stieg mit Leichenbittermiene aus dem Flieger.
So und als ob das nun immer noch nicht genug war, kam meine Mutter wie eine besorgte Hühnermutter auf mich zugedackelt und fing an mich zu bemuttern.
Ich stellte mir in diesem Moment nur eine Frage. Womit?!
Ich meine, ich liebe meine Eltern. (Lediglich die Sache mit Sascha nahm ich ihnen übel) Sie waren eigentlich ziemlich cool drauf, ließen mir meinen nötigen Freiraum und waren auch immer für Spaß zu haben. Ich hatte wenn man es so sieht, ziemliches Glück mit meinen Eltern. Das wurde mir immer dann klar, wenn ich mir Mara's Klagen über ihre Eltern anhören durfte. Die Ärmste hatte aber auch Pech. Der Vater war Mathelehrer und die Mutter Physiklehrerin. Ein Alptraum. Ich glaube ich hätte an ihrer Stelle schon lange Selbstmord begangen. Sie durfte nichts. GAR NICHTS! Als sie einmal, 15 Minuten zulange telefoniert hatte, bekam sie einen Tag Hausarrest. Sorry, aber die Eltern waren die persönliche Hölle auf Erden. Man ist nur einmal jung. Man sollte seine Kindheit eigentlich genießen dürfen.
Manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob Mara's Eltern vielleicht eine verdorbene Kindheit hatten und ihrer Tochter das nun auch antun wollten.
Meine Mutter redete immer noch auf mich ein und fragte schließlich, ob ich überhaupt zugehört hatte.
'Na klar Mama. Aber mach dir keine Sorgen um mich. Ich hab den ganzen Flug geschlafen und habe auch keinen Hunger.'
'Nina? Ich hatte dich gefragt, welches Zimmer du in Australien beziehen willst. Letztes Jahr hast du doch so einen Aufstand gemacht, als Sascha das Zimmer mit Meerblick für sich beansprucht hat. Ich wollte deinem Vater und mir diesen Stress diesmal ersparen, deswegen frage ich lieber gleich, damit gar nicht erst Streit aufkommt.''Oh.' Ich merkte, wie ich rot anlief. Das war eine der negativen Dinge an mir. Ich lief bei der kleinsten Kleinigkeit rot an. Furchtbar. Deswegen antwortete ich schnell.
'Öh, ich glaube dieses Jahr will ich in das Zimmer mit Meerblick. Aber wir können es uns doch noch leichter machen. Wir vergessen ihn einfach hier...wir könnten ihn im Klo einschließen und dann weiter fliegen. Dann hätten wir auch keinen Stress.' Und ich keinen dämlichen Bruder mehr, fügte ich in Gedanken hinzu.
Leider war meine Mutter von dieser Idee nicht sonderlich begeistert. Statt einer Antwort erntete ich einen reichlich angenervten Blick von ihr.
Ich zuckte mit den Schultern. 'War ja nur ein Vorschlag.'
Dann ging ich ein Klo aufsuchen.
Als ich nach ewiger Suche endlich eins gefunden hatte, sah ich als erstes in den Spiegel über dem Waschbecken.
Himmel, wie konnten meine Eltern mich eigentlich so herum laufen lassen? Ich sah total verpennt aus! Meine Haare standen wirr vom Kopf ab, und meine Wimperntusche war ein wenig verschmiert.
Ich sah ja so scheiße aus.
Schnell behob ich das, was zu beheben war und ging aufs Klo.
Ja. Leichter gedacht als getan. Ich weiß ja nicht genau, was die hier in Singapur für Klos haben, aber solche wie in Deutschland ganz offensichtlich nicht.
Das, was mir da entgegenlachte, war eine Art rundes Becken, das in der Luft zu hängen schien. Schockiert starrte ich das ufoartige Etwas an. Wie um Alles in der Welt sollte ich mich denn da rein setzen?! Ohne noch weiter nachzudenken, machte ich auf dem Absatz kehrt, und rannte so schnell wie es ohne hinfallen eben so ging, wieder zu meinen Eltern.
Völlig empört, schilderte ich ihnen meinen Toilettengang.
Ich erzählte so lange, bis ich merkte, dass sie sich das Lachen kaum noch verkneifen konnten.
'Schatz, du warst auf dem Herrenklo.'
'Ja nee, ist klar. Und die machen dann Hochpinkeln...so nach dem Motto ‚Wer kann am höchsten?' oder wie?''Nein mein Hase. In den Boden ist eine Art Rohr eingelassen. Dort wir hinein uriniert und oben in der Schüssel, befindet sich das Spülwasser.'
Jetzt war ich an der Stelle zu lachen.
'Sie urinieren also, ja?'
Kaum zu glauben, aber meine Mutter wurde doch tatsächlich rot.
Stammelnd wollte sie mir erklären was sie meinte, aber irgendwann gab sie auf. Wahrscheinlich hatte das Grinsen auf meinem Gesicht überdimensionale Ausmaße genommen und sie wollte es zum Wohle meiner Gesichtsmuskulatur, daran hindern noch größer zu werden.
Wie süß meine Mutter doch sein konnte.

Ganz im Gegensatz zu meinem Bruder. Der versuchte nämlich gerade, ganz der eingebildete Macho, der er war, ein armes, unschuldiges Mädchen anzubaggern. Die Ärmste konnte einem aber auch Leid tun. Abgesehen davon, dass mein Bruder vor ihr stand und sogar mit ihr redete, versuchte er auch noch mit ihr zu flirten.Ich überlegte, ob ich nicht einfach hin gehen und das arme Mädchen vor Sascha retten sollte, aber das blieb mir erspart, denn das Flugzeug hatte aufgetankt und wir konnten endlich weiter fliegen.
Ich drängelte mich nach ganz vorne und hatte so die Möglichkeit noch einmal schnell aufs Klo gehen zu können.Eine Wohltat...dieses heimische Klo. Auch wenn es nicht unbedingt schön war, so war es doch wirklich 100 Mal besser, als dieses Ufoding da am Flughafen.
Als ich dann beim Händewaschen angekommen war, fiel mir plötzlich ein, dass es ja gleich wieder einen Start gab. Oh nein! Nicht das mein Magen wieder kotzen wollte! Na ja...laut Papa, war es ja irgendein Zentrum im Hirn oder so...aber das war mir zu kompliziert.
Ich brauchte nur Ablenkung.
Und die fand ich schneller, als mir lieb war. Als ich mich nämlich zu meinem Platz durchkämpfte, kam mir ein Gesicht in der Passagiermenge bekannt vor...und dieses Gesicht gehörte weder Mama, Papa oder Sascha.Es war das Gesicht von Blödmann. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich konnte nur hoffen, dass der dem typischen Bild Mann, mit Tunnelblick entsprach.
Kurzum, ich hoffte, er bekam mich nicht mit. Schnell...oder eher, so schnell es ging, ging ich zu meinem Platz und bemerkte erst da, dass ich bei seinem Anblick keine Wut empfunden hatte.
Die Wut folgte dem Gefühl der Sicherheit, auf meinem Platz zu sein.
Als ich angeschnallt war, fing es an, in mir zu brodeln.
Was, was verdammt nur wollte der hier?
Blöde Frage...er wollte auch nach Australien. Aber warum hier und heute? Wieso musste ich eigentlich
grundsätzlich zur falschen Zeit am falschen Ort sein?







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24 Teil 25 Teil 26 Teil 27 Teil 28 Teil 29 Teil 30


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz