Die Therapie im Fahrstuhl

Autor: Hussula
veröffentlicht am: 01.05.2009




Eigentlich wollte ich die Treppe nehmen, aber wegen der Schiene an meinem Fuß und den warnenden Hinweis meines Arztes('Keine Treppen!') stand ich im Hausflur und wartete auf den Fahrstuhl.

Die Arztpraxis lag im 3. Stock. Es war ein Wohnhaus mit Mietern und Arztpraxen.Endlich kam der Fahrstuhl.
Die Tür ging auf. Leider war er bereits belegt, also stieg ich dazu. Ich kannte die Person im Fahrstuhl, es war Christian. Wir kannten uns vom Therapie- schwimmen. Christian trug eine Beinprothese.
Freundlich lächelten wir uns zu.
'Wie geht es Dir?' fragte er mich.
'Du weißt doch, einem schlechten Menschen geht es immer gut'
'Sage ich auch immer'
Also stieg ich in den Fahrstuhl, mit meinen Gedanken war ich längst woanders, als der Fahrstuhl plötzlich mittendrin anhielt.
Verduzt darüber schauten wir uns beide an, drückten die Fahrstuhlknöpfe, aber es passierte nichts mehr.

Um die Situation herunterzuspielen lachten wir kurz darüber. obwohl uns gar nicht zum Lachen war.

'Wir werden doch nicht zusammen soviel Gewicht auf die Waage gebracht haben, dass der Fahrstuhl jetzt versagt?' war meine witzige Frage.
'Lass die Scherze, wir stecken doch ernsthaft fest'
'Vielleicht geht mein Handy im Fahrstuhl und wir können jemanden anrufen' antwortete ich als Entschuldigung und holte das Handy heraus, was zum Glück empfang hatte.

Die Montagefirma des Fahrstuhls versprach umgehend einen Mechaniker loszusenden, er käme aus Hannover.

'Meine Mutter wird sich Sorgen machen, wir sind verabredet, ob ich sie mit deinem Handy anrufen kann, damit sie Bescheid weiß?'

'Natürlich!'

Er wählte ihre Telefonnummer:

'Hallo Mutter, ich kann leider nicht pünktlich zu unserer Verabredung kommen, mir ist etwas dazwischen gekommen'
....
'Nein, alles ist in Ordnung, ich wollte die Post von unten holen und stecke etwas im Fahrstuhl fest'
....
'Keine Panik, der Monteur wird innerhalb der nächsten halben Stunde mit Sicherheit erscheinen'
....
'Ja, es ist noch Frau Schwarz, Bettina Schwarz mit im Fahrstuhl' leichte Röte stieg Christian ins Gesicht
....lautes Lachen von Seiten der Mutter...
'So nun mache ich Schluss'
Er gab mir das Handy zurück.

'Was sagte deine Mutter' ich blieb ganz frech bei dem Du, obwohl ich den Wink vom Telefonat her schon verstanden hatte.

Zähneknirschend kam die Antwort:
'Sie hofft das es recht lange dauert bis wir beide hier herauskommen'
'Oh, wie wundervoll' ich grinste
'Ooooh, wie schrecklich, wäre die bessere Antwort!'
'Hast du Angst vor Frauen, Christian?'
'Nein, überhaupt nicht'
'Du hast Angst vor mir?'
'Etwas', und sprach weiter
'Warum hast du vor einigen Wochen gerade mich angegraben? Ich bin doch ein Krüppel, ein nichts, Kein richtiger Mann! Und Mitleid brauche ich von niemanden!'
'Wer sagt das du kein Mann bist?'
'Das fühlt man doch mit den Blicken, und dem Getuschel hinter meinem Rücken'
'Dann hättest du gewisse Blicke und Flirtversuche bei unserer Therapie im Wasser nicht unternehmen sollen'
'Ich habe nicht geflirtet, ich wollte nur nett sein'
'Du merkst es gar nicht wenn du flirtest?, und warum bist du erneut Rot geworden auf die Bemerkung die deine Mutter gemacht hat?
Gib uns doch einfach eine Chance uns kennen zulernen!'

'Ich habe Angst' kam es recht leise aus seinen Mund

'Ich auch'

'Du hast aber zwei Beine und bist gesund!'

'Das stimmt, aber lieben tue ich nicht mit dem Körper sondern mit der Seele, hast du noch eine Seele?'

'Bist du Mephisto?, kannst du gerne kaufen wenn du mir dafür zwei gesunde Beine gibst'

'Du weißt, dass ich das nicht kann!, und du weißt auch das ich mich von dieser Bemerkung nicht einschüchtern lasse!' ich trat einen Schritt näher auf ihn zu. Die Wand gab ihm keine Möglichkeit zur Flucht. Angst las ich in seinen Augen, Angst vor Nähe, Angst verletzt zu werden. Irgendwie war ich auf diese Reaktion vorbereitet und trat einen Schritt wieder zurück in meine Ecke.

'Erzähl mir deinen Unfall' sagte ich zu ihm.

Es trat eine kurze Stille ein, er schien zu überlegen und nach Worten zu suchen.

'Es war November, war Freunde besuchen und auf dem Heimweg. Etwas Müde war ich, sogar dass ich leichte Kopfschmerzen hatte, daran kann ich mich erinnern.
Vor mir in einiger Entfernung fuhr ein Auto, bei dem plötzlich Bremslichter angingen und im nichts verschwanden.
Ein Unfall.
Langsam fuhr ich an die Unfallstelle heran. Das Auto lag umgekippt auf der Gegenfahrbahn. Mehrere fast tote Tiere lagen herum.
Ein Wildwechsel.
Die Fahrerin war bewusstlos. Es roch überall nach Benzin. Ich holte sie aus dem Auto heraus und legte sie auf das Feld. Irgendein Arm und ein Bein waren gebrochen. Sie wurde kurz wach, und wusste gar nicht wo sie war.
Ich beruhigte sie.
Die Unfallstelle war nicht gesichert, also ging ich zu meinem Kofferraum und wollte Warndreieck und Verbandzeug holen. Als Scheinwerfer aus dem nichts auftauchten.Ein Knall, plötzlich Schmerzen und ein schwarzes Loch.
Schemenhaft kann ich mich noch an einem Mann erinnern. Er wäre Arzt, ich solle mir keine Sorgen machen. Die grässlichen Schmerzen und wieder dieses schwarzes Loch.

Ich schlief und ich schlief doch nicht.
Ich wollte reden und konnte nicht.
und das schlimmste war ich konnte hören.. konnte hören wie sie über mich redeten. Warum war ich nicht wach?, warum hatte ich keine Schmerzen?.
Alles passte überhaupt nicht zusammen.
Ruhig bleiben, es musste irgendwie eine Erklärung geben für das alles.

Und immer wieder Dunkelheit.

Irgendwann kam dann die Logik, und mit der Logik kam dann auch endlich das Wachwerden.

Ich lag monatelang im Krankenhaus.

Meine Freundin kam immer nur dann wenn meine Mutter sie mitschleifte. Ihr war es unangenehm mich zu besuchen, mich sehen zu müssen. Ich bat sie nicht mehr zu kommen.

Der erlösende Blick sprach Bände.

Als ich selber dann das erste Mal meinen Körper im Spiegel sah, war ich nicht froh überlebt zu haben, sondern wäre viel lieber Tod gewesen.

Mit dem fehlenden Bein, fehlte 'ich!'.

Mich gab es nicht mehr.

Die ständigen Bemerkungen meiner Mutter, sei doch froh das du überlebt hast, hat mir jedes Mal Brechreiz verursacht.

Danach ist nichts mehr wie es war.

Du lebst ohne Vergangenheit, weil du diese Vergessen hast. Du siehst Fotos von früher, und kennst diese Person gar nicht. Du siehst noch nicht mal so aus wie sie.

Du musst blöde Konzentrationsübungen machen, alles neu lernen, sogar das Laufen.

Wenn du dann alles halbwegs geschafft hast, dein Leben ein wenig auf der Reihe ist...

Kommen sie...die Albträume...das Alleinsein...keine Pläne für Zukunft.

Überhaupt eine Zukunft?

Stille

Verdammt noch Mal, hätte ich doch damals nicht angehalten.' verbittert sah er zu mir herüber.

Wieder Stille

'Ich bin froh, das du angehalten hast' sagte ich mit sehr leiser und weinerlicher Stimme.

Ich ging einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn.
'Auch wenn ich nicht Teil deines Unfalles war, will ich dir Danken.'

'Wofür?' erwiderte er, und umarmte mich auch.

'Ich hatte auch einmal ein Unfall.....
ich hörte die Autos vorbeifahren.....
Das Warten und die Angst war schrecklich.
Endlich hielt jemand an.....
Ohne diesen 'Jemand' würde es mich heute nicht mehr geben.'

Wir standen noch eine Weile umarmend im Fahrstuhl, und genossen die Stille.

Es war eine beruhigende Stille.

Plötzlich ging die Fahrstuhltür auf und der Mechaniker und Christian`s Mutter schauten uns verdutzt an.

Dieses Mal hatte Christian keine verräterische Röte im Gesicht. Er gab mir zum Abschied noch einen leichten Kuss und meinte 'Bis nachher'









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