Zarte Küsse – Nur so nebenbei...

Autor: Wüstenköter
veröffentlicht am: 05.05.2003




Natürlich war ich sauer, als er anrief und meinte, dass er seinen Zug verpaßt habe und dadurch erst eine Stunde später kommen konnte. Wahrscheinlich, weil ich einfach nur Angst hatte, dass er es nicht ernst meint, mich am Ende vielleicht auch noch verarscht oder sich über mich lustig macht. Keine Ahnung – ich hatte nur einfach wieder Angst, in eines dieser Fettnäpfchen zu treten und da ich ihn auch vorher noch nicht einmal am Telefon gehört hatte, regte mich sogar sein schrecklicher, schneller Schagong ziemlich auf und ich hatte echt Panik, dass wir uns am Ende total unsympathisch fänden würden.Nicht, dass ich davon ausging – die Chats mit ihm waren und sind auch jetzt noch immer wahnsinnig herzlich, lieb, beruhigend und, was das wichtigste ist, mitunter auch toternst. Wahrscheinlich haben wir uns am Ende, kurz vor dem Treffen an einem Freitag, welches eigentlich nur durch mich zustande kam, viel zu viel eingeredet und das schlimmste dabei war und ist es noch immer, dass ich theoretisch und natürlich auch praktisch (noch) einen Freund habe.


Okay... ich war monatelang wahnsinnig schlimm wenn es ums fremdgehen ging – ja, wahrscheinlich war ich, wie einmal Jemand behauptet hat, ziemlich kalt und hab mir einfach das genommen, was ich haben konnte und auch wollte. Irgendwann hat man den Dreh raus und ehrlich gesagt habe ich mich noch nie erwischen lassen. Aber bei meinem jetztigem Freund war das, bis zu diesem Treffen, etwas anderes. Er war und ist der erste, dem ich ins Gesicht gesagt habe, dass ich ihn liebe, was mir vorher wahnsinnig schwer gefallen ist und ich es dadurch auch nie getan habe. Nur leider läuft nicht alles immer so, wie ich und vielleicht auch er, Toni, das gerne haben möchte. Klar, ich mache auch viele Fehler und ich sehe sie auch alle ein, wobei ich oftmals versuche, mich zu verbessern – aber ich glaube behaupten zu können, dass Toni derjenige ist, der alles zerstört.


Er ist Gewohnheitstrinker (Was er mir, so ganz nebenbei gesagt, nicht glaubt), trinkt jeden Tag seine drei bis fünf Bier, nimmt, meistens an den Wochenenden, wenn er mal wieder einen drauf macht, Drogen – aber fragt mich nicht welche, das interessiert mich nicht – und macht noch immer all das, was er in seinem letztem Dasein als ‚Faschist‘ ebenfalls getan hat. Illegales Handeln, Problemlösung durch Gewalt, Drogen und Alkohol. Den ganzen Rest kann man sich vielleicht denken – es macht mich fertig. Ich hasse Alkohol und Drogen sind das allerletzte, geschweige denn der ganze andere Mist. Toni fängt an, auf alles was ich sage oder tue herumzuhacken und mit seinen einundzwanzig Jahren den Erwachsenen zu spielen. Er hat immer weniger Zeit für mich und selbst dass ich weiß, was er in dieser Zeit tut, erleichtert mir absolut nichts.Und dann war da Sven...


Ein Junge, mit dem ich durch den Chat von Anfang an gut klar kam, obwohl er im Grunde genommen das komplette Gegenteil von mir ist. Ich bin auffallend und provozierend, trage einen Irokesen, während er vollkommen normal aussieht (Wobei ich nun größtenteils vom Aussehen und den Klamotten her gehe...) und (fast) Glatze trägt. Schon allein durch diese Tatsachen hatte ich insgesamt wahnsinnige Angst, dass wir uns untereinander überhaupt nicht ergänzen würden, dass wir überhaupt kein Thema finden würden, über welches wir uns unterhalten könnten – aber so war es nicht.


Nicht, dass es leicht gewesen wäre, Sven erst einmal nach Leipzig zu bekommen, selbst wenn das keine wirkliche Strecke ist, aber es war dann mittlerweile der Dritte Anlauf und ich habe im Chat wahnsinnig um mich herum getrotzt, und wer weiß... wäre Sven nicht erschienen, hätte ich vielleicht überhaupt keine Lust mehr gehabt, ihn ein viertes Mal nach einem Treffen zu fragen... Danke, Sven, dass du nach Leipzig gekommen bist...An seinen weißen Klamotten habe ich ihn sofort erkannt, obwohl er aus einer ganz anderen Richtung kam, als eigentlich ausgemacht war. Er hat die Bänke nach mir abgesucht, während ich am Rand auf einem Fenstersims saß und ihm irgendwann zugerufen habe, dass er in der falschen Richtung suche...


Und ja, wir haben uns auf Anhieb sofort verstanden. Das niedlichste an dieser Szene an diesem Fenstersims war wahrscheinlich, dass er, als ich aufstand, meinte, er hätte erwartet, dass ich größer sei – nur leider war ich, falls ich das richtig sehe, mindestens einen Kopf kleiner als er.


Mit der Bimmel fuhren wir zu einem Laden namens ‚Mrs. Hippie‘, in dem ich eigentlich eines meiner zwei Geburtstagsgeschenke für Montag kaufen wollte – einen roten Schottenrock. Ich hab mich echt geärgert, als ich festgestellt habe, dass sie diesen wieder verteurert hatten – um schlappe fünfundzwanzig Euro. Und nachdem ich mir nur eine Stunde vorher erst meine Springerstiefel für knapp hundertzehn Euro gekauft habe, konnte ich mir das echt nicht mehr leisten.Also fuhren wir wieder zurück und beschlossen, bei McDoof etwas zu essen. Ich glaube, schon als wir mit der Bimmel zu ‚Mrs. Hippie‘ gefahren sind, war mir Sven sofort sympathisch. Er brachte mich immer wieder zum lachen, egal, wie dämlich die Sprüche wahrscheinlich waren – ich fand sie einfach nur lustig. Und ehrlich gesagt habe ich schon lange nicht mehr so viel gelacht wie an diesem Freitag.


Nachdem Sven seine beiden Tabletts, die er hat fallen lassen, wieder zusammengesammelt hatte, schlenderten wir zu einem Café namens ‚Le-Bit‘ und verbrachten dort den Rest des Abends. Schon viel eher war klar, dass wir uns wiedersehen würden und ich hoffe, dass wir dies auch einhalten. Wir quatschten und alberten rum und ich glaube, dass ich schon in diesem Moment dabei war, mich fürchterlich zu verlieben, was ich mir allein in Hinsicht Toni schon erst einmal gar nicht leisten durfte, nur hatte ich Toni in diesen mehreren Stunden vollkommen vergessen.


Ich muß jedoch ehrlich sagen, überhaupt nichts gedacht zu haben. Ich habe weder daran gedacht, dass ich Sven am Ende einfach wieder loslassen und meinen Weg weiterhin mit Toni gehen würde, noch habe ich an die Möglichkeit gedacht, Toni vielleicht zu vergessen und mit Sven sozusagen ‚durchzubrennen‘. Ich habe absolut nix gedacht und ich weiß, dass ich es verdrängt habe. Allein der Gedanke, wieder kurz vorm Verlieben zu stehen, brachte mich fast schon wieder um, denn wie gesagt war Toni der erste, dem ich (bis jetzt) treu war und ich glaube nicht, dass ich sowas einfach so wieder loslassen kann, dafür habe ich in den letzten drei Monaten viel zu viel in meinem Herzen aufgebaut...Und trotzdem...


Jetzt, wo ich wieder Zuhause sitze, muß ich an all die kleinen Szenen denken, bei denen ich am Freitag Herzklopfen hatte oder zumindest wahnsinnig froh war, Sven bei mir zu haben. Daran, wie ich Sven meine (derzeitig wenigen) Ritzereien an meinem linkem Arm gezeigt habe, daran, wie unsere Hände sich berührten und vor allem an die Szene, als wir auf unsere Bimmel gewartet und uns zusammen irgendeine Jugend-Zeitschrift angeschaut haben, in der es darum ging, den Sex in der Beziehung mit neunundsechzig Tricks zu verschönern (‚Scharf wie Chilli! Neunundsechzig Tricks, die dich glücklich machen – und ihn auf Touren bringen!‘). Wir haben rumgealbert und uns diese Tricks gegenseitig vorgelesen, während ich mich an ihn gelehnt habe, und ich glaube auch, dass in dem Moment diese Sehnsucht begann. Die Sehnsucht nach Sven... die Sehnsucht, diese verdammten Tricks auszuprobieren... oder wenigstens die Sehnsucht, Sven ganz nah bei mir zu haben...


Eine Weile überlegten wir, ob es vielleicht nicht doch gescheiter wäre, wenn er erst um vier Uhr morgens wieder Heim fahren würde, selbst wenn wir den größten Teil dieser Zeit im ‚Le-Bit‘ verbracht hätten – nur glaube ich, dass wir dies beide gerade wahnsinnig gewollt hätten... nur habe ich Rücksicht auf einen Kumpel genommen, bei dem über das Wochenende übernachtet habe (Und bitte Tobias – versucht nicht wieder, dich deswegen aufzuspielen oder dich in diese Angelegenheit hineinzuhängen wie ein Tampon!) und es wäre einfach verdammt unhöflich gewesen, wenn ich erst gegen fünf Uhr morgens, die Zeit, zu der ich bei ihm angekommen wäre, bei ihm auf der Matte gestanden hätte.Also brachte ich Sven zu seinem Zug, der fünf Minuten vor meinem Bus fuhr, und wir standen noch eine ganze Weile lang vor der automatischen Schiebetür des dämlichen Zuges und überlegten... ich zog seine blaue Trainingsjacke aus, die er mir bei McDoof gegeben hatte, weil ich wieder einfach zu dämlich dazu war, mich Wettergerecht anzuziehen, aber noch ehe ich sie ihm gegeben hatte, meinte er, dass ich sie anlassen solle, um einen Grund zu haben, wiederzukommen und ja... Sven, ich habe in diesem Moment das Gleiche gedacht... wir haben sowieso viel zu oft das Gleiche gedacht und auch ausgesprochen...


Als der Zug eigentlich schon längst hatte losfahren müssen, habe ich mich zu ihm hinauf gebeugt und ihn geküßt...


Ehrlich gesagt... Demex, also ich, ist eine, die keine Angst mehr vor dem erstem Schritt hat. Dazu hat sie schon zu viele gute Erfahrungen gemacht und ja – dazu hat sie auch schon zuviele Menschenkenntnisse. Ich hätte den ersten Schritt nicht getan, wenn ich mir in dieser Sache nicht vollkommen gewesen wäre... nur Sven stand nur wenige Zentimeter von mir entfernt, sah ziemlich unschlüssig und traurig aus und ja, wahrscheinlich hätte ich mich in den Arsch getreten, wenn wir uns nicht geküßt hätten...


Okay, vielleicht wird es jetzt zu privat – vielleicht ist diese komplette Geschichte sowieso schon viel zu privat, weil sie erst vor drei Tagen wirklich passiert ist, aber... das ist egal und ich hoffe, ihr (und auch Sven!) seht das genauso.


Gestern hatte Sven im Chat gemeint, er hätte nicht gewußt, wie er hätte reagieren... bzw, wie er hätte küssen ‚sollen‘... dass er solche Situationen ‚im Sinne‘ unmöglich findet, eben weil man den anderen im Grunde genommen in dieser Hinsicht noch überhaupt nicht kennt.


Tja, das private dabei ist jetzt wahrscheinlich, dass Sven in diesem Moment einfach nur unbeschreiblich lieb geküßt hat – zumindest wenn man küssen mit ‚lieb‘ beschreiben kann. Er war so verdammt vorsichtig... so zart... und jetzt sage ich mir, dass ich ihn zu wenig geküßt habe... dass ich seine Lippen noch immer auf meinen fühle und seine Zungenspitze noch immer mit meiner spielen spüre...Als er dann weg war, tat es mir leid, dass ich ihn überhaupt habe gehen lassen und an diesem Abend habe ich, wie ein zwölfjähriger, verliebter Teenager, mit Svens Jacke in meinen Armen geschlafen. Ja, ich war noch nie so verschossen in Jemanden und noch nie habe ich mich so auf kommenden Freitag gefreut, wie ich es derzeitig tue...









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