Mein Leben, die Anderen und ich

Autor: Yana
veröffentlicht am: 01.03.2009




Ich musterte die Person im Spiegel, die eigentlich ich sein sollte und wahrscheinlich auch war. Doch ich konnte es nicht glauben. Ich hatte mich verändert, sehr verändert. Meine Haut war makellos elfenbeinbraun. Das frühere blaugrün meiner Augen war tiefer, intensiver geworden. Außerdem wurden meine Augen von dichten, schwarzen Wimpern umgeben. Meine Haare standen nicht wie jeden anderen Morgen zerzaust und strohig von meinem Kopf ab, sondern zierten sich geschmeidig um meinen Hals. Was war mit mir passiert? Warum sah ich so ANDERS aus? Nicht, dass ich mit diesem Aussehen unzufrieden war, im Gegenteil. Aber wie konnte sich ein Mensch von einem Tag auf den anderen so sehr verändern, wie ich das getan hatte? WIE?<bR>Ich riss mir mein Nachthemd vom Leib und musterte meinen nackten Körper im Spiegel. Nicht nur mein Gesicht hatte sich verändert. Meine Beine waren gerade, vielleicht auch ein Stück länger als am Vortag. Meine Hüfte hatte eine leichte, weibliche Rundung und meine Brüste fühlten sich fest an, als ich sie berührte. War das wirklich ich? <bR>Doch bevor ich mir weitere Gedanken über mein Aussehen machen konnte, traf mich die Erinnerung an Jessy wie ein Blitz. Hastig riss ich meinen Kleiderschrank auf, zog mir kurze Hosen und ein Top an und stürmte nach unten. <bR>'Morgen, Mum!', ich gab ihr einen schnellen Kuss und durchwühlte die Schränke nach meinen Cornflakes. 'Hast du gut geschlafen?', fragte ich sie, als sie mich nicht zurückgrüßte. Wieder bekam ich keine Antwort. 'Mum? Hallo? Lebst du noch?', ich drehte mich zu ihr um und starrte in ihr überraschtes, vielleicht auch ein wenig entsetztes Gesicht. 'Mum? Alles in Ordnung?' <bR>'Hast du dich heute irgendwie anders Geschminkt, Schatz? Du siehst so anders aus.''Äh…', ich fuhr mir durchs Haar. Mist. Was sollte ich denn sagen? 'Ja. Ja habe ich. Sieht es gut aus?' <bR>'Schon… ja Catherine. Aber irgendwie ist es nicht nur das… du siehst so… perfekt aus heute. Wie hast du es geschafft deine Haare so geschmeidig zu bekommen? Sonst hängen die doch immer ziemlich komisch von deinem Kopf hinunter.' <bR>'Danke, Mum', sagte ich ironisch und wandte mich von ihr ab. 'Gut zu wissen, dass du meine Haare bisher immer komisch fandest, aber nie ein Sterbenswörtchen gesagt hast.'Ich hörte sie leise seufzen. 'Ich muss jetzt zur Arbeit.' Der Schlüssel klimperte, als sie ihm vom Küchentisch nahm. 'Ach ja, ehe ich es vergesse; Frau Zimmermann hat heute Früh angerufen. Sie wollte, dass ich dir sage, dass es immer noch keine Spuren von Jessy gibt…' Sie klang kleinlaut, als sie das sagte. <bR>'Mum, was ist?', fragte ich misstrauisch, als ich in ihr Gesicht schaute. So guckte sie immer nur, wenn sie mir etwas verheimlichte. <bR>'Nichts… nichts', log sie und wandte sich von mir ab, um das Haus zu verlassen.'Mum! Wenn es wegen Jessy ist, habe ich ein Recht darauf, es zu erfahren!' <bR>Sie blieb kurz stehen, zögern, setzte dann allerdings ihren Weg wieder fort. 'Nein, es ist nichts, Catherine. Bis später.' <bR>'Ich weiß, dass du mich anlügst! Was verheimlichst du mir?' Ich rannte an ihr vorbei und versperrte ihr den Weg nach draußen. 'Ich lass dich nicht gehen, bis du es mir gesagt hast.''Das ist glatte Erpressung!', meckerte meine Mutter genervt und trat von einem Fuß auf den anderen. <bR>'Falsch. Das nennt man handeln! Du sagst es mir und ich lasse dich gehen', erklärte ich ihr, obwohl ich mir nicht einmal mehr sicher war, ob ich wirklich wissen wollte, was meine Mutter mir verheimlichte. <bR>Ich hörte sie seufzen. 'Okay, aber bekomm nicht gleich einen hysterischen Anfall, okay? Frau Zimmermann war heute früh schon bei der Polizei. Sie wollte wissen, wie die Chancen stehen, Jessy wieder zu finden. Und zwar heil.' <bR>'Und?' Das ungute Gefühl, das schon seit dem vorigen Tag in mir herrschte, bohrte sich einige Zentimeter weiter in mein Herz. 'Was haben sie gesagt? Sie werden Jessy doch wieder heil zurück bringen, oder?' <bR>'Catherine… es ist… ich weiß nicht ob du schon davon gehört hast. Aber es ist ein Serienmörder unterwegs. Kann sein, dass Jessy…'<bR>'Niemals!', unterbrach ich sie und ballte die Hände zu Fäusten. 'Jessy fällt doch nicht in die Hände eines Serienmörders. Niemals!' Ich wusste, dass ich nur versuchte, mich selbst zu beruhigen. Ein verzweifelter Versuch durch eine Lüge seiner selbst das innere Gleichgewicht wiederzuerlangen. <bR>'Es tut mir leid…' Meine Mutter wollte mich in ihre Arme schließen, doch ich wich ihr aus. Wie ein trotziges, zorniges und verletztes Kind stürmte ich an ihr vorbei, die Treppe hinauf in mein Zimmer. Ich wollte einfach nur alleine sein. <bR><bR>Oh ja, damals war ich sauer auf meine Mutter, und wie. Wie ich sie dafür hasste, dass sie so etwas sagen konnte. Jessy in den Händen eines Serienmörders? Niemals. <bR>Doch ich wusste, dass dieser Hass meiner Mutter gegenüber unberechtigt war. Schließlich konnte sie nichts für das, was die Polizei Frau Zimmermann gesagt hatte. Und außerdem hatte ich es von ihr wissen wollen. <bR><bR>Als ich in meinem Zimmer ankam und mich auf mein Bett schmiss, auf dem Jessy und ich schon sooft gelegen und geredet, gealbert und geschlafen hatten, kamen zu meiner Überraschung keine Tränen. Ich konnte nicht weinen. Die Hoffnung, die trotz dieses unguten Gefühls in mir war, hielt meine Tränen zurück. <bR><bR>Ich weiß, ich wollte euch meine Geschichte erzählen, doch eigentlich gehört das Verschwinden meiner besten Freundin nicht direkt dazu. Ich wollte euch nur einen kleinen Einblick in das Leben vor meiner Veränderung geben. Ein Einblick, der zeigt, dass ich in der Lage war und immer noch bin, zu lieben, obwohl ich kein Mensch bin. <bR><bR>Die folgenden Tage waren schrecklich. Ich ging nicht zur Schule, aß nicht, trank nicht, schlief nicht. Die Hoffnung, die am ersten Tag, nach Jessy's Verschwinden von mir Besitz ergriffen hatte, hatte mich schon längst wieder los gelassen. Tief im Inneren machte ich mich auf das Schlimmste bereit. <bR>Jessy, wie konntest du mir das nur antun? Hast du den Schwur vergessen, den wir uns jeden Tag nach der Schule leisteten? Warum hast du nicht auf dich aufgepasst? Wieso? Wie konntest du einfach nur weg sein? <bR><bR>Genau eine Woche nach Jessys Verschwinden, es war die Nacht von Freitag auf Samstag, überrannte mich der Schmerz und die Sehnsucht nach meiner besten Freundin so sehr, sodass ich dachte, ich müsste sterben. Doch ich starb nicht. Sondern veränderte mich nur. Oh, ich kann euch sagen, was für ein schrecklicher Schock das für mich gewesen war. <bR>Aber ich will langsam erzählen. Es war genau zwanzig Uhr abends. <bR><bR>'Hey, Mum!', sagte ich leer und stellte zwei Teller auf den Esszimmertisch. 'Wie war die Arbeit?' Ich fragte nicht, weil es mich wirklich interessierte, sondern eher aus Routine.'In Ordnung. Ein Arbeitskollege hat mich morgen Abend zum Abendessen eingeladen. Ich werde also erst später nach Hause kommen. Das ist doch okay für dich, oder Schatz?''Klar, Mum. Mach dir mal wieder einen gemütlichen Abend.' <bR>Sie lächelte mich an, doch als ich ihr Lächeln nur schwach erwiderte, seufzte sie und setzte sich auf einen Stuhl. 'Schatz, hör mal. Ich weiß, dass das Verschwinden von Jessy dich fertig macht. Macht es mich ja auch. Aber so kann es nicht weiter gehen. Du gehst nicht zur Schule, trinkst nichts, isst nichts, schläfst nicht und kommst nur aus deinem Zimmer, wenn es unbedingt sein muss. Du musst weiterleben, Schatz. Es ist dein Leben und du lebst nur einmal.' <bR>'Ich weiß, Mum', antwortete ich müde. <bR>'Am Montag wirst du wieder zur Schule.' <bR>'Hm', meinte ich desinteressiert. <bR>'Hast du mich verstanden, Schatz? Du gehst wieder zur Schule', wiederholte sie nachdrücklich. <bR>'Ja, Mum. Mal sehen.' <bR>'Nichts 'Mal sehen', Fräulein! Es ist beschlossene Sache.' <bR>'Okay.' Ich hatte keine Lust zu streiten. Alles, was ich wollte, war Jessy zurück bekommen. Irgendwie. Und zwar so schnell wie möglich. Sonst würde mich dieser verdammte Schmerz umbringen. <bR>'Ich geh wieder in mein Zimmer. Schlaf gut, Mum', ich gab ihr einen Kuss und bevor sie mich hätte aufhalten können, schlich ich dich Treppe hinauf. <bR>In meinem Zimmer legte ich mich auf mein Bett, zog die Beine so dicht wie möglich an meinen Bauch und schlang meine Arme fest um meine Knie, als könnte ich so verhindern, vor Sehnsucht zu platzen. Doch es half nichts. Immer wieder stiegen mir Bilder meiner besten Freundin vor die inneren Augen und erinnerten mich an die schönen alten Zeiten, wo noch alles in Ordnung gewesen war. <bR>Und wenn ich daran dachte, dass ich sie wohl nie wieder sehen würde, was sehr wahrscheinlich war, war es wie ein Fausthieb in die Magengegend und ein Messerstich in das Herz. <bR>Vor Schmerze wimmernd rollte ich mich noch fester zusammen, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Jessy, Jessy… oh Jessy! Wie ein Wasserfall rannen mir die Tränen über meine Wangen und befeuchteten meine Bettdecke, auf der ich lag. Stunde um Stunde weinte ich und trauerte um meine Freundin. <bR>Als ich dachte, ich würde platzen vor Verzweiflung, Schmerz, Sehnsucht, Trauer und Hilflosigkeit, verschwanden die Bilder von Jessy. Stattdessen sah ich plötzlich in meinen Gedanken eine/n schwarze/n große/n Wolf/Wölfin mitten in einem Rudel anderer Wölfe. Der/die Wolf/Wölfin (ich wusste nicht, ob das Tier weiblich oder männlich war) war größer und muskulöser als die Anderen. Doch so plötzlich, wie die Bilder aufgetaucht waren, waren sie wieder verschwunden. <bR>Ich befürchtete, weitere Erinnerungen von Jessy würden mich durchströmen. Stattdessen jedoch, wurde ich ruhiger. Meine Gedanken schweiften ab zu meinem unnatürlich schönen Aussehen. Diese starke Veränderung über Nacht. Und zu meinen täglich wiederkehrenden Kopfschmerzen. <bR>Ich sprang und ging zum Spiegel. Müde musterte ich mein Gesicht und stellte fest, dass meine Augen nicht wie üblich und erwartet angeschwollen und rot waren. Nur meine Wangen waren feucht und ein wenig gerötet. <bR>Und als eine weitere Träne aus meinen Augen lief, wünschte ich mir, der/die Wolf/Wölfin zu sein. Sicher kannten sie diese Schmerzen nicht. Diese Starke Sehnsucht, welche durch den Verlust eines geliebten Menschen herbeigeführt wurde. <bR>Ich rief mir das Bild des Tieres zurück in Erinnerung, schloss die Augen und stellte mir vor, auf vier Pfoten zu stehen, zu spüren, wie ich meine eigene Schnauze in die Luft recke, das Maul öffne und heule. In meinen Gedanken spürte ich den Wind durch mein Fell streicheln und mit meinen Ohren spielen, als ich rannte. Ich spürte den weichen Boden unter meinen Pfoten. Ich spürte, wie ich flog, wieder landete, mich abstieß und wieder flog. Ich spürte das Gefühl von Freiheit. <bR>Und als ich die Augen wieder öffnete, passierte was Ungeheuerliches. Zuerst nahm ich es gar nicht wahr. Doch plötzlich nahm ich eine Bewegung war. Erstarrt starrte ich auf meine Hände, auf meinen Körper im Spiegel. Es schien, als würde meine Kleidung mit meinem Körper verschmelzen. Sie wurde dunkler, fast schwarz. Meine Wirbelsäule bog sich gegen meinen Willen und zwang mich in eine andere Position. Meine Finger wurden kürzer, Fell wuchs mir aus der Haut und meine Ohren wuchsen in eine andere, flauschige Form.Und das schlimmste war, als ich spürte, dass etwas aus meinem Hintern herauswuchs.Schließlich schaffte ich es nicht mehr, mich in einer aufrechten Position zu halten und kniete mich auf den Boden. Ich spürte, dass sich in mir etwas bewegte. Spürte den Schmerz. Hörte das Rauschen meines eigenen Blutes und das viel zu schnelle klopfen meines Pulses.Als das, was immer es auch war, vollendet war, erhob ich mich. Ich stand auf vier Pfoten.Ich wusste nicht, WAS mit mir passiert war. Ich wusste nur, dass ich nicht mehr ICH war. Und als ich in den Spiegel schaute, sah ich eine schwarze, große Wölfin. Die aus meiner Erinnerung. Und als meine Gedanken, die immer noch so waren, wie zuvor, zu Jessy schweiften, spürte ich keinen schmerzenden Stich mehr in meinem Herzen.Ich hatte mich verwandelt. <bR>ICH HATTE MICH VERWANDELT! <bR>Wäre ich noch in dem Körper eines Menschen gewesen, wäre ich sicher in Panik geraten. Doch jetzt, in dem ruhigen Körper einer Wölfin, war ich die Ruhe in Person.Es war komisch, nicht mehr ICH zu sein, wobei die Bezeichnung 'nicht mehr ich zu sein', falsch war, denn schließlich war ich immer noch ich, nur in einem anderen Körper. Oder war es sogar mein Körper? <bR>Probehalber streifte ich durch mein Zimmer. Verschiedene Gerüche schlugen mir entgegen. Stärker, als wenn ich ein Mensch war. <bR>War ich überhaupt noch ein Mensch? <bR>Meine Augen waren schärfer. Ich konnte jede Bewegung draußen im Baum, der vor meinem Fenster stand, wahrnehmen. Auch wenn sie noch so klein war. <bR>Auch meine Ohren waren besser. Und das aller beste war, dass ich kein hämmerndes Pochen hinter meinen Schläfen mehr spürte. <bR>Doch plötzlich hörte ich etwas anderes. Meine Mutter kam die Treppe hinauf. Diesmal geriet ich in Panik. Ich hatte die Tür nicht abgeschlossen. Was war, wenn sie hineinkam und mich so sah? Sie würde einen Herzinfarkt bekommen! <bR>Entschlossen sprang ich zur Tür und legte mich davor, in der Hoffnung sie durch mein Gewicht zu versperren, sodass meine Mutter vielleicht dachte, sie wäre verriegelt.Und tatsächlich. Mein Plan ging auf. Als meine Mutter langsam die Klinke hinunter drückte, sich die Tür jedoch nicht öffnete und ich auch nicht auf ihre Frage, ob alles okay sei, antwortete, verzog sie sich wieder. <bR>Erleichert wollte ich aufseufzen, doch stattdessen kam nur ein leises winseln hervor. <bR><bR>Nach einigen Minuten fand ich heraus, dass ich mich zurückverwandeln konnte. Ich musste nur meinen Körper in Erinnerung rufen und der Rest passierte fast von alleine.Als ich schließlich wieder ICH war, schmiss ich mich auf mein Bett und dachte nach. Bei einer Sache war ich ziemlich sicher: Das, was gerade passiert war, hatte mit dem Knall in meinem Kopf zu tun gehabt. Seitdem haben die Veränderungen mit mir begonnen. <bR><bR>Das komische war damals, dass ich mich gar nicht so sehr wunderte, dass ich mich VERWANDELN konnte. Es schien, als hätte das ein Teil meines Körpers schon immer gewusst. Als hätte er gewusst, dass ich ein Monster war. <bR>Damals fand ich sehr viel Spaß daran, mich in diese Wölfin zu verwandeln. Ich versuchte es mehrmals hintereinander und es wurde von mal zu mal leichter. <bR>Doch heute weiß ich, dass wenn ich nicht so unbedacht mit dieser Verwandlung umgegangen wäre, noch ich wäre. Nicht dieses Monsters, was ich jetzt bin. <bR><bR>Als ich mich mehrmals in dieses schwarze, wunderschöne Wesen verwandelt hatte, überlegte ich, ob ich mich auch in ein anderes Tier verwandeln könnte. Ich kramte in meiner Schublade nach einem Tierkalender und knallte diesen schließlich auf den Boden. Langsam blätterte ich die Bilder durch und hielt schließlich bei einer Elster inne. Leicht lächelnd prägte ich mir das Bild ein und schloss die Augen. Schon nach einigen Sekunden spürte ich, dass ich mich veränderte. <bR>Als ich schließlich die Augen öffnete, war ich in der Gestalt eines Vogels. Überrascht über mein Gelingen flatterte ich mit den Flügeln und schwang in die Luft. Es war ein herrliches Gefühl, zu fliegen. Es fühlte sich an, als wäre ich endlich frei und vollkommen.Hastig verwandelte ich mich wieder zurück, um das Fenster zu öffnen. Anschließend flog ich in der Gestalt einer Elster hinaus. <bR>Mein Weg führte mich über Felder und Wiesen, Hausdächer und Straßen. Es war berauschend, die Welt von oben zu sehen. Sie sah ganz anders aus. Viel bunter. Aber auch irgendwie grauer. <bR>Als mir schließlich nach Stunden die Puste aus ging, setzte ich mich auf einen Baum, der in dem kleinen Park der Stadt wuchs. Unter mir stand eine Bank und darauf saß ein verliebtes Paar, das sich gerade küsste. <bR>Im inneren grinste ich hämisch, als ich mich wieder erhob und mich genau auf den Kopf des Jungen setzte. Erschrocken zuckte er zusammen, schlug allerdings nicht nach mir. Verzaubert schaute mich das Mädchen an. Laut schnatternd zerstörte ich die Frisur des Jungen und flog schließlich wieder davon. <bR>Auf einmal genoss ich das Leben. In der Gestalt eines Tieres konnte ich den menschlichen Schmerz nicht spüren. Er war einfach wie werggepustet. <bR><bR>Damals war ich jung. Ich hatte nicht gewusst, auf was ich mich da einließ, als ich die Gestalten der Tiere einfach annahm. Oh, hätte ich mich doch nie verwandelt! <bR><bR>An dem nächsten Morgen ging ich wieder zur Schule. Ich spürte die Blicke der anderen auf mir Ruhen, als ich mein Fahrrad wie üblich gegen den Zaun lehnte und abschloss. Ich wusste, wie attraktiv ich aussah. <bR>Als ich das Schulgebäude betrat, kam mir mein Freund Jake entgegen. Erst blieb er überrascht stehen, doch dann kam er mit einem zärtlich Lächeln auf den Lippen auf mich zu. 'Du siehst toll aus.' Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen, der allerdings mehr wie die wohl geplanten par Sekunden dauerten. Erst das Klingeln der Schulglocke unterbrach uns.Ich verabschiedete mich von ihm mit einem leisen: 'Bis später', und ging schließlich zum Unterricht. Den Gedanken an Jessy verdrängte ich dabei so gut wie möglich.In den folgenden Tagen war alles fast normal. Ich verwandelte mich regelmäßig als Elster oder Wolf und streifte durch die Gegend. Natürlich nur nachts, denn da sah die Welt viel schöner aus. <bR>Zwei Wochen nach dem Verschwinden von Jessy, war der schlimmste Tag meines Lebens.Als das Telefon klingelte nahm ich nichts ahnend ab. 'Ja?', fragte ich wie üblich.Eine weinerliche Stimme antwortete. 'SIE IST TOT!' Schluchzen. Und ich wusste sofort, wer gemeint war. <bR>Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte mein Herz förmlich auseinander brechen hören. 'Seit wann?', flüsterte ich und klammerte mich an den Hörer. <bR>'Gestern', wimmerte Frau Zimmermann. 'Sie war doch so ein gutes Mädchen! Sie hat nie jemanden etwas getan. Nie! Warum nur? Warum??? Mein gutes Mädchen!' Sie weinte so jämmerlich, dass ich einen Moment meinen eigenen Schmerz vergaß. 'Wie kann man ihr so etwas nur antun? Welcher kranke Mensch tut so etwas nur?' Dann legte sie auf.Und sofort kam mein eigener Schmerz zurück. Er traf mich mit so voller Wucht, dass ich taumelte. Zum Glück war meine Mutter nicht zu Hause, denn so konnte ich alleine sein.Ich schleppte mich in mein Zimmer. Doch weinen konnte ich nicht. Dafür war der Schmerz zu groß. Oder vielleicht hatte ich einfach schon genug geweint. <bR>Als der Schmerz nicht aufhörte, sondern immer größer wurde verwandelte ich mich als Elster und flog davon. <bR><bR>Das war wohl der Tag, der entschied, was ich war. Ich hatte begonnen, vor meinen eigenen Gefühlen weg zu rennen. Und das war falsch. Mehr als falsch. Hätte ich das nicht getan, wäre ich vielleicht mehr Mensch, als Tier. <bR><bR>Von diesem Tag an merkte ich, dass ich mich weiter veränderte. Doch diesmal nicht äußerlich, sondern innerlich. Ich wurde immer mehr Gefühlskalt. Ich konnte sogar als Mensch meine Gefühle abstellen. Oder ich wurde aggressiv. <bR>Einmal kam es sogar vor, dass ich meine Mutter wegen einer Nichtigkeit anschrie und mir sogar überlegte, mich einfach in die schwarze Wölfin zu verwandeln und ihr an die Gurgel zu springen. <bR>Doch im Nachhinein hasste ich diesen Gedanke und bekam sogar Angst vor mir selbst. Doch ich merkte, dass ich meinen Körper, meine Gedanken und mich selbst nicht mehr so unter Kontrolle hatte, wie vor diesen Veränderungen. Schließlich bat ich meine Mutter, mich auf ein Internat zu stecken. <bR>'Mum, bitte! Ich glaube es wäre besser so. Wenn wir ein wenig Abstand voneinander bekämen!' <bR>'Ich weiß nicht…', murmelte sie und schaute mich zweifelnd an. 'Du machst im Moment so große Veränderungen durch. Vielleicht wäre es falsch dich genau in diesem Moment alleine zu lassen.' <bR>'Mum, glaub mir. Es wäre das Beste, was du machen könntest. Ehrlich. Vertrau mir.'Sie seufzte. 'Da bin ich mir nicht so sicher…'<bR>'Wenn ich auf ein Internat gehe', unterbrach ich sie, 'dann steht mein Zimmer frei. Dann kann endlich dein Freund einziehen.' <bR>Erschrocken schaute sie mich an. 'Schatz! Bitte, das Thema hatten wir schon fünftausend mal. Ich schicke dich NIEMALS weg, nur damit mein Freund hier einziehen kann. Du bist für mich das Wichtigste auf der Welt.' <bR>'Das meine ich doch nicht, Mum. Es war nur ein Argument, damit ich auf ein Internat kann. Denk doch mal nach, was für Vorteile das hätte!' <bR>'Meiner Meinung nach hat das nur Nachteile. Was ist mit deinem Freund? Den wirst du dann noch seltener sehen!' <bR>'Ich habe keinen Freund mehr', antwortete ich ihr. 'Als ich diese Idee hatte, habe ich sofort mit ihm Schluss gemacht.' <bR>'WAS?', fragte sie schockiert und sprang von ihrem Stuhl auf. 'Aber ich dachte du liebtest ihn so sehr?' <bR>Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. 'Manchmal muss man Opfer bringen.'Ich war selbst schockiert von diesen Worten, die eindeutig aus meinem Mund gekommen waren. Und das war wohl das Ausschlaggebende für meine Mutter. Sie nickte. 'Okay. Okay, du bekommst einen Willen. Ich werde mich noch heute auf die Suche nach einem passenden Internat für dich machen.' <bR>Ich sprang meiner Mutter förmlich um den Hals. 'Danke, Mum! Du bist die Beste!''Da könnte man glatt meinen, es gäbe für dich nichts schöneres als hier weg zu kommen', murmelte sie traurig. <bR>'Mum! Hör auf so zu denken. Du weißt doch genau, dass das nicht stimmt!' <bR>Sie seufzte. 'Du hast Recht.' <bR>Ich hätte ihr gerne erklärt, dass ich wegen ihrer eigenen Sicherheit wegging, doch irgendwie konnte ich nicht.







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