A Bit(e) of Hope

Autor: Kati
veröffentlicht am: 13.02.2009




'Dann geh selbst! Ich werde auf jeden Fall alles tun, um Kaoru davon abzuhalten. Das letzte was ich in diesem Schuljahr noch brauchen kann, ist eine tote Zimmergefährtin.'
Sassy stand auf und verließ schweigend das Zimmer.

'Das heißt also, dass die Parabel auf jeden Fall durch die Punkte laufen muss, die ich ausgerechnet habe?'
'Genau. Im Regelfall kommt immer eine Parabel raus. Allerdings ist Miss Owen manchmal auch fies. Ich hatte schon Aufgaben, wo die errechneten Punkte eine Linie bildeten. Ich habe stundenlang gegrübelt, wo ich mich da verrechnet habe und dabei war mein Ergebnis richtig.''Das klingt echt übel. Ich hätte gar nicht die Geduld mir die Aufgaben stundenlang durch den Kopf gehen zu lassen. Ich würde durchdrehen.'
'Ach was. So, jetzt rechne mal diesen Punkt aus und trag ihn in das Koordinatensystem ein.'Constantine blickte Kaoru durch seine Brille hinweg an und lächelte. Sie schien schon an den einfachsten Aufgaben zu verzweifeln. Ihm war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, wie sie die nächsten Schuljahre noch packen sollte.
'Der Punkt liegt bei drei.'
'Nicht ganz, du hast das Minus vor der Zahl unterschlagen.'
'Also?'
'Das will ich von dir wissen.'
Wieder vertiefte Kaoru sich in ihre Aufgaben. Constantine verfolgte jede Bewegung, die sie machte. Sein Magen war leer, er musste bald etwas essen. Dieses Hungergefühl ließ ihn fast verrückt werden. Außerdem war er müde. Es war immer so anstrengend und er musste bald schlafen. Essen und schlafen. Danach würde es ihm besser gehen.
'Und ist das Ergebnis richtig?' unterbrach Kaoru seine Gedankengänge und er kehrte in die Realität zurück.
'Äh, ja. So wie ich das sehe, ist es richtig. Trag es ein.'
Kaoru schmierte in ihrem Heft herum und kritzelte wild irgendwelche Punkte in ihr Koordinatensystem.
'Was machst du da?'
'Na ich trage alles ein?'
'Du hast doch erst einen Punkt errechnet? Wie kannst du da schon drei eintragen?'
'Achso...' Kaoru runzelte die Stirn und überlegte. Wie war sie doch gleich auf die anderen beiden Punkte gekommen?
'Also, nochmal zurück. Radier die zwei neuen Punkte wieder aus.'

Sassy stand vor ihrem Zimmer und lauschte. Was hatte Constantine schon wieder hier verloren? Sonst machte er sich immer rar? Er lebte schon immer nach dem Motto -Willst du gelten, mach dich selten- doch seitdem Kaoru an der Schule war, war er wie ausgewechselt. Schließlich klopfte sie sachte an und wurde herein gebeten.
'Sassy, sieh mal! Ich mache gerade Hausaufgaben und ich glaube, ich habe es schon fast verstanden!' strahlte Kaoru sie an und hielt ihr Heft in die Höhe.
'Schön.' antwortete Sassy ihr stumpf und sah zu Constantine, der sie keines Blickes würdigte. Mario hatte schon Recht, mit dem, was er sagte. Constantine war ein sehr eigener Charakter. Manchmal zahm, wie ein Lamm, manchmal wild, wie ein Tiger. Doch im Moment war er einfach nur eingebildet. Wenigstens Hallo hätte er sagen können, aber es kam rein gar nichts.
Sassy kramte in ihrer Schultasche nach ihren Hausaufgaben und dachte an ihr Gespräch mit Susi und Nora zurück. Sie würde es verhindern
'Am Freitag ist ja wieder das Fest, nicht Constantine?'
Endlich blickte er sie an und nickte leicht.
'Kaoru will auch kommen.' stellte Sassy in den Raum und wandte den Blick von den beiden ab.
So bemerkte sie auch nicht Constantine´s angespannte Reaktion.
'Kaoru, dich habe ich nicht eingeladen.' stellte er im ruhigen Ton fest und blickte nun ihr in die Augen.
'Wer sagt denn, dass ich auch kommen wollte?'
'Na du, hast du doch selbst gesagt. Streite es bloß nicht ab, ich habe Zeugen.'
'Schon gut.' Kaoru spürte, wie es in ihrem Bauch kribbelte. Warum musste Sassy sie nur verraten? Sicherlich hätte man sie gar nicht bemerkt!
'Ich will nicht, dass du kommst. Wenn ich dich erwischen sollte, wirst du die Strafe deines Lebens bekommen.'
'Ah ja? Und wie soll die aussehen?'
'Das spielt jetzt noch keine Rolle. Interessant wird es erst für dich, wenn ich dich tatsächlich erwischen sollte.'
Sassy grinste hämisch vor sich hin. Es war gut, dass er gerade da war. Er wusste schließlich am Besten, was es hieß, sich auf das Fest zu schmuggeln.
Kaoru blies die Wangen auf und zuckte mit den Schultern.
'Ich werde nicht kommen, ok? Versprochen.'
'Wirklich?'
'Wirklich. Aber jetzt lass uns mit den Aufgaben weiter machen.'
Sassy spürte es genau. Kaoru log und natürlich würde sie hin gehen. Doch Constantine hatte die Sache bereits abgehakt. Er glaubte ihr also? Sie biss sich auf die Unterlippe und blickte beide fragend an.
'War noch etwas?' Kaoru blickte zu ihr und auch Constantine sah sie energisch an.
'Nein nichts, du lügst nur nicht besonders gut.'
'Ich lüge nicht!'
'Doch natürlich! Glaubst du ich bin doof?!'
'Im Moment denke ich das schon!'
Beide Mädchen schrien sich laut an und Kaoru stand auf.
'Ich lüge nicht!' Bedrohlich machte sie einen Schritt auf Sassy zu.
'Du lügst! Ich verwette meinen Arsch darauf, dass du lügst!'
'Ruhe ihr beiden! Ich sagte doch, dass ihr euch vertragen sollt!' schaltete Constantine sich plötzlich ein und stand auf.
'Sassy, ich habe Kaoru darüber belehrt, was passiert, wenn sie kommen sollte. Wenn sie sich nicht an ihr Versprechen hält, wird sie bestraft und gut.'
'Aber ich will genau das verhindern! Ich möchte nicht, dass du sie bestrafst! Das hat sie nicht verdient.'
'Ich merke, dass du ihr eine gute Freundin sein willst, aber wenn du sie nicht belehren kannst, dann vielleicht eine Strafe. Schmerzen sind ein guter Lehrer.'
'Schmerzen?!' schaltete Kaoru sich nun wieder ein. 'Willst du mich etwa schlagen?!'
'Schmerz kann auch seelisch stattfinden. Es soll Leute geben, die verzweifelt sind, weil sie eine Woche lang die Schultoiletten putzen mussten.'
'Putzen also? Naja, schaden kann es nicht.'
Kaoru streckte ihm die Zunge heraus und verschränkte die Arme. Toiletten putzen war zwar nicht so ihr Ding, aber ihrer Neugierde brachte das keinen Abbruch.
'Constantine, erzähl Kaoru doch mal, wie Selma damals bestraft wurde.'
'Warum sollte ich das tun?'
'Weil sie es wissen sollte, bevor sie einen dummen Fehler macht.'
'Ich bin überzeugt, dass sie keinen Fehler machen wird, wenn sie weiß, was gut für sie ist.''Constantine, ich bitte dich, erzähl es ihr!' Sassy faltete die Hände vor ihrem Gesicht und blickte ihn flehend an, doch seine Reaktion brachte lediglich einen eisigen Blick hervor. Schließlich schüttelte er seinen Kopf und stand auf.
'Ich werde jetzt nach oben gehen. Kaoruchan, mach deine Hausaufgaben weiter. Wenn du fertig bist, werde ich sie mir ansehen. Komm dann in mein Zimmer.'
'Aber so richtig verstanden habe ich es noch nicht!'
'Dann wirst du so lange an den Aufgaben arbeiten, bis du es verstanden hast.' Er blickte sie kühl an und wandte sich schließlich ab.
'Aber Constantine, gibt das nicht wieder Ärger, wenn ich da oben allein herum laufe?'
'Das lass mein Problem sein.'
Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich und ließ die Mädchen allein.
'Toll!' giftete Kaoru Sassy entgegen und ließ sich gefrustet auf ihren Stuhl fallen. 'Ohne ihn verstehe ich diesen Mist hier nie. Danke echt!'
'Diese Aufgaben spielen im Moment überhaupt keine Rolle Kaoru! Verstehst du nicht, dass es unheimlich gefährlich ist, heimlich auf dieses scheiß Fest zu gehen?!'
'Du tust gerade so, als würde man da Menschen ermorden! Komm endlich runter!'
'Kaoru! Du bist neu hier! Du hast doch keine Ahnung!'
'Aber du oder was? Warst wohl auch schon da hä?!'
Sassy klatschte ihr die flache Hand ins Gesicht und Kaoru blickte sie mit großen Augen an.'Spinnst du?!'
'Nein du spinnst! Du wirst sofort mit kommen!'
Sassy packte ihren Arm und zerrte Kaoru die Treppen zur dritten Etage hoch. Sie bogen einige Male ab und standen schließlich vor einer Tür.
'Was willst du hier?! Und überhaupt! Bist du bekloppt?! Was schlägst du mich einfach?!'Sassy klopfte unbeeindruckt an und wartete, dass jemand öffnete. Schließlich klickte die Tür leise und öffnete sich einen Spalt.
'Hallo?' hörten sie eine weinerliche Stimme sagen.
'Selma? Selma, ich bin es Saskia aus der Unterstufe. Es ist ein Notfall!'
'Was gibt es? Ich will allein sein.'
'Du musst es erzählen, ich bitte dich Selma! Erzähl der Neuen, was passiert, wenn man sich zur Vampyra Missa selbst einlädt.'
'Das kann ich nicht!'
Die Tür schlug wieder zu und sanfte Schritte bewegten sich von den beiden weg.
'Selma, ich bitte dich, es ist wirklich ein Notfall!'
'Du hast doch eine Macke und die da drin auch! Ihr spinnt alle beide. Hast du geglaubt, wenn mir dieses Märchen jemand anders erzählt, dann glaube ich es?!'
Plötzlich öffnete sich die Tür wieder.
'Kommt rein.' hörten sie das Mädchen flüstern und Sassy´s Griff um Kaoru´s Handgelenk wurde wieder kräftiger. Mit sanfter Gewalt zerrte sie sie in das Zimmer und verschloss die Tür. Das Rollo war herunter gelassen und es herrschte Dunkelheit, die durch ein paar Sonnenstrahlen, welche sich durch die unzähligen Löcher im Rollo ihren Weg in den Raum bahnten, etwas verdrängt wurde. Die Wände waren mit Postern fast schwarzen Postern behängt. Eines unheimlicher, als das andere. Überall Frauen, die aussahen, als würden sie gleich Selbstmord begehen, überall Blut, Tod und Verderben. Was für schreckliche Bilder!Kaoru sah sich etwas irritiert um und suchte krampfhaft nach dem Mädchen, der diese weinerliche Stimme gehörte.
'Dürfen wir uns setzen?' durchdrang Sassy´s Stimme die unangenehme Ruhe.
'Setzt euch nur.' entgegnete Selma den beiden.
Noch immer versuchte Kaoru ihren Standpunkt aus zu machen.
'Mach doch mal Licht. Oder mach das Rollo hoch!' maulte Kaoru los und machte sich auf den Weg zum Fenster.
'Wage es dir nicht!' herrschte Selma sie plötzlich an und sie fühlte eine kalte Hand auf ihrem Arm. 'Ich vertrage das Sonnenlicht nicht. Nicht mehr.' hänge sie dem Satz noch an und nahm ihre Hand wieder von Kaoru´s Arm.
'Mach eben ein Licht an.' flötete Kaoru wieder, die mit Sicherheit gleich gehen würde, wenn diese Selma nicht gleich mit diesem Mist aufhören würde.
'Setz dich jetzt hin und sei nicht so pampig!' giftete Sassy sie an und zerrte sie am Handgelenk zu sich auf den Boden herunter.
'Vielleicht will ich ja gar nicht sitzen?!'
'Mensch Kaoru...'
'Kaoru darf auch gern stehen bleiben.' entgegnete Selma den beiden, nahm eine Kerze und zündete sie an. Sie stellte sie auf den Boden und nahm neben Sassy Platz. Kaoru´s Mund stand offen, ohne dass sie es merkte und sie musste sich plötzlich setzen. Endlich bemerkte sie, wie sie Selma anstarrte und blickte verschämt wo anders hin.
'Sieh nicht weg, Kaoru. Sieh mich ruhig an. Du willst also auf das Fest gehen?'
Kaoru zuckte mit den Schultern und suchte sich etwas, was sie anstarren konnte.
'Möchtet ihr etwas trinken?'
'Gern.' entgegnete Sassy ihr freundlich.
'Und was ist mit dir?'
Kaoru fasste ihren ganzen Mut zusammen.
'Warum siehst du so aus?'
Selma lächelte etwas, stand auf und goss Traubensaft in drei Weingläser, um den beiden zwei zu überreichen. Sie nahm wieder Platz, nippte an ihrem Glas und blickte Kaoru scharf an.'Weil ich genau so war, wie du.'
'Was meinst du damit?!'
'Ich wollte unbedingt auf dieses Fest! Ich war schon seit der sechsten Klasse auf dieser Schule, doch Constantine lud mich nie ein. Ich hielt es nicht mehr aus. Mehr als fünf Jahre hatte ich gewartet, doch dann musste ich es einfach wissen.'
'Ja und?'
'Sieh mich doch an. Das haben sie aus mir gemacht. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens.'
'Ihr verarscht mich doch. Die Haare sind niemals echt.'
Selma griff nach Kaoru´s Hand und legte eine Strähne ihrer Haare hinein.
'Aber wie können Haare so weiß werden?'
'Ich werde dir erzählen, was ich gesehen habe. Es ist immer wieder schlimm für mich, wenn ich an diese Nacht zurück denken muss und ich möchte weinen, doch mit meiner Lebensfreude versiegten auch meine Tränen. Ich kann weder weinen, noch kann ich Freude empfinden. Ich kann die Sonne nicht vertragen und ich spüre auch sonst kaum noch, dass ich in einem Körper stecke.'
Selma nahm die Strähne ihres Haares und warf sie sich über die Schulter. Kaoru lief es kalt den Rücken herunter. Dieses Mädchen sah aus, als wäre sie hundert Jahre alt. Nicht, weil ihre Haut faltig war, sondern weil sie verbraucht wirkte. Ihre Augen strahlten nicht so, wie es normalerweise sein sollte. Sie waren tief in die Augenhöhlen gefallen und ihre Haut war grau und blass. Ihre Haare waren weiß, wie Schnee und ihr Körper sah regelrecht verhungert aus.'Es war Winter, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Und es sollte wieder eine Vampyra Missa stattfinden. Ich hatte alles sorgfältig geplant. Mein Versteck, mein Fluchtweg, die Leute, die kommen wollten, ich wusste einfach über alles Bescheid. Gegen acht Uhr, es war ja bereits dunkel, machte ich mich auf den Weg und versuchte vom Pavillon aus etwas zu erkennen. Es hatte so viel geschneit, dass ich kaum durch das Geäst sehen konnte, also schlich ich mich weiter ran. An einem großen Baum machte ich Halt und sah mich um. Überall liefen die geladenen Gäste herum. Sie waren alle schwarz angezogen und wirkten irgendwie total unheimlich. Außerdem waren da noch zwei Mädchen aus dem nahe liegenden Dorf. Sie hoben sich total von der breiten Masse ab und wirkten fehl am Platz. Sie waren angezogen, als wollten sie zur Disco gehen. Na jedenfalls kam Constantine irgendwann auch dazu und Musik begann zu spielen. Ich war total enttäuscht, denn ich hatte mir das alles viel toller und besser vorgestellt. Hinten, ganz hinten im Wald ist eine alte Grabstätte. Auf dem Waldboden liegt ein großer Gedenkstein mit merkwürdigen Inschriften. Umrandet wird er von Grabsteinen, alle total überwuchert und teilweise schon verfallen. Anfangs tanzten alle noch zusammen und lachten. Eine ganz normale Party dachte ich und wollte schon gehen, als die Musik plötzlich verstummte und zwei Jungen die Mädchen zu diesem Gedenkstein schleiften. Sie schrien wie am Spieß und wehrten sich, doch sie hatten keine Chance. Sie wurden auf diesen Stein gefesselt und alle anderen standen um sie herum. Um besser sehen zu können, schlich ich mich noch weiter heran. Constantine hatte mich mit Sicherheit schon entdeckt, doch ich bemerkte es nicht. Als ich einen günstigen Standort erreicht hatte, stoppte ich wieder sah ihnen zu, wie sie irgendwelche Formeln sprachen. Ich glaube, es war Latein ich weiß es aber nicht genau.'
'Als ob Constantine Latein könnte! Mag sein, dass er schlau ist, aber er ist kein Übermensch.' fiel Kaoru ihr ins Wort und schob die Unterlippe hervor.
'Ein Übermensch ist er wahrlich nicht, Kaoru.' entgegnete Selma ihr und nippte wieder an ihrem Glas.
'Constantine trug einen langen schwarzen Mantel mit Umhang, ein schwarzes Hemd, schwarze Hosen, ja selbst seine Schuhe waren schwarz. Er wirkte blass, aber keines Falls krank oder gar schwach, nein. Er kam auf die Mädchen zu und zückte ein Messer. Mit der Klinge schnitt er den Mädchen erst in die Hand und dann löste er ihre Fesseln. Er ließ das Messer fallen und drehte sich zu allen um. Er grinste so hämisch, dass es mir bis heute noch kalt über den Rücken läuft. Alle anderen jubelten ihm zu und pfiffen. Plötzlich stieß er die Mädchen weg, fletschte seine Zähne und rief -Die Jagd ist eröffnet!-'
Wieder nippte sie an ihrem Glas und wippte leicht hin und her.
'Die Mädchen haben geheult und rannten los, die anderen folgten ihnen. Es war eine Hetzjagd. Es ging um Leben und Tod!'
'Hä?! Das verstehe ich nicht. Constantine hat seine Zähne gefletscht?! Er ist doch kein Hund...'
'Dazu komme ich noch, hör mir zu. Die Mädchen rannten also in den Wald und ich verlor alle aus den Augen. Nach kurzer Zeit hörte ich einen Aufschrei, so grausam, so angst erfüllt, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Ich identifizierte ihn als einen Schrei von einem der Mädchen. Mir wurde es zu unheimlich, also machte ich mich leise aus dem Staub. Ich ging gerade aus auf das Wohnheim zu, als ich auf einmal ein Wimmern vernahm, dass immer lauter wurde. Plötzlich kam mir eines der Mädchen aus dem Dorf entgegen und rief nach mir. Sie rief immer wieder, dass ich ihr helfen solle und dass Bestien hinter ihr her wären. Im ersten Moment war ich sprachlos, wusste nicht, was ich machen sollte. Wenn ich ihr helfen würde, dann würde man mich entdecken, ging es mir durch den Kopf. Andererseits konnte ich sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Also nahm ich sie an der Hand und wir liefen gemeinsam auf das Wohnheim zu. Sie weinte und auch mir rannen die Tränen an den Wangen herunter. Mich beschlich ein wahnsinniges Gefühl der Angst. Mein Bauch kribbelte unangenehm, mein Herz raste, meine Hände wurden kalt. Und ich hörte, wie sie näher kamen. Es war nicht zu überhören. Sie lachten und ich konnte hören, wie sie sich immer wieder etwas zu riefen, verstehen konnte ich es aber nicht. Das Wohnheim kam in Sicht und ich fasste neuen Mut, doch das Mädchen stolperte und ihre Hand glitt aus meiner. Ich stoppte, drehte um und wollte ihr schnell beim Aufstehen helfen, als plötzlich Constantine auf uns zu kam. Er hatte riesige Schwingen, mit schwarzen Federn, die im Mondlicht glänzten. Außerdem hatte er Reißzähne, wie eine Raubkatze und rote Augen.'
Zitternd stellte Selma ihr Glas ab und stand auf. Aus ihrem Nachtschränkchen zog sie einen Briefumschlag und übergab ihn an Kaoru.
'Was ist das?'
'Sieh selbst.'
Kaoru öffnete den Umschlag und blickte hinein. In dem Kuvert lagen ein paar schwarze Federn.
'Und was sind das für Federn?'
'Sie sind von Constantine. Er kam auf uns zu, packte das Mädchen am Arm und zerrte es vor meinen Augen weg. Sie wimmerte und blickte mir nach, doch plötzlich biss er zu und ihre Augen wurden stumpf und kalt. Er hat sie gebissen, mitten in den Hals! Ihr Widerstand ließ rasch nach und irgendwann hing sie leblos in seinen Armen. Ich bekam Panik und rappelte mich auf. Ich rannte, so schnell wie ich konnte, doch noch vor der Tür des Wohnheims machte ich wieder Kehrt, denn da stand Constantine schon wieder. Ich rannte zurück in den Wald, doch er holte mich rasch ein und packte mich. Ich flehte ihn an, dass er mich nicht umbringen soll, doch er war so kalt und grausam. Mit einem grauenerregendem Schrei brüllte er mir ins Gesicht. Das Blut lief an seinem Mund herunter und ich konnte den Eisengeschmack in meinem Mund spüren. Ich flehte ihn an, doch er war skrupellos und nahm mich in seinen Arm. Er flüsterte mir ins Ohr, dass er mir gesagt hätte, dass ich bestraft werde, wenn ich auf die Vampyra Missa komme, ohne dass ich eingeladen bin und biss zu. Ich spürte den Sog an meinem Hals und wurde immer schwächer. Doch noch bevor ich bewusstlos wurde, ließ er von mir ab. Ich lag die ganze Nacht nur wenige Meter vom Wohnheim entfernt im Wald. Ich lag auf dem Boden und wurde eingeschneit. Ich spürte keine Kälte, keine Wärme, keine Trauer. Ich spürte nur die Angst. Am nächsten Morgen kam die Sonne heraus und brachte den Schnee, der auf mir lag zum Schmelzen. Doch bereits ein Strahl in mein Gesicht genügte, um mir einen stechenden Schmerz zu bereiten. Also flüchtete ich mich mit letzter Kraft in das verfallene Nebengebäude und verschanzte mich dort.'
Sassy leerte ihr Glas in einem Zug und stellte es geschockt neben sich auf den Boden.'Ich dachte, deine Strafe war es, dort einen Monat lang zu schlafen.'
'Es war Strafe genug, ihm an diesem Abend begegnet zu sein. Dass ich dort schlafen durfte, war Glück. Ich konnte ja nicht raus. Die Sonne hätte mich sonst umgebracht. Ihre Strahlen brennen auf der Haut, als würde man bei lebendigem Leibe angezündet. Es sind unglaubliche Schmerzen. Ich hatte mich in das Nebengebäude gerettet und blickte mich etwas um. Es war erstaunlich. Ich sah im Dunkeln plötzlich besser, als im Hellen. Überall hingen Spinnweben und es roch sehr intensiv nach altem Holz. Holz und muffiger Stoff. Ich kroch auf allen vieren über den staubigen Boden und suchte mir ein Versteck. Ich war unglaublich müde und erschöpft und erschreckte mich fast zu Tode, als ich auf einmal ein paar Füße vor mir sah. Ich blickte an ihnen hoch und erstarrte, als ich Constantine entdeckte. Er nahm meinen Arm und hob mich hoch. -Dumme kleine Selma- sagte er zu mir und trug mich durch das Haus. Er stieg unzählige Treppen hinab und wir betraten einen Saal. Ich fragte ihn, was er mit mir vor hat, doch er lächelte nur und meinte, dass ich keine Angst zu haben brauchte. Auf einem uralten Sofa legte er mich schließlich ab und kniete sich zu mir. Er meinte, dass ich hier schlafen und mich erholen soll. Irgendwann würde es besser werden. Und dann ließ er mich allein.''Du bist also freiwillig dort geblieben?' Kaoru runzelte die Stirn und blickte zu Sassy.'Ich hatte keine Wahl, ich war so schwach.'
'Und Constantine ist also ein Vampir ja?'
'Genau.'
'Ihr habt eine Meise. Ich gehe. Und ich werde zum Fest gehen. Also macht´s gut.'Kaoru war im Begriff auf zu stehen, als Selma sie plötzlich packte. Ihre Augen wurden rot und traten etwas hervor. Ihre Eckzähne wurden lang und spitz und ihr verdorrter Körper baute plötzlich unglaubliche Kräfte auf. Sie packte Kaoru an den Schultern und schüttelte sie durch.'Verstehst du es nicht du dummes Göhr?! Willst du auch so werden?! So wie ich?!'
Ihre Stimme kreischte und kratzte in den Ohren und Sassy war vor Schreck aufgesprungen.'Willst du als Untote den Rest der Welt überdauern?! Du kannst nie mehr sterben! Du bist eine Sklavin von den Blutgeborenen und ihren Erschaffern! Du hast keine Kontrolle mehr über dich, du darfst deine Meinung nie mehr äußern! Du wirst so aussehen, wie ich! Willst du das?!'
'Lass mich los! Du Monster!'
Kaoru schlug gegen Selma´s Arme und wand sich aus ihren Fängen. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihr war übel. Mit einem Satz riss sie die Tür auf und wollte fliehen, doch Selma packte sie wieder und zerrte sie in ihr Zimmer.
'Du wirst diesen Fehler sicher nicht machen Kaoru! Sieh mich an! Sieh mich an und merke dir, was deine Augen erblicken! Wenn du willst, dass das dein Schicksal ist, dann geh! Willst du es?!'
Wieder schüttelte sie sie an den Schultern und Tränen rannen Kaoru über die Wangen.'Lass mich!' kreischte sie ihr entgegen und versuchte, nach ihr zu schlagen.
'Geh zu Charlotte! Geh zu ihr und frag sie! Sie ist eine Blutgeborene und wird dir alles bestätigen! Sie war die erste und einzige, die so eine Nacht überlebt hat! Frag sie!'
'Ich frage sie, aber jetzt lass mich los!'
Kaoru wand sich aus ihrem Griff und flüchtete aus dem Zimmer. Mit einem Tränenschleier vor den Augen rannte sie fast blind durch die langen Gänge und suchte nach der Treppe, die in die untere Etage führten, als sie plötzlich gegen eine Wand rannte. Plötzlich nahm die Wand Formen an und berührte sie sanft.
'Hast du deine Hausaufgaben fertig?'
Kaoru presste ihre Augen zusammen und quetschte selbst die letzte Träne aus ihnen heraus. Verschreckt blickte sie Constantine an und kreischte laut.
'Weg! Du Monster! Weg von mir!'
Sie stieß sich von ihm ab und lief ziellos weiter. Was sollte sie glauben? Was sollte sie tun? Wo sollte sie hin? Was war nur geschehen? Immer noch drehte sich alles in ihr und die Übelkeit wurde schlimmer. Endlich fand sie die Treppe und lief hinunter, direkt in die Waschräume. Am Waschbecken übergab sie sich bereits und ihre Beine zitterten. Mit Toilettenpapier wischte sie sich über den Mund und spülte das Erbrochene notdürftig mit Wasser weg. Ihre Beine waren schwer wie Blei und so schien es Stunden zu dauern, bis sie endlich ihr Zimmer erreichte. Sie legte sich ins Bett und schlief sofort ein.
Mit ihrer Bettdecke fechtete sie wilde Kämpfe aus und schreckte schließlich hoch. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits nach zehn war. Sassy lag in ihrem Bett und schlief. Sie schien das gar nicht gestört zu haben. Dafür Kaoru um so mehr und so schlug die ihre Bettdecke auf und schlich sich aus dem Zimmer. Leise stieg sie die Treppen nach oben und blickte sich immer ängstlich um. Sie hatte Constantine versetzt, schlimmer noch. Sie hatte ihn als Monster beschimpft und ihn von sich weggestoßen. Sie lief durch die dritte Etage und zupfte an ihrem Pulli herum.
Sie wusste ja gar nicht, wo Lotte´s Zimmer war, wie sollte sie sie also fragen, ob es stimmte, was Selma gesagt hatte?
'Lotte?' presste sie geflüstert, aber deutlich hörbar heraus und lauschte. Es war eigentlich absurd zu hoffen, dass nur sie es hörte, aber Kaoru fand einfach keine Ruhe. Plötzlich vernahm sie aus Constantine´s Zimmer Geräusche und schlich hastig den Flur wieder zurück.'Kaoru, komm her.' hörte sie ihn sagen und blieb stehen. 'Na komm schon her.'
'Constantine?'
'Komm zu mir.'
Seine Tür war nur angelehnt und seine Stimme klang nicht verärgert, also ging sie langsam auf sein Zimmer zu.
'Darf ich rein kommen?'
'Sicher, komm rein.'
Sachte drückte sie gegen die Tür und betrat das Zimmer.
'Kannst du nicht schlafen?'
'Nein.'
Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie sich um. Sie entdeckte seine Silhouette an seinem Schreibtisch. Er hatte also noch nicht geschlafen. Kein Wunder also, dass er sie gehört hatte.
'Du wohl auch nicht, was?' brachte sie noch hervor und fummelte wieder am Ärmel ihres Pulli´s herum.
'Nein.'
Plötzlich kam eine unangenehme Stille auf.
'Tja.' warf sie in den Raum und wartete auf eine Reaktion.
Doch noch immer war Ruhe.
'Also, ich gehe dann wieder.'
'Was wolltest du hier oben?' entgegnete er ihr immer noch ruhig und sachlich.
'Eigentlich wollte ich zu Lotte.'
'Du magst sie, was?'
'Ich kenne sie ja kaum.'
'Und was willst du dann bei ihr?'
'Ich... ich wollte mich mit ihr unterhalten.'
'So? Über was denn?' Seine Fragen bohrten sich direkt durch Kaoru´s Körper und sie wurde steif, wie ein Brett.







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