Affäre zwischen zwei Welten

Autor: Marei
veröffentlicht am: 26.01.2009




Ihre hohen Schuhe klackten gleichmäßig auf den teuren Marmorfliesen, als sie zu früher Morgenstunde durch die hohen Flure der Villa Sunrise stolzierte. Unter ihrem rechten Arm hatte sie ihre Fotomappe und an der linken Hand hielt sie ihren schwarzen Aktenkoffer aus echtem Leder. Sie hatte für heute ihre haselnussbraunen Haare zu einem französischen Zopf geflochten und trug dem Anlass entsprechend eine cremefarbene Bluse und einen knielangen Rock ohne Extensions. Zielsicher mit erhobenem Haupt stakste sie weiter in das Büro des großen, reichen Besitzers. Ihr wurde die Tür ohne Kommando geöffnet. Sie starrte in einen dunklen Raum mit Regalwänden bis unter die Decke. 'Treten Sie ruhig ein, Miss.', ein kräftiger Mann im grauen Nadelstreifensakko deutete mit der offenen Hand in Richtung des großen Zimmers. Elinor trat auf einen flauschigen Teppich, der sie im ersten Moment unvorbereitet einsinken ließ. 'Guten Tag.', der Mann hielt ihr seine rechte Hand hin. Sie erwiderte seinen Händedruck und lächelte freundlich. Seine Hand erinnerte an eine große, behaarte Bärentatze, dazu war sie leicht feucht, die Finger wurstig. Elinor war es aus beruflichen Gründen gewohnt alles genau bis ins kleinste Detail zu erkunden und zu analysieren. So blieben ihr auch die Bartstoppeln nicht verborgen, die Mister Brown in jeder seiner Falten hatte stehen gelassen. Wahrscheinlich kam er dort nicht mehr hin, da diese so genannten 'Alterszeichen' bereits zu tiefen Schluchten geworden waren. Eine breite, knollige Nase saß inmitten seines Gesichtes mit kleinen Augen links und rechts, die sehr weit im Kopf hingen. 'Guten Tag, Herr Brown', entgegnete Elinor freundlich. Wieder deutete Brown mit seiner offenen Hand, dieses Mal auf die grünen Ledersofas. 'Setzen wir uns, das ist viel angenehmer.'
Elinor nickte zustimmend und setzte sich hin, sie überschlug ihre Beine. Brown reichte ihr ein Weinglas, mit blutrotem Wein. Elinor nahm es entgegen und nippte nur anstandshalber daran, und stellte es ab. 'Ich habe schon jede Menge von Ihnen gehört, Miss Carrey. Ich hoffe, dass Sie mich nicht enttäuschen werden.'
'Natürlich nicht.', säuselte sie Zuversicht und reichte ihm ihre Mappe, 'Ich habe Ihnen meine letzten Werke mitgebracht, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.'
Mister Brown studierte jedes Bild sehr genau, wie es Elinor von jedem Klient gewohnt war. Sie setzte in der Zeit ein freundliches Lächeln auf und verfolgte seine Mimik. Sofort erkannte sie, dass er erfreut war. Innere Erleichterung fiel von ihr ab, wie es jedes Mal der Fall war, wenn sie einen Kunden für sich gewann. Sein Blick wurde von Foto zu Foto wohlwollender.'Sehr gut, sehr gut. Ich bin sehr zufrieden. Dann hoffe ich, dass Sie für mich ein genauso gutes Meisterwerk erschaffen werden. Nein, ich verlasse mich darauf.'
'Das können Sie auch.', Elinor hasste diese gespielte Arroganz, doch anders verunsichert man Kunden, das wusste sie. 'Dann wollen wir uns mal das Grundstück ansehen, was meinen Sie? Könnten Sie heute schon anfangen?'
'Natürlich, das wäre mir am liebsten.', nickte sie und folgte dem stämmigen Mann durch seine großzügige Behausung. Nach mehreren Fluren, die sie hinter sich ließen, gelangten sie durch eine Verandatür ins Freie. Elinor musste sich ein Dach mit ihrer Hand über den Augen formen, um überhaupt etwas sehen zu können. Die Sonne schien erbarmungslos. Ein frischer Julimorgen, wie Elinor sie liebte. Vor ihr lag ein bewucherter Garten mit vielen Bäumen. Sie zog ihre Schuhe aus und stellte sich auf den Rasen. Trotz seiner Buschigkeit, war er ungewöhnlich weich und gab unter ihrem Gewicht sanft nach. Vom Regen des Vortages war er noch leicht feucht und machte schmatzende Geräusche, nach jedem ihrer Schritte. Mister Brown sah ihr leicht verwundert nach, als sie barfuss durch seinen Garten streifte, doch das tat sie immer, da ihre Schuhe nicht für Rasen geeignet waren, sie jedoch nicht in Turnschuhen erscheinen wollte. Sie verschaffte sich einen Überblick über den ganzen Garten und kam zurück auf die Veranda. Sie wühlte einen weißen Zettel und einen Bleistift aus ihrem Aktenkoffer und begann das Grundstück zu skizzieren. Mister Brown beobachtete dabei fasziniert wie haargenau sie arbeitete. Ihre Skizze dauerte nur wenige Minuten und trotzdem hatte sie jedes noch so kleine Detail bedacht. Sie packte ihre Zeichnung ein und stellte sich wieder vor ihren Klienten. 'Ich werde Ihnen fünf vollständige Vorschläge machen, wie wir den Garten in ein hauseigenes Paradies verwandeln. Ich denke, aus dem Teich kann man jede Menge machen, auch wenn er jetzt noch sehr zugewuchert ist.' Sie verabschiedete sich von Brown und kehrte eigenständig zurück zu ihrem Wagen. Wieder hatte sie ein zufriedenes Gesicht zurückgelassen. Sie liebte ihre Arbeit. Als Landschaftsarchitektin konnte sie ihre gesamte Kreativität und Liebe zur Natur ausleben und damit auch noch Geld verdienen.Entgeistert stellte sie jedoch wenige Sekunden später fest, dass sie das Dach ihres Cabrios mal wieder nicht zugemacht hatte. Mit mulmigem Gefühl im Bauch legte sie einen Schritt zu. Plötzlich erhob sich ein schwarzer Wuschelkopf aus dem Auto, der fluchend gegen das Lenkrad schlug. Elinor glaubte, sie sieht nicht richtig. Sie schlich sich an und schaute diesem Burschen von weiter hinten über die Schulter. 'Zum Kurzschließen wäre das andere Kabel richtig gewesen, Kleiner.'
Der Schwarzhaarige drehte sich mit geschocktem Gesichtsausdruck um und stieg augenblicklich aus. 'Das war ja wohl nichts. Ich gebe dir einen Tipp, versuch es nachts, da wirst du nicht von so vielen gesehen und hast mehr Zeit.', versicherte Elinor und holte ihren kleinen Notizblock heraus. Sie war schockiert. Der junge war allerhöchstens zehn Jahre. 'Name und Adresse? Kannst mir den Namen deiner Eltern gleich dazu verraten.'Der kleine machte große Augen und versuchte einfach weg zu rennen. Darauf war Elinor jedoch gefasst gewesen und hielt ihn mit einem gezielten Griff am Kragen fest: 'Also?', sie zog wartend ihre Augenbrauen in die Höhe. 'Jack.'
'Und weiter?', fragte sie, während sie den Namen aufschrieb. 'Jack Mackey.', grummelte der Kleine widerwillig, 'Bakerstreet 75.'
'Okay, und der Name deiner Eltern.'
'Jess Mackey.'
Sie packte alles ein und beugte sich zu ihm herunter: 'Das hätte doch nicht sein müssen, hm?'. Der Junge hatte ein ebenmäßiges Gesicht und klare Gesichtszüge. Seine Augen waren offen und so dunkel, dass sie fast schwarz waren. Auf dem Kopf hatte er flauschige Locken. Er sah einfach zum Knuddeln aus. Was Elinor jedoch auffiel war, dass er unglaublich dreckig war. Er wirkte schmuddelig und schlecht gekleidet.
Sie fasste ihm an die Schulter, 'So etwas endet nie gut. Ich möchte auch eigentlich niemanden anzeigen. Entschuldige dich lieb und versprich mir, dass so etwas nie wieder vorkommt, dann vergesse ich alles wieder und zerreiße meinen Zettel, was hältst du davon?'Er entzog ihr die Schulter: 'Sie verstehen gar nichts!', er spuckte ihr provokant ins Gesicht und rannte weg. Angeekelt wischte sie ihr Gesicht mit einem Taschentuch ab und starrte dem Jungen Kopfschüttelnd hinter her. Wie es aussah musste sie diesen Mackey mal besuchen kommen, immerhin war ihr Auto jetzt hinüber, so viele Kabel wie er zerschnippelt hatte. El seufzte, wie konnten Kinder nur in dem Alter schon so verdorben sein?
Sie setzte sich ins Auto und betrachtete das Desaster genauer. Unmöglich, den konnte sie vergessen. Sie zog ihr Handy aus der kleinen Handtasche und suchte die Nummer einer Freundin, mit der sie nun eigentlich verabredet war.
'Hey Süße! Was ist los, ich hoffe, du willst nicht absagen?!', ertönte die quietschig, bekannte Frauenstimme. 'Nein, nein, Gina. Mein Cabrio ist nur kaputt, könntest du mir unter Umständen vielleicht Jesper schicken?', Jesper war Ginas Chauffeur.
'Oh, Schätzchen! Wie ist das denn passiert?'
'Kann ich dir das später erzählen? Wenn wir uns sehen?', während sie mit einer Hand das Gerät hielt, zog sie mit der anderen durch den Rückspiegel guckend ihren roten Lippenstift nach und setzte ihre Sonnenbrille auf den Kopf.
'Aber klar, wo bist du denn jetzt?'
'Vor der Villa Sunrise, Mr. Brown.', die Villa war bekannt genug, dass diese Aussage reichte. 'Er ist sofort bei dir.'
'Danke, Küsschen.'
'Kuss.'
El klappte ihr Handy zusammen und packte es wieder weg. Der Tag war der absolute Reinfall! Sie rangelte immer noch mit sich, ob sie diesen Jungen anzeigen sollte. Er war doch noch so jung! Aber andererseits hatte sie immer noch ein Ekelgefühl, da er sie bespuckt hatte und dieses Verhalten musste definitiv bestraft werden! Wie es aussah, kam sie um einen Besuch bei dem Kleinen nicht herum.
'Miss Elinor Carrey, dürfte ich bitten?', Jesper hielt ihr bereits die Tür auf. 'Schön, dass Sie so schnell kommen konnten.', freute sich El und lächelte ihn an. Jesper war ein klappriges Gestell Mann mit viel Herz. Elinor mochte ihn sehr gerne. Nur seinen gebremsten Fahrstil konnte sie gar nicht leiden. Er schlich, man könnte ihn zu Fuß fast einholen. 'Ist Ihr Auto noch zu reparieren, Miss?', fragte er und sah sie durch den Rückspiegel an. 'Ich hoffe es sehr. Ich werde ihn abschleppen lassen müssen.', sie seufzte, 'der Tag ist wirklich für die Katz!''Regen Sie sich nicht auf. Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels.', zwinkerte er und bog auf den Parkplatz des Strandcafés ein, auf dem Elinor mit ihren zwei Freundinnen verabredet war.
Zu dritt waren sie die reinsten Klatschtanten aus der Highsociety. Dazu zählten Gina, die ihr Geld schon gar nicht mehr zählen konnte, da sie einen erfolgreichen Naturpark erben sollte, Kat, die sich immer weiter hoch schlief um irgendwann auf dem Chefsessel einer Modefirma zu landen und Elinor, die eher die Spießerin war und Wert darauf legte für ihr Geld zu arbeiten, dafür mit sehr gutem Gehalt. Alle drei genossen hohen Bekanntheitsgrad und wurden auf Promipartys gern gesehen.
'El, Süße! Schön dich zu sehen!', begrüßte sie Gina, die immer leicht durch die Nase sprach und eine übertriebene Pose besaß. Ihre Finger benutzte sie stets nur bis zu ihrem zweiten Gelenk, um ihre Fingernägel jeglicher Gefahr zu entziehen. Sie schmatzte ihr laut ein Küsschen rechts und eines links auf die Wange und lächelte breit. Sie war das
Barbiepüppchen der Gruppe. Elinor ließ sich davon nicht stören, sie war ja trotzdem jemand, auf den man sich verlassen konnte. Sie hatte immer ein offenes Ohr und mittelgutes Verständnis. Ganz anders Kat. Mit Beziehungsproblemen durfte man ihr gar nicht kommen. Sie hatte einen Mann nur so lange er ihr berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bieten konnte. Sie war die erste, die ein Kleid besaß, wenn es herauskam und genauso die erste, die es wieder weggab, da man sie damit nicht zu oft sehen durfte. Elinor sahen sie dagegen als die kleine Nachwuchsmillionärin an, die ab und zu ihre Nachhilfe brauchte. 'Schätzchen! Wie war dein Arbeitstag?'
'Hab einen neuen Klienten an Land gezogen.', Elinor schwenkte freudig mit ihren Skizzen. 'Bravo, ohne mit ihm zu schlafen?', kicherte Kat ungläubig. Gina und El verdrehten nur die Augen. 'Ich glaube vor dem würdest sogar du Halt machen', zwinkerte El und setzte sich zu ihnen auf die Strohstühle mit großzügigen Kissen, in die sie richtig versank. Sie waren oft hier, um ihre Haut zu Bräunen. Gina bestärkte dies mit regelmäßigen Sonnenstudiobesuchen. Ihr Erscheinungsbild bot so einen ungesunden Kontrast zwischen hellblondem Haar und frisch gebräunter Haut. Ihre Nase zeigte das Ergebnis mehrerer Operationen und ihre Wimpern waren so weit verlängert worden, dass El Angst bekam, die Lider konnten das Gewicht nicht mehr halten, darüber schwieg sie jedoch eifrig.
'Also und was ist jetzt mit dem Auto, Süße?', fragte sie und schlürfte an ihrem Kaffee. 'Ein kleiner Junge von höchstens zehn Jahren hat einfach an den Kabeln rum geschnitten!', ergärte sich El erneut, als sie wieder daran dachte. 'Wirst du es zur Anzeige bringen?', kam Kat gleich auf den Punkt und holte eine Visitenkarte heraus, 'hier, einen besseren kannst du gar nicht bekommen.'
El nahm sie entgegen und las den Namen: 'Aber…er war noch so klein. Ich möchte erst seine Eltern besuchen. Die werden ihn schon zurecht weisen.'
Die beiden jungen Frauen setzten sich auf und schauten sich fragend und schulterzuckend an: 'Was soll das? Was hast du dann davon?'
Da merkte Elinor wieder den Unterschied. Keiner der Beiden hatte je für Geld gearbeitet, während sie darauf bestand sich alles zu erarbeiten. 'Ich bleibe dabei, aber trotzdem danke.', sie schob die Visitenkarte auf dem Tisch zurück zu Kat und stand auf: 'Ich möchte mich nur schnell frisch machen.'
Sie stolzierte in das Bat des Cafes, wusch sich ihr Gesicht sorgfältig, um endlich das Gefühl los zu werden Sabber von diesem Fratz überall hängen zu haben und schminkte sich nach. Eigentlich liebte sie Kinder, sehr sogar. Sie betrachtete ihr Spiegelbild. Sie war lange nicht so auffällig wie Gina oder Kat. Sie hatte zwar große, grüne Augen, aber sonst war sie recht normal. Sie hatte eine kleine, spitze 'Kleopatra-Nase' und volle Lippen mit ausgeprägtem Armorbogen. Ihre Haare waren lockig und lang in einem schönen Haselnussbraun. Eigentlich fand sie sich recht hübsch, da sie auch über sehr reine Haut verfügte, doch andererseits ging sie neben ihren Freundinnen vollkommen unter.
Sie lief zurück und stellte fest, dass bei den beiden bereits Aufbruchstimmung herrschte. 'Wollt ihr schon gehen?', fragte sie verwundert und blickte beide abwechselnd an. 'Ja, ich habe einen Termin, Maniküre. Willst du wieder mitfahren? Jesper macht das nichts aus, dich auch noch heim zu bringen.'
'Ach, nein, ich nehme mir ein Taxi. Außerdem wollte ich noch zu Herrn Mackey, wegen meinem Auto.'
'Wenn das so ist. Mach's gut, Schätzchen.'
'Ihr auch.', wieder kassierte sie feuchte Küsschen links und rechts und machte sich danach auf den Weg. Sie holte ihren Zettel heraus 'Bakerstreet 75'
/Ach, stimmt./
Sie orientierte sich kurz und winkte das nächste Taxi herbei. 'In die Bakerstreet, bitte.', forderte sie. Der ruhige Taxifahrer nickte nur und fuhr los. Elinor holte ihre Skizze heraus und versuchte die Zeit zu nutzen. Der Garten war sehr groß, man konnte ihn mit Sicherheit sehr gut anlegen. Sie stellte sich eine japanische Brücke vor, die über den großen Teich lief. Ein Weg aus Natursteinen. Sie wollte eine Art Naturschutzpark errichten. Ihr schwärmte dazu ein großer Brunnen vor, in dem sich die verschiedenen Vögel erfrischen könnten. Sie geriet ins Schwärmen. Hoffentlich würde sie bald genug Zeit haben ihren eigenen Garten anzulegen. 'Hier.', murmelte der Mann am Steuer. Elinor hatte das Gefühl, dass er kaum ein Wort verstand, von dem was sie sagte. 'Ich danke Ihnen.', sie drückte ihm das Geld inklusive Trinkgeld in die Hand und stieg mit ihrem Gepäck aus. Diese Bakerstreet war bewohnt mit Einsiedlern, vermutete El. Die Häuser waren etwas heruntergekommen. Sie lief den Bürgersteig entlang. Ihre Schuhe klackerten laut. Die Menschen, die dort saßen oder draußen arbeiteten, sahen sie mit abwertendem Blick an und rümpften die Nase. Noch nie kam sie sich so unwillkommen vor. Das schlimme war, sie empfand unglaubliches Mitleid. Die Klamotten der Leute waren Notdürftig. Die Kinder liefen zum Teil Barfuß herum und spielten mit alten Lederbällen. Sie fühlte sich einige Jahrzehnte zurückversetzt. Wo war sie nur hier gelandet? Erst jetzt wurden ihr die Augen geöffnet. Sie hatte nie darüber nachgedacht, dass es immer noch welche gab, die ums überleben kämpften, die sich nicht so viel leisten konnten wie sie und ihre Freunde. /75, hier ist es./, zögernd trat sie die kleine Treppe hinauf und sah sich um. Das Haus war eines der verkommensten. Der Vorgarten war ein Schlachtfeld, die Fenster wurden durch angenagelte Balken zusammengehalten. Das hier überhaupt jemand drinnen leben durfte. Unfassbar. Sie suchte eine Klingel, doch es war keine zu sehen. Etwas zögerlich klopfte sie gegen den Türrahmen, da sie Angst hatte, das Glas in der Mitte könnte brechen. Sie hörte Kinderstimmen, und Kinderfüßchen, die laut lachend und kreischend angetrampelt kamen. Einer öffnete die Tür. Es war dieser Jack, der Kleine höchst persönlich. Als er El erkannte, starrte er sie mit weit geöffneten Augen an und schleuderte die Tür mit ach und krach ins Schloss. Elinor war verblüfft. Dann nahm sie ein Frauengeplöke in einer anderen Sprache wahr und die Tür öffnete sich wieder. Eine ältere Dame in geblümten Kleid stand nun vor ihr und musterte sie fragend. 'Guten Tag, ich suche einen Herrn Mackey, Jess Mackey.'
'Ah, Jess. Moment, gleich kommen.', ihr Englisch war wirklich sehr schlecht. 'Danke.'Die Frau lief zurück ins Haus, ließ die Tür jedoch offen stehen, so konnte El einen kleinen Blick hinein werfen. Was sie zu sehen bekam war eine bedürftige Küche. Ungewöhnlich. Sie streckte sich ein wenig, um mehr erkennen zu können. Doch dann stand ihr plötzlich etwas in der Sicht. Sie stellte sich wieder aufrecht hin. Ein Mann, einen ganzen Kopf größer als sie, stand vor ihr. Es war unverwechselbar der Vater. Er hatte ebenfalls schwarzes Wuschelhaar, doch etwas kürzer, dafür die gleichen großen, braunen, offenen Augen und ein ebenmäßiges, gut rasiertes Gesicht. Er sah sehr charmant aus. 'Sie müssen sich in der Tür geirrt haben.', er sprach ein gutes Englisch, wobei seine Betonung nicht ganz richtig war, dass fand Elinor jedoch sehr sympathisch. 'Wenn Sie Herr Jess Mackey sind, dann bin ich hier richtig. Es geht um Ihren Sohn, Jack.'
Jess sah sich um und stellte fest, dass die Nachbarn neugierig gafften. 'Kommen Sie rein.', er hielt ihr die Tür weiter auf und schloss sie sofort hinter ihr wieder. Er lief vor und Elinor folgte ihm. Sie achtete darauf, nichts zu berühren. Ihr erschien alles dreckig und schmuddelig. Sie fühlte sich äußerst unwohl. In der Küche war noch eine weitere Tür, durch die sie nun auch noch gingen. Sofort waren sie wieder draußen. Das Haus war wirklich winzig. Jetzt waren sie aber in einem Innenhof, der mehrere Häuser miteinander verband. Die Steinplatten am Boden waren zum Teil gesprungen und lange Rangpflanzen kletterten an den Hausmauern hinauf. Doch diese blühten und machten so alles freundlicher. Jess deutete auf einen alten Holztisch und Plastikstühle. 'Setzen Sie sich.', er tat es ihr gleich. Er trug eine ausgewaschene Jeans und ein mit viel Benzin beschmutztes Unterhemd. Dafür wirkte er sehr maskulin. Elinor ließ ihren Blick weiter durch den Innenhof streifen, in dem ganz viele Kinder umhertollten und fangen oder sonst etwas spielten. 'Was wollen Sie von Jack?', er klang sehr besorgt, seine Stimme war weich, zart schon fast. 'Ich möchte Ihnen keine Umstände machen, aber ihr Sohn wollte mich bestehlen! Er wollte mein Auto klauen und hat sämtliche Kabel zerschnitten, es ist ruiniert.'
'Und?'
Elinor schaute verdutzt. Und? Das war eine Straftat. 'Was gaffen Sie ständig diese Häuser an? Eine ‚Modequeen' wie Sie kennt das wahre Leben wohl nicht? Wissen Sie, soll ich meinen Sohn dafür nun bestrafen? Woher soll der Junge etwas anderes kennen?''Was soll das jetzt heißen?', El kam aus ihrer Verwunderung nicht mehr heraus, 'egal, in welcher Schicht ein Kind aufwächst, es sollte eine Chance bekommen erzogen zu werden! Es muss lernen was Recht und Unrecht ist!'
Dieser Mann stand auf und schaute auf die spielenden Kinder. 'Ist es etwa fair, dass sie hier mit Armaniklamotten auftauchen und mein Sohn die Klamotten aus Containern rausholen muss, damit er nicht nackig rum läuft? Nennen Sie das fair oder recht?! Sie arbeiten nicht so hart, um so viel Geld verdient zu haben.'
Elinor war hart getroffen. Sie stand auf und baute sich vor ihm auf. 'Was fällt Ihnen ein über mich zu Urteilen! Ich wollte das ganze nicht zur Anzeige bringen, aber Sie…Sie.', ihr fehlten die Worte. Sie holte einfach mit ihrer Hand aus und schleuderte sie in Richtung seines Gesichtes. Er fing sie ab und hielt sie mit seiner starken, großen Hand fest. El war geschockt wie viel Kraft er besaß. Seine Hände waren rau. 'Mein Urteil ist ganz einfach.', er hielt ihre Hand so hin, dass sie auf ihre Hände sehen konnte, 'Sehen Sie sich mal ihre Hände an, sie sind weich, gepflegt, die Nägel tadellos.'
Elinor entzog sich seinem Griff: 'Wissen Sie woran das liegt? Weil ich sie Pflege! Ich arbeite auch, sehr viel sogar.'
Jess ging nicht auf ihre Worte ein: 'Sehen Sie sich nun mal die Hände der Kinder an. Sie sind abgearbeitet, rau und kaputt.'
Ein kleines Mädchen kam auf ihn zu gerannt und er hob es mit Schwung hoch. El schaute auf ihre Hände, es stimmte. 'Sie ist fünf Jahre alt.', erklärte Jess und ließ sie wieder laufen. 'Sie arbeiten den halben Tag und haben kein Geld um sich irgendwelche Pflegeprodukte zu kaufen und hätten sie dieses Geld, müssten sie es für Essen ausgeben oder Klamotten, für etwas, was man wirklich zum leben braucht.'
Nun fiel Elinor nichts mehr ein, aber auch gar nichts. Schlagartig wurden ihr die Augen geöffnet. Er hatte Recht. Das einzige was El 'arbeitete' war, sich Gärten angucken, Skizzen anfertigen und den Leuten dirigieren, wo sie was anbauen sollen. Sie fühlte sich schäbig, dass sie in Betracht gezogen hatte, eine Anzeige aufzugeben. Dieser Wagenklau war nur ein kleiner Hilferuf des Jungen gewesen. Elinor würde all ihre Kraft opfern, um ihnen zu helfen, das nahm sie sich vor. 'Verschwinden Sie.', holte Jess sie wieder aus ihren Gedanken. 'Aber, ich…ich meine…ich würde Ihnen gerne helfen.'
Jess lachte leicht, wurde aber sogleich wieder ernst: 'Wir brauchen Ihr Mitleid nicht, verschwinden Sie einfach.', und schon marschierte er wieder weg. Elinor hatte Tränen in den Augen und sie wusste nicht warum. Sie war schrecklich gerührt. Sie musste doch irgendwie helfen können und so schnell gab sie sich damit auch nicht geschlagen.









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