Herz und Verstand

Autor: _Abril_
veröffentlicht am: 19.10.2008




Ein leises Knarren der Treppe verriet ihr das jemand aus ihrer Familie aufgewacht war und sich nun auf den Weg zu ihr ins Esszimmer begab. Und als sie die Person am Treppenabsatz als ihre Mutter identifizierte, wusste sie instinktiv was folgen würde.
'Warum schläfst du nicht?', kam die Frage ihrer Mutter wie aus der Pistole geschossen und lies sie in ihrer Bewegung inne halten. Stellas grünbraune Augen blickten in die haselnussbraunen Augen ihrer Mutter und hielten ihrem wütenden Blick stand.
'Ich konnte nicht schlafen', erwiderte Stella gleichmütig und begann erneut in dem vor ihr liegenden Buch zu schreiben. Ihre Mutter warf ihr erneut einen bedrohlichen Blick zu und ging an dem Esszimmer vorbei und verschwand in der Küche. Stella vernahm das Öffnen eines Wandschranks und das Klirren eines Glases auf dem Spülbecken. Dann hörte sie die vertrauten Geräusche des Kühlschrankes und das Plätschern von Leitungswasser. Sie seufzte kurz, ehe sie erneut vom Buch hochsah. Solange ihre Mutter im Nebenzimmer war würde sie sich nicht konzentrieren können, dachte sie frustriert. Also hieß es zu warten. Sie warf den Kopf in den Nacken und lauschte kurz ehe sie wahrnahm, dass der Cd-Spieler immer noch lief. Sie lauschte einen Moment der Musik und hörte auch schon die Stimme ihrer Mutter schimpfen:
'Hast du eine Ahnung wie man die Musik im ganzen Haus hört? Schalt den Kasten endlich aus und geh ins Bett… Gott, ich bin so Arm!' Und so weiter. Stella hörte nicht mehr hin. Gequält stand sie auf und drückte auf die Aus-Taste. Wieder ging sie zum Esstisch und ergriff ihren Kugelschreiber. Ihre Mutter ging an ihr vorbei. Vielleicht würde sie ohne ein weiteres Wort einfach hochgehen und sich schlafen legen, begann Stella zu hoffen. Doch schon hörte sie: 'Ich hoffe, es wird heute noch sein, wenn du dich ins Bett begibst!' Stella konnte nicht anders als ihrer Mutter einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Und es hätte durchaus sein können, dass dieser Blick ihre Mutter eingeschüchtert hätte, wäre ihrer nicht genauso unnachgiebig gewesen wie der ihrer Tochter. Die Schritte ihrer Mutter auf der Treppe ließen sie die Situation einen Moment lang abschätzen. Eigentlich wäre es reinster Leichtsinn nicht auf die drohenden Augen ihrer Mutter zu achten. Und der Herausforderung ihrer Mutter zu widersprechen fühlte sie sich zu dieser späten Stunde nicht gefasst, deshalb begann sie ihre Sachen vom Tisch zu räumen und folgte mit leisen Schritten ihrer Mutter. 'Gute Nacht', flüsterte Stella, ehe sie in ihrem Zimmer verschwand und die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Sie legte ihre Sachen auf ihren rechtmäßigen Platz und spürte ganz unerwartet wie die Müdigkeit ihren Körper in Sekundenschnelle befiel.

Am folgenden Morgen erwachte Stella mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Raunend blickte sie sich im Zimmer um. Noch immer hing der Schlaf in ihren Augen, während sie allmählich die Umrisse ihres Wandschranks wahrnahm. Verschlafen fragte sie sich, ob ihr Wecker bereits geläutet hatte. Tastend griff sie unter ihr Kissen und suchte nach ihrem Handy.
'Handy! Handy, wo bist du?', murmelte sie bis sie schließlich das Gerät fand. Es hatte an der Kante ihres Bettes gelegen. Gähnend drehte sie sich auf den Rücken und starrte auf das Display ihres Handys.
'Ach, du meine Güte', schrie sie plötzlich und saß wie vom Blitz getroffen aufrecht in ihrem Bett. 'Ich komm zu spät', faselte sie, als sie aus ihrem Bett sprang und wie von einer Biene gestochen ins Badezimmer rannte. Auf dem Weg dorthin begegnete sie zwar ihrer Mutter, doch was auch immer diese zu sagen versucht hatte, ging in dem Schwall von Stellas Wörtern unter. 'Keine Zeit zum Plaudern, Mum. Ich komm zu spät. Wieso hat mich niemand geweckt?' Mit diesen Worten war sie im Bad verschwunden. In wenigen Minuten hatte sie sich die Haare gewaschen und geföhnt, sich angezogen und ihre Schulsachen
zusammengesucht und eingepackt, ehe sie das Haus verlies. Die Kopfschmerzen hatte sie längst vergessen. Noch nie zuvor hatte sie so früh wie an diesem Morgen die Zughaltestelle erreicht. Außer Puste setzte sie sich auf eine Bank. Ihr Puls raste noch immer. Ihr Atem ging stoßweise. Glücklich lächelte sie.
'Bin ich froh, ich bin rechtzeitig', brachte sie stotternd hervor. Sie wischte sich ein paar lästige Haarsträhnen aus dem Gesicht. 'Bin ich vielleicht gerannt', witzelte sie und kam allmählich zur Ruhe. Nun blickte sie sich an der Haltestelle um. Offensichtlich war sie die Erste, grinste sie zufrieden, woraufhin ihr dann blitzartig eine zweite Person auffiel die hinter der Ampel stand. Mit hochgezogener Augenbraue besah sie sich den Unbekannten genauer. Stella machte eindeutige die Konturen eines Mannes aus. Sollte sie etwas sagen? Er hatte ihre Selbstgespräche doch ohnehin mit angehört.
'Möglicherweise ist das dann doch keine so gute Idee', bemerkte sie hastig, nachdem sich die Gestalt schlagartig auf sie zu bewegte. Sie schluckte. Ihr war schrecklich mulmig zumute. Mit jedem Schritt wirkte er bedrohlicher. Sollte sie schreien? Wer würde sie hören? Stella war beinahe schlecht als er endlich vor ihr zum Stehen kann. Im Licht der Laterne wirkte er gar nicht mehr grob und furchterregend. Wider besseren Gewissens fühlte sie sich magisch von dem Unbekannten angezogen. Sein schwarzes Haar leuchtete Violett vom Schein der Laterne. Seine schwarzblauen Augen strahlten Ruhe und Geborgenheit aus. Die schwarze Lederjacke hatte er an den Ärmeln hochgestrickt, wodurch Stella einen dunklen Pullover darunter ausmachen konnte. In seiner linken Hand befand sich ein Helm, wie sie verdutzt feststellte. Wer um Himmels Willen war dieser Kerl? Seine zuerst vermummte Gestalt wich der eines unheimlich attraktiven Bikers. Perplex sah sie wehrlos zu, wie er sich zu ihr hinunter beugte und sanft ihre Lippen liebkoste. 'Was ging hier vor?', fragte sie sich, als sie vom Augenblick mitgerissen die Augen schloss und den Druck seines Mundes erwiderte...









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