Einfach lieben können

Autor: Lilly (2)
veröffentlicht am: 07.11.2008




Mikail Varya sollte Recht behalten. Was immer ich den Ärzten erzählte über meinen furchtbar guten Zustand, keiner wollte mich gehen lassen. Die Zeit im Krankenhaus war eine Qual für mich, da ich mich furchtbar langweilte. Die Vormittage verbrachte ich meist mit lernen, da ich schon keine Vorlesungen besuchen konnte, nachmittags bekam ich Besuch von meinen Eltern, von Adrian und von Sven, der sogar zweimal Kristina mitbrachte. Selbst Zecke ließ sich einmal blicken. Er hatte von meinem Krankenhausaufenthalt erfahren, als er mich auf mein Handy angerufen hatte und meine Mutter abgehoben hatte. Warum er angerufen hatte, das vergaß ich vor Überraschung zu fragen, aber wenn ich ehrlich bin, interessierte es mich nicht einmal. Wichtig war, dass Zecke da war, und dass er wie ausgewechselt schien. Ich fand es süß, dass er sich Sorgen machte und mich im Krankenhaus besuchte. Er war nervös und wir wussten beide nicht so recht, was wir miteinander anfangen sollten, entsprechend war sein Besuch von kurzer Dauer. Es war mir egal. Ich freute mich einfach, dass ich ihm nicht egal war, und ich freute mich noch mehr, als er mir von seiner neuen Freundin erzählte (die er - natürlich - auf dem Brunnenplatz kennen gelernt hatte) und von seinen Plänen, in nächster Zeit mit ihr zusammen zu ziehen. Ich freute mich, als er mich fest an sich drückte und ich freute mich, als er wieder ging. Irgendwie mochte ich ihn schon. Nur anstrengend war er... Er konnte sich verhalten wie ein Kind, er war offen und mitreißend in seiner Freude. In Gedanken ertappte ich mich dabei, wie ich mir vorstellte, Zecke wäre mein kleiner Bruder und nicht Sven mein großer. Oder noch besser, beide.

Am selben Abend stattete mir Varya einen Besuch ab. Er hatte die Augenbrauen gespielt besorgt zusammengezogen. 'Wie geht es der jungen Patientin denn heute? Der Onkel Doktor macht dich ganz schnell gesund, keine Sorge!' Ich hätte ihm am liebsten die Zunge herausgestreckt. Es war absolut rührend, wie er versuchte, seinen Patienten den Krankenhausaufenthalt so angenehm und locker wie möglich zu gestalten. Erst den Tag zuvor war ich ihm auf dem Flur begegnet und hatte miterleben dürfen, wie er einem alten Frauchen, das auf die Intensivstation gebracht wurde und absolut zusammengesunken in seinem Bett gelegen hatte, doch tatsächlich ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte. Er schien die Inkarnation der Lebensfreude und der Zuversicht zu sein.
Ich war hin und weg, wie er an diesem Abend vor mir stand und mich aus seinen schokoladenbraunen Augen musterte. 'Ich würde Sie gerne entführen...', flüsterte er leise. 'Erlauben Sie mir, Sie zum Abendessen einzuladen.'
Natürlich erlaubte ich es ihm. Das Restaurant war kein Restaurant und das Abendessen war kein Abendessen. Wir waren die einzigen Gäste in der krankenhauseigenen
Besuchercafeteria, welche bereits geschlossen hatte. Ich wusste nicht, wie Varya die Cafeteriabetreiberin überzeugt hatte, sie für uns noch einmal zu öffnen, doch mit seinem Aussehen schien mir nichts unmöglich zu sein. Und woher er die Kaffeteilchen hatte, die normalerweise an die Besucher verkauft wurden, das war mir erst Recht ein Rätsel. Trotzdem war es der schönste Abend für mich seit langem, und als Varya mich zurück auf mein Zimmer brachte und eine kleine weiße Rose hinter seinem Rücken hervorzauberte, war es um mich geschehen. Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle geküsst, aber ich wusste, dass sich das nicht für eine Patientin ziemte. Wir standen im Dunklen vor der Türe, hinter welcher mein steriles Bett auf mich wartete, und in mir sträubte sich alles dagegen, hineinzugehen, doch ich wusste, dass ich müssen würde. Nach einer Ewigkeit beugte Varya sich ein Stückchen zu mir vor und ich war mir sicher, dass es gleich passieren würde, dass der Herrgott meine Gebete erhört hatte und dass er mich nun küssen würde... Noch zwanzig Zentimeter, bis seine Lippen auf meine treffen würden...Fehlanzeige. Statt mich zu küssen flüsterte er mir ins Ohr 'Ich würde mich freuen, in Zukunft perdu mit Ihnen zu sein...'
Ich schaute ihm in die Augen. Ob man mir ansah, dass ich enttäuscht war? 'Dann darf ich aber auch Mikail sagen.', antwortete ich in normaler Zimmerlautstärke.
Er lächelte. 'Also, eigentlich sagen das meine Patienten nicht, aber die wenigsten duze ich auch, insofern werde ich bei dir wohl eine Ausnahme machen...Judith.'
In dieser Nacht schlief ich mit einem Lächeln auf den Lippen ein.







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