Sag, was du fühlst Teil 2

Autor: ***BlackHope***
veröffentlicht am: 30.09.2008




Cecilias Tagebucheintrag:
Dienstag, 24.August
Ich fasse es nicht! Ist mein Leben nicht schon schwierig genug? Wieso mischen sich meine Eltern bloß immer ein? Merken sie nicht, das sie dadurch alles noch schlimmer machen?Ein Austauschschüler, ausgerechnet, und dann noch aus Deutschland! Erst dachte ich schon, sie wollen mich endgültig loswerden und ein Jahr nach Deutschland abschieben, aber da hatten sie dann wohl doch Skrupel. Es ist anscheinend eher so ein Gastfamilien-Programm, wo man Wildfremden Haus und Hof öffnet und sie herzlichst willkommen heißt.
Erst sollten es sogar zwei sein, ein Junge und ein Mädchen - 'in deinem Alter, Cecilia, damit du endlich mal Anschluss findest, wäre das nicht wunderbar?' - ha, wunderbar? Was ist wunderbar daran, nach den ersten zwei Minuten als Vollidiot abgestempelt zu werden und sich dann für den Rest der Zeit hämische Bemerkungen anhören zu dürfen?
Mir wird jetzt schon ganz schlecht, wenn ich nur daran denke, das bald die Schule losgeht und Tonja und Co. Wieder ihrem Lieblingshobby nachgehen: wer macht Cecilia am schnellsten fertig?
Und jetzt schleppen meine ach so besorgten Eltern mir auch noch so was ins Haus, dem einzigen Ort, wo ich meine Ruhe habe und malen kann und niemand mich ständig ärgert.Also, jedenfalls kommt jetzt in drei Tagen dieser Gastschüler hier an. Sie wollten es mir nicht früher sagen, um uns allein die endlosen Diskussionen zu ersparen.
Na, da können die sich aber auf was gefasst machen. Ich werde für diesen deutschen Parasiten jedenfalls nicht die Alleinunterhalterin spielen! Vielleicht haben Mom und Dad ja Lust, sich die Zeit mit ihm zu vertreiben, ich jedenfalls nicht.
Sollen sie doch alle sehen, wo sie bleiben! Ich hasse die Schule! Ich hasse meine Eltern! Und manchmal hasse ich dieses ganze blöde Leben!

-Ungeduldig blickte Cecilia immer wieder auf die antike Standuhr, die sie von ihrem Platz auf der ausladenden Couch gut im Blick hatte. Ihre Mutter hatte sie dazu verdonnert, hier mit ihr auf das Eintreffen von Marc, dem Austauschschüler, zu warten, den ihr Vater in Denver vom Flughafen abholte.
Auf der langen Frühstücksbar in der Küche war ein Büfett aufgebaut, das für eine Hochzeitsgesellschaft gereicht hätte - der Cateringservice, den ihre Mutter bestellt hatte, war pünktlich eingetroffen, ganz im Gegensatz zu Marc und ihrem Vater, auf die sie nur schon seit zwei Stunden warteten.
'Mom, warum kann ich nicht in mein Zimmer gehen, bis sie kommen? Vielleicht hat sein Flugzeug Verspätung, dann kann es noch ewig dauern', quengelte Cecilia zum hundertsten Male. Sie wollte unbedingt an einem Aquarell weiterarbeiten, das sie am Vortag angefangen hatte.
Nicht einmal ihre Eltern wussten, dass sie sich in dem Teil des Dachbodens, zu dem die in den Schrank eingebaute Treppe in ihrem Zimmer führte, ein Atelier eingerichtet hatte, in dem sie unter einem großen Dachfenster bis zum Sonnenuntergang wunderbares Licht zum Malen hatte.
'Du kannst ruhig mit mir hier warten und mir ein wenig Gesellschaft leisten', antwortete ihre Mutter. 'Du hockst sowieso schon immer stundenlang in deinem Zimmer und gibst keinen Mucks von dir. Wie wär's, wenn wir uns heute zur Feier des Tages mal ein wenig unterhalten?'
Zur Feier des Tages! Wenn sie das schon hörte. Was gab es da zu feiern, dass sich ein Wildfremder in ihrem Haus breit machte?
'Und worüber bitte?' gab Cecilia spitz zurück. 'Seit wir uns das letzte Mal unterhalten haben, ist nicht viel Neues passiert.'
Ihre Mutter zuckte ein wenig hilflos die Schultern. 'Ich verstehe einfach nicht, warum du dich so von allem isolierst. Deine Klassenkameraden sehe ich ständig in der Stadt beim Brunnen oder an der Eisdiele, und sie scheinen eine Menge Spaß zu haben. Und du verkriechst dich ständig hier...'
Cecilia unterdrücke ein verächtliches Schnauben. Ja, natürlich hatten ihre Klassenkameraden eine Menge Spaß - auf ihre Kosten. Allen voran Tonja, die frisch gekürte Miss Cortez, die sich auf den ersten Preis bei dieser lächerlichen Misswahl sonst was einbildete. Als ob etwas Bewundernswertes daran wäre, sich vor der versammelten Stadt zu Schau zu stellen wie eine Preiskuh!
Aber das war eben das Niveau hier in Cortez, und Cecilia passte einfach nicht in diese Kleinstadt in den Bergen. Vom ersten Tag an, seit sie vor drei Jahren aus Denver hierher gezogen waren, war sie in ihrer Klasse die erklärte Außenseiterin gewesen, als hätten sich alle stillschweigend verabredet, sie zur allgemeinen Zielscheibe zu machen.
Na gut, sie sah nicht so toll aus wie Tonja und war auch nicht so witzig wie Danielle, die sich trotz ihrer etlichen Pfunde Übergewicht stets in die engsten Klamotten zwängte und alle mit ihrer lässig lockeren Art für sich einnahm.
Sie war nicht so superintelligent wie Anne, die sich bei den anderen damit einschmeichelte, dass sie für sie in Rekordzeit die Hausaufgaben erledigte, und auch nicht so sportlich wie Janet, die im Cheerleaderteam glänzte.
Nein, sie selbst war in allem glatter Durchschnitt: im Aussehen, in ihren Schulnoten, sogar in ihren Ansichten. In Denver hatte sie sich wunderbar eingefügt und war Mitglied einer wirklich tollen Clique gewesen.
Aber es gab drei Punkte, in denen sie überdurchschnittlich war, und die kamen hier nicht besonders gut an. Zum einen waren ihre Eltern überdurchschnittlich reich. Sie hatten in Cortez eine villenartige Ranch gekauft, auf die viele Einheimische scharf waren, sie sich aber nicht leisen konnten. Zwar konnte Cecilia nichts dafür, aber schon allein deshalb war ihr in der Schule von Anfang an eine eher feindselige Stimmung entgegengeschlagen.
Zweitens hatte sie überdurchschnittliches Talent zum Malen, aber daran konnte es eigentlich nicht liegen, denn das wusste keiner, nicht einmal ihre Eltern. Sie war überzeugt davon, dass sie mit ihren Bildern bei den Klassenkameraden noch mehr Spott und Häme ernten würde.Vor allem aber war sie überdurchschnittlich langsam und damit in der Schule zum Abschuss freigegeben. Wenn jemand eine fiese Bemerkung machte, stand sie hilflos da - die treffende und vernichtende Antwort fiel ihr erst ein, wenn die anderen schon vor Lachen nicht mehr grade stehen konnten.
Au0erdem hatten sich die anderen auf Anspielungen spezialisiert, die sie nicht verstand, und sie kam sich immer vor wie ein Vollidiot, wenn alle über sie lachten und sie nicht einmal wusste, worüber. Kurz, es war die Hölle, und die letzten drei Jahre hatten sie davon überzeugt, dass sie eine totale Versagerin war.
Noch dazu eine, die auch niemals einen Freund haben würde. Jetzt war sie siebzehn, und wenn sie nicht damals in Denver ihr bester Kumpel Andy auf einer Klassenfahrt einmal geküsst hätte - eine ziemlich feuchte und eher unangenehme Angelegenheit -, hätte sie nicht einmal diese Erfahrung gehabt.
Denn hier in Cortez würde sich ihr kein Junge auch nur auf drei Schritte nähern, selbst wenn sie das letzte Mädchen in der Stadt gewesen wäre. Wer sich mit einer Loserin wie ihr sehen ließ, war automatisch bei den anderen unten durch, und dementsprechend war sie für die Jungs so gut wie unsichtbar.

'Ich hab dich was gefragt', sagte ihre Mutter.
Cecilia blickte auf. '´Tschuldige', murmelte sie.
'Was geht bloß in dir vor, Kind', sagte Mrs. Coulter ein wenig vorwurfsvoll. 'Wir tun doch alles, um es dir so angenehm wie möglich zu machen, und du...'
Na toll, jetzt ging das wieder los. Konnte sie was dafür, dass sie nicht die glanzvolle Paradetochter war, die sich ihre erfolgreichen Eltern wünschten? Sie hatten sich darauf spezialisiert, die Wochenendhäuser in den Bergen einzurichten, die sich die reichen Geschäftsleute in Denver leisteten, und waren nicht nur ständig bei deren Partys eingeladen, sondern wurden auch in der Fachpresse gefeiert.
Aber mit einer Niete wie Cecilia als Tochter konnte man natürlich keinen Endruck schinden.Zum Glück blieb ihr die Antwort erspart, weil in der Einfahrt der Wagen zu hören war. 'Sie kommen', bemerkte sie und stand auf. 'Endlich. Ich hab Hunger.'
'Versuch doch mal zu Abwechslung, ein klein wenig freundlich zu sein', ermahnte ihre Mutter sie. 'Ich bin sicher, das ist ein sehr netter und höflicher junger Mann.'
Cecilia verdrehte die Augen. Für sie war dieser Marc ein Störenfried, nichts weiter. Und genauso würde sie ihn behandeln, damit er gleich von vornherein wusste, dass er sie lieber in Ruhe lassen sollte. 'Da sind wir!' rief ihr Vater von der Tür her. 'Marcs Gepäck ließ auf sich warten, aber jetzt haben wir es ja zum Glück geschafft.'
Cecilia war nur einen Blick auf den Jungen hinter ihm und fühlte sich noch schlechter.







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