Freudentaumel

Autor: Svenja
veröffentlicht am: 16.03.2005




Die Sonne scheint auf die holprige Minigolfbahn, ich hole mit meinen Schläger aus und schlage. Der Ball rollt langsam die Bahn hinunter und ins Loch! Wahnsinn, ein Schlag und gleich eingelocht. Normalerweise bin ich eine Niete in Minigolf! Philipps Mund steht offen, seine Augen starren in das Loch, wo jetzt der Ball drin prahlt. Als ich an Philipp vorüber gehe, schließe ich seinen Mund mit zwei Fingern und gebe zum Besten: 'Heute musst Du zittern!'
Es war ja bloß die erste Bahn, und dass ich gegen Philipp bei den nächsten Bahnen kläglich versagen werde, weiß ich nur zu gut. Er ist seit der ersten Klasse mein bester Kumpel und wer es nicht glaubt, schon damals war er der absolute Gewinner im Minigolf. Obwohl ihm da der Schläger noch fast bis zur Brust reichte.
Bis jetzt haben wir alle Probleme zusammen gemeistert und uns nicht mal in der Teenagerzeit gehasst. Wo andere Mädchen ihre dicke Freundin hatte, gab es für mich bloß Philipp und auch er beichtete was in ihm vor ging, lieber mir, als irgend jemand Anderem.
Auch jetzt in der Berufsschulzeit, gönnen wir uns Beiden mindestens einen Tag in der Woche, doch meistens werden es zwei oder drei. Meine paar Freundinnen scheinen mich unheimlich darum zu beneiden. Jedes mal erzählen sie mir aufs Neue wie schön es wäre einen Jungen als Kumpel zu haben. Ich frage mich wieder und wieder, was daran so besonders ist, denn auch zwischen Philipp und mir gibt es hin und wieder Streit. Als Teenager haben wir uns sogar sehr oft gestritten und heute lachen wir oft über die alten Geschichten. Damals war es nicht einfach für mich, als er sich das erste Mal so richtig für die Mädchen interessierte. Und ich denke auch er hatte Schwierigkeiten damit, als ich das erste Mal für einen anderen Jungen schwärmte. Wir zogen uns damit gegenseitig auf und begannen kleine Eifersuchtsspiele. Aber wir hatten schnell heraus, dass das unsere Beziehung eher zerstörte als alles andere und so waren wir zwar immer noch eifersüchtig, aber gaben das nun nicht mehr preis. Ich weiß nicht wie es ihm geht, aber ich bin , glaube ich, jetzt noch immer etwas eifersüchtig, wenn er mir seine neue Freundin vorstellt. Das habe ich nie richtig abgelegt, obwohl ich mittlerweile weiß, dass es dafür keinen Grund gibt, denn wir bleiben ja Kumpel.
Philipp nimmt mir den Ball ab und steuert auf den Startpunkt der Bahn zu. Er sieht auf das Loch, dann auf seinen Schläger und zack; der Ball ist im Loch! 'Sag mal wie machst Du das eigentlich immer?' frage ich ihn. 'Na, Du musst gerade fragen!?' erwidert er. 'Das war bei mir Zufall, bei Dir hat das nichts damit zu tun!' Auch die nächste Bahn, zu der ich schon zwei Schläge brauche, fertigt er mit einem Schlag ab. Und als der Ball ins Loch fällt, springt Philipp vor Freude in die Luft. Und ich finde das klasse, wenn er sich dann noch so dazu freut, obwohl er das mit links geschafft hätte.
Im Moment ist er sowieso immer so gut drauf, wenn wir unterwegs sind und das hat mein Freund und mich auseinander gebracht. Davon abgesehen, dass ich ihn sowieso nie richtig geliebt hatte, kam mir das schon ganz recht. Andreas war immer so extrem eifersüchtig und irgendwann, als Philipp mich wegen irgendwas mal wieder in die Arme nahm, was bei uns eine normale Geste ist, haute Andreas auf den Tisch und sagte: 'Das reicht!' Seit dem ruft er ständig an und bittet mich um Verzeihung, aber ich wäre ja bescheuert; Das kam mir eh ganz recht so!
Philipp hatte bisher nur eine richtige Freundin, aber wenn ich ehrlich bin, ich glaube nicht, dass er die richtig liebte. Als sie sich einmal deswegen beschwerte, dass er zuwenig Zeit für sie hätte und ihn aufforderte anstatt mit mir mit ihr wegzugehen, da zog er über sie her, ich dachte er bringt sie gleich um. Seitdem hatte er nur wenige Bekanntschaften, er ist sehr still geworden, was das anbelangt und erzählt nicht mehr viel darüber.

Bei der fünfzehnten Bahn habe ich schon mindestens 50 Punkte und er erst 19, obwohl ich beobachte wie er mir anstatt 4 manchmal nur 3 Schläge aufschreibt. Als ich ihn jetzt darauf anspreche, ob ich bei der letzten Bahn nicht 4 anstatt 3 Schlägen hatte, meint er ganz ruhig: 'Du musst Dich verzählt haben.' Na ja, vielleicht denkt er sonst würde ich nie wieder mit ihmGolf spielen?! Als ich ihm den Block abnehmen will, um selber meine Punkte aufzuschreiben, verweigert er ihn mir. 'Hey, gib her!' Ein gekonntes Grinsen kommt mir entgegen. Ich versuche seine Finger, die fest um den Block geschlossen sind, aufzubiegen, zwecklos! Philipp ist einiges größer als ich und mit Sicherheit auch um dieses Einiges stärker. Also probe ich einen Aufstand, der Philipp anscheinend völlig kühl lässt: 'Ach, Anni, es ist so herrlich wenn Du Dich so angestrengt aufregst.' Er sieht mich an und aus seinem Grinsen wird ein Lächeln, bis ich auch Lachen muss. Dann geht er direkt auf die nächste Bahn zu, schlägt ohne vorher auch nur einmal die Bahn anzusehen den Ball und natürlich landet er wieder im Loch! Ich könnte mich herrlich aufregen, aber wie er da so steht und überlegt, wie er das nun wieder hingekriegt hat, muss ich wieder Lachen.
'Hallo!' rief hinter uns eine Stimme. Andreas! 'Was willst Du denn hier?' stieß ich ihm genervt entgegen. Die letzte Zeit fühle ich mich irgendwie von ihm beobachtet und genervt. 'Golf spielen?!' kommt eine entgeisterte Antwort. 'Ach und mit wem?' frage ich weiter. 'Alleine,...ein bisschen trainieren!' Ich drehe ab, gehe zur Bahn hinüber und spiele meinen Ball, der selbstverständlich 2-3cm vor dem Loch liegen bleibt und auf meinen zweiten Schlag wartet. 'Ich könnte Dir natürlich auch zeigen wie man mit einem Schlag einlocht!' bemerkt Andreas im Hintergrund. Erst sehe ich ihn an, dann schaue ich verzweifelt zu Philipp. 'Ich denke sie kommt schon ganz gut zurecht, Andreas!' bemerkt Philipp mit einem normalen Ton. 'Dich habe ich nicht gefragt, Philipp!' erwidert Andreas. 'Nein, aber ich glaube Anne ist mit mir hier hergekommen...!??' 'Ignoriere ihn doch einfach, Phil!' Die Jungs sehen sich noch ein Augenblick an, dann kommt Philipp zu mir, nimmt mich sanft in seine Arme und ich weiß nicht, was er vorhat; er küsst mich! Viel zu überrascht, um darüber nachzudenken, was ich tun soll, merke ich dass seine Lippen zittern.
Dann löst er sich von mir und sieht zu Andreas herüber: 'Außerdem möchte Anne nicht mehr ständig von Dir genervt werden!' warnt er ihn mit einem leicht säuerlichen Unterton, als wäre er wirklich mein Freund. 'Pfff...kommt es von Andreas: 'Wusste ich es doch gleich!' Dann verschwindet er in Richtung Ausgang und ich blicke Philipp an. Kurz sieht er mich auch an, dann wendet er seinen Blick ab, verschwindet in Richtung Ende der Bahn, wo der Ball immer noch vor dem Loch liegt und sagt: 'Dein Ball wartet!'
Er versucht so zu tun, als ob für ihn alles schon wieder vergessen wäre, aber ich kenne Philund das ist ihm gerade sehr unangenehm! Auch wenn er das nur getan hat, damit Andreas abdreht!
Als wir endlich alle Bahnen hinter uns haben, sagt Philipp doch völlig ruhig: 'Komm, wir brauchen nicht ausrechnen, Du hast eh gewonnen, lass mich dir ein Eis spendieren!' Ungläubig schaue ich ihn an, aber seit dem Vorfall vorhin, blickt er mir nicht mehr in die Augen oder grinst mich an, wie er das sonst so gern getan hat. 'Sicherlich hab ich gewonnen, Phil! Ganz bestimmt!' Immer noch weicht er meinem Blick aus. Ich stelle mich direkt vor ihn, so dass er mich ansehen muss und bestimme: 'Ich zahle das Eis für den Gewinner!' Wir sehen uns an und ich entdecke das erste Mal das Philipp rot wird, es ist nicht doll, aber mir fällt es auf.
Schließlich veranstalten wir ein Wettrennen zum Verkaufshäuschen, bei dem ich natürlich auch verliere und als wir schließlich am Tisch sitzen und Eis essen, gebe ich preis: 'Also ich fühle mich irgendwie wie ein elender Verlierer heute! Du hättest mich wenigstens das Eis bezahlen lassen sollen!' 'Och, dazu ist noch Gelegenheit, wollen wir nicht heute Abend ins Kino?'

Schon seit einer Stunde stehe ich nun vor dem Schrank und denke mir aus, was ich zu so einem Kinoabend nun anziehe. Ich bin bekannt für das lange Rumüberlegen und Philipp ist es schon oft passiert, dass er mich abholen wollte und ich immer noch nicht fertig war. Aber heute habe ich mich wenigstens schon für eine Hose entschieden! Das Oberteil birgt oft gewisse Schwierigkeiten in sich. Man will nicht zu fett, zu dürre und die Brüste nicht zu klein oder zu groß aussehen. Hammer - das ist schon ganz schön schwierig. Endlich habe ich mich entschieden, klingelt es auch schon an der Tür und Phil steht mir gegenüber.
'Was schon fertig?' kommt es ganz entgeistert. 'Also wirklich! So lange brauche ich nun auch wieder nicht!' Ein ziemlich ironisches: 'Nein, überhaupt nicht,' kommt mir entgegen. Dann fahren wir ab.
Natürlich kann ich Philipp nicht überreden, dass ich ihm das Kino bezahle. Er sagt ich würde schließlich noch das Eis bezahlen. Im Vorraum treffen wir uns mit Caroline und Peter, die wir auch gefragt hatten, ob sie mit ins Kino wollen. Während wir uns so unterhalten, frage ich Phil, ob er sein Eis auch vor dem Film schon möchte und er willigt ein. Also mache ich mich mit seinem Wunsch auf zum Kinoverkauf und habe das Eis kurze Zeit später mit einer Tüte Popcorn in der Hand. Bei Phil angelangt, drücke ich ihm das kalte Eis an sein T-Shirt, bis er erschrocken herum fährt und mich mit einem Zischlaut am Arm packt. 'Hey!' Er sieht mich an, dann wird sein Griff wieder lockerer und ich habe das Gefühl es dauert Stunden bis er loslässt. Die Kinotür geht auf und eine Traube von Menschen stürzt darauf zu. Alle wollen die besten Plätze haben. Endlich sitzen wir alle Vier nebeneinander, während ein Haufen Leute um uns herum noch um Sitzplätze diskutieren, umziehen und streiten. Ich stelle das Popcorn in die Mitte und alle greifen hinein um zuzulangen. 'Danke!' flüstert Phil mir ins Ohr und grinsend verkünde ich: 'Ja, wie gut, dass ich daran gedacht habe?' 'Also wenn wir Dich nicht hätten, Anni!' meint Phil lächelnd.
Nach einiger Zeit ist die Werbung auch endlich zu Ende und der Film beginnt. Alle werden ruhig, nur Philipp muss natürlich in der Popcorntüte kramen. 'Hey!', meckere ich ihn an. 'Was denn?' meldet er sich ganz unschuldig. 'Nimm dir ein paar Popcorn raus und halt die Tüte still! Ich will auch was von dem Film mitkriegen!' 'Ach, ich kann dir jetzt schon erzählen wie der ausgeht!' Phillip hasst eigentlich solche Liebesfilme, er geht immer nur mir zuliebe mit hinein und unterhält sich anschließend dann aber doch ganz angeregt darüber. 'Du weißt doch noch nicht mal wer die Hauptrollen spielt?!' 'Doch, sicherlich Tom Cruise, der sich in...' ich unterbrach ihn: 'Ich will den Film noch nicht wissen....' für eine Zeit bleibt es still. 'Er verliebt sich in...' und so geht das dann den ganzen Abend über weiter, bis der Film zu Ende ist und Phil mich angrinst, weil nahezu alle Teile, die er mir voraussagte eingetroffen waren. Nur den Schluss, dem hatte er ein Happy-End gegeben und es wurde ein regelrechtes Drama.
Als wir wieder im Auto sitzen und er mich nachhause fährt, meint er: 'Siehst Du, ich konnte Dir fast alles vorher sagen, nur das Ende, das hatte ich anders eingeschätzt! Aber ich fand es gar nicht schlecht so. Es können sich ja nicht alle kriegen, die sich lieben, das wäre ja langweilig!' 'Also mir wäre ein Happy-End lieber gewesen. So war das irgendwie ganz schön traurig!' Philipp schaut mich an und sieht wieder auf die Straße. 'Sag mal, wollen wir nicht eigentlich noch irgendwo hinfahren?' fragt er mich. ' Hm, Du kannst ja noch mit rein kommen, aber irgendwo hin, muss nicht unbedingt!'
Gesagt, getan. Und so räume ich noch meine ausgeräumten Kleider wieder in den Schrank zurück, während Philipp es sich auf meiner Couch bequem macht. Danach leeren wir erst mal die erste Weinflasche, die wir uns von der Tanke mitgenommen haben und beurteilen seinen Geschmack: 'Also irgendwie etwas fad, was?' meint Phil. 'Och, ich finde ihn eigentlich ganz nett!' 'Wen, den Wein oder mich?' 'Ach, Phil...natürlich Dich! '

Wir lächelten uns an und Phil schlägt mir sanft auf mein Bein und sagt: 'Wunderbar, wie man sich mit dir immer so richtig auslassen kann, Anni!' Dann scheint Phil nachdenklich und plötzlich fragt er mich: 'Soll ich Dich massieren?' 'Hm, das ist eigentlich keine schlechte Idee...machst du das?' Vorsichtig schiebt er meine Schulter herum, bis ich ihm den Rücken zuwende und langsam fängt er an mich zu massieren. Und irgendwie fängt mein Magen an zu Kribbeln. das ist mir ja noch nie passiert, wenn er mich massiert hat. Blitzartig drehe ich mich herum und sage: 'Ich glaube es ist besser, wenn Du jetzt gehst, ich ähm...da wären noch ein paar Sachen für die Schule!' Ungläubig und ernst sieht er mich an: '...Für die Schule?' Nahezu im selben Augenblick klingelt das Telefon. Und um Abzulenken frage ich: 'Mensch, wer ruft denn jetzt noch an?!'
Unbemerkt springe ich auf und werde unruhig. 'Also...' fängt Phil an: '...wenn ich gehen soll, dann gehe ich!' ' Nein, ähmm...' Ich weiß nicht recht, was ich ihm sagen soll, er kennt mich nicht anders, als dass ich ihm alles erzähle! Mein Telefon klingelt und ich nehme den Hörer ab: 'Ja?' Meine Mutter verrät mir, dass es Rita, meine Freundin ist und es dringend wäre. 'Ich übernehme!' 'Ja, hallo?' 'Hallo Anne, ich bin es; Rita! Du...' ich höre ihren traurigen Unterton, sie unterdrückt sich Tränen: 'Markus hat Schluss gemacht!' Nun bricht sie in Tränen aus und erzählt mir haarklein wie es dazu kommen konnte. Und zum ersten Mal mache ich mir Gedanken, dass Phil mithört und wartet. Und als er merkt dass ich unfreiwillig in ein längeres Gespräch gezogen werde, deutet er mir an mich zu setzen. Ruhig fängt er wieder an mich zu massieren und ab und zu streicht seine Hand auch nur so über meinen Rücken. Mein Magen fängt so langsam wieder an zu Kribbeln und ich spüre Phils Blicke auf meinem Rücken, obwohl ich mich noch nie von ihm beobachtet gefühlt habe! Also versuche ich auch das Kribbeln zu unterdrücken und konzentriere mich wieder auf Ritas Worte. Nach weiteren zehn Minuten drehe ich mich zu Phil um und sehe ihn genervt über das Gespräch an. Mit einem lieben Lächeln, was meinen Magen wieder in Schwung bringt, muntert er mich auf und das erste Mal fallen mir seine enorm dunklen Augen auf, die irgendwie zu Glänzen scheinen. Auf einmal nimmt Phil den Hörer in die Hand und unterbricht Ritas Redefluss in tiefer Stimme, so dass man ihn nicht erkennt:
' Rita, ich würde Deine liebe Freundin Anne gern noch etwas näher kennen lernen heute Abend!' Und damit überreicht er mir den Hörer wieder. 'Ach Entschuldigung' kommt es aus dem Hörer: 'Ich wusste ja nicht, dass Du Besuch hast, Anne! Tut mir leid!' 'Nein, es braucht dir nicht leid tun, ähm, ich rufe dich morgen noch mal an, ok?' Wir verabschieden uns und ich lege den Hörer auf. Phil sieht mich an. Müde und erschöpft von diesem Gespräch lasse ich den Kopf auf die Sofalehne fallen und schließe die Augen. 'Es tut mir so leid für Rita!' Sie ist meine einzige richtige Freundin und fast über 4 Jahre mit Markus zusammen gewesen. Ich hatte ihn auch schon so in mein Herz geschlossen!' 'Komm her!' beruhigt mich Phil sanft. Und wie so oft drehe ich mich um, lehne mich tröstend an seiner Brust an und er hält mich fest. Aber irgendwie ist es diesmal alles so anders. Seit diesem Kuss heut Nachmittag war alles anders! Über jede seiner und meiner Taten denke ich nach, was sonst so selbstverständlich war. Ich höre das Klopfen seines Herzens. Leise fange ich an zu Weinen: ' er war so ein beschissen lieber Kerl, Phil! Er passte so gut zu ihr!' Mit der flachen Hand streicht Phil mir die Tränen vom Gesicht : 'Hey Anni, steigere Dich da nicht so hinein! Du bist die Freundin, die Rita jetzt braucht und die sie tröstet. Du kannst ihr nicht auch noch zu ihrer Verfassung beitragen!' Nickend versuche ich meine Tränen zu unterdrücken, während er sie fortlaufen weiter wegwischte und ich meine, sein Herz beginnt zu rasen. Es ist das einzige, was ich neben meinen Tränen höre. 'Anni, weißt du noch wie ich Dich damals trösten musste, als mein Bruder gestorben ist?' Ich fühlte diese Spannung an ihm, die sich immer aufbaut, wenn er über seinen Bruder spricht. Ich lache: 'Komische Ironie! Dich hätte ich eigentlich trösten müssen!' erwidere ich. Meine Tränen versiegen.

6 Jahre war sein kleiner Bruder damals, als er bei einem Unfall starb. Phil stand direkt daneben, als er unerwartet über die Straße rannte. Als dann unsere Lehrerin uns erklärte, warum Phil nicht zur Schule kam, fing ich schrecklich an zu weinen. Und obwohl unsere Lehrerin, die wusste dass wir so gute Freunde waren, mir dann erklärte, ich sollte Phil jetzt unterstützen wo ich konnte, musste ich bei ihm zuhause wieder anfangen zu heulen. Er nahm mich in die Arme, bat mich für immer seine Freundin zu sein und ging dann mit mir spielen. Ich habe ihn damals selber nie weinen gesehen, aber ich weiß es muss eine furchtbare Zeit für ihn und seine Eltern gewesen sein! Und an der Art wie er heute noch über seinen Bruder spricht, wenn er es denn tut, merkt man, dass er alles nur verdrängt hat und nicht abgeschlossen.
Das Telefon klingelt. 'Mein Gott, es ist halb eins durch!' lasse ich meinen Gedanken freien Lauf, ehe ich ans Telefon gehe. 'Hallo, hier ist Andreas!' Er klingt ziemlich daneben, als wenn er etwas zuviel getrunken hatte! 'Warum rufst Du so spät an? Hast du sie nicht mehr alle?' Während Phil versucht herauszubekommen, wer das am Telefon ist, erzählt Andreas mir nun, dass er das auf dem Golfplatz heute nicht fassen konnte!' Und nun erkenne ich, dass ihn das den ganzen Abend beschäftigt hatte. Damit Phil hören kann, wer das ist, stelle ich auf Lautsprecher.
'Mit dem Waschlappen bist Du jetzt zusammen?' Grinsend sieht Phil mich an. Ich überlege was ich sagen soll und schließlich entgegne ich: 'Ja! Was dagegen?' Phil wirkt leicht erschrocken und sieht mir ernst in die Augen. 'Aber...Anni!' kommt es wieder aus dem Hörer: '...ich liebe Dich!' 'Schön!' antworte ich ihm ruhig. 'Warum gibst Du so einem Weichei ne Chance und mir nicht?' 'Erstens ist er kein Weichei, zweitens hattest du Deine Chance und drittens habe ich keine Lust mitten in der Nacht mit Dir darüber zu diskutieren!' Ich lege den Hörer auf und sehe Phil an. 'Hm, den hast du ja ganz schön fertig gemacht, Anni, ich wusste gar nicht, dass du so hart sein kannst!' 'Tja!' Wir sehen uns weiter an, aber plötzlich steht Phil auf und sagt; 'Ja also ich weiß nicht, ob so ein Weichei wie ich das dann noch länger bei Dir aushält. Ich werd dann wohl mal fahren!' grinst er mich an. 'Du kannst doch gar nicht mehr fahren!' 'Stimmt, dann werde ich zu Fuß gehen!' 'Warum...ähm...bleib doch einfach hier, Phil!' erwidere ich ohne Nachzudenken. Phils glasige Augen sehen mich an und nach langem Blickkontakt, erwidert er dann: 'Das würde ich gerne, Anni!'

Kurze Zeit später beziehe ich ihm das zweite Bettzeug und lege es neben meines auf mein großes Bett. Nicht weit von mir steht Phil, der sich seine Schuhe und Hose auszieht. Mir ist irgendwie unwohl und deshalb gehe ich als erste ins Bad und lege Phil eine neue Zahnbürste auf den Spülstein. Als ich wieder im mein Zimmer komme, sieht Phil mich kurz an, er scheint irgendwie nachdenklich, dann geht er ins Bad. Als ich mir gerade mein T-Shirt zum Schlafen anziehe, kommt Phil ins Zimmer und entschuldigt sich für das Hereinplatzen. 'Ach Phil, sage ich zu ihm! Du bist doch mein bester Freund!' Aber etwas unangenehm ist mir die Situation auch.
Anschließend legen wir uns ins Bett und erst jetzt merkt Phil, dass ich ihm Poldi unter das Kopfkissen gelegt habe. Es ist ein Plüschdrache und schon ziemlich abgewetzt, aber nicht von mir! Von Phil! Er spielte als er klein war, immer gerne mit ihm und wenn er hier schlief, legte er sich Poldi jedes Mal unter das Kopfkissen.
Phil nimmt den kleinen Drachen und setzt ihn auf die Bettkante, dann grinst er mich an; 'Ach, Anni, was würde ich bloß ohne dich tun!' Ich lächle ihn an und knipse das Licht aus. Wieder habe ich das Gefühl Phils Herz zu hören. Nach einer Weile drehe ich mich zu ihm und erst jetzt sehe ich im wenigen Mondlicht, dass er mich beobachtet. Ernst fragt er mich:' Du, Anni?' 'Hm?' 'Hast Du Andreas eigentlich geliebt?' Ich überlege kurz, ehe ich ihm gestehe: 'Nein!' 'Aber wieso wart ihr dann zusammen?' 'Ich weiß nicht, hat sich so ergeben! Für ihn war es eine reine Sexbeziehung! Und so etwas will ich nie wieder!' 'Ich glaube schon, dass er dich geliebt hat, Anni!' 'Warum?' 'Weil man dich nur lieben kann!' Ich sehe ihn an, aber er guckt zur Decke.
Dann dreht er sich plötzlich zu mir um und küsst mich.

Mein Magen hämmert wie wild und noch bevor ich reagieren kann, bedeckt er plötzlich mein ganzes Gesicht mit Küssen. Ich freue mich so, dass ich es erwidere. Und schließlich erlebe ich einen Phil, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Er beginnt mich zärtlich zu streicheln und seine Hände sind dabei so vorsichtig als wäre ich etwas Kostbares. Mein ganzer Körper zittert und kribbelt, so etwas habe ich noch nie erlebt! Und immer wieder flüstert er mir zu wie sehr er sich das gewünscht hatte. Immer und in jedem Augenblick, den er mit mir verbracht hatte.Als wir dann so gar nichts mehr anhaben, zögert Phil und kuschelt sich schließlich fest an meine Seite. Wir liegen eine Zeit so und ich spüre seine Erregung, die langsam auf mich übergreift.
'Ich liebe Dich, Phil!' Seine dunklen Augen betrachten mich so ernst wie ich sie noch nie gesehen habe... Dann drehe ich mich zu ihm, ergreife das erste Mal in meinem Leben die Initiative und erlebe das Schönste, was ich je erlebt habe. Das ist einfach nicht mit Worten zu erklären...Wenn man jemanden liebt und mit ihm schläft, dass ist einfach nicht mit Worten zu erklären!

'Liebes Tagebuch,
dies ist jetzt der dritte Eintrag. Der Erste berichtet davon, wie ich meinen besten Kumpel Phil kennen gelernt habe, der Zweite erzählt davon, wie er seinen Bruder verloren hat und wie sehr er mir damals leid tat und der Dritte wird Dir jetzt davon berichten, was für ein fabelhafter Mensch er ist! Ich habe all die Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass er der beste Freund ist, den ich kriegen kann! Aber ich habe nur diese eine Nacht gebraucht, um zu erkennen, dass ich ohne ihn auch nicht mehr leben kann! Ich bin so glücklich und ich würde dir so gerne schreiben, dass ich ihn liebe, aber ich glaube, das kann ich nicht, weil ... es ist irgendwie mehr als Liebe! Mehr als Sehnsucht! Und mehr als Alles, was er mir bisher bedeutete!Anne'

'Liebes Tagebuch,
wenn Anni gleich sieht, dass ich einen Blick in ihr Tagebuch werfe, wird sie mich wieder mit ihren lieben blauen Augen ansehen und versuchen mir böse zu sein! Aber diese lieben blauen Augen können nie richtig böse sein! Ich liebe sie, wie ich alles an Anni liebe! Und manchmal glaube ich, ich liebe sie seit ich sie kenne. Da war ich zwar erst Fünf, aber wenn es so etwas wie eine Grundschulliebe gibt, dann trifft sie auf mich zu!Phil'









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