Amatory Angel Teil 4

Autor: Zoe
veröffentlicht am: 19.07.2009




Enttäuscht kam sie wieder in ihrer Wohnung an. Es machte sie fertig bei ihrem Schützling immer einen Schritt vor und zwei zurück zu machen. Imogen kochte sich einen Tee und stellte sich damit auf den Balkon, um in der Abenddämmerung nach oben in die Wolken sehen zu können. Doch es war nicht eine einzige, winzige weiße Wolke zu sehen. Weißt du, was es bedeutet, wenn über dir ein strahlendblauer Himmel sichtbar wird? Es bedeutet, dass sich die Engel keine Sorgen wegen dir machen müssen. 'Sie machen sich also keine Sorgen wegen mir.', murmelte Imogen vor sich hin, 'das brauchen sie auch nicht, doch was ist mit Tracy? Ich kann doch gar nicht immer bei ihr sein.'
Plötzlich klopfte es an der Tür. Erschrocken drehte sich der kleine Engel um und lief zur Tür. Ein kleiner Blick durch den Spion verriet ihr, dass es Martin war. Verwundert, aber doch neugierig, öffnete sie den Eingang und schaute ihn fragend an. 'Guten Abend, Imey.', Martin zupfte etwas unsicher und nervös an seinem langen Basketball-shirt herum und sah auf den Boden, bevor er zu ihr aufblickte und lächelte, 'ich bin froh dich zu sehen.', versicherte er, 'ich hatte Angst, dass du nicht mehr Heim kommen konntest.'
'Komm doch erst einmal rein.', bat Imogen freundlich, 'willst du auch einen Tee?''Gerne.', nickte er und setzte sich ohne zu fragen auf den Sessel und wippte sanft hin und her. Sie hielt ihm die Tasse hin, ließ sich auf das Sofa ihm gegenüber fallen und legte die Beine hoch. 'Ich muss mich bei dir entschuldigen.', begann er erneut, 'Es tut mir schrecklich Leid, dass ich dich dort sitzen gelassen habe.'
'Ist schon vergessen.'
'Nein, es war falsch!', er war ziemlich erbost, denn er drückte mit Kraft die Tasse in seiner Hand. Auf Imogens Stirn legten sich besorgte Falten.
'Ich weiß auch nicht. Tracy ist mir sehr wichtig, und ich entferne mich wegen dir sehr von ihr. Aus diesem Grund habe ich auch überlegt, ob es besser ist, den Kontakt zu dir abzubrechen.'
Imogen war geschockt und nickte sehr betroffen. Sie hatte in Martin jemanden gesehen, dem sie vertrauen kann, der für sie da ist. 'Aber.', er fasste plötzlich nach ihrer Hand und wartete darauf, dass sich ihre Blicke trafen, 'dann ist mir klar geworden, dass du mir schon genauso wichtig bist.'
Er lächelte sanft, worauf ihn Imogen ebenfalls überglücklich anstrahlte. 'Wir sind doch Freunde oder?'
Überzeugt nickte sie. Wie zur Bekräftigung klingelte es wieder an der Tür. 'Oh. Wartest du mal kurz?'
'Klar.'
Imogen stand auf und widmete einen erneuten Blick in den kleinen Spion. 'Es ist Tracy!', rief sie zurück, worauf Martin aufsprang und zum Eingang eilte. 'Tracy, was machst du denn hier?', fragte er sofort, als sich die Tür geöffnet hatte. Tracy schreckte schockiert zurück und wollte gerade wieder gehen. 'Nein, bleib doch!', flehte Imogen besorgt, worauf sich Tracy etwas zögerlich auf den Fersen herumdrehte. 'Ich dachte, wir könnten…', sie unterbrach sich selbst und schaute an sich herab, wodurch die Augen von Imogen und Martin ihr folgten und auf ihrem Lernzeug stecken blieben.
'Achso, natürlich! Komm doch herein.', Imogen weitete den Türspalt. 'Was hat das zu bedeuten? Imogen, lernst du mit ihr? Tracy, ist das wahr?! Wie schäbig ist das denn? Du behandelst sie wie den letzten Dreck und nutzt sie auch noch aus?!'
'Lass gut sein!', bat Imogen, denn sie ahnte, dass die Situation wieder eskalieren würde, 'wir können ja auch zu dritt lernen.'
Martin schüttelte immer noch schockiert den Kopf willigte aber ein, da er ja wusste, um wie viel es für Tracy ging. Sie setzten sich alle ins Wohnzimmer und Tracy schlug prompt ihre Bücher auf. 'Ich finde das spitze von dir, Imey, du hast echt Charakter.'

Doch Imogen hörte dieses Kompliment nicht mehr. Sie nahm eine komische Strahlung wahr. Sie spürte wieder etwas Übernatürliches. Sie wollte sich umsehen, doch ihr Körper erstarrte. Dieses Mal war die Aura so stark. Irgendetwas stimmte nicht. Hatte Virgil sie vielleicht aufgespürt? Wenn ja, musste sie unbedingt noch besser aufpassen.
'Imey, was ist?!', Martin schüttelte an ihren Schultern, um sie aus ihrem vermeidlichen Tagtraum zu wecken, doch sie schaute um sich. Es war nichts zu sehen. Doch irgendjemand war in der Nähe. Plötzlich war alles wieder still. Sie hielt sich ihren Kopf. Die Gegenwart von dem, was auch immer es war, bereitete ihr starke Kopfschmerzen und große Angst.'Alles gut, mein Kopf ist von dem Sturz noch nicht hundertprozentig fit.', log sie, um ihre Schützlinge nicht mit hineinzuziehen und ihr Geheimnis zu wahren. Dabei fühlte sie das Vibrieren ihres Amuletts, dies tat es immer, wenn ein Engel eine Lüge aussprach. Imogen log äußerst ungern und ihre Lügen konnte man an einer Hand abzählen. Und das in vierhundert Jahren? Aber wer lügt schon gerne, wenn man sofort von der Halskette verraten wird?'Sollen wir doch ins Krankenhaus?'
'Nein, wir lernen jetzt.', Imogen schnappte sich das Mathebuch und schlug die richtige Seite auf. Sie lernten zu dritt sehr konzentriert, bis alle drei sich einig waren, dass ihr Hirn eine Auszeit brauchte.
'Wie wärs, wenn wir jetzt einen richtig schönen Horrorfilm gucken?', schlug Martin mit gespielt bösartiger Mine vor. 'Geile Idee, das machen wir.', stimmte Tracy zu und wendete sich zu Imogen, 'Hast du was da?'
'Leider nein.', musste sie gestehen. 'Aber ich könnte schnell Essen besorgen und ihr einen Film, was haltet ihr davon?'
'So machen wir's'
Alle drei standen auf und verließen die Wohnung. Im langen Hausflur trennten sich ihre Wege und alle gingen ihrer Aufgabe nach.
Imogen lief schnurstracks zum Supermarkt. Dort musste es ja etwas für einen Filmabend geben. Sie war selbst überrascht, wie sich der Abend noch gewendet hatte. Tracy war schon ein Original. Sie hatte es nicht mal für nötig gehalten, sich zu entschuldigen und nun tat sie so, als wäre niemals etwas geschehen. Imogen konnte ihr das jedoch nicht verübeln. Immerhin kannte sie ja ihr trauriges Schicksal. Über all dies dachte Imogen nach, während sie ihren Einkaufskorb durch die Regale spazieren trug.
Wie auf einen Schlag. Erneut diese Aura! Imogen hielt das nicht länger aus! Langsam war sie davon überzeugt, dass die Blicke, die sie neulich auf ihrem Balkon gespürt hatte, auch von da her rührten. Dieses Mal war sie so stark, dass sie langsam auf ihre Knie glitt, ihren Kopf zwischen den Händen haltend und leise jammerte. Sie kniff ihre Augen zusammen. Eigentlich sollte sie das nicht tun! So lenkte sie doch bloß wieder Aufmerksamkeit auf sich! Aber es war so stark. Schwingungen die durch ihren Kopf schwirrten. Wie ein hoher, für Menschen unhörbarer Ton, der unaufhörlich höher wurde und sich näherte. Als Imogen ihre Augen öffnete, starrte sie auf braune Lederstiefel. Vorsichtig richtete sie ihr Gesicht. Immer noch in schützender Pose. Wen sie dort erblickte…es war der weißhaarige Mann aus dem Park. Sie hatte ihn sich doch nicht eingebildet. Er schaute mit eisblauen Augen auf sie herunter und reichte ihr die Hand. Wie in Trance nahm sie seine Hilfe an und stand auf. Die Pupillen immer noch auf ihn gerichtet. Er war groß und stattlich. Von ihm ging diese Starke Aura aus. Als er sie berührt hatte, waren die Kopfschmerzen verschwunden. Verwirrt sah sie weiter in seine schönen Augen. Ihr wurde sofort wieder bewusst, dass er kein Mensch war. Ein Engel? Nein…aber dann blieb ja nur noch-
'Warum bist du hier?', fragte er merkwürdig kalt. Sein Gesicht besaß keinerlei Mimik. So ausdruckslos. Sie konnte in seinem Gesicht keine Gefühle sehen.
'Zum Einkaufen.', erklärte sie verwirrt.
'Nein, was du auf der Erde suchst?'
Sie riss ihre Hand aus seiner, da sie dort immer noch regungslos geruht hatte. 'Was soll das? Wer bist du?! Bist du etwa Virgil? Dieser…'
Der große Mann drehte sich um: 'Sei froh, dass ich nicht Virgil bin, das wäre nun dein Ende gewesen.'
'Wer bist du?!', ihre Stimme wurde quietschend und drohte zu versagen. Angst durchströmte sie. 'Ich bin nur gekommen, um dich zu warnen. Pass gut auf dich auf, kleiner Engel.', waren seine letzten Worte, bevor er immer durchsichtiger wurde und plötzlich unsichtbar mit der Luft verschmolzen war. Erst jetzt tauchte für Imogen die Umgebung wieder auf und sie erkannte wieder die Regale um sich herum.
Der Korb fiel auf den gelben Boden und verteilte sich auf den Fliesen. Schockiert starrte sie auf den Boden. Wenn das kein Engel war…Dann konnte es sich nur um einen Anhänger Virgils halten…um einen Dämonen.
Doch warum warnte er sie? War ihr Virgil wirklich auf die Schliche gekommen?
In diesem Fall hieß es eigentlich: Mission abbrechen und fliehen.
Sie sah Tracys trauriges Gesicht vor sich: Nein…sie musste weiter machen. Sie würde einfach ihre Sinne verschärfen, aber aufgeben kam nicht in Frage.
Imogen sammelte ihre Sachen wieder ein und lief zur Kasse.
'Das macht neun Euro neunundvierzig.', verkündete die nette Kassiererin. Imogen starrte auf die kleine Anzeige. Das hatte sie schon wieder vergessen. 'Neun Euro und neunundvierzig Cent.', wiederholte die Frau. 'Eh…', Imogen tastete ihre Hosentasche ab und entdeckte tatsächlich einen fünfzig Euro schein. Völlig Perplex blinzelte sie das Geld an und legte es auf das Tablett.
'Vierzig Euro und einundfünfzig Cent, bitteschön.'
'Danke.', lächelte Imogen. Während sie mit ihren Tüten das Gebäude verließ, verließ ihr Blick immer noch nicht das Geld. Wo kam es auf einmal her? Martin hatte selbst nicht so viel, dass er ihr das alles bezahlen konnte. Dieser komische Typ? Wie sollte er das tun? Clark? Ja, wahrscheinlich war es Clark. Sollte sie ihm von ihrer merkwürdigen Begegnung erzählen? Nein, das war nicht so ratsam. Sonst würde er ihr den Auftrag entziehen.
Was wollte Virgil eigentlich mit den Engeln? Was machte er mit ihnen? Zum ersten Mal begann sich Imogen darüber Gedanken zu machen. Bisher hatte sie nie darüber nachdenken müssen.
Als sie die letzte Stufe in ihrem Hochhaus genommen hatte, sah sie, dass Martin und Tracy schon vor ihrer Tür standen.
'Na, Imey, hast du den ganzen Laden ausgeraubt, oder was hat da so lange gedauert?', lachte Martin und hielt triumphierend eine Sammlung DVDs in die Höhe, 'einer schauriger, als der andere!'
Ich schloss die Tür auf und die Beiden Teenies machten es sich sofort im Wohnzimmer bequem. ‚Fühlt euch wie zu Hause', dachte Imogen kopfschüttelnd und bereitete in der Küche die Süßigkeiten vor.
Als sie zurückkam, hatten die beiden bereits die Rollläden runtergelassen und Kerzen herausgesucht und angezündet.
'So Imey, wir haben uns für ‚Death Night Fever' entschieden. Hast du was einzuwenden?'Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte eh keine Ahnung von Filmen. 'Gut! Der ist nämlich ab 18.', grinste Martin frech und schob sich die ersten Nachos in den Mund. Tracy nahm sich eines der Sofakissen: 'Ohne kann ich keinen Horrorfilm gucken.'
Imogen setzte sich zwischen die beiden und schielte flüchtig auf die Uhr. 'Morgen ist doch beweglicher Ferientag, wir haben frei, also keinen Stress.'
'Okay.', atmete Imogen erleichtert aus.
'Alle bereit? Auf die Plätze…fertig….loooooooos!', machte Martin es extra spannend und hämmerte auf die Fernbedienung ein.
Startmusik begann und Imogen zwang sich selbst dazu, sich endlich zu entspannen und nicht länger über diese Begegnung nachzudenken. Immerhin ging es hier um Tracy und nicht um sie.
Kaum hatte sie ihre Augen auf die Mattscheibe gerichtet, erschrak sie. Ein Mann, der auf grausame Weise von irgendeinem Schatten hingerichtet wurde. Imogen zuckte zusammen und schnappte sich ebenfalls ein Sofakissen.
'Mensch Imey! Das war die erste Szene!', lachte Martin und drückte ihr zwinkernd den Arm. Umso länger der Film lief, desto lauter wurden die Schreie, schrecklicher die Morde und gefesselter Imogen. Sie verfolgte mit geweiteten Augen den Streifen, klammerte sich an ihrem Kissen fest und hatte ihre Knie an sich herangezogen. Alle paar Sekunden drückte sie sich das Kissen vor die Augen und quietschte leise. Tracy klammerte sich an Imogens Arm fest, während Martin einfach gelassen zuschaute.
Erst beim Abspann lösten sich Tracys Hände und Imogens Versteiftheit.
Beide Frauen atmeten erleichtert auf, als plötzlich Hände auf ihren Schultern auftauchten und ein grausiger Schrei den Raum erfüllte. Imogens Nackenhaare stellten sich auf und Tracy schrie sich im Chor die Seele aus dem Leib. Plötzlich ein kindliches Lachen und Martin schaltete das Licht an.
Imogen schnappte nach Luft und drehte sich zu ihm um. Schneller erholten sie sich und mussten plötzlich alle drei Lachen. 'Ihr seid einfach typisch Frau.', amüsierte sich Martin. Es war nun bereits null Uhr. Geisterstunde. Imogen befürchtete, dass sie diese Nacht ganz und gar nicht gut schlafen würde. Mit Sicherheit würden sie grausige Träume verfolgen. Ihr grauste jetzt schon davor. Sie verstand gar nicht, warum sich Menschen einen solchen Seelenterror antaten. Gerade sie, einer der Engel der Liebe, konnte solche Szenen ganz schwer verkraften. Sie musste an ihre Himmelswelt denken. Dort gab es so was gar nicht. Fernseher…Die Engel dort brauchten keine Ablenkung, keine Freizeitbeschäftigung. Es waren Arbeitswütige Wesen, die lediglich zum Essen und zum Schlafen abschalteten. Ansonsten kannten sie nur Arbeit. Aber Imogen liebte diese Arbeit, wobei sie befürchtete, sich nach und nach an das Leben auf der Erde zu gewöhnen. Als sie klein war, ein Kind, hatte sie immer mit den anderen jungen Engeln gespielt. Doch mit fünfzig Jahren bekamen sie ihren Job und wurden von da an in diese Richtung unterrichtet und hatten gar keine Zeit mehr für ihre Freunde. Die Freundschaften liefen derart auseinander, dass man sich nur noch beim Essen sah und miteinander unterhielt. Die einzigen Ausnahmen waren alle Feiertage. Das hieß: Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt, all diese Feierlichkeiten. Dort haben Engel frei und feiern ein Freudenfest. Alle miteinander. 'Mensch, Mensch, Imey, du verträgst Horrorfilme nicht, was?', lachte Martin und fuchtelte mit seiner Hand vor Imogens Augen herum.'Was? Nein, nicht ganz so gut.'
'Woran hast du denn gerade gedacht?', fragte Tracy. Sie hatte sich auf das andere Sofa gelegt. Sie baumelte mit den Beinen in der Luft und stützte sich auf ihren Ellenbogen ab. 'Ich wäre dafür, wir machen jetzt einen Offenbarungsabend.', schlug sie vor und schaute dabei derart verschwörerisch, dass Imogen schlucken musste.
'Ohooo, das klingt interessant. Bin ich doch glatt dabei!', stimmte Martin zu und legte den gleichen Blick auf. Imogen ahnte Böses.
'Und wie geht das?', sie schaute beide Abwechselnd an. Tracy setzte sich auf und fuhr sich mit einer Hand durch das blonde Haar: 'Ganz einfach. Jeder darf Fragen stellen, die er sonst niemals stellen würde. Der Gefragte darf weder patzig reagieren noch ausweichen. Er muss die Wahrheit sagen!'
'Verstehe, okay.', Imogen seufzte. Es gab so ein paar Fragen, die sie doch gar nicht beantworten konnte. Sie war etwas verwirrt, ob sie an diesem Spiel teilnehmen sollte, doch andererseits konnte sie so auch mehr über Tracy erfahren. Diese Situation war ein zweischneidiges Schwert.
'Gut, ich fang an!', verkündete Tracy und richtete ihren Blick auf Martin. Dieser stellte gelassen sein Colaglas ab und sah erwartungsvoll zu seiner Freundin.v'Wen magst du lieber, Imey oder mich?'…diese Frage musste einfach kommen, dachte sich Imogen und musste gleichzeitig innerlich kichern, da sie ja um die dreihundertfünfundachtzig Jahre älter war. 'Also.', Martin überlegte kurz, 'Du bist seit Jahren meine allerbeste Freundin und Imogen erst seit ein paar Tagen. Ihr beide seid sehr unterschiedlich. Dadurch kann ich euch nicht so recht vergleichen.'
'Red nicht um den heißen Brei!', ermahnte Tracy.
'Sorry, Imey, aber ich mag Tracy immer noch lieber. Die gemeinsame Zeit ist einfach viel länger und schwerwiegender.'
'Damit kann ich gut leben.', gab Imogen zu und wunderte sich, dass er sich überhaupt dafür entschuldigte. Sie hatte überhaupt nichts anderes erwartet.'Ich bin dran. Tracy.'
Bis her hatte sich Imogen gut raushalten können. Stellte sie erleichtert fest. Fragen zu beantworten, war für sie echt nicht einfach. Sie strich sich über ihr Amulett. Sie wollte nicht lügen müssen. Wenn eine Lüge in so einem Zusammenhang entstehen würde und jemals rauskommen würde, wäre das Vertrauen sowieso hinüber.
'Magst du Imogen oder warum behandelst du sie so, wie du sie behandelst?'
Warum fragte Martin denn so etwas? Warum bedeutete es ihm eigentlich so viel, wie die Beziehung zwischen den beiden Frauen war?
'Nun…Ich muss zugeben. Ich mag dich sehr gerne, Imey. Es tut mir auch offen gestanden sehr leid, wie ich dich behandelt habe. Ich nehme neue Leute einfach nicht gut auf. Aber jetzt sind wir doch Freunde oder?', sie streckte ihre Hand aus und Imogen nahm sie mit einem offenen Lächeln entgegen. 'Danke, Tracy.'
'Ja, du hast es echt geschafft.', klatschte Martin in die Hände, 'nicht einfach das Vertrauen dieser Sturköpfigen zu gewinnen.'
'Dann bin ich jetzt dran, denn das war noch nicht die Frage, ja?', fragte Tracy und wartete gar nicht ab, und richtete sich sofort an Imogen: 'Erzähl mal, wie sieht es bei dir und den Männern aus?'
Imogen überlegte kurz. 'jaaa?', drängte Martin. 'Nun, es gibt da so einen Mann, er sah für mich immer unglaublich gut aus und hatte einfach Charakter, doch er war für mich immer unerreichbar. Als er plötzlich anfing, sich mir zu nähern und ich ihm so nah war, wurde mir klar, dass er nichts Besonderes war. Sein gutes Aussehen war irgendwie nicht mehr anziehend und sein Charakter eigentlich gewöhnlich.', überlegte sie laut weiter. 'Du musst schon sagen, wie er heißt!', forderte Tracy.
'Clark'
'Du hast auch jemand ganz Besonderen verdient. Gib dich nicht mit weniger zufrieden.',
Martin sah sie eindringlich an.
Imogen lächelte ihm dankend zu und fing an sich ihre Frage zu überlegen.
Das Spiel artete in eine lange Diskussion aus. Imogen traute sich jedoch nicht, in Anwesenheit von Martin nach intimeren Sachen zu fragen. Dazu hatte sie Angst ihre frische Freundschaft wieder aufs Spiel zu setzen. Sie musste sich eingestehen, dass ihr Tracy jetzt schon ans Herz gewachsen war, doch das war ja bei ihr normal. Tracy war plötzlich so anders. Heute Mittag war sie immer noch so kaltherzig und zum Teil sehr ordinär gewesen und nun war sie eigentlich sehr freundlich und lieb. Sie konnte also wirklich ganz anders sein. Sie musste an ihren Auftrag denken. Sie sollte das Gute in Tracy wecken und sie wieder auf den richtigen Weg bringen, doch wie es schien, neigte Tracy zwar zur Gewalt, war aber nie wirklich vom rechten Pfad abgekommen. Sie war immer noch taumelnd auf der Suche nach dem richtigen Ziel. Gerade, wenn Imogen daran dachte, dass sie sich ja für den Führerschein angemeldet hatte und um ihren Abschluss kämpfte um einen richtigen Beruf zu lernen. Sie hatte nie vergessen menschlich zu sein.
'Ich werde dann jetzt mal gehen. Wir sehen uns doch morgen ihr beiden Hübschen? Naja, eigentlich Heute.', lachte Martin, während er auf seine Armbanduhr sah. 'Ja.', nickte Imogen. 'Lasst euch drücken.', Martin umarmte seine Freundinnen und ging raus, drehte sich jedoch noch einmal um. 'Bleibst du noch lange, Tracy?'
'Nein, ich geh auch sofort.'
'Okay.', Martin schloss die Tür und Tracy drehte sich Imogen zu: 'Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?'
Etwas verwundert sah Imogen ihren Schützling an. 'Natürlich.'
'Danke', erst jetzt fiel ihr auf, dass es Tracy gar nicht so gut ging, wie sie die ganze Zeit getan hatte. Und die Situation schien ihr auch etwas unangenehm zu sein. Sie ging ins Wohnzimmer und begann aufzuräumen. 'Wir haben ja eine heillose Sauerei gemacht! Wir sind Säue.', lachte sie gekünstelt und sank plötzlich weinend auf das Sofa zusammen. 'Tracy! Was ist los?', Imogen setzte sich neben sie und strich über ihre Schulter. Von dieser Berührung motiviert schmiss sich Tracy in Imogens Arme und begann haltlos zu Schluchzen. Schweigend strich Imogen ihr über das feine, blonde Haar. Niemand sagte etwas. Außer Tracys Wimmern war kein Geräusch mehr zu hören. Einige Minuten verharrten sie in dieser Position, bis sich das Mädchen wieder aufsetzte. Ihre Augen waren rot und ihr Mascara war verwischt. 'Willst du mir erzählen, was passiert ist?', fragte Imogen, während sie der Siebzehnjährigen Taschentücher reichte. 'Meine Eltern…Ich halte es bei ihnen nicht mehr aus. Darf ich eine Weile bei dir wohnen?'
'Solange du willst!'
'Du bist ein Engel!', freute sich Tracy und schnäuzte sich die Nase. Imogen wusste, dass dieser Satz eine Art Redewendung bei den Menschen war, dennoch erschreckte Imogen etwas, als Tracy dies sagte.
'Meine Eltern sind Alkoholiker. Ich glaube manchmal, sie lieben mich gar nicht. Na ja eigentlich weiß ich, dass sie es nicht tun, aber ich rede mir manchmal ein, dass sie mich lieben.', begann sie zu erzählen und fixierte dabei die haltlose Leere, 'ihnen ist egal, ob ich zur Schule gehe, sie lachen mich sogar aus, wenn ich davon rede, dass ich einen Abschluss machen will.'
Imogen erinnerte sich an die Szenen, die sie miterlebt hatte. Schreckliche Bilder tauchten in ihrem Bewusstsein auf und ihr war bewusst, dass, wie sehr sie es sich auch wünschte, Tracys Erzählungen nicht übertrieben waren.
'Ich habe einen Job angenommen, da ich meinen Führerschein machen will. Meine Eltern wollen nun, dass ich das Geld ihnen gebe. Nur damit sie es für Alkohol ausgeben. Ich kann das nicht länger ertragen. Sie schlagen mich sogar! Imogen, kannst du dir das vorstellen? Die eigenen Kinder schlagen?! Ich bin gerade dran, mir das Rauchen abzugewöhnen. Ich will alles loswerden, was mich an sie erinnert.'
Imogen hatte schweigend zugehört und wieder waren die Tränen bei ihr aufgestiegen. Es ging ihr einfach so nah, dass ihr Schützling so leiden musste. 'Glaub mir, ich bin für dich da.''Ich weiß. Ich glaub das war auch das, was mich anfangs an dich erzürnt hat. Es hat noch niemand so viel Verständnis und Hilfsbereitschaft mir gegenüber gezeigt. Ich dachte, du verarscht mich, aber jetzt vertrau ich dir.'
'Das ist schön. Und was ist mit Martin?'
'Ich kann mit ihm nicht darüber reden. Er ist ein Junge. Er kommt sofort mit: Wehr dich, geh zum Jugendamt und so einer Scheiße. Aber ich will doch nicht ins Heim! In einem Jahr bin ich achtzehn! Dann hab ich alles hinter mir.'
Imogen nickte verständnisvoll. Tracy schmiegte sich wieder an ihre neue Freundin. 'Deine Umarmungen tun so gut. Ich glaube, ich bin Zärtlichkeit gar nicht mehr gewohnt.', Tracy schloss die Augen. Imogen fühlte ihre Wärme. Endlich. Nun konnte sie ihr wahrhaftig helfen. Wenn sie es schaffen würde, dass Tracy ihren Abschluss machte, einen Ausbildungsplatz bekam und ihren Führerschein, dann wäre sie genug abgesichert, um ihr restliches Leben alleine in den Griff zu bekommen. Imogen würde dieses Mal nicht versagen, davon war sie überzeugt! Doch ihr ging es dabei nicht um versagen oder nicht versagen…Ihr ging es nur um Tracy und Tracy's Glück.







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