Eyes like yours Teil 20

Autor: Fullmoon
veröffentlicht am: 28.07.2007




Vier Jahre später

Das Kleid der Blumenprinzessin, das ihr viel zu lang war, machte knirschende Geräusche auf dem Boden. Als es sich in eines der vielen herumliegenden Spielzeuge verhedderte und sie das Feuerwehrauto einige Schritte mitschleifte, eilte ihr ein Ritter zur Hilfe und befreite das Kleid von dem Spielzeug.
Mit einem anmutigen Nicken bedankte sich die Prinzessin bei ihrem Helfer und stieg auf einen Hügel hinauf, der nichts anderes war, als Janes Couch.
Die Prinzessin ließ ihren Blick durch die Landschaft schweifen, um dann entsetzt den Mund zu einem Schrei zu öffnen.
'Ein Monster! Ah! Hilfe!'
Das Monster, ein riesengroßer Teddybär, eilte auf sie, mit Hilfe von Nicholas, zu und drohte sie zu verschlingen, doch da ließ Nicholas den Bären los, um wieder als Ritter aufzutreten.Mit ein paar kräftigen Schlägen seines Plastikschwerts erledigte er das Ungeheuer für die Blumenprinzessin, die ihm zum Dank ein Stück von ihrem Snickers gab, das sie vom Küchentisch stibitzt hatte.
Nicholas stopfte sich den Schokoladenriegel in den Mund und wischte sich die Hand an seinem T-Shirt ab. Missmutig blickte er auf das Mädchen.
'Ich hab keine Lust mehr. Das ist langweilig.'
'Gar nicht.' entgegnete die Prinzessin. 'Du hast auch mein Snickers bekommen.'
'Das ist das von meiner Mom. Nicht wahr, Mom?' fragte Nicholas an seine Mutter gerichtet, die gerade in der Küche stand und kochte.
Jane lächelte ihrem Liebling zu. 'Nein, die Schokolade gehört uns allen. Trotzdem dürft ihr nicht so viel davon essen, sonst bekommt ihr schlechte Zähne.'
'Das sagt meine Mummy auch immer.' sagte die Prinzessin düster.
'Dann hast du eine sehr gute Mummy.' erwiderte Jane leicht grinsend.
'Wann ist sie denn endlich da?' seufzte das Mädchen und sah aus dem Fenster.
'Bald, mein Schatz, hab noch ein wenig Geduld.'
Jane kochte weiter und hörte den Kindern beim Spielen zu. Draußen war es kalt und schmuddelig, so wie es sich für den November gehörte. Das Laub lag nass auf dem Boden und die Bäume waren fast vollständig kahl. Am Himmel zogen graue Wolken vorbei, die Regen versprachen. Das war eine der schlechten Zeiten im Winter.
'Jetzt bin ich die Winterprinzessin!' rief das Mädchen Nicholas zu und sie hörte ihn genervt stöhnen.
'Lass uns Polizei spielen!'
'Dann bin ich die Polizeiprinzessin!'
'Es gibt keine Polizeiprinzessin! Es gibt Polizistinnen und Politessen, das hat mir mein Dad gesagt. Aber doch keine Polizeiprinzessin!'
'Wie doof.'
'Gar nicht. Prinzessinnen sind doof.'
'Sind sie nicht!'
Die Winterprinzessin ging mürrisch zur Tür und zog sich ihre Sandalen an, die sie extra dabei hatte um Prinzessin zu sein. Bevor sie die Tür öffnete, warf sie Nicholas einen beleidigten Blick zu und trat hinaus.
Jane, die den Abzug an hatte, der schon laut genug war, hörte und sah nichts.
Das Mädchen ging die Treppenstufen hinunter, wobei sie den Rock hoch raffte, damit er nicht den schmutzigen Boden berührte.
Ihre Sandalen klackerten leise, so wie es sich für eine Dame gehörte.
Ein Auto hielt an und sie hoffte, dass es ihre Mutter war. Sie brauchte immer so lange bei der Arbeit und deswegen brachte sie sie zu Nicholas und Tante Jane. Sie mochte die beiden zwar, doch Tante Jane hatte meistens keine Zeit zum Spielen und Nicholas war ein Junge und wollte nur komische Jungenspiele spielen, worauf sie keine Lust hatte.
Enttäuscht seufzte sie laut, als ein Mann ausstieg, dem ihr Seufzen nicht entgangen war.Er schlug die Autotür zu und schloss es ab. Dabei blinkten die Lichter vorne und hinten doppelt.
'Na, junge Dame, was machst du denn hier ganz allein?' fragte er sie.
'Ich bin eine Winterprinzessin!' antwortete sie und drehte sich im Kreis, damit er ihren schönen Rock begutachten konnte. Als sie wieder zum stehen gekommen war und dabei leicht schwankte, hielt er sie fest, damit sie nicht hinfiel.
'Wow, Eure Hoheit, was für ein toller Rock.' sagte er anerkennend.
'Der gehört eigentlich meiner Mummy.'
'Deiner Mummy, so, so. Und wo wohnt deine Mummy?'
'Nicht hier. Sie arbeitet.'
Der Mund verzog sich leicht nach unten und sie machte ein trauriges Gesicht.
'Wie heißt du denn?'
'Oh.' machte sie und sah ihn an, als hätte sie ihn gerade erst gesehen. 'Mein Name ist Jeamie Noelle. Und wie heißen Sie?'
'Ich heiße Ian.'
Ian wunderte sich leicht darüber, dass Jeamie ihn siezte, aber offensichtlich war sie gut erzogen.
'Wollen Sie mit mir Winterprinzessin spielen?'
Bevor Ian antworten konnte, wurde die Eingangstür aufgerissen und Nicholas streckte seinen Kopf heraus, um nach Jeamie zu sehen.
'Jeamie! Du sollst doch nicht rausgehen! Mom hat gesagt-' Er hielt inne, als er den Mann sah, der neben ihr kniete. 'Onkel Ian!' rief er entzückt und lief ebenfalls hinaus.
Er warf sich Ian in die Arme, der ihn ein paar Mal im Kreis drehte.
'Na, wie geht es meinem Lieblingspatenkind?' fragte er Nicholas und strich ihm durch das blonde Haar.
Nicholas verdrehte die Augen. 'Aber Onkel Ian! Du hast doch nur ein Patenkind! Aber mir geht's gut!'
'Das ist ja super.'
'Und das ist Jeamie.' sagte er und zeigte auf das Mädchen.
'Ich weiß, sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr Winterprinzessin spiele.'
Sein Patenkind verzog das Gesicht. 'Tu's bloß nicht.'
'Du bist ein blöder Mensch, Nicholas!' rief Jeamie und stemmte die Hände in ihre kleinen Hüften.
Ian warf den Kopf in den Nacken und lachte laut, woraufhin Jeamie ihm einen bösen Blick zuwarf.
'Bist du Nicholas' kleine Freundin?'
Entsetzt weiteten sich ihre Augen. 'Nein! Ich bin seine-'
'Nicholas Taylors! Jeamie! Oh mein Gott.' beendete Jane ihr Geschrei und wurde leichenblass, als sie auf der Türschwelle stand.
Ian grinste Jane an. 'Was ist los? Hast du gerade ein Gespenst gesehen?'
Jane zwang sich ruhig zu bleiben. 'Was machst du denn hier?'
'Meine beste Freundin und mein Patenkind besuchen. Und Matt, wenn er da ist.'
'Aber du bist doch in Ohio bei deinen Eltern.'
'Ich bin etwas früher gefahren, weil ich es dort nicht mehr ausgehalten habe. Und wie du siehst bin ich hier.'
'Jeamie, komm her, Schätzchen.'
Jeamie ging brav zu ihrer Tante, die sie ins Haus schickte.
'Wer ist das süße kleine Ding?' fragte Ian.
'Sie ist meine-' begann Nicholas, doch Jane unterbrach ihn schnell.
'Komm sofort rein, junger Mann! Ist dir klar, dass du ohne Jacke und in Pantoffeln draußen in der Kälte stehst?'
'Aber Ian geht auch manchmal ohne Jacke raus!' protestierte er und sah Ian an, in der Hoffnung er würde Unterstützung bekommen.
'Da hast du Recht, aber ich gehe doch nie in Pantoffeln auf die Straße. Los, geh und tu was deine Mutter dir sagt.'
Jane wartete bis die Kinder im Haus waren, bevor sie weiter mit Ian redete.
'Ian, tut mir leid, aber ich habe keine Zeit für dich. Matt ist auch arbeiten und ich muss essen kochen.'
Ian verstand den Wink und er nickte, obwohl er nicht genau wusste, was Jane ihm verheimlichte.
'Okay, ich komm dann ein anderes Mal wieder.'
'Ich habe dir doch gesagt, dass du vorher anrufen solltest.'
'War nur ne spontane Idee. Ich melde mich bei euch.'
'Bis dann.'
Jane lächelte ihn entschuldigend an, bevor sie wieder im Haus verschwand. Sie hoffte, dass er nicht noch mehr von solchen spontanen Ideen hatte.
Sichtlich überrumpelt ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich neben ihrer kleinen Nichte auf die Couch. Sie nahm sie in den Arm.
'Jeamie?'
'Ja, Tante Jane?'
'Versprich mir bitte, dass du deiner Mutter nichts von dem Mann erzählst.'
Jeamie war ein viel zu schlaues Mädchen, als nachzufragen, warum sie so etwas versprechen sollte. Stattdessen nickte sie.

Eine Stunde später klingelte es an der Haustür und Jeamie lief überglücklich dorthin, um ihre Mutter zu begrüßen. Sie wusste nicht, was Tante Jane mit dem Mann zu tun hatte, aber das war jetzt auch egal, denn endlich war ihre Mutter wieder da.
'Mummy!' rief sie, als sie die Tür öffnete.
Liliane lächelte und umarmte ihre Tochter. 'Hallo Liebling.' Sie drückte ihr einen Kuss auf das Haar, das so wunderbar nach Vanille roch, und trug sie zu Jane.
Jeamie drückte sich ganz fest gegen Liliane und legte ihren Kopf auf die Schulter.Jane, die gerade den Tisch deckte, nickte ihrer Schwester zu und auch Nicholas kam angerannt, um seine Tante zu begrüßen.
'War sie lieb?' fragte Liliane.
'Sehr lieb, nicht wahr, Jeamie?'
Jeamie nickte bekräftigend und schob ihren Daumen in den Mund.
'Danke, dass du auf sie aufgepasst hast.' bedankte Liliane sich.
'Kein Problem, das mach ich doch gern.'
'Gut, wir werden dann gehen. Grüß Matt von mir.'
'Okay. Ruf an, wenn du was brauchst.'
Als Liliane ihre Tochter in den Kindersitz setzte und sie anschnallte, sah sie wie erschöpft sie vom Spielen war.
Während der Fahrt gähnte Jeamie immer wieder und Lily sah in den Rückspiegel.
'Hast du heute viel getobt?'
'Einbisschen. Nicholas will nie Prinzessin mit mir spielen.'
'Er ist ja auch ein Junge, Schatz.'
'Ja, leider.'
Lächelnd sah Liliane wieder auf die Straße. Sie liebte ihre Tochter über alles. Ihre Geburt war das schönste und auch traurigste was sie bisher erlebt hatte. Jane und Matt waren dabei gewesen und hatten ihr beigestanden, indem sie ihr mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn gewischt, ihr beruhigende Worte zugeflüstert und ihre Hände gehalten hatten.
Als die Hebamme ihr den kleinen Säugling auf den Bauch legte und dieser gleich anfing lauthals zu schreien, waren ihr die Tränen über das ohnehin nasse Gesicht gelaufen.
Einerseits weil sie so überglücklich war eine gesunde, wunderschöne Tochter auf die Welt gebracht zu haben und andererseits, weil sie diesen kostbaren Moment nicht mit dem Mann teilen konnte, den sie immer noch nicht vergessen konnte.
Sie dachte nicht mehr so oft an Ian. Sie arbeitete viermal in der Woche und achtete darauf nicht zu lange wegzubleiben. An diesem Tag war es eine Ausnahme, dass sie den ganzen Tag arbeitete, da sie ein Meeting mit einem besonderen Kunden hatte.
Jeamie sah ihr sehr ähnlich. Sie hatte etwas hellere Haare als sie, doch auch sie lockten sich an den Spitzen. Sie hatte dieselben stechend grünen Augen, denselben Mund und dieselbe Nase. Manchmal bedauerte Liliane es, dass ihre Tochter nicht so viel von Ian geerbt hatte, doch sie musste feststellen, dass sie ihm schon in einer Art und Weise ähnelte.
Liliane wohnte nicht weit von Angelsent und sie war Gott dankbar für diese Lage und auch für Matts Geschmack, ihr ein so gemütliches Heim ausgesucht zu haben.
Bei der Erinnerung an Jass' Gesicht, als sie einfach so in dem Dorf erschien, obwohl es sehr riskant war, musste sie verstohlen lächeln. Auch Elaine und Charlene freuten sich sie wieder zu sehen, aber als Elaine meinte, sie müsse das gleich Ian erzählen, bat sie sie darum den Mund zu halten. Sie erklärte Jason und ihr warum und sie verstanden.
Seitdem trafen sie sich fast regelmäßig bei ihr zuhause und Elaine, die noch manchmal mit Ian sprach und Liliane hoffte, dass es das Einzige was die beiden zusammen taten, konnte ihr immer sagen, wann er wieder in Angelsent auftauchen würde und wann nicht.
Jeamie ging dort in den Kindergarten und wurde von Liliane bei Elaine, Jass oder Charlenes Oma abgeholt. Charlene hatte sich in einen hübschen Teenager verwandelt und Liliane konnte sich nur zu gut vorstellen, dass sie die pubertierenden Jungs in ihrer Klasse verrückt machte.Als sie schließlich zwanzig Kilometer weiter von Angelsent vor einem geräumigen Haus hielt, hörte sie auf über ihre Vergangenheit nachzudenken.
Sie stieg aus und trug ihre schlafende Tochter zur Haustür. Ein Steinweg führte dorthin und sie hatte links und rechts Blumen gepflanzt, die ihm Frühling blühen würden.Lily schloss die Tür auf und betrat den Flur, in dem Platz für einen Kleiderständer, eine Kommode und einen Schuhschrank war. Über der Kommode hing ein Spiegel, an dem sie aber vorbei ging ohne hinein zu sehen. Nicht weil sie Angst vor dem ‚Inhalt' hatte, sondern einfach weil sie wusste wie sie aussah. Es wäre überflüssig gewesen dies zu beschreiben, denn viel verändert hatte sie sich nicht. Äußerlich vielleicht nicht, aber innerlich schon.Liliane ging die Treppe hinauf. Am Ende des Flurs, die Tür rechts war Jeamies kleines Reich, das mit viel gelb, orange und rot eingerichtet worden war.
Es sah aus wie ein Sonnenaufgang. Und das hatte Liliane auch beabsichtigt.
Sie konnte sich noch sehr gut an den Tag erinnern, als sie sich von Thorsten verabschiedet hatte. Daran was sie aus der Hoffnung getan hatte, um Ian zu vergessen und die Enttäuschung als sie merkte, dass es nur noch mehr wehtat.
Es war ihr einziger emotionaler Zusammenbruch gewesen und es war und würde nie wieder vorkommen.
An dem Tag stand sie mit Jane auf ihrem ehemaligen Balkon. Und sie rief sich jedes einzelne Wort ihres Gesprächs für einen kurzen Augenblick kurz ins Gedächtnis.
Weißt du... der Sonnenaufgang ist noch viel schöner.
Sie legte Jeamie in das Bett, deckte sie behutsam zu und legte ihr Kuscheltier neben sie.
Lächelnd strich sie ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und erkannte wie ähnlich sie ihrem Vater im Schlaf war.
Schließlich stand sie seufzend auf und lehnte die Tür an, bevor sie wieder nach unten ging.Manchmal kam es ihr vor, als wäre sie gerade erst eingezogen.
Sie liebte ihre Küche und das angrenzende Esszimmer. Die Küche war direkt am Fenster und die Schränke standen wie in einem unvollständigen Viereck. Die Schränke waren aus Eichenholz und in dem Esszimmer standen viele Blumen, so dass man das Gefühl hatte, einen Garten betreten zu haben.
Eine breite Glastür führte in das Wohnzimmer. Ein Teppich in warmen Farben war dort ausgebreitet und die weißen Sofas wirkten wie Wolken darauf.
Der Garten war nicht groß, aber gemütlich. Aber wenn sie jetzt aus dem Fenster sah, erblickte sie nur buntes Laub und kahle Bäume.
Liliane ging in die Küche und nahm sich eine Mandarine. Sie ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich auf eins der Sofas.
Sie nahm die Fernbedienung von dem Glastisch, der in der Mitte stand und schaltete den Fernseher ein, während sie die Mandarine aufaß.
Ihr Leben war wieder vollkommen normal. Es war wie es sein sollte.
Sicher, sie war auch wieder ausgegangen und sie hatte auch ein paar nette Männer kennengelernt, doch sie konnte nicht länger mit ihnen zusammen bleiben als drei Monate.
Sie hatte Angst davor, dass sich Jeamie zu schnell an sie gewöhnte und sie als Vater sah, denn das wollte sie nicht. Was wenn sie erneut enttäuscht wurde? Es reichte schon, wenn ihr wehgetan wurde, doch Jeamie sollte so etwas nie in ihrem Leben widerfahren.
Deswegen brachte sie Jeamie meistens zu Jane, damit sie ungestört mit ihren Liebhabern, oder wie man es sonst nannte, sein konnte. Ihre Liebhaber wussten, dass sie eine Tochter hatte und sie erklärte ihnen auch warum sie nicht wollte, dass sie zu viel Kontakt mit ihnen hatte, doch aus diesem Grund scheiterten ihre Beziehungen auch wieder.
Sie lebte seit über einem Jahr wieder in Enthaltsamkeit und manchmal überkam sie das Gefühl nach einem Mann, nach einem Männerkörper und sanft streichelnden Händen.Gerade in diesen kalten Monaten wünschte sie sich jemanden an ihrer Seite, doch die Frage war wer...
Sie spürte nahezu wie es sie nach Sex gelüstete, doch sie riss sich immer wieder zusammen.Jass hatte Taktvollerweise keine Annäherungsversuche gestartet und er hatte die Rolle eines besten Freundes übernommen.
Sie wusste nicht, ob er noch so viel für sie empfand wie am Anfang, doch das musste sich gelegt haben, dachte sie. Immerhin war das schon vier Jahre her und so lange konnte einfach kein Mensch ... durchhalten? War das das richtige Wort?
Und was war mit ihr?
Sie schreckte auf, als sie ein Geräusch hörte und sah zur Tür. Jeamie, ganz verschlafen, schlich sich hinein.
Liliane streckte den Arm nach ihr aus und zog sie auf ihren Schoß. Wie immer rollte sich Jeamie zusammen und ließ sich von ihrer Mutter wieder in den Schlaf wiegen.
Als Liliane ihr einen Kuss auf die Stirn gab, umhüllte sie ein schwacher Duft von dezentem Pfefferminz und Vanille.
Aber das musste sie sich wohl eingebildet haben

.'Jeamie, pass auf, dass du deine neue Jacke nicht schmutzig machst! Wir haben sie gerade erst gekauft!' rief Liliane, als sie sah, wie Jeamie immer wieder in die Pfützen sprang.Das Wasser spritzte hoch und machte ihre Gummistiefel nass.
Seufzend beschleunigte Liliane ihren Gang, weil sie offenbar nicht gehört wurde.Die Tüte, in der Jeamies alte Jacke war, schlug mehrmals gegen ihre Seite und ihre Tasche auf ihrer Schulter drohte herunter zu gleiten.
Sie hatten zuerst einen Einkaufsbummel gemacht, da Jeamie neue Sachen brauchte und sie hatte vorgeschlagen, dass sie am Hafen Mittag essen könnten.
Die breite Fußgängerstraße war belebt, aber nicht zu voll. Von weit her konnte sie hören wie sich die Wellen am Strand brachen.
'Jeamie!' rief sie erneut und dieses Mal drehte sich ihre Tochter um.
Sie besah sie mit einem Blick, der Lily kurz innehalten ließ, weil er sie so an Ian erinnerte.'Was Mummy?'
'Ich hab gesagt, dass du deine neue Jacke nicht schmutzig machen sollst.'
Wie alle kleinen Mädchen liebte Jeamie pink und, wie konnte es auch anders sein, diese Jacke war auch pink.
Liliane strich sich eine Strähne die ihr ins Gesicht flog hinters Ohr. Ihre Haare hatte sie unter einem Hut versteckt, die aber alle herauszuquellen drohten.
Ein paar dicke Strähnen ergossen sich über ihren Rücken und ihre Wangen waren von dem kalten Wind gerötet.
Demonstrativ hielt Liliane ihrer Tochter die Hand hin, die diese ergriff und sie schlenderten händchenhaltend durch die Fußgängerzone.
'Wenn wir zuhause sind, üben wir eine halbe Stunde deutsch, okay, mein Schatz?'
Jeamie nickte. 'Okay.'
Für Liliane war es wichtig, dass Jeamie ihre Muttersprache nicht vernachlässigte und sie hatte ihr englisch und deutsch beigebracht.
Deutsch hatte Jeamie erst vor zwei Jahren gelernt, aber sie machte sich bestens. Zwar sprach sie es mit Akzent, doch das war Liliane egal, so lange sie nur die Sprache beherrschte.
Eine heftige Windböe fuhr durch die Fußgängerzone und Lilianes Hut flog davon. Sie fluchte und begann die Verfolgungsjagd aufzunehmen, doch Jeamie war schneller.
Sie lief wieder davon, ihre Augen nur auf den Hut gerichtet und glücklich lachend.
'Liebling! Pass auf wo du hinläufst!'
Was wäre, wenn der Hut niemals weggeflogen wäre? Was wäre, wenn es in diesem Moment keine Windböe gegeben hätte? Hätte das Schicksal trotzdem so entschieden?
Der Hut sank langsam wieder nach unten und Jeamie streckte ihre zarten, kleinen Hände nach ihm aus. Als sie Lilianes Hut gefangen hatte, stieß sie mit jemandem zusammen.
Liliane rannte, als sie sah, dass sie zu stolpern drohte, bemerkte nicht den Mann, der sich erschrocken umdrehte und instinktiv nach Jeamies Jacke griff, damit sie nicht hinfiel.Lily blieb stehen.
Jeamie drehte sich überrascht nach ihrem Retter um, blinzelte und fing dann an zu lächeln.Auch der Mann lächelte und hob sie hoch. Jeamie lachte.
Hätte sie erst gar nicht hierhin kommen sollen? Hätte sie erst gar nicht an diesem Tag eingekauft? Wäre es dann anders verlaufen?
Liliane ging langsam auf ihre Tochter zu und tausend Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum, wie lästige Insekten, die sie einfach mit einer Handbewegung verscheuchen wollte, doch es ging nicht.
Ihr Herz klopfte hart gegen ihre Rippen, ihre braunen Haare wehten wie ein Schleier im sanften Wind.
Jeamie sah sie kommen, sagte etwas zu dem Mann und deutete schließlich auf sie.Das Lächeln auf seinen Lippen verblasste, als er sie sah, aber auch sie lächelte nicht.Für den Moment.
Sie musste sich beeilen. Sie wollte ihre Tochter nicht in den Armen dieses Mannes sehen.Eigentlich wollte sie ihn nie wieder sehen.
Seine blonden Haare, die so gewellt und gelockt waren, dass sie aussahen, wie die Haare eines Engels. Seine blauen Augen mit den grünen Sprenkeln, das sie so sehr an das Meer erinnert hatte, wann immer sie darin versunken war.
Seine gerade, fast aristokratische Nase und sein schöner Mund, der sie an manchen verborgenen Stellen ihres Körpers geküsst hatte.
Er sah viel besser aus, obwohl sie sich wunderte, dass dies überhaupt möglich war, und sie erinnerte sich an das Bild in Angelsent, als er in seinem Arbeitszimmer war und sie ihm Pudding gebracht hatte. Sie erinnerte sich an die Brille, die auf seiner Nase saß und die ihn so männlich und erwachsen erscheinen ließ.
Jetzt brauchte er diese Brille nicht mehr.
Sie stand nun vor ihm, weigerte sich aber ihn anzusehen, weil sie schon zu viel von ihm gesehen hatte.
Ian Heyden.
Sie konnte es nicht glauben.
Aber sie verdrängte diesen Gedanken und versuchte sich auf ihre Tochter zu konzentrieren. Vielleicht erkannte er sie gar nicht. Ja, vielleicht hatte er sie sogar vergessen.
Konnte das nicht sein?
Sie nahm Jeamie in ihre Arme.
'Ich hab deinen Hut, Mummy.' murmelte sie und hielt besagten Gegenstand hoch.Liliane lächelte schwach und küsste sie auf die Stirn.
Sie wagte einen kurzen Blick in Ians Augen. 'Danke.' sagte sie leise und wandte sich zum Gehen.
Sie meinte eine Antwort gehört zu haben, ein ebenso leises ‚Bitte', doch sie wollte nicht weiter darauf eingehen. Stattdessen machte sie sich auf den Weg zu ihrem Auto, das nicht weit entfernt stand. Sie zitterte am ganzen Körper und drückte Jeamie fester an sich.Als sie schließlich vor ihrem Auto stand, fummelte sie eine Weile an dem Autoschlüssel herum, weil die Türen nicht aufgehen wollten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis es endlich klappte und sie setzte Jeamie in den Rücksitz, schnallte sie schnell an, um möglichst schnell zu verschwinden.
'Gehen wir nicht essen, Mummy?' fragte Jeamie.
'Wir können auch zuhause essen. Ich mache dir dein Lieblingsessen.'
Sie legte die Tasche, in der Jeamies alte Jacke war, neben ihr auf dem Rücksitz und wollte die Tür schließen, als Jeamie sagte:
'Der Mann war sehr nett zu mir.'
Liliane hielt inne und eine böse Vorahnung breitete sich in ihrem Innern aus.
Sie sah Jeamie lange an. 'Hast du ihn schon mal gesehen? Bist du ihm schon einmal begegnet?'
Sie brauchte nur Erleichterung. Sie brauchte nur das Wissen, dass dies das erste und einzige Mal sein würde. Gleich würde Jeamie den Kopf schütteln. Sie wollte es nur aus ihrem Mund hören, damit sie sich keine Sorgen mehr machen musste.
Sie wollte...
'Ja.' gab Jeamie kleinlaut zu.
Sie zuckte zusammen. 'Wo?' fragte sie und Panik schwang in ihrer Stimme mit.
Lily zwang sich zu beruhigen und atmete tief ein und aus.
Jeamie warf ihr einen ängstlichen Blick zu. 'Bei Tante Jane... aber sie hat gesagt, ich soll es nicht sagen.' fügte sie hinzu und sah traurig auf ihre Hände.
'Tante Jane.' wiederholte sie wie in Trance.
Sie schloss die Autotür und stieg vorne ein.
Als sie aus dem Parkplatz rollte, fiel ihr Blick auf ein schwarzes Cabrio.
Sie beschleunigte.

'Warte bitte hier, okay, mein Schatz?' sagte Liliane und ließ Jeamie allein in dem Auto.Sie versuchte ihre Wut zu unterdrücken, doch sie rauschte so laut in ihren Ohren, dass sie glaubte es hören zu können.
Sie drückte auf die Klingel und wenige Sekunden später öffnete Jane die Tür.
'Oh, Lily, was für eine Überraschung, komm doch-'
'Nein.' unterbrach Liliane sie.
'Okay.' meinte Jane verdutzt.

'Ich will wissen, was passiert ist, als Jeamie das letzte Mal hier war.' sagte sie mit zitternder Stimme. 'Ich will es wissen.'
Jane ahnte, dass ihre Schwester es erfahren haben musste und dass Jeamie es ihr gesagt hatte, doch sie konnte dem Kind keine Vorwürfe machen.
Sie senkte den Blick.
'Ian ist vorbeigekommen.' Sie machte eine kurze Pause und seufzte. 'Es war eine seiner spontanen Ideen. Jeamie hat auf dich gewartet. Sie muss sich wohl mit Nicholas gestritten haben oder sie konnte nicht länger auf dich warten und ist nach draußen gegangen. Ich habe nichts gehört, weil ich den Abzug an hatte. Ich habe erst etwas mitbekommen, als ich einen kalten Luftzug spürte. Nicholas ist auch nach draußen gegangen und hat die Tür aufgelassen.''Was hat er gemacht? Was hat er mit ihr gemacht?'
'Er... er hat sich wohl mit ihr unterhalten.'
'Warum hast du ihr gesagt, dass sie mir nicht sagen soll, dass er da war?' fragte sie vorwurfsvoll.
'Ich wollte dich schützen. Euch.' verbesserte sich Jane.
'Weißt du was heute passiert ist?' Liliane fuhr sich durch die Haare. 'Mein Hut ist
weggeflogen und so wie Jeamie ist, ist sie ihm hinterher gerannt, um ihn zu fangen. Das hört sich ziemlich bescheuert an oder wie in einem Märchenfilm, aber sie ist mit ihm zusammengestoßen. Er... er hat sie aufgefangen und sie hochgehoben. Sie haben... gelacht. Sie wirkten so vertraut. Wie...' Sie sprach es nicht aus. 'Ich bin sofort hierher gefahren.' fuhr sie fort. 'Jane, er hat mich gesehen. Ich weiß nicht, ob er mich erkannt hat, aber...' Liliane schüttelte den Kopf. 'Weißt du, vier Jahre sind eine ganz schön lange Zeit. Musste es ausgerechnet jetzt passieren?'
Jane sah sie traurig an, antwortete jedoch nicht, weil es darauf keine Antwort gab.
'Ich weiß nicht, was ich machen soll.'
'Fahr erst mal nach Hause und schlaf eine Nacht. Morgen kommen Matt und ich vorbei.'Liliane verabschiedete sich und ging. Sie hörte wie die Tür geschlossen wurde.Normalerweise wartete Jane immer, bis sie ihm Auto war und sie winkten sich noch zum Abschied zu.
Sie keuchte auf, als sie ein Auto mit rasantem Tempo näher kommen sah. Schnell rannte sie zu ihrem Wagen, doch das Auto hielt bereits und auch die Wagentür öffnete sich.
Sie wollte ihre eigene öffnen, wollte einsteigen, wegfahren, fliehen.
Eine starke Hand griff nach ihrem Arm und zog sie an einen Körper, der ihr so vertraut war. Aber sie wollte keine Nähe. Sie schubste ihn weg, konnte sich aber nicht von seiner Hand befreien.
Ian warf einen Blick auf den Rücksitz und sah, dass Jeamie ihn verwundert ansah. Er lächelte ihr kurz zu und schleifte Liliane ein wenig vom Auto weg, damit Jeamie die Szene nicht mitbekam. Liliane sträubte sich, doch sein Griff zog sie bestimmt mit.
Er meinte einen merkwürdiges Geräusch gehört zu haben, lauschte, doch da war nichts.Als er die Entfernung für angemessen hielt, blieb er stehen und sah sie an.
Verdammt, musste es ausgerechnet jetzt passieren?
Hatte er sich nicht damit abgefunden, dass er sie gehen ließ? Hatte er es nicht geschafft sie zu vergessen?
Aber diese grünen Augen, diese unvergesslichen grünen Augen und dieser sinnliche Mund.Ihr schmales Gesicht, ihre elegante Nase. Ihre braunen Haare, ihr zarter Körper.
Wie hätte er das vergessen können?Sie wirkte femininer und strahlte die typischen Eigenschaften einer Frau aus. Sie war noch hübscher geworden, doch in ihren Augen war ein unerklärlicher Ausdruck.
Er drehte ihr Gesicht in seine Richtung, weil sie sich weigerte ihn anzusehen.
'Du bist es. Du bist es wirklich.' sagte er leise.
Wie sollte sie sich verhalten? Sollte sie ihm zeigen, was sie wirklich fühlte?
Angst? Liebe?
'Lass mich los.'
Er lockerte seinen Griff und sie trat einen Schritt zurück.
Ian verstand nicht warum sie ihm gegenüber so distanziert war. Ob sie ihm immer noch böse war?
Er konnte es ihr nicht verdenken, doch wie es schien, war sie bereits vergeben und hatte sogar eine Tochter. Eine Tochter, die ihr so ähnelte und er fragte sich, warum es ihm nicht schon früher aufgefallen war.
'Liliane.' sagte er. 'Lil.'
Als sie den Namen hörte, den nur er auszusprechen vermag, zuckte sie zusammen.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie blinzelte sie zurück.
Sie wich weiter vor ihm zurück, obwohl er sich ihr nicht näherte.
Er sah sie fragend an, aber sie schüttelte nur den Kopf und bedeutete ihm damit, dass er keine Fragen stellen sollte.
'Lass mich bitte in Ruhe. Lass mich und Jeamie in Ruhe.' flüsterte sie.
'Wie soll ich dich in Ruhe lassen, wenn ich dich nach so langer Zeit wieder sehe?'
'Es ist mir egal wie du es machst. Aber lass uns in Ruhe.'
'Ich habe versucht dich zu vergessen, Lil, ich habe es wirklich versucht. Und es ging nicht. Ich konnte es nicht.'
'Bitte sag nichts mehr.' schluchzte sie. 'Du machst es nur noch schlimmer.'
'Bist du denn gar nicht froh mich zu sehen?' fragte er und ging auf sie zu.
Sie antwortete nicht. Wie blind eilte sie zurück zu ihrem Wagen.
Dieses Mal ließ er sie gehen. Sie sah ihn im Rückspiegel, wie er wieder in sein Auto stieg.Er ließ sie gehen.
Doch wohin ließ er sie gehen?
Liliane biss sich auf die Unterlippe, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
Sie war eine Närrin.
Sie wusste, dass sie es nie konnte. Sie würde ihn nie vergessen können.
Weil sie ihn immer noch liebte.

Verwirrt kehrte Ian in seine Wohnung zurück. Er blieb am Eingang stehen, fragte sich, was er eigentlich hier tat.
Warum hatte er so impulsiv gehandelt? Wieso war er ihr hinterher gelaufen und ihr hinterher gefahren? Er starrte auf die Türklinke, die er gar nicht mehr wahrnahm.
Liliane.
Bei diesem Namen schloss sich eine kalte Hand um sein Herz und zerdrückte es. Er merkte, wie er zitterte.
'Fuck.' murmelte er. 'Fuck.'
Plötzlich vibrierte etwas in seiner Jackentasche. Er zog das Handy heraus und nahm ab.'Ja?'
'Ian? Ich bin's. Wo bist du? Ich warte seit einer halben Stunde auf dich.'
Mist! Das hatte er völlig vergessen.
'Tut mir leid, Darling...' begann er und suchte nach einer passenden Ausrede. 'Ich war noch zuhause und habe gearbeitet. Ich muss wohl eingeschlafen sein.'
Er hasste es sie anzulügen, doch wie sollte er ihr die Situation erklären? Vielleicht wäre es besser, wenn sie nichts von dieser Sache erfuhr. Bis er wusste, warum Liliane in Amerika war.
Er hörte sie seufzen und sah im geistigen Auge, dass sie die Augen, hinter einer großen Sonnenbrille versteckt, verdrehte.
'Dann beeil dich, okay?'
'Ich bin so gut wie da.'
'Ich liebe dich.'
'Ich dich auch.' antwortete er und legte auf.
Plötzlich war er sich der Wahrheit seiner Worte gar nicht mehr so bewusst.

Sie fuhr zu schnell. Viel zu schnell, das wusste sie.
Aber sie konnte ihren Fuß nicht vom Gaspedal nehmen oder ihre Tränen verbergen.
Sie hasste sich selbst für ihre Schwäche. Dafür, dass sie ihn immer noch liebte ohne ihn je ein einziges Mal gesehen zu haben. Bis jetzt.
'Mummy?'
Abrupt trat sie auf die Bremse. 'Was?' fragte sie und drehte sich erschrocken zu Jeamie um, weil sie sie völlig vergessen hatte. 'Oh, Liebling...'
'Warum bist du so traurig?' fragte sie.
Schnell wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. 'Ach das... das ist nicht so wichtig.'
Liliane fuhr weiter, weil hinter ihr gehupt worden war.
'Das ist nicht so wichtig.' wiederholte sie, mehr mit sich selbst sprechend, als mit Jeamie.







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