Mondfinsternis Teil 9

Autor: Jiyu no Kotoba
veröffentlicht am: 08.08.2008




Kapitel 9 - Krabbelvieh im Shirt

Ich ging zu meinem Telefon und suchte nach dem Zettel, den meine Mutter geschrieben hatte. Er war runter gefallen und lag nun falsch herum auf meinem Physikbuch. Ich hob den unscheinbaren Zettel auf und drehte ihn um. Im nächsten Moment fuhr mir etwas, was sich am besten mit einem Stromschlag beschreiben lässt, von der Hand durch den Arm in den Bauch. Mein Magen zog sich schlagartig zusammen, so dass ich das Gefühl hatte, als wäre er nur noch die Hälfte. Ich starrte auf den Zettel. In der ordentlichen Schrift meiner Mutter stand dort 'Darren S. hat angerufen'. Warum… warum hatte Darren angerufen? Woher hatte er meine Nummer? Und… warum machte mich das so nervös? Ich ließ mich rückwärts auf mein Bett fallen. Der kühle Bettbezug tat mir gerade sehr gut. Nach ein paar Augenblicken griff ich nach meinem Telefon und wählte die Nummer, die ebenfalls auf dem Zettel stand. Es klingelte. Niemand ging dran. Ich wollte schon wieder auflegen, als jemand ab hob.
'Ja?' erklang es genervt.
'Äh… Darren?'
'Eleonora? Ach, hi!' Plötzlich klang seine Stimme viel lebhafter. Oder vielleicht bildete ich es mir auch nur ein.
'Ja. Meine Ma hat gesagt, du hast angerufen?'
'Eh, ja. Ich wollte fragen, ob du Lust hast, noch mal laufen zu gehen. Also mit mir zusammen.'
Jetzt hatte ich nur noch einen Viertelmagen…
'Elo? Noch da?'
'Ja… Elo?'
'Darf ich dich so nennen? Eleonora ist so ein bisschen lang. Und Leo… so normal.'
'Äh, klar kannst du mich so nennen.' Irgendwie irritierte er mich immer.
'Und?'
'Was?'
'Hast du Lust?'
'Achso.' Man. Ich stand total neben mir. 'Ja, von mir aus gerne.'
'Okay, dann hole ich dich ab. So in einer halben Stunde? Geht das?'
'Passt schon.'
'Gut, dann bis nachher!'
'Machs gut.'
Er legte auf. Ich ebenfalls. Dann sah ich meine Hände an. Sie zitterten. Ich schüttelte den Kopf, um wieder etwas klarer denken zu können. Danach zog ich meine Laufklamotten an und ging runter ins Wohnzimmer. Meine Eltern waren drüben im Hotel. Neben dem Wohnzimmertisch legte ich mich auf den Boden und starrte an die Decke. Und, wie immer, wenn ich nervös oder gelangweilt war, oder einfach nicht wusste, was ich machen sollte, fing ich an, meine Piercings abwechselnd raus und wieder rein zu machen. Ich war irgendwann so versunken in diese Arbeit und in die Betrachtung der weißen Decke, dass mich das Klingeln erschrocken zusammenfahren ließ. Durch das lange Liegen ein wenig steif geworden, sprang ich etwas ungelenk auf und ging zur Tür. Als ich öffnete, fühlte ich meinen Herzschlag seltsamerweise im Bauch.
'Na, bist du fertig?' begrüßte Darren mich breit grinsend.
'Äh, ja…' Ich machte einen kleinen Schritt nach vorne. 'Wobei, eigentlich nein.'
Fragend sah er mich mit seinen dunklen Augen an.
'Ich muss meinen Eltern noch eben einen Zettel schreiben. Die sind gerade nicht da. Willst du so lange rein kommen?'
Er nickte und trat ein. Neugierig sah er sich um.
'Ich bin gleich zurück.' Ich verzog mich in die Küche und kramte Zettel und Stift hervor.

‚bin mit darren (hat vorhin angerufen) laufen.
lg, eleonora

Ich befestigte den Zettel mit einem Magneten am Kühlschrank und ging zurück zu Darren.'Jetzt bin ich fertig.'
'Ladies first' Er deutete aus der Tür und lächelte. Mir blieb die Luft weg. Ach verdammt, wieso reagierte ich bitte so? Ich ging an ihm vorbei und holte draußen tief Luft. Danach konnte ich wieder relativ klar denken. Hinter mir hörte ich die Tür ins schloss fallen.
'Dann wollen wir mal.' Er stellte sich immer noch lächelnd - es war fast ein Grinsen - neben mich.
'Und wo lang?' fragte ich. 'Ich kenne mich hier nicht so gut aus.'
'Nun, dann immer mir nach.'

Wir liefen nur anfangs auf den breiteren Wegen. Schon nach ein paar Minuten bog Darren auf schmalere Wege ab. Unterwegs redeten wir nicht viel. Ich genoss es, eine körperliche Anstrengung zu haben, die mich davon abhielt rastlos zu werden, und gleichzeitig Ruhe zu haben, um meinen Gedanken nachzuhängen.
Irgendwann, als wir gerade eine Pause einlegten, fragte er: 'Woran denkst du gerade?'
'Hm?' ich sah zu ihm auf. Er hatte mich gerade aus den Gedanken gerissen.
'Woran du denkst. Du schaust so…' Er verstummte.
'So wie?'
'Ich weiß nicht.' Er betrachtete mein Gesicht noch einmal prüfend. Unter dem Blick seine neugierigen, braunen Augen hatte ich das Gefühl, die Erde nicht mehr zu berühren.'Du schaust so ein bisschen… als würdest du etwas träumen. Aber als würde dich irgendetwas an diesem Traum stören.' Er schwieg einen Moment. 'Sagst du's mir? Oder ist es ein Geheimnis?' Er grinste schief.
'Äh…' Ich brauchte einen Moment, um mich wieder auf seine Frage zu besinnen. 'Ich habe nur gerade an die Legende gedacht. Also di von den Nachtsteins.'
Neugierig musterte er mich. Ich setzte mich auf den Boden und stützte das Kinn auf der Hand ab. Dann sah ich ihn misstrauisch an. 'Du lachst mich aber nicht aus, oder?'
Darren legte eine Hand auf die Brust und hob die andere wie zum Schwur. 'Ehrenwort.'Ehm…' Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. 'ich habe mich gefragt, ob es wirklich Vampire gibt. Und… und wenn ja, wie sie dann sind. Es gibt so viele verschiedene Darstellungen von ihnen und irgendwie passt die der Legende sehr wenig dazu, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte.'
'Wie hast du sie dir denn vorgestellt?' Wieder sah er mich neugierig an. Aber nicht so wie vorhin. Irgendwie… anders. Ernster. Verunsicherter.
'Das willst du gar nicht wissen.'
'Doch, will ich.' Jetzt grinste er wieder.
Ich stöhnte und vergrub mein Gesicht in den Armen.
'Ach komm schon, Elo.' Er setzte sich dicht neben mich. Zu dicht. Ich fühlte seine Wärme nahe bei meinem Arm, roch ihn. Er roch so wunderbar. Ich spürte jeden meiner Herzschläge. Jeder einzelne donnerte schmerzhaft in meiner Brust. Ich wollte mich ablenken, meine Gedanken wieder etwas besser unter Kontrolle bringen, weg von ihm. Also fing ich an zu reden.
'Ach, ich… ich lese sehr gerne… und… äh, kennst du Biss zum Morgengrauen oder Geliebte der Nacht? D-Da geht es um… Das sind Liebesgeschichten, die sich um Vampire drehen. U-Und irgendwie gefällt mir die Idee eines vampirischen Liebhabers besser, als die eines blutrünstigen Monsters.'
Ich schielte zu ihm hoch und sah, dass er ein Grinsen unterdrückte. Doch er hielt sein Versprechen. Er lachte nicht.
'Ich sagte doch, du willst es nicht wissen.'
'Doch, wollte ich.' Grinsend strubbelte er mir durchs Haar. Und versetzte mir damit einen ziemlichen Schock. Diese Berührung kam so plötzlich, so unerwartet, dass ich ihn völlig versteinert anstarrte.
'Elo? Was ist los?' Besorgt sah er mich an.
'D-Dir krabbelt da gerade was ins Hemd.' Ich dankte still dem Krabbelvieh, das mich aus dieser peinlichen Situation gerettet hatte.
'Was?!' Wie von der Tarantel gestochen sprang Darren auf und versuchte das Vieh aus dem T-Shirt zu bekommen. Als das nicht klappte, zog er es mit einer schnellen Bewegung aus, um es so noch einmal zu versuchen.
Im ersten Moment folgten meine Augen noch der Bahn des T-Shirts. Im nächsten Augenblick war ich gefangen von seinem Anblick. Die lockeren Sachen, die er normalerweise trug, ließen einen nicht annähernd ahnen, wie durchtrainiert er war. Sein Oberkörper war, bis auf einige dunkle Haare, die unter seinem Bauchnabel ansetzten und dann in der Hose verschwanden, unbehaart, was seinen Waschbrettbauch ziemlich gut zur Geltung brachte. Doch etwas, was diesen wahnsinnigen Körper noch anziehender machte, waren die Narben. Über seinen Bauch erstreckten sich vier schmale Striche. Sie waren nicht glatt, wie von einem Messer, sondern seltsam fransig. Die Narben sahen aus, wie von einem Tier geschlagen. Nur, das ich mir kein Tier vorstellen konnte, dessen einzelne Krallen so weit auseinander lagen. Es sah fast so aus, wie der Abstand von menschlichen Fingern.
Es juckte mich gewaltig in den Fingern, es dem Licht- und Schattenspiel der Bäume nachzutun, das ihm über die Haut glitt.
'…wir weiter?'
Mühsam riss ich mich von dem atemberaubenden Anblick los und sah ihm ins Gesicht. Im selben Moment sah er zu mir herunter. Hatte er gesehen, dass ich ihn so angestarrt hatte? Ich merkte, dass ich rot wurde. Was auch nicht gerade hilfreich war. Wenn es ihm aufgefallen war, so ließ er sch nichts anmerken. Er zog sich das T-Shirt wieder über den Kopf. Was ich halb bedauernd, halb erleichtert verfolgte. Bedauernd aus nahe liegenden Gründen, erleichtert, weil ich wieder in der Lage war normal zu atmen. Dann wiederholte er seine Frage.
'Ich wollte wissen, ob wir weiter wollen.'
'Äh, ja…'
Er reichte mir die Hand, um mir hoch zu helfen. Noch etwas benommen stand ich auf. 'Danke.'
Wir liefen noch einige Zeit, doch keine allzu lange Strecke, da meine Kondition durch die lange Zeit, in der ich nicht gelaufen war, etwas nachgelassen hatte.
Als wir vor meiner Tür standen, fragte er: 'Laufen wir irgendwann mal wieder? Zu zweit macht das mehr Spaß, als alleine. Und irgendwie wollte nie jemand mitmir laufen.' Er grinste schief.
'Ja, das kenne ich irgendwoher.' Ich lächelte glücklich. Darren wollte wieder mit mir Laufen gehen!
'Na, dann bis morgen!' Er hob die Hand und winkte mir zum Abschied. Als er weg war, schloss ich die Tür auf und betrat das Haus.







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