Mondfinsternis Teil 8

Autor: Jiyu no Kotoba
veröffentlicht am: 22.07.2008




Kapitel 8 - Theatera

Endlich war ein weiterer Schultag vorbei. Ich hatte immer das Gefühl, je näher die Sommerferien rückten, umso langsamer verging die Zeit.
'Darf ich zugucken, wenn du vorsprichst?' Marion dackelte mir hinterher. Sie meinte das Vorspiel für die Theatergruppe nächsten Montag.
'Ja' knurrte ich, als ich vor dem schwarzen Brett hielt und mich in die Liste der Interessierten eintrug. 'Aber das hab ich dir doch schon zich mal gesagt.'
'Ich weiß, ich weiß' zwitscherte sie gut gelaunt, während sie hinter mir auf und ab hopste.
Genervt verdrehte ich die Augen. Sie bemerkte es und blieb lachend stehen.
'Tschuldigung, aber ich muss den Stress der Arbeit loswerden.'
Ich schüttelte den Kopf. 'Manchmal weiß ich echt nicht, wie ich es eigentlich mit dir aushalte.'
Sie lachte wieder und verließ neben mir das Schulgebäude. 'Dito.'
Ich grinste auch leicht. 'Du bist unmöglich. Schlimmer als Conny. Aber…' ich verstummte.'Aber?' bohrte sie.
'Besser' knurrte ich wieder.
Verdutzt blieb sie in der Mitte der Treppe stehen und ich sprang die letzten paar Stufen runter, um vor ihr bei den Fahrrädern zu sein. Dabei stolperte ich, verlor das Gleichgewicht und rempelte auch prompt jemanden an. Beziehungsweise knallte jemandem voll vor den Brustkorb. Er hielt mich fest, damit ich nicht stürzte.
'Hoppla. Nicht so hastig, Eleonora.'
Ich sah auf, direkt in Darrens dunkle, braune Augen. Einen Moment lang starrte ich ihn an, doch dann wurde ich rot, trat einen schnellen Schritt zurück und stotterte, auf den Boden schauend, etwas zwischen Entschuldigung und Danke. Zum Glück kam mir Marion zu Hilfe und zog mich am Handgelenk weg. Dabei lächelte sie Darren an, hob die Hand und rief: 'Tschüß Darren, wir müssen dann!'
Marion blieb stumm, aber ich sah ihr an, dass sie ein Grinsen, wenn nicht sogar ein Lachen unterdrückte. Als wir dann bei den Rädern, also außer Hörweite von Darren, waren, lehnte sie sich lachend gegen die Wand.
'Das sah ja grad genial aus!' Sie wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. 'Sag mal, gehst du immer so direkt vor?'
Ich würdigte sie keines Blickes, sondern schloss nur mein Fahrradschloss mit mehr Kraft als nötig auf. Dann rollte ich das Rad nach draußen, saß auf und fuhr ab. Ohne Marion.
'Leo, warte!' Sie kam ebenfalls raus, nachdem sie ihr Fahrrad los gemacht hatte. Ich trat kräftiger in die Pedale. Bis sie mich eingeholt hatte, waren wir schon halb bei der Kreuzung, wo wir uns trennen mussten. 'Mensch, das war doch nur Spaß. Ach Leeo, komm rede mit mir.'
Verbissen schwieg ich, was sie schließlich auch akzeptierte. Als sie abbiegen musste, bewies ich jedoch noch mal zumindest einen Funken guten Willens und meinte: 'Machs gut, wir sehen uns dann morgen.'
Sie lächelte und winkte im Abfahren. Sie hatte die Entschuldigung in meiner Stimme gehört. Es tat mir auch ein wenig leid, dass ich so reagiert hatte. Ich wusste, ich hatte überreagiert. Aber bei so was war ich einfach ein bisschen empfindlich. Ich beschloss, nach dem Mittagessen ein wenig Laufen zu gehen. Laufen und Klavierspielen, das waren die beiden Sachen, die mich am besten beruhigten. Und gerade fühlte ich mich ziemlich aufgekratzt.Nach dem Mittagessen und einer halben Stunde Klavierspielens schnappte ich mir also meinen mp3-Player und ging nach draußen. Meine Eltern und die anderen, die für uns arbeiteten, waren vermutlich recht froh darüber. Momentan lagen die Vorbereitungen für Eröffnung in den letzten Zügen und da nervte eine gelangweilte Sechzehnjährige, die planlos durchs ganze Haus tigerte, einfach.
Ich lief nicht besonders schnell, was zwei Gründe hatte. Zum einen waren die Schrammen von meinem Fahrradsturz noch nicht ganz verheilt und nervten beim Laufen, zum anderen war ich ein bisschen aus der Übung. Das lag daran, dass alleine Laufen nicht besonders viel Spaß machte. Und da Conny im schönen Lipperland geblieben war und Marion zu den Sportmuffeln zählte, musste ich immer alleine Laufen.
Während ich unterwegs war, kreisten meine Gedanken immer öfter um den Zusammenprall heute Vormittag. Ach verdammt! Es war auch zu peinlich, dass ich immer gleich rot wurde. Darren musste mich jetzt für einen totalen Vollidioten halten… Wobei es eigentlich egal war, für was Darren mich hielt. Eigentlich.

Ich machte an einem kleinen Tümpel eine Pause. Hier, mitten im Wald, umgeben von Bäumen und Sträuchern, dem Vogelgezwitscher und dem Wind, der durch die Äste strich, wirkte alles so weit weg. So friedlich. Und hier, weit weg von beobachteten Blicken, konnte ich meinen Tränen freien Lauf lassen. Ich hatte das Erlebnis am Montag an der Bushaltestelle nicht vergessen, sondern nur verdrängt. Ich wusste immer noch nicht, was eigentlich passiert war, aber dennoch machte es mir Angst. Am Tag konnte ich mich meist ablenken, die Erinnerung ignorieren, doch dafür bekam ich nachts nur umso schlimmere Alpträume.Als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, suchte ich nach einem Taschentuch. Doch ich hatte keines dabei.
'Hier.' Erschrocken zuckte ich zusammen. Darren war lautlos aufgetaucht und hatte sich neben mich gekniet. Er hielt mir ein Taschentuch hin.
'D-danke.' Ich griff danach, ohne ihm ins Gesicht zu sehen. Ich schnäuzte mich und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Vorsichtig legte er mir seine linke Hand auf die Schulter.
'Alles in Ordnung mit dir?'
'Ich… ja. Nein… ach verdammt!' ich fing wieder an zu schluchzen. Warum tauchte er ausgerechnet jetzt auf? Ich hasste es, heulend und hilflos gesehen zu werden.
'He, es ist doch alles gut.' Sanft zog er mich an sich und ich weinte mich aus. Darren strich mir beruhigend durch mein Haar und murmelte mir stille Worte zu. Ich konnte mich später nicht mehr daran erinnern, was er mir sagte, aber es war tröstend.
Nach einiger Zeit setzte ich mich wieder auf und putzte mir noch einmal die Nase. Er gab mir ein zweites Taschentuch, damit ich meine Tränen trocknen konnte.
Verdammt… Darren hatte es tatsächlich geschafft, dass ich mich bei ihm ausheulte. Etwas, das bisher noch keiner geschafft hatte. Er stand auf und zog mich ebenfalls auf die Beine.'Lass uns ein bisschen Laufen.'
Ich schaute ihn das erste Mal richtig an und sah, dass auch er Sportklamotten trug. Außerdem bemerkte ich einen kleinen schwarzen Fleck an seinem T-Shirt.
'Oh, das tut mir leid! Ich habe mit meinem Make-up dein T-Shirt schmutzig gemacht!'
'Das ist doch egal. Muss eh in die Wäsche. Aber komm, Bewegung tut gut.'
Wir liefen lange zusammen. Als wir uns schließlich kurz vor dem Hotel trennten - ich hatte angedeutet, dass mein Vater bestimmt nicht glücklich wäre, wenn sie mich zusammen mit einem Jungen aus dem Wald kommen sah - meinte ich: 'Danke.' Wobei ich selbst nicht ganz wusste, ob für das gemeinsame Laufen, oder das Trösten.
Darren grinste nur leicht und hob die Hand zum Abschied. 'Gerne wieder.' Dann wurde er wieder ernster, als er fortfuhr: 'Wenn du mal darüber reden möchtest, kannst du zu mir kommen.'
Abrupt drehte er sich weg. 'Bis dann.' Und weg war er.

'Wenn du weiter so rumhopst, nehme ich dich nicht mit' knurrte ich Marion an. Es war Montag nach der sechsten Stunde und sie begleitete mich zur Aula, wo ich für das Theaterstück vorspielen würde.
'Okay, ich bin schon ruhig.' Was jedoch nicht lange anhielt. Als wir in der Aula ankamen, waren schon um die zwanzig Plätze besetzt. Ich setzte mich mit Marion vier Reihen von der Bühne weg. Nach etwa zehn Minuten, in denen immer mehr Schüler eintrudelten, stellte sich eine Oberstufenschülerin auf die Bühne, wartete kurz, bis Ruhe einkehrte und fing dann mit klarer Stimme an zu sprechen.
'Guten Morgen allerseits. Wir, das Theaterteam, freuen uns, dass so viele gekommen sind. Ich werde euch kurz erklären, wie das ‚Casting' abläuft. Wir werden euch anhand der Listen, in die ihr euch eingetragen habt aufrufen. Wenn ihr dran seid, kommt ihr bitte hier auf die Bühne. Euch wird eine Situation genannt, welche ihr spielen sollt. Wir machen mehrere Durchläufe und entscheiden dann später, wer dabei ist. Das wird euch dann morgen oder übermorgen mitgeteilt. Doch genug der Vorrede, ich sehe schon wieder Langeweile in euern Gesichtern. Also dann, viel Erfolg!' Damit sprang sie von der Bühne und setzte sich zu dem restlichen Team in die erste Reihe. Jeder hatte einen Block und einen Stift für Notizen in der Hand.
'Maria Jensen.' Eine rothaarige Siebtklässlerin stand auf. Die Ärmste. Als erste spielen zu müssen, war mies. Dementsprechend spielte sie auch. Sie stieg gerade wie ein begossener Pudel von der Bühne, da flog die Tür der Aula mit Schwung auf.
'Tschuldigung, ich glaub, ich bin ein bisschen spät.'
'Wie eigentlich immer, Darren' grinste ihn die Sprecherin der Theatergruppe an, als er näher kam.
Er winkte ab. 'So schlimm ist es ja nun auch wieder nicht.' Er sah mich und Marion und nickte uns grüßend zu, bevor er sich ebenfalls in die erste Reihe setzte.
'Eleonora Heinrichs.' Na toll. Auch nicht viel besser, als als erste zu spielen.
'Viel Glück' flüsterte Marion, als ich aufstand.
'Danke.'
Vorne ging ich die Treppe zur Bühne hoch und wartete auf Anweisungen.
'Du bist Schneewittchens Stiefmutter und erfährst, dass sie trotz der Angaben des Jägers noch immer am Leben ist.'
Ich nickte und fing an zu spielen. War erst völlig außer mir und lief auf und ab, wurde dann ruhiger, als ich mir überlegte, wie ich den untreuen Jäger bestrafen sollte, nahm meinen zornigen Gang auf und ab wieder auf, bis ich zu dem Schluss kam, dass ich mich selbst um dieses kleine Gör Schneewittchen kümmern musste.
'Okay, stopp.'
Ich kaute auf meiner Lippe herum und wandte mich zur Treppe.
'Nein warte, du sollst noch etwas spielen.' Na ganz toll… 'Spiel eine fröhliche Szene. Freu dich über irgendwas.'
Ich dachte einen Moment nach. Dann wedelte ich mit einem imaginären Blatt Papier durch die Luft und sprang um eine, genauso imaginäre, Freundin herum, mit Marion als Vorbild.'Ich hab dir doch gesagt, dass wir das packen! Hier, jetzt hast du's schwarz auf weiß.' Ich blieb stehen und deutete auf die Luft in meiner Hand. 'Was sagst du jetzt?'
'Okay, Dankeschön. Du kannst dich setzen.'
Ich ging von der Bühne und setzte mich wieder neben Marion. Als ich zu Darren sah, nickte der mir aufmunternd zu.
Es wurde weiter aufgerufen. Mancher musste einmal spielen, mancher zweimal.
'Eleonora Heinrichs.'
'Noch mal?' Irritiert sah ich Marion an. Aber ich hatte die Frage zu laut gestellt. Sie war bis nach vorne zu hören gewesen.
'Ja, noch mal' lachte Darren, als er mein perplexes Gesicht sah.
Verwundert stand ich auf und ging wieder auf die Bühne.
'Jetzt mit Partner. Darren, gehst du hoch?'
Er nickte und kletterte ebenfalls auf die Bühne. Ich sah zur ersten Sitzreihe und wartete auf erneute Anweisungen, als Darren plötzlich mit wütendem Gesichtsausdruck auf mich zu kam, mich am Oberarm packte und zische:
'Sag mal, spinnst du eigentlich? Schon mal was davon gehört, dass man sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten mischen soll?'
Ich war einen Augenblick lang ziemlich erschrocken, doch dann verstand ich und spielte mit.'Anderer Leute Angelegenheiten? Hör zu, wenn du meine Schwester verarschst, geht mich das ja wohl was an!'
Wir ‚stritten' uns noch eine Weile, dann wurde eine Neuntklässlerin, die vorhin sehr gut gespielt hatte, als meine Schwester auf die Bühne geschickt und Darren verzog sich. Nun musste ich die kleine trösten, wurde irgendwann von der besten Freundin abgelöst und so weiter und so fort. Manchmal musste jemand, der zuvor schon gespielt hatte noch einmal nach vorne. So entwickelte sich das spontane Stück immer weiter, bis:
'Vielen, vielen Dank. Wir haben viele gute Schauspieler gesehen und auch einige, die vielleicht noch nicht ganz so gut sind, es aber mit ein bisschen Übung sehr bald seien werden. Also dann auf wieder sehen!'
Nach und nach erhoben sich alle und marschierten auf den Ausgang zu. Nur das Theaterteam blieb vorne sitzen und diskutierte.
'Hättest du gedacht, das Darren so gut spielt?' fragte ich Marion uns schaute zurück zu ihm. Er stand bei den Theaterleuten. Darren war noch ein paar Mal auf die Bühne geschickt worden, wodurch ich noch besser hatte sehen können, was er drauf hatte.
'Ja, habe ich. Aber ich habe ihn auch schon vorher auf der Bühne gesehen. Wenn man Jan Glauben schenken darf, spielt Darren schon seit der Grundschule Theater.'
'Oha. Das hätte ich echt nicht gedacht.'
'Ich glaube, du bist dabei' erklärte Marion zuversichtlich, als wir die Aula verließen.
'Hm. Danke. Aber… da waren einige, die verdammt gut spielen können.'
'Und du gehörst dazu' grinste sie.
'Hm.' Ich trat in den Sonnenschein. 'Danke. Jetzt hoffe ich mal, das reicht.'
'Denk positiv, Mädel!
'Erwarte das Schlimmste und hoff auf das beste, gell?'
'Alter Pessimist'
'Optimisten haben keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die Pessimisten erleben' zitierte ich weiter.
'Du bist echt anstrengend.' Sie schüttelte überfordert den Kopf.
'Komm, lass uns nach Hause fahren. Ich hab ziemlichen Kohldampf.'
'Verfressenes Kind. Und dann so 'ne Figur haben. Wenn ich so viel essen würde, wäre ich schon bald ein Ball.'
'Das hat einen ganz einfachen Grund: Im Gegensatz zu dir mache ich Sport. Und außerdem, wieso verfressen? Mittagsessenszeit ist schon lange durch.'
'Auch wieder wahr. Was machst du heute Nachmittag? Schon Pläne?'
'Äh, noch nicht ganz. Vermutlich geh ich Laufen.'
'Den ganzen Nachmittag?' Skeptisch sah sie mich an.
'Nein. Ganz so sportlich bin ich nun auch wieder nicht. Mal gucken, was ich sonst mache.'
'Okay. Sag mal, kommst du heute Abend eigentlich in icq on?'
'Pff. Vielleicht. Aber jetzt komm mal in die Pötte, ich hab echt Hunger.'
Auf dem Heimweg versuchte ich Marion dazu zu überreden, vielleicht doch auch mal zum Laufen mitzukommen. Aber es nützte nichts. Sie blieb faul, wie sie war.
Zuhause schloss ich die Haustür auf und rief: 'Bin wieder da!'
'Dann komm in die Küche. Essen steht schon auf dem Tisch.'
Ich streckte meinen Kopf durch die Küchentür. 'Hmmm… riecht das lecker.' Es gab Rouladen. Mein Leibgericht.
'Gute Laune heute?' lachte mein Vater, als er uns das Essen aufscheppte.
'Joa. Irgendwie schon.'
Dementsprechend lebhaft ging es beim Essen zu. Es machte sich schon bemerkbar, wenn ein Drittel der Gesprächsteilnehmer, das normalerweise schwieg, plötzlich mitredete.
'Ach, bevor ich's vergesse' wandte sich meine Ma zwischen zwei Bissen an mich: 'Da hat jemand für dich angerufen, kurz bevor du gekommen bist. Ich hab mir die Nummer und den Namen aufgeschrieben und dir hoch ins Zimmer gelegt.'
'Okay, danke. Ich ruf dann gleich zurück.'







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