Brian Jones

[Aus "The Rolling Stones" erschienen zur ´98 Tour]


In seinem Leben und Sterben lag anscheinend eine Art Zwangsläufigkeit, es musste so oder so ähnlich kommen. In seiner typischen, verbalen Schonungslosigkeit sagte Keith Richards Jahre vor dem Ende unter Zeugen zu Brian Jones: "Mann, Deinen 30. Geburtstag wirst Du nicht erleben." Jones antwortete leise: Ja, ich weiß." Über seine wahre Bedeutung für die Rolling Stones gehen die Meinungen weit auseinander. Manche, die dabei waren, sprechen von seiner Einzigartigkeit, ohne die es die Stones nie geschafft hätten, andere wiederum stellen seine Bedeutung völlig in Abrede. Die Wahrheit dürfte, wie bei vielem, in der Mitte liegen.

Das Zusammentreffen zwischen Brian Jones und Jagger/Richards in einem Londoner Club, eingefädelt von Jones- und Stones - Mentor Alexis Korner im Jahr 1962, war in seiner Bedeutung genauso wichtig wie die zufällige Begegnung von Jagger und Richards im Bahnhof von Dartford für den Werdegang der Rolling Stones. Brian Jones war den beiden Jungs aus Dartford weit voraus und dementsprechend war er es, dem eine natürliche Führungsfunktion zuwuchs. Er war zum damaligen Zeitpunkt gerade mal 19 Jahre alt und hatte bereits eine atemberaubende Biographie hinter sich.

Ähnlich wie Jagger, stammte Brian Jones aus einer Mittelklassefamilie, wenn auch nicht ganz so abgesichert und intakt. Cheltenham, seine Heimatstadt, war ein betuliches Rentnernest, hübsch gelegen und verdammt langweilig. Jones, dem angeblich mal ein IQ von 135 ermittelt wurde, erwies sich als ausgezeichneter Schüler, bei dem die musischen Fähigkeiten überdeutlich zum Ausdruck kamen. Bereits in ganz jungen Jahren war er in der Lage, binnen kürzester Zeit das Spielen von Instrumenten zu erlernen, intuitiv. Bei Jones ging alles schnell, nicht nur das Lernen, auch das Interesse an den Mitschülerinnen war frühzeitig ausgeprägt. Mit 16 schwängerte er ein 14jähriges Mädchen aus seiner Schule. Das war sein erster Streich, weitere fünf uneheliche Kinder sollten folgen. Nach der Schulzeit haute er aus dem verschlafenen Nest ab und begab sich nach London. Dort versuchte er sich immer mal wieder als Gelegenheitsarbeiter vom Kellner bis zum Müllmann. Das war natürlich nicht nach seinem Geschmack, nur Musik und Mädels zählten.

Bereits 1961/62 war Jones der Prototyp des ungebundenen, libertären Beatniks. Sein musikalisches Naturtalent untermauerte er durch ein fundiertes theoretisches Wissen, das ihn in den Stand versetzte, eigene Theorien zu entwickeln.

1962 traf er auf Alexis Korner, der als Bluesmusiker einen gewissen Namen hatte. Er nahm Jones unter seine Fittiche, fütterte ihn durch, denn er wusste, dass dieser Typ etwas Besonderes ist. Korner nahm ihn in seine Band "Blues lncorporated" auf, wo er zum ersten Mal auf Charlie Watts traf. Wenig später fand die erste Begegnung mit Jagger und Richards statt. Die beiden zogen sich einen Korner - Gig rein und waren von den Socken, als sie ein Slide – Gitarren - Solo von Jones vernahmen. Mit ihm unterhielten sich die grünen Jungs anschließend und waren noch mehr hingerissen. Jones dozierte über den Blues im allgemeinen. Ein brillanter Vortrag muss das gewesen sein. Der Stellenwert des Blues, so Jones, als ungeschliffene, rohe und ehrliche Ausdrucksform, werde völlig verkannt. Daran müsse sich etwas ändern. Beide Seiten strebten ein gemeinsames Arbeiten an, wobei es für Jagger/Richards schmeichelhaft war, von dem offenkundigen Profi überhaupt ernstgenommen zu werden. Demzufolge war Jones eindeutig die treibende Kraft bei allem, was in den nächsten zwei Jahren kam. Seine Kompetenz stand außer Frage, er drückte dem Projekt seinen Stempel auf. Das bezog sich zu allererst auf die musikalische Linie, aber genauso auf Dinge wie Gigs klarmachen, Gagen aushandeln, PR usw. Jones war es, der den Bandnamen vorschlug, in Anlehnung an einen Muddy Waters-Song, den alle abgöttisch verehrten.

Jones war der Boss, er besaß etwas Irreales, etwas Geheimnisvolles. Sein Charisma sorgte für die Anziehungskraft der Stones bei Jugendlichen. Gleichwohl zog Jagger kontinuierlich nach, denn seine Bühnenshow besaß ebenfalls etwas Spezielles und Einzigartiges. Je erfolgreicher die Band wurde, somit auch Jones zu Geld kam, um so abgedrehter gebärdete sich der begnadete Instrumentalist. Zügellos glitt er in eine Dekadenz, die schwerlich zu überbieten war. Die Neigung hierzu hatte er sowieso, nur jetzt ging die Post erst richtig ab. Der Paradiesvogel sonnte sich im schnellen Ruhm, wechselte die Gespielinnen beinahe stündlich, fuhr pausenlos die teuersten Autos zu Schrott und begann mit Drogen rumzumachen. Zuerst Haschisch und Kokain, dann LSD und später auch Heroin. Er war schick, ganz Mann von Welt, der Ober-Dandy von Swinging London, der alles auskostete, was es unter der Sonne gibt.

Jones war Egomane und eigentlich nicht fähig, tiefergehende Gefühle gegenüber Mitmenschen zu entwickeln. Zu Richards fühlte er sich trotzdem hingezogen. Das beruhte eigentlich auf Gegenseitigkeit. Richards fuhr nicht minder teure Autos an die Wand und pflegte auch die obskursten Hobbys, aber für ihn stand außer Frage, dass die Band und ihr Fortkommen Priorität besitzt. Eine konsequente musikalische Zusammenarbeit zwischen den beiden konnte nicht funktionieren, da Jones all das besaß, was man für diesen Zweck nicht haben durfte: Unzuverlässigkeit, Sprunghaftigkeit, das Unvermögen, sich Problemen zu stellen, Bequemlichkeit sowie seine ausgeprägte Skrupellosigkeit, wenn's um den eigenen Vorteil und um den Nachteil der anderen ging. Das hatte auch Oldham, ihr Manager, erkannt. Er traute nur der Kombination Jagger/Richards zu, eigene, brauchbare Songs zu schreiben, womit er recht behalten sollte. Jones versuchte im Laufe der Zeit mehrfach eigenes Material zu schreiben und scheiterte kläglich. Er stand sich selbst im Weg. Je mehr das Gespann Jagger/Richards nun den Sound bestimmte, um so mehr flüchtete sich Jones in Drogen. Wenn aber jemand Drogen nicht vertrug, dann Jones. Er besaß nicht die stabilste Konstitution und er war Asthmatiker.

Dank des ausufernden Drogenkonsums zeigten sich bei Jones immer stärker schizophrene Züge. Er konnte von einem Moment zum nächsten völlig verängstigt und desolat sein und im nächsten Augenblick vor Selbstbewusstsein nur so strotzen. Die Band, die ihre Existenz in erster Linie ihm zu verdanken hatte, entzog Jones das, was er am dringendsten brauchte: Bestätigung. Statt dessen wurde er zur tragischen Figur, vom Chef zum Mitläufer, der noch so gerade eben durchgeschleppt wird. Jones torkelte dem Abgrund entgegen, unweigerlich.

Als er die mit Abstand heißeste Braut in und um London, die deutschitalienische Schauspielerin Anita Pallenberg eroberte, war er noch einigermaßen gut dabei und sein Status in der Band noch nicht ruiniert. Pallenberg war anders als all die anderen Miezen, die sich von ihm abschleppen ließen. Sie war so schön wie gefährlich, so geil wie diabolisch. Jones verfiel zum ersten Mal einer Frau mit Haut und Haaren.

Sie gaben das allseits gefeierte Traumpaar ab, um das sich die Szene riss. Dass ausgerechnet sein Freund Richards ihm diese Frau später ausspannte, brachte Jones um den Verstand. Er steigerte seinen Drogenkonsum aus purem Frust und purer Verzweiflung weiter, bis ins Unermessliche. Der Strudel, in den er geraten war, rotierte immer schneller und riss ihn in die Tiefe. Seine fatalistische Unvorsichtigkeit bescherte ihm einen Drogenprozess nach dem anderen. Mehrfach stand er mit einem Bein im Knast, nur psychiatrische Gutachten, die ihm eine akute Suizidgefährdung bescheinigten, bewahrten ihn vor schwedischen Gardinen.

Ab 1968 trug Jones kaum noch etwas zu Stonesproduktionen bei. Er konnte nicht mehr, weil sein Zustand einer permanenten Umnachtung glich. In lichten Momenten sprach Jones davon, dass die Stones nicht mehr seine Musik spielen. Sie hätten sich von den Wurzeln des R&B zu weit entfernt. Watts und Wyman kümmerten sich noch um den angeschlagenen Blondschopf, und auch Jagger war nicht sein erklärter Gegner. Trotzdem musste es so kommen, wie es kam. Eine Trennung war unvermeidlich geworden, als die Stones wieder in den USA auftreten mussten. Jones, der in zig Prozesse verstrickt war, hätte nie und nimmer ein Visum erhalten.

Das endgültige Trennungsgespräch fand bei ihm, in seinem neuen Haus außerhalb Londons statt. Jagger, Richards und Watts kamen zu ihm. Ausgerechnet Richards führte das Wort, kickte ihn regungslos aus der Band. Trotzdem entstand kein Krach. Jones blieb absolut ruhig, so als wenn er es geahnt hätte, man wünschte sich gegenseitig alles Gute und ging fortan getrennte Wege. Behilflich bei der Vermeidung von Zoff war sicherlich auch die Zusage gegenüber Jones, ihm lebenslänglich den Split mit l00.000 Pfund jährlich zu versüßen. Das Gespräch fand Anfang Juni 1969 statt, knapp einen Monat vor Brian Jones Todestag.

Jones hatte konkrete Pläne, eine eigene Band zu gründen. In seinem Haus hatte er sich ein Studio eingerichtet und erste Demoaufnahmen produziert. Es schien fast so, als wenn Jones gerade noch rechtzeitig dem gnadenlosen Moloch Rolling Stones entkommen war. Tatsächlich gelang es ihm, seinen Drogenkonsum zu drosseln, gesundheitlich wieder auf die Beine zu kommen. Jones war während seiner letzten Wochen so gut drauf wie seit Jahren nicht mehr.

Die Nacht vom 2. auf den 3. Juli wurde ihm zu Verhängnis. Er war an diesem Abend mit mehreren Freunden und Bekannten zusammen. In seinem Haus waren anwesend: Jones neue Freundin Anna Wohlin, Frank Thoroughgood, ein Architekt, der Umbauten am Haus vornahm sowie dessen Freundin Janet Lawson, eine Krankenschwester. Man trank ein paar Gläser Wein und kurz bevor sich die Runde gegen 23 Uhr auflösen wollte, schlug Jones vor, noch mal in den Pool zu , springen. Heiß genug war es um diese Uhrzeit immer noch. Janet Lawson ging als einzige nicht schwimmen. Sie gab zu Protokoll, dass beide Männer nicht mehr den nüchternsten Eindruck machten. Anna Wohlin verließ das Schwimmbecken als erste. 20 Minuten später kam Thoroughgood auch, aber alleine, Anna Wohlin bekam Angst, rannte zum Pool, in dem Jones bereits regungslos trieb. Beide sprangen ins Wasser, zogen Jones raus. Zu diesem Zeitpunkt lebte Jones wahrscheinlich noch. Als kurze Zeit später ein Arzt eintraf, konnte aber nur noch der Tod festgestellt werden. Vermutlich war es die Mischung aus Medikamenten, die Jones wegen seinem Asthma nehmen musste und der Alkohol, die zu einem plötzlichen Herzstillstand führten. Da Thoroughgood wenig später auch starb, kursierten alsbald die wildesten Mordtheorien.

Das bereits angesetzte Hyde Park Konzert der Stones wurde zu einer Gedenkveranstaltung für Brian Jones umfunktioniert. Schmetterlinge flogen für ihn und Jagger begann das Konzert, indem er für ihn eine Strophe aus Shelley's "Adonais" rezitierte. Darin hieß es u.a.:

"Er schlummert nur, er ist nicht tot,
Er ist erwacht von Schlaf der Erdenzeit"

Brian Jones war gegangen, die Welt hatte einen begnadeten Musiker verloren, dessen Stärken vielleicht nie wirklich entdeckt wurden. Er hatte auf jeden Fall ein Gespür für das Besondere. Es gibt keinen einzigen Song aus der Feder von Brian Jones. Es könnte sein, dass so was unter seinem eigentlichen Niveau gewesen wäre. Was es gibt, sind die "Pipes Of Pan in Jajouka", die im November 1971 auf Rolling Stones Records erschienen. Brian Jones hatte diese marokkanischen Flötenspieler entdeckt, war deshalb bei ihnen und nahm ihr hypnotisches Spiel auf. Er sprach von "unglaublichen Soundgebilden, die eine starke Kraft haben und die vielleicht einmal alles verändern werden." Jones war diesbezüglich seiner Zeit weit voraus, die Ethnowelle kam erst 20 Jahre später.


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