Keep Breathing Teil 4

Autor: Fullmoon
veröffentlicht am: 17.04.2008




Kapitel 4

Am nächsten Morgen erkundeten sie zusammen das Haus. Kara hatte die meisten Haupträume schon gesehen, zu denen Flur, Küche, Esszimmer, Wohnzimmer und Cains Arbeitszimmer gehörten, doch sie war sich sicher, dass dieses Haus noch viel mehr zu bieten hatte.
Nathalie lief Barfuss herum, um ihre Füße in die dicken, weichen Teppiche versinken zu lassen. Im Obergeschoss befand sich ein weiteres Wohnzimmer, das zwar kleiner als das im Erdgeschoss war, dafür aber viel mehr Atmosphäre und Stil zu bieten hatte.
Auch hier gab es einen Kamin, der aus dunklen Steinen bestand und auf dessen Sims Porzellanfiguren von Feen standen. Statt einem Marmorboden zierte ein schwerer, cremefarbener Teppich den Boden und an den ebenfalls cremefarbenen Wänden hingen Gemälde, von denen eins ein Portrait einer hübschen Frau war.
Kara gefiel dieser Raum, gleichzeitig fragte sie sich, warum er sich so sehr von den anderen, kalten Räumen unterschied. Das Mobiliar ist sicher antik, dachte sie, als ihr Blick auf die mit Schnörkeln verzierte Couch fiel. Nat zog die Vorhänge beiseite und sah durch das große Fenster, das einen Blick auf die Westseite des Gartens enthüllte.
„Wow! Kara, sieh dir das mal an!“ rief sie aufgeregt.
Kara trat neugierig ans Fenster und Nat zeigte auf einen Pavillon, der versteckt zwischen den Bäumen hervorlugte.
„Wie in einem Märchen.“ sagte sie schließlich.
„Kommt dir das Haus immer noch so hässlich vor?“
„Ich habe nie gesagt, dass es hässlich ist.“ entgegnete Kara. „Es ist nur so kalt und ungemütlich.“
„Das ist doch das Gleiche.“
Sie verließen den Raum und entdeckten noch zwei weitere Schlafräume mit angrenzenden Badezimmern.
„Wo Cain wohl schläft?“ fragte sich Nathalie.
„Hier bestimmt nicht.“
Sie gingen den Flur entlang, während Nat immer hier und da ein paar Türen öffnete und in die Räume hineinspähte.
„Oh, die Tür ist abgeschlossen.“ stellte sie fest.
„Das muss der Raum sein, von dem aus man auch in mein Bad gelangt.“ überlegte Kara und starrte die Tür nachdenklich an. „Bestimmt so etwas wie ein Abstellraum oder so was.“
„Komm, lass uns mal nach unten gehen.“
Im Erdgeschoss waren noch mehr Badezimmer und eine große Bibliothek, die an Cains Arbeitszimmer angrenzte.
Fasziniert fuhr Kara mit dem Finger an den dunklen Regalen entlang, die unter der Last der vielen Bücher zu ächzen schienen. Der Boden war dunkel laminiert und an den Fenstern hingen schwere, grüne Vorhänge, die nur bedingt etwas Licht in den Raum ließen.

In einer Ecke befand sich eine Gruppe von Sesseln und auf einem kleinen Tisch stand eine große Auswahl von hochprozentigem Alkohol.
Die Tür, die am anderen Ende geschlossen war, führte direkt in Cains Arbeitszimmer.
Kara hätte sich noch stundenlang in der Bibliothek aufhalten können, doch Nat zerrte sie ungeduldig weg und fand eine Tür, die sie in den Keller führte.
„Hast du schon mal so einen großen Keller gesehen?“ fragte Nathalie erstaunt.
An dem breiten Gang, auf dem sich mittig ein roter Läufer ausbreitete, waren rechts und links unzählige Türen und ganz am Ende schimmerte es in einem merkwürdigen grün.
Es schien, als würde sich das Licht bewegen. Sie folgten dem Weg und Kara ging schon etwas vor, während Nat in die Heizungs- und Waschräume sah. Kara kannte sich mit solchen Sachen nicht besonders gut aus; sie war schon froh, wenn sie den Stromschalter bei einem Gewitter umlegen konnte, wenn das Licht wieder einmal ausgefallen war.
„Heilige Mutter Gottes.“ murmelte sie, als sie die Glastür am Ende des Ganges aufstieß.
Das Licht, das ihr so merkwürdig vorgekommen war, war die Reflexion des Wassers.
Cain hatte einen gottverdammten Pool in seinem Keller.
„Ach, du Scheiße. Kara, der Mann hat ja Geld wie Heu.“ sagte Nat, die soeben dazu gestoßen war.Der Boden war blau und grün gekachelt und die Lichter im Pool spiegelten sich an den Wänden wieder. Fassungslos bemerkte Kara die gepolsterten Liegen mit den kleinen Beistelltischchen.„Ich kann’s immer noch nicht glauben. Kneif mich, Nat. So etwas hab ich noch nie gesehen.“„Glaub mir, Süße, wir träumen ganz sicher nicht.“
Sie sahen sich eine Weile lang schweigend an, bis sie beide anfingen sich auszuziehen und, nur noch mit Unterwäsche bekleidet, Hand in Hand, lachend in den Swimmingpool sprangen.

Am Nachmittag verabschiedete sich Kara von Nathalie, die versprach, sie so bald wie möglich wieder zu besuchen.
Seufzend schloss sie die Haustür hinter sich und ging in die Bibliothek, um sich von der erneuten Einsamkeit abzulenken.
Entzückt stellte sie fest, dass es eine enorme Bandbreite von Autoren gab, unter denen sich auch welche befanden, die sie persönlich favorisierte, wie etwa Bücher von Penelope Williamson und Nicholas Evans.
Sie fragte sich, warum ein so viel beschäftigter Mann wie Cain so viele Bücher besaß und ob er sie wirklich alle persönlich durchgelesen hatte. Mit einem Buch in der Hand setzte Kara sich auf einen Sessel und schlug die erste Seite auf.
Trotz der sommerlichen Hitze war es in der Bibliothek ungewöhnlich, aber angenehm kühl.
Kara vergaß die Zeit um sich herum und sank mit jeder Seite, die sie las, tiefer in eine Welt, die ihr viel besser gefiel, als die, in der sie momentan weilte.
Zur gleichen Zeit kam Cain von einem nachmittäglichen Geschäftsessen wieder, von dem er sich so schnell wie möglich losgeeist hatte.
Die ganzen Gespräche über das Geschäftsleben und die Börse waren ihm ungemein auf die Nerven gegangen, sodass er, noch bevor der Kaffee serviert wurde, einfach gegangen war.
Er wusste genau, was er jetzt am Nötigsten hatte und ging schnurstracks auf sein Ziel zu.
Es wunderte ihn, dass er die Tür offen vorfand, wusste im nächsten Moment aber gleich, warum dem so war.
Kara war aufgeschreckt, als sie ein Geräusch gehört hatte und sah ihn, das Buch auf dem Schoß, mit großen Augen an. Sie runzelte die Stirn, als sie beobachtete, wie Cain auf sie zukam und sich an dem Alkohol bediente, der neben ihr auf dem Tisch stand.
Anscheinend hatte er einen anstrengenden Tag hinter sich.
Cain leerte das Glas in einem Zug und goss sich noch einmal ein.
Sie wollte etwas sagen, verkniff sich dann aber doch eines Kommentars. Wie lächerlich, dass sie ihm etwas von Alkoholgenuss in den frühen Stunden erzählen wollte, wo sie sich doch erst gestern sinnlos betrunken hatte.vKara fing wieder an zu lesen, in der Erwartung, dass Cain den Raum, so schnell wie er gekommen war, auch wieder verließ.
Doch er setzte sich auf einen der Sessel und starrte, das Glas mit dem Alkohol immer noch in der Hand haltend, aus dem Fenster. Die Sonne versank langsam hinter den großen Tannen und Grillen stimmten ein frühes Abendkonzert an.
Ab und an nippte Cain an seinem Drink und die Stille, die sich in dem Raum füllte, war für Kara schier unerträglich. Irgendwie hatte sie sich durch seine Anwesenheit verändert.
Als er noch nicht da gewesen war, hatte sie die Ruhe genossen, doch jetzt schien sie wieder ein Ausdruck für ihre katastrophale Beziehung zu sein.
Kara klappte das Buch zu, hob ihren Blick und stellte leicht erschrocken fest, dass Cain sie die ganze Zeit angesehen hatte. Sie fühlte sich unwohl, als er sie einer dreisten Musterung unterzog. So viel konnte er doch nicht getrunken haben, dass er es solange in einem Raum mit ihr aushielt und sie dann auch noch mit diesem Blick ansah.
„Hör auf damit.“ sagte sie schließlich und stellte beschämend fest, dass ihre Stimme leicht zitterte. Sie atmete langsam ein und aus, um sich etwas zu beruhigen.
Warum diese plötzliche Nervosität?
Seine Augen waren bei ihrem Gesicht angekommen und obwohl sie einen gewissen physischen Abstand voneinander hatten, fühlte es sich an, als würde er sie berühren.
Kara wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie aufstehen würde, dann würde sie ihm wieder nur zeigen, wie schwach sie war. Wenn sie die nächsten fünf Monate in seiner Gegenwart aushalten wollte, dann durfte sie nicht immer vor seinem kalten, leeren Blick fliehen.
Sie konnte noch nicht einmal seinen Gesichtsausdruck deuten. Cain war ihr ein totales Rätsel.Keine Anzeichen von Arroganz, Begierde oder Abscheu.
Die letzten Sonnenstrahlen, die sich durch das Fenster stahlen, ließen seine grauen Augen noch toter wirken als sonst.
Wieso sagte er nichts?
„Cain, hör auf damit.“ wiederholte sie und das Zittern in ihrer Stimme hatte sich zum Glück gelegt.Sein Mund verzog sich zu einem kalten Lächeln. „Aufhören? Warum?“
Ihr jagte ein eisiger Schauer über den Rücken. „Es macht mich nervös.“ antwortete sie ehrlich.
„Wieso gehst du dann nicht?“
„Ich habe das gleiche Recht hier zu bleiben wie du.“
Das Lächeln verschwand und Cain zeigte ihr seine wahre Stimmung. „Dann beklag dich nicht.“
Er wollte sie provozieren, sie wusste nur nicht aus welchem Grund. Sie wünschte sich, dass sie eines Tages aus ihm schlau werden würde, gleichzeitig kam es ihr unrealistisch vor, diesen Tag einmal zu erleben.
„Was erwartest du von mir, Cain? Es tut mir Leid, dass du mich ertragen musst. Denkst du, mir macht die ganze Sache hier Spaß?“
„Du hättest nicht zustimmen müssen.“ Cain sprach zum ersten Mal die Umstände ihrer Ehe an. Ja, sie taten ihrem Vater einen Gefallen, jeder auf seine Art und Weise.
„Du auch nicht. Wenn du dich geweigert hättest, hätte es diese Heirat gar nicht gegeben.“
„Es gab keine Heirat, genauso wenig wie es eine Ehe gibt.“ widersprach Cain und leerte das zweite Glas Alkohol.
„Warum hast du überhaupt zugestimmt? Nur wegen dem Profit?“ fragte Kara und stand auf, um sich ebenfalls ein Glas einzugießen. „Was erhoffst du dir denn davon?“
„Du solltest lieber nichts trinken.“ sagte er.
Mit funkelnden Augen drehte sie sich zu ihm um. „Und wieso nicht? Weil es d e i n Alkohol ist? Weil es d e i n Haus ist?“ Um ihn ihrerseits zu provozieren, trank sie das Glas bis zur Neige aus und schüttete sich nach. Dieses Mal stieß sie beim Umdrehen gegen seinen harten Körper.
Der Alkohol schwappte über den Rand des Glases, rann an ihrer Hand herunter und tropfte auf den Holzfußboden. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, geschweige denn gehört. Er bewegte sich genauso lautlos und geschmeidig wie ein Raubtier, das seine Beute einkreiste.
„Du hast genug getrunken.“
Kara sah trotzig zu ihm auf. „Ich trinke soviel, wie ich will.“
„Nicht nach dem, was du gestern veranstaltet hast.“
„Ich habe die Martiniflasche nicht mitgebracht.“
„Du hättest nichts aus ihr trinken müssen.“
„Du hättest mich nicht heiraten müssen.“ konterte sie.
Seine Augen verengten sich ein wenig. „Sind wir jetzt wieder beim Thema?“
„Sieht so aus.“
„Dir würden die Gründe nicht gefallen. Außerdem gehen sie dich nichts an.“v„Schön.“ meinte sie und schubste ihn etwas mit ihrem Ellbogen zur Seite, damit sie an ihm vorbeikam. „Was ist mit meiner Firma? Wann weist du mich in die Kunst der Geschäftsleitung ein?“ fragte sie mit einem spöttischen Unterton, der ihm nicht entfiel.
„Du hast mir immer noch nicht die Unterlagen für die Finanzen besorgt.“ entgegnete er ebenso spöttisch wie sie.
Sie musterten sich für einen Moment lang schweigend, doch Kara war die Erste die diesen Blickkontakt wieder abbrach.
Sie trank das Glas aus und stand, das Buch in ihrer Hand, auf.
„Du erwartest dir zu viel von dieser Vereinbarung.“ sagte Cain, als sie schon halb aus der Bibliothek verschwunden war.
Vereinbarung. So sah er also ihre Ehe.vKara hielt inne. „Nein.“ erwiderte sie leise. „Ich erwarte nur etwas Menschlichkeit.“
Im Laufe der nächsten Woche legte sie ihm die Mappe mit den Informationen über die Finanzen ihrer Firma wortlos auf seinen Schreibtisch.
Cain hatte in diesem Moment, wie so oft, mal wieder telefoniert und ihr den Rücken zugekehrt, was ihr auch lieber war.
Erst als er hörte, dass sie das Zimmer verlassen hatte, drehte er seinen Schreibtischstuhl um und besah sich die Mappe.
Nach zwei Stunden hatte er genug gesehen, beschloss aber, Kara vorerst nichts zu sagen.

Die drei Wochen, die Kara mittlerweile in Cains Haus verbrachte, hatten sich so endlos lang gezogen, dass es ihr vorkam, als würde sie schon eine Ewigkeit dort wohnen. Sie hatte sich in dieser Zeit mit der Leere des Hauses angefreundet, da sie resigniert feststellen musste, dass sich diese Leere nicht so schnell füllen würde. Und falls doch, mit was? Mit Cains Anwesenheit konnte sie wohl kaum rechnen, geschweige denn damit, dass er ihr Gesellschaft leistete. Das gemütliche Wohnzimmer im ersten Stock war ein Zufluchtsort geworden, in dem sie sich verkroch, um in Ruhe zu lesen oder Musik zu hören.
Der August war mit noch mehr Hitze und Sonne über Frankfurt eingebrochen und selbst heruntergelassene Rollladen und zugezogene Vorhänge konnten der Wärme nicht standhalten. Sie verbreitete sich hartnäckig wie ein unsichtbarer Nebel im ganzen Haus und Kara bekam kaum Luft, so dass sie gezwungen war, das Buch beiseite zu legen, um nach Abkühlung zu suchen. Sie stand auf und ging die Treppe herunter. Das Treppengelände aus Marmor war angenehm kühl, doch sie widerstand der Versuchung ihre Stirn dagegen zu lehnen.
Im Foyer traf sie auf Lydia, die vollkommen nass geschwitzt den Boden wischte.
„Lydia, mach eine Pause.“ riet Kara ihr. „Du kannst doch nicht bei dieser Hitze ununterbrochen arbeiten.“
Lydia fächerte sich mit der Hand Luft zu. „Dafür werde ich schließlich bezahlt.“
„Wenn du nachher ohnmächtig auf dem Boden liegst, nützt du uns auch nicht viel. Komm, ich mache uns was Kaltes zu trinken.“
„Ich weiß nicht…“ zögerte sie.
„Falls du Bedenken wegen Cain hast, dann ist das in Ordnung. Soweit ich weiß, ist er nicht zuhause. Und du kannst dich doch mal fünf Minuten ausruhen.“ fügte Kara hinzu.
„Na gut, überredet.“ lächelte Lydia. „Ich wische nur noch eben zu Ende.“
Kara ging schon mal in die Küche und öffnete den Kühlschrank, um Eiswürfel und Eistee herauszuholen. Sie schenkte für sich und Lydia ein, die gerade ebenfalls die Küche betrat, und hielt ihr ein volles Glas hin.
„Danke. Das ist wirklich nett von dir, Kara.“
Kara winkte leicht verlegen ab. „Es ist doch bloß Eistee.“
„Nein, das meine ich nicht. Mir hat noch nie jemand gesagt, dass ich eine Pause machen soll.“
Lydia blickte in ihr Glas und ließ die Flüssigkeit kreisen, so dass die Eiswürfel gegeneinander klirrten.„Komm, wir setzen uns an den Tisch.“ schlug Kara vor. „Du musst dich nicht bei mir bedanken. Das ist doch selbstverständlich.“
Lydias Mundwinkel verzogen sich zu einem aufrichtigen Lächeln der Zuneigung. „Du bist lieb, Kara. Vielleicht erkennt Cain das eines Tages auch…“
Jetzt war es an Kara wie gebannt in ihr Glas zu schauen. „Mir ist mittlerweile egal, was er von mir hält.“ murmelte sie.
Für einen Moment erkannte Lydia die Traurigkeit, die wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte, im nächsten Moment jedoch wieder verschwunden war. Für Kara fungierte Lydia als eine Art Verbündete, die hier und da Andeutungen fallen ließ, was Cain mochte und was nicht. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die von ihrer Ehe mit Cain wussten und ihr Wissen über ihren Arbeitgeber war manchmal hilfreich, wie zum Beispiel, wenn er zwei Tage hintereinander nicht zu Hause war. Kara vermutete, dass er Lydia dies wegen ihrer Arbeit mitteilte, konnte doch nicht über die Ungerechtigkeit hinwegsehen, dass seine Haushaltshilfe mehr über ihn Bescheid wusste, als seine Frau.
Sie trank noch einen Schluck Eistee und lenkte die Unterhaltung rasch auf ein ungezwungenes Thema. Aus den fünf Minuten Pause wurden dreißig und in den kurzen Momenten, in denen angenehmes Schweigen zwischen den beiden Frauen herrschte, bemerkte Lydia wie Kara an ihrem Ehering herumspielte. Cain trug seinen nie.
„Wusstest du, dass ich mal als Prostituierte gearbeitet habe?“ fragte Lydia plötzlich. Sie hatte das Gefühl Kara über ihre Person aufklären zu müssen. „Ich habe in einem armen Dorf gelebt und viele von meinen Freundinnen sind nach Deutschland gegangen, um dort ihr Glück zu machen. Sie haben mir von den beheizten Wohnungen erzählt und es hat sich so gut angehört. Es war besser als in Russland.“
„Wie bist du dann hierhin gekommen?“ fragte Kara sanft und legte aus einem Impuls ihre Hand auf die von Lydia, die sie, als Reaktion darauf, mit einem warmen Lächeln bedachte.
„Mein Zuhälter war brutal. Er hat Drogen genommen, wie wir alle, und schlug uns meistens ohne Grund. Eines Tages beschloss ich nicht mehr weiterzumachen. Als er das mitbekommen hat, ist er ausgerastet. Ich bin einfach weggelaufen und dann hier gelandet. Als Cain mich gefunden hat, hat er mir einen Job als Haushälterin angeboten. Er hat gesagt, er bräuchte jemanden, der sich um das Haus kümmert. Und ich habe das Angebot natürlich angenommen.
Größtenteils, weil er mir eine saubere Wohnung gesucht hat und mir die Mietkosten bezahlt.“
Kara konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie und Lydia an den gleichen Mann dachten.
Es schien, als könnte Lydia ihre Gedanken lesen. „Er ist nicht so ein schlechter Mensch wie du denkst. Er zeigt es nur nicht gerne.“ Lydia legte ihre freie Hand auf Karas und drückte sie.
„Du musst dich vielleicht noch ein wenig gedulden.“
Kara strich mit ihrem Zeigefinger über die Wasserspuren an dem Glas. „Ich weiß nicht. Möchtest du noch Eistee?“
Lydia schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“
„Hast du einen Freund?“
„Wie kommst du darauf?“
Kara deutete auf den Knutschfleck an ihrem Hals. „Als du gerade den Kopf geschüttelt hast, ist dein Halstuch verrutscht. Ich habe mich schon gefragt, warum du dir bei dem Wetter ein Tuch um den Hals bindest.“
„Oh.“ Eine leichte Röte durchzog Lydias Gesicht, als sie den Knutschfleck wieder bedeckte. „Er ist von… einem Freund.“ erklärte sie dann.
„Tut mir leid… ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“
Lydia versuchte es mit einem Lachen. „Das macht nichts. Ich dachte nur, dass ich ihn gut versteckt hätte. Ich prahle nicht gerne mit solchen Sachen.“vBeide Frauen zuckten zusammen, als sie ein Auto in die Einfahrt brausen hörten.
„Das ist Cains Auto.“ sagte Lydia und stand hastig auf.
Kara räumte die Gläser weg, während zur gleichen Zeit die Haustür aufging. Cain blieb kurz an der Schwelle stehen und versuchte sich ein Bild von der Szene zu machen, die sich ihm bot.
„Lydia, wieso arbeitest du nicht?“ fragte er schließlich scharf und Lydia sah betreten auf den Boden.Kara trat vor sie. „Ich wollte, dass sie eine Pause macht.“v„Du hast kein Recht ihr zu sagen, wann sie Pause machen darf und wann nicht.“ versetzte Cain und funkelte sie an. Dann wandte er sich wieder an seine Haushälterin. „Ich fahre dich jetzt nach Hause.“Lydia schluckte. „Ich bin mit dem Fahrrad hier.“
„Das ist mir egal.“
„Cain, hör auf sie wie ein Objekt zu behandeln. Sie ist immer noch ein Mensch, auch wenn sie für dich arbeitet.“ warf Kara wütend ein.
Cain ignorierte sie einfach. „Ich warte im Auto auf dich.“
„Ich muss gehen.“ sagte Lydia, als ihr Chef wieder verschwunden war.
„Wenn du willst, kann ich dich auch wieder nach Hause bringen.“ meinte Kara.
„Nein, ist schon in Ordnung. Bis dann und danke.“
Hilflos sah Kara zu, wie Lydia in Cains Auto stieg und er mit quietschenden Reifen davon fuhr. Sie hatte eine ungeheure Wut auf ihn und tigerte aufgebracht hin und her, in der Hoffnung, ihr würde etwas einfallen, das sie unternehmen könnte.

Die Bäume rechts und links zogen viel zu schnell an ihnen vorbei; ein Zeichen dafür, dass Cain die Geschwindigkeitsbegrenzung erheblich überschritten hatte. Dabei sollte man nicht Auto fahren, wenn man emotional geladen war. Lydia warf ihm einen Seitenblick zu und sah, dass er verbissen auf die Straße starrte, in seinen grauen Augen braute sich ein Sturm zusammen.
Sie beschloss, dass sie mit ihm reden sollte. Wenn sie es richtig anstellte, wenn sie die richtigen Knöpfe drückte, würde er nicht länger auf sie böse sein. Doch genau davor graute es ihr. Genau damit wollte sie aufhören und das schon seit geraumer Zeit.
„Cain?“
„Was?“ gab er schroff zurück.
„Sie ist ein guter Mensch. Ich habe sie gern.“
Jetzt sah er sie kurz an. „Was soll das, Lydia?“
Lydia spielte mit ihren Armreifen. „Du könntest… ein wenig netter zu ihr sein. Siehst du nicht, wie sie leidet?“
„Was Kara und ich für eine Beziehung haben, geht dich rein gar nichts an.“
Ihm war nie aufgefallen, dass Kara groß zu leiden schien. Schön, sie war nicht glücklich über ihre Situation, aber das war er, Cain, schließlich auch nicht.
„Doch, es geht mich in gewisser Weise schon etwas an.“ widersprach Lydia mit fester Stimme. „Weil ich auch an dieser Beziehung beteiligt bin.“
„Was willst du damit sagen?“
Jetzt war sie doch etwas nervös. „Cain, ich kündige.“
„Nein, das wirst du nicht.“ Cain hielt abrupt vor ihrer Wohnung. „Wir sprechen heute Abend darüber.“

Karas Wut hatte sich mittlerweile gelegt, was auch größtenteils an dem Eisbecher lag, den sie gerade genüsslich vor dem Fernseher verschlang.
Das Telefon klingelte plötzlich und sie nahm, den Mund noch voller Eis, ab.
„Kara Charvet.“ nuschelte sie und schluckte das Eis herunter.
„Kara, mein Mädchen, wie schön dich auch mal endlich zu hören!“ dröhnte es vom anderen Ende der Leitung und ihre Laune besserte sich sofort.
„Giles! Wie geht es dir? Wie ist Frankreich? Wo bist du?“
Giles lachte. „Neugierig wie immer! Mir geht’s gut, Frankreich ist super und ich bin gerade in Cannes.“
„Cannes.“ wiederholte Kara verträumt. „Da wollte ich schon immer hin.“
„Wieso hast du das nicht früher gesagt? Nach der Royal Electronics Gala kannst du dir ein paar Tage frei nehmen und Julie und ich fahren mit dir dorthin.“
„Giles, das kann ich doch nicht machen.“ protestierte Kara. ~Außerdem würde Cain mich dafür umbringen.~ „Ich bin richtig aufgeregt wegen dieser Gala. Ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll. Willst du mich nicht mal darüber aufklären, Giles?“
„Wie, hat Cain dir noch nichts gesagt?“ fragte er aufgebracht. „Ich hab ihm doch erst letztens gesagt…“ Giles brach schnaubend ab. „Der Junge ist wirklich zu nichts zu gebrauchen.“Kara setzte sich mit dem Telefon am Ohr wieder auf das Sofa und nahm sich noch einen Löffel Eis, während Giles ihr alles erzählte.
„Sind… sind da viele Prominente?“ fragte sie aufgeregt.
„Ach, Bill Gates und solche Leute…“
Kara schluckte. „Bill Gates?“
Giles grinste am anderen Ende der Leitung. „Ich werde dich ihm vorstellen. Denk dran, Freitag in zwei Wochen. Euer Flieger geht am Morgen los, da bleibt dir noch genügend Zeit, um dir Paris anzusehen.“v„In zwei Wochen schon.“ echote Kara, leicht aus dem Konzept gebracht.
„Du packst das schon, ma fille. Julie freut sich dich zu sehen.“
„Richte ihr doch schöne Grüße von mir aus.“
„Mache ich. Sag mal, wo ist denn mein unzuverlässiger Sohn?“
Kara zögerte. „Oh… der ist, äh, gerade weggefahren. Du erreichst ihn bestimmt auf dem Handy.“
„Gut. Bis in zwei Wochen, Kara.“
„Bis dann, Giles.“
Um einiges besser gelaunt griff Kara wieder nach ihrem Eisbecher und beschloss, sich noch einen Nachschlag zu holen.

Es war bereits dunkel, als Cain Lydia seinen angekündigten Besuch abstattete. Sie hielt ihm wortlos die Tür auf und er ging hinein. Ihre Wohnung roch wie gewöhnlich nach einer Mischung aus ihrem billigen Parfüm und den frischen Schnittblumen, die sie als Dekoration auf den Esstisch gestellt hatte.Alle Fenster waren geöffnet, doch statt einer erfrischenden Brise gab es nur erstickende Hitze.Lydia verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ich habe meine Meinung nicht geändert.“ ergriff sie schließlich das Wort, bevor Cain etwas sagen konnte.
„Wovon willst du leben?“ wollte Cain wissen. „Dich wieder prostituieren?“
„Mein Entschluss stand schon länger fest.“
„Das heißt?“
„Ich kann bald in einem Supermarkt als Verkäuferin arbeiten.“
„Bekommst du ein anständiges Gehalt?“
„Es ist genug.“ sagte sie nur.
Cain stieß einen Seufzer aus. „Nun gut.“
Erstaunt sah Lydia ihn an. „Du bist einverstanden?“ Sie hatte sich die ganze Sache viel schwerer vorgestellt. Und nun, da es vollbracht war, fühlte sie sich ungemein erleichtert.
„Ich dachte, dass das eine deiner impulsiven Ideen war, die dir zwischen Tür und Angel eingefallen sind.“ erklärte er und Lydia war ein wenig beleidigt, dass er ihr so wenig Verstand zumutete. „Ich überweise dir morgen dein Gehalt für diesen Monat.“
Lydia trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und zupfte an ihrem langen T-Shirt herum.„Gut. Dann sind wir also fertig.“
„Richtig.“
Cain machte einen Schritt auf sie zu und zog sie in seine Arme, woraufhin sie sich sofort versteifte. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie hatte gehofft, dass sie mit ihrer Kündigung auch gleichzeitig diese, nicht mehr geschäftliche, Beziehung zwischen ihnen beendet hatte. Sie wand sich aus seiner Umarmung, als seine Lippen an ihrem Hals entlang wanderten und an dem Knutschfleck verweilten. Ein Mal, das er ihr hinterlassen hatte.
„Cain… Wir müssen damit aufhören. Du bist verheiratet.“
„Ich bin nicht verheiratet. Das ist keine Ehe.“ sagte er zähneknirschend. „Kannst du bitte damit aufhören?“
„Ich kann Kara das nicht mehr antun. Du warst gut zu mir, doch ich war zu abhängig von dir. Ich muss lernen auf eigenen Füßen zu stehen.“
„Moment mal. Heißt das, du kündigst nur wegen Kara?“
„Ich habe sie gern.“ sagte sie, als würde diese Antwort alles erklären.
„Du kennst sie erst drei Wochen.“
„Drei Wochen sind genug.“ flüsterte sie und machte einen Schritt nach hinten.
Cain griff nach einem Zipfel ihres Shirts und zog sie wieder zu sich heran.
Seine Hände wanderten unter ihr T-Shirt und bekamen ihre Brüste zu fassen. Sie stöhnte leise.Er führte sie ins Schlafzimmer und sie schwor sich, dass es das letzte Mal war, dass sie mit ihm schlief. Das wirklich allerletzte Mal.







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