If you care for me

Autor: _Abril_
veröffentlicht am: 23.03.2008




„Lass dich von ihm doch nicht so unterkriegen“, riet Sally mir zum hundertsten Mal. Sie schnitt eine böse Grimasse um ihren Ärger über mein Verhalten noch zu unterstreichen. Dabei konnte sie ein ungewolltes Grinsen nicht unterdrücken. Ich verdrehte die Augen. „Ein für alle Mal Sally, du weißt, dass ich an Meinungen anderer großen Wert lege. Er ist mein Boss und ich kann und werde ihm nicht widersprechen“, antwortete ich ihr beharrlich. Nun war es an ihr die blaugrauen Augen zu rollen. Im Augenwinkel sah ich wie sie den Kopf über meine Dickköpfigkeit schüttelte und mir den Rücken zukehrte. Ich reagierte nicht darauf. Seit ich als Journalistin bei der Stadtzeitung arbeitete bekamen wir beide uns öfters in die Haare. Obwohl ich wusste, dass meine Schwester im Recht war. Niemand konnte rund um die Uhr zur Stelle sein um für den Vorgesetzten irgendwelche kleinen Gefälligkeiten zu tätigen. Darunter gehörte seine Kleidung von der Reinigung zu holen, für ihn einzukaufen, Geburtstagsgeschenke für seine Kinder oder Verwandte zu besorgen und andere ähnliche Beschäftigungen. Jetzt stand ich also vor meinem Kleiderschrank und suchte etwas Passendes zum anziehen. Schließlich wollte er mich in fünfzehn Minuten im Büro sehen. Ich nahm mehrer Kleidungsstücke aus dem begehbaren Schrank und ging hinüber zu meinem Doppelbett. Dort legte ich sie mir auf und begutachtete meine Gewänder. Wieder klingelte mein Mobiltelefon. Ich hörte Sally gereizt seufzen. Rasch ließ ich das schwarze Top, welches ich in die Hände genommen hatte, aufs Bett sinken und nahm ab.
„Hallo? Ja, Sie sprechen mit Lucy Hamilton… Tut mir Leid, ich glaube, Sie müssen sich verwählt haben… Nein, ich bin mir sicher, dass… Im Spital? Natürlich, ich bin schon unterwegs“, beendete ich das Telefonat und wandte mich mit zittriger Stimme an Sally: „Tony ist im Spital. Sie hatte einen Unfall. Wir müssen gehen!“ Instinktiv steckte ich das Mobiltelefon in meine Jeansjacke, nahm die Autoschlüssel von der Anrichte im Vorraum und lief mit Sally zum Wagen. Unter Schreck vergaß ich völlig auf meinen Chef.

Es war Mittag als wir endlich das San Francisco Memorial Hospital erreichten. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ich den Wagen um die nächste Gabelung lenkte und in die Tiefgarage des Gebäudes fuhr. Glück gehabt, dachte ich vergnügt. Ohne in den Zwölf-Uhr-Verkehrsstau zu geraten haben wir unser Ziel erreicht. Ich berührte die Kupplung, schaltete noch einen Gang zurück, suchte im Augenwinkel nach einem freien Parkplatz und würgte zu guter Letzt unabsichtlich den Motor ab. Es gab einen Ruck.
„Was tust du?“, schrie Sally und sah mich mit großen Augen an. Ich verzog das Gesicht.„’Tschuldigung“, nuschelte ich, „das liegt an meiner Nervosität.“ Sally schien zu erwarten, dass ich den Motor erneut starten würde, doch ich machte keinerlei Anzeichen, stattdessen umklammerte ich auch weiterhin fest das Lenkrad.
„Hast du nicht vor den Wagen zwischen den weißen Markierungen zu parken?“, drang ihre vor Sarkasmus triefende Stimme an mein Ohr. Ich lächelte verdrießlich.
„Eher nicht“, antwortete ich, stieg aus den Wagen und öffnete ihr die Beifahrertür. Mit offenem Mund war sie sitzen geblieben und starrte zu mir hoch.
„Komm schon! Tony ist jetzt wichtiger als mein schrecklicher Fahrstil“, witzelte ich. Es entlockte ihr ein Lächeln. Damit war also alles vergessen und vergeben, bemerkte ich Stirn runzelnd. Ich entschied mich, mir später Gedanken über unsere Versöhnung zu machen. Mit schnellen Schritten überquerten wir die Garage, stiegen in den Lift und bahnten uns einen Weg zwischen den Menschenmengen, vorbei an den Rettungsmännern und Ärzten im ersten Stock und erreichten außer Atem einen Schalter.
„Sie haben uns angerufen. Unsere Schwester ist hier. Tony Hamilton…“, begann es aus Sally herauszusprudeln und bemerkte erst jetzt das die Krankenschwester keine Notiz von ihr genommen zu haben schien.
„Hey“, sagte sie nun etwas lauter und schlug mit der offenen Handfläche gegen die Anstelle. Noch ehe ich sie davon abhalten vermocht hätte. In diesem Augenblick steckte die junge Frau erschrocken ihre Nase aus den Notizen auf der Arbeitsfläche und blickte uns empört in die besorgten Gesichter.
„Tony Hamilton, bitte. Wir wurden benachrichtigt“, erklärte ich besänftigend und zwickte Sally in den Arm um ihr zu signalisieren, dass sie den Mund halten soll.
„Und wer sind Sie?“, verlangte die Krankenschwester zu wissen, während sie mit wenigen Doppelklicken in den Computer sah.
„Wir sind ihre Schwestern“, platzte Sally ungeniert hervor. Die junge Frau maß uns von oben bis unten ehe sie sagte: „Ihre Schwester wird noch untersucht. Doch sie dürften jeden Moment zu ihr, bis dahin nehmen sie bitte platz.“ In ihrem Ton klang Gereiztheit mit. So zog ich Sally vom Schalter weg und ging mit ihr in das Wartezimmer, zu welchem die Rezeptionistin hingedeutet hatte.
„Was für eine taktlose Hexe“, brach es aus Sally heraus. Verschworen zwinkerte sie mir zu. Ohne etwas dafür zu können, folgte ich dem Drang sie erneut zu kneifen.
„Aua“, jammerte sie, während sie sich über den Arm streichelte. „Wofür habe ich das denn verdient?“, fragte sie leicht erbost.
„Du bist ja auch kein Paradebeispiel an Freundlichkeit“, zischte ich sie an. Wir funkelten uns zornig an.
„Wie meinst du das“, fragte sie aufgebracht. Die Lautstärke ihrer Stimme war um einige Dezibel gestiegen.
„Psssst“, machte ich und bedeutete ihr die Stimme zu senken indem ich mit dem Zeigefinger meinen Mund schloss. „Muss uns den das gesamte Personal hören? Kannst du nicht flüstern?“ Ich bemerkte wie Sally mir widersprechen wollte hielt ihr jedoch schleunigst mit der Hand den Mund zu.
„Hör mal, nur weil das Mädl dort keinen Funken an Manieren besitzt musst du dich nicht auf ihr Niveau begeben. Wir sind hier wegen Tony. Vergiss das nicht. Einen Streit anzuzetteln ist lächerlich, daher benimm dich deinem Alter entsprechend und lass das “Feuer speien“ meine Sorge sein“, schloss ich meine kurze Rede. Zum ersten Mal seitdem wir das kühle Haus verlassen hatten viel mir auf was für eine Hitzewelle über San Francisco hereingebrochen war. Als durch das offene Fenster im Wartezimmer ein angenehmer Lufthauch kam und meine nackten Arme und Füße ergriff, war ich dankbar darüber heute mein blaues trägerloses Kleid anzuhaben. Im Fenster konnte ich mein Spiegelbild sehen. Mein langes braunes Haar, welches ich zu einem Pferdeschwanz gebändigt hatte, unterstrich mein ovales Gesicht mit den femininen Gesichtszügen, die Maskara brachte meine grünbraunen Augen gut zum Vorschein und meine dicken Lippen wirkten vom roten Lippenstift umso voller. Das Kleid lag mir wie angegossen an der Taille und brachte meine weiblichen Rundungen anmutig zur Geltung. Nicht zu groß und nicht zu klein, stellte ich zufrieden fest.
„Noch da?“, brachte mich eine Frauenstimme zurück in die Realität. „Ich? Was?“, fragte ich ertappt. Sallys Augen musterten mich eingehend.
„Du wirkst so abwesend. Woran hast du gedacht?“ Röte breitete sie auf meinen erhitzten Wangen aus. Wie gelassen ignorierte ich ihren durchdringenden Blick und ging auch nicht auf die im Raum stehende Frage ein, denn in diesem Moment bat uns ein Arzt ihm zu folgen. Erleichtert ging ich ihm nach. Froh darüber nicht den fragenden Blicken ausgeliefert zu sein und nicht Antwort und Rede stehen zu müssen.

„Süße, was hast du angestellt?“, fragten wir im Chor, da wir unsere jüngste Schwester erblickten. Sally nahm sie sofort in den Arm, während ich meine Stellung neben dem Arzt beibehielt.
„Uns wurde berichtet sie habe einen Fahrradunfall gehabt“, meldete sich der behandelnde Arzt als wir keine Antwort erhielten. „Du hattest einen Fahrradunfall?“, wiederholte ich mit hochgezogener Augenbraue was der Mann soeben gesagt hatte.
„Ich hatte keinen Fahrradunfall“, widersprach Tony entnervt. „Natürlich hatten sie einen Fahrradun-“ Tony unterbrach ihn noch ehe er zu Ende sprechen konnte. „Nein, nein! Den hatte ich nicht! Ich kann nämlich Fahrrad fahren, wisst ihr?“ Sie bedachte uns alle mit einem ihrer “Seid- ihr- denn- wahnsinnig- Blicke“ und sprang auf die Füße um uns zu demonstrieren, dass sie nicht einmal verletzt sei. Leider machte ihr das verwundete Bein einen Strich durch die Rechnung, so stolperte sie und fand Halt in den Armen eines attraktiven Adonis, der plötzlich vom Gang hergehechtet kam und sie stützte.
„Schmerz! Aua, aua“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und setzte sich mit Hilfe des jungen Mannes wieder auf den Behandlungstisch. Verdutzt schauten wir unsere kleine Schwester an.
„Geht es?“, fragte der unbekannte Schönling fürsorglich. „Ja, ja, danke“, erwiderte Tony und lächelte ihn freudestrahlend an. Doch dann machte es den Eindruck als hätte sie sich wieder erinnert wo sie war. Scheinbar fielen ihr unsere misstrauischen Blicke auf worauf sie sodann erklärte: „Ich habe ihn übersehen.“ Mir klappte der Mund auf. Sally war anscheinend genauso verwirrt wie ich, denn sie kratzte sich leicht am Hinterkopf und verzog ihre Mundwinkel zu einem hämischen Schmunzeln.
„Du hast ihn angefahren?“, fragte Sally belustigt. „Wieso bist du denn dann verletzt und er nicht?“, fragte ich interessiert. Mit so vielen Fragen überrumpelt blieben Tony die nächsten Sätze im Hals stecken. Kein wie, was oder wo war weder von ihr noch von ihrem vermeintlichen Opfer zu hören. Neugierige Stille breitete sich im Raum aus. Irgendwie ahnte ich, dass meine kleine Schwester bald explodieren würde und wartete gespannt auf ihre Version der Geschichte.
„Schön, schön. Ich bitte um eure Aufmerksamkeit. An einer Kreuzung war ich unaufmerksam, raste in die Kurve, entdeckte den schwarzen Volvo, übersah jedoch den Fußgänger. Damit ich also niemanden schwer verletzte schmiss ich mich mit dem Fahrrad zu Boden. Alle Missverständnisse nun aus dem Weg geräumt?“, fragte sie in die Runde. Das war sie also - ihre Version, dachte ich und verkneifte mir ein Lächeln. Dann hörte ich ein Grunzen und wurde amüsant gewahr, dass Sally einen Lachanfall nicht bezwingen konnte. „Vielleicht hätten Sie auch noch erwähnen sollen, dass Sie bei roter Ampel über eine Kreuzung fuhren“, mischte sich aus heiterem Himmel wieder der Arzt ein. Also war da doch mehr!
„Hab ich’s mir doch gedacht“, entlockte mir die Wahrheit eine ironische Bemerkung. Tony senkte den Kopf.
„Die Polizei weiß doch gar nicht was sie sagt!“ Tony zuckte mit den Schultern. Vom Gefühl her wusste ich auf Anhieb was folgen würde.
„Dein Schmollmund zieht bei mir nicht, das weißt du! Und deinen Dackelblick kannst du gleich ganz vergessen“, schimpfte ich lächelnd aufgrund ihres Geständnisses. Wenigstens genoss Sally die Situation sichtlich. Ihr Gesicht war puterrot angelaufen und in ihren wunderschönen Augen standen Tränen vor Lachen. Sie hielt sich heulend am Bauch und ich war kurz davor auch sie diagnostizieren zu lassen.
„Die eine Schwester ist auf den Kopf gefallen und die andere auf die Nase“, konnte ich die Tatsachen nicht umgehen. Auf einmal war schallendes Gelächter zu hören. Meine frustrierte Aussage vergnügte alle Anwesenden.
„Darf ich fragen, ob sie etwas Ernstes hat?“, wandte ich meine Aufmerksamkeit schließlich dem Doktor zu. Dieser schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nein. Eine Prellung am linken Oberarm und einen verstauchten Fuß hat sie zwar, darum rate ich ihr zwei wochenlang Bettruhe, doch sonst können wir sie bereits heute entlassen. Jemand müsste sich um die Entlassungspapiere kümmern, ansonsten gibt es keinen ersichtlichen Grund sie weiterhin hier zu behalten“, informierte er mich. Zufrieden stellte ich fest, dass sich Sally wieder gefasst hatte und aufmunternd Tony über die blonden Engelslocken streichelte.
„Na, Gott sei Dank“, brachte Tony beruhigt hervor. Mir war klar, dass sie Spitäler hasste, daher wartete ich keine Sekunde länger und sorgte mich um ihre Entlassungspapiere. Da wurde mir plötzlich kalt und warm gleichzeitig.
„Mein Chef! Oh mein Gott, er wollte mich ja in fünfzehn Minuten im Büro sehen –“, rief ich aufgebracht. Ich sah auf meine Armbanduhr. Zwanzig nach! Ganze fünfunddreißig Minuten Verspätung, kam mir die schreckliche Besinnung. Schwindlig griff ich mir auf die Stirn. Sally hatte begriffen. Ruckzuck entnahm sie mir die Unterlagen, murmelte mir ins Ohr das sie mich hier nicht mehr benötigen würden und schleifte mich zur Tür.
„Geh“, waren ihre letzten Worte. Sie brauchte es mir kein zweites Mal zu sagen, schon war ich am Treppenabsatz der Stiege, die runter in die Tiefgarage führte, verschwunden.

„Wissen Sie eigentlich wie spät es ist?“, ertönte eine zornige Stimme hinter mir. Ich war gerade in mein Büro gegangen und hatte meine Jacke ausgezogen, da war er mit einem Tobsuchtsanfall, wie ein tollwütiger Stier, in das kleine Zimmer getreten und erfüllte beinahe mein kleines geräumiges Büro. Mit seiner Korpulenz versperrte er mir den Blick auf die Tür hinter ihm. Unsicher beäugte ich ihn von der Seite. Sein markantes Profil war genauso furchterregend wie sein erregtes Schnaufen. Ich drehte mich vorsichtig zu ihm um. Sein Gesicht war rot wie eine Tomate, die dunklen auf mich gerichteten Augen wirkten wie zwei große schwarze Knöpfe und er schwitzte aus allen Sporen. Dementsprechend war sein Hemd durchnässt und der Geruch den er ausströmte mehr als unangenehm. Ich drückte mich auf den Sessel hinter meinem Schreibtisch.
„Tut mir Leid! Ich kann das erklären“, versuchte ich ihn zu besänftigen. „Ich höre“, donnerte er mir entgegen und versprühte so viel Spucke, dass ich mich zusammenreißen musste um mich nicht zu ducken.
„Eine meiner Schwestern hatte einen schweren Unfall. Ich wurde ins San Francisco Memorial Hospital gerufen. Durch den Schock hatte ich völlig vergessen Ihnen den Vorfall zu melden. Aber ich hatte solche Angst um meine kleine Schwester, wissen Sie? Können Sie mir verzeihen?“ Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen. Was für eine Schmach mich derart zu blamieren. Ich hatte ihn vergessen! Was für eine gemeine Notlüge. Schwer verletzt! Zum Glück wusste er nicht was in mir vorging, denn als ich ihm in die zugekniffenen Knopfaugen sah, bemerkte ich eine neue Gefühlsregung.
„Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?“, platzte er einfühlsam heraus. „Jetzt bekamen Sie grundlos meinen ganzen Ärger ab“, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir. Ich schluckte schwer. Wann hätte ich denn eine Rechtfertigung abgeben sollen, wenn er wie ein Hornochse in mein Büro gestampft war? Das sollte ich ihm allerdings lieber nicht sagen, beschloss ich. Stumm nickte ich nur mitleidig und nützte meinen weiblichen Charme um ihn zu bezirzen. Somit hatte ich schon immer mehr Erfolg bei ihm gehabt als mit meinem Trotz, den ich meinen Kollegen entgegenbrachte und meiner Beharrlichkeit, welche meine Informanten zu spüren bekamen.
Nach dreißigminütiger Besprechung verließ er wieder mein Büro. Immerhin war ich just allein.

Stunden waren vergangen seit ich meiner Arbeit nachging. Ich führte ein Telefonat nach dem anderen. Sah meine Post durch. Erfuhr in der Mittagspause den neuesten Tratsch über Kollegen. Trank literweise schwarzen Kaffee und war derart in meine Unterlagen vertieft, dass ich zu spät bemerkte, dass jemand meine Tür geschlossen und sich mir gegenüber hingesetzt hatte. Alarmiert fuhr ich zusammen.
„Um Himmels Willen, das hätte schwer in die Hose gehen können“, sagte ich und hielt mir den Mund zu. Seine attraktiven Grübchen ließen mein Herz höher schlagen als er lächelte. „Ich kann dich nicht verstehen, wenn du dir die Hand vor deinen wunderschönen Mund hältst.“ Ich strahlte, nahm meine Hand runter und schob den Sessel zurück. Ich umging meinen Schreibtisch und schlang meine Arme um seine breiten Schultern während ich ein “Du hast mir gefehlt“ flüsterte. Ich spürte wie seine starken Arme meine Taille umfassten. „Du hast mir auch gefehlt“, wiederholte er. Warm und gleichmäßig fühlte ich seinen Atem in meinem Nacken. Der Geruch seiner Aftershaves stieg mir in die Nase. Die nachwachsenden Bartstoppeln kratzten leicht an meiner Wange und verblüfft spürte ich wie sich sein Körper versteifte, als ich ihn sanft am Rücken kraulte. Zu gegebener Zeit würde ich schon herausfinden was sein Benehmen zu bedeuten hatte, doch im Moment wollte ich ihn banaler Weise bloß seine Gegenwart in mir aufnehmen. Eine sekundelang wünschte ich mir die Zeit anhalten zu können. Daher drückte ich mich noch fester an ihn, als hätte ich Angst, er würde genauso übereilt wieder verschwinden wie er aufgetaucht war. Nach einer kleinen Ewigkeit ließ ich von ihm ab und betrachtete ihn gedankenverloren. Da stand er also – in voller Montur. Schwarzer Anzug, weißes Hemd und die unverwechselbaren weißen Turnschuhe, die absolut nicht zu seinem Outfit passten. Das schwarze Haar war leicht gewellt, das etwas längere Haar im Nacken hatte er zu einem kleinen Zopf gebunden und die himmelblauen Augen strahlten mit der Sonne anscheinend um die Wette, da ein heller Sonnenstrahl durch die Jalousien einen Schatten auf sein maskulines Kinn warf und seinen Haupt beschien.
„Woran denkst du?“ Seine Frage ließ meinen Blick auf seinen sinnlichen Mund wandern. Ich zog die Nase kraus, rückte meine Brille zurecht und entgegnete: „Ich frage mich, was dich wohl in die Stadt führt?“ Ich entschloss mich zu lügen. Er brauchte nicht zu wissen wie attraktiv ich ihn fand. Schließlich war er überheblich genug, rechtfertigte ich mich in Gedanken. Als ich merkte, dass er meinen Blick suchte sah ich ihm in die Augen. Wie Magneten zogen sie mich in den Bann.
„Du schwindelst“, meinte er überzeugt von seiner Aussage und kam einen Schritt auf mich zu. Das Vakuum, welches ich zwischen uns geschaffen hatte, löste sich in Luft auf. Der Nähe seines Körpers war ich nur allzu gewahr. Um dieser unheimlichen Situation ein Ende zu machen sagte ich lakonisch, in der Hoffnung er würde aufhören seinen Charme derart spielen zu lassen: „Und du schleimst!“ Es zuckte gefährlich um seine Mundwinkel. Dann fielen mir die Lachfältchen um seine schönen Augen auf und die Grübchen um seine Lippen. Das darauf folgende strahlende Lächeln raubte mir fast den Atem. Unwillkürlich hielt ich die Luft an. „Baby, komm her.“ Verdutzt sah ich, dass sein Mund Worte formte, ich verstand sie auch, doch war ich mir unsicher ob er sie auch wirklich ausgesprochen hatte. Benebelt stand ich keine zehn Zentimeter von ihm entfernt und beobachtete wie er seine Hand hob, meinen Hinterkopf umfasste und mein Gesicht ganz nah an seines führte.
„Wo bleibt mein Begrüßungsküsschen?“ Sein Schmunzeln schien ihn um Jahre jünger zu machen. Diese freche jungenhafte Mache an ihm, brachte mich dazu tief Luft zu holen. „Du hast keins verdient.“ Die Worte waren heraus ehe ich es hätte verhindern können. Auf einmal änderte sich was an ihm. Seine Begeisterung wich einer Art Verschlossenheit. Seine Augen wurden zu kleinen schmalen Schlitzen und durchbohrten mich. Diese Verwandlung in ihm erschütterte mich bis ins Mark. Erstarrt blieb ich in meiner Bewegung verharren, dann fühlte ich einen leichten Schubs und verlor das Gleichgewicht. An der Kante meines Schreibtisches fand ich Halt.
„Wieder dieser herbe Geruch deines Aftershaves“, brummte ich unverständlich. Anscheinend einer Antwort unwürdig überging ich gnädig seine Unaufmerksamkeit. In seinen eiskalten Augen erkannte ich deutlich, dass der Zauber des Moments verflogen war. „Seit wann wirst du handgreiflich, wenn dir was nicht zusagt?“, fragte ich daraufhin pikiert. Meine Stimme hatte einen schneidenden Unterton angenommen. Es überraschte mich selbst wie gefasst und gleichgültig ich mich anhörte. Da mischte sich eine neue Gefühlsregung in seine Apathie – Sehnsucht. Zum ersten Mal seit ich Patric kannte, kam es mir vor als hätte ich ihn aus der Reserve gelockt.
„Tut mir Leid! Es lag nicht in meiner Absicht grob zu werden“, rechtfertigte er sich leise und mied es zu mir hinzusehen. Wie von selbst bildeten sich meine Hände zu Fäusten. „Immerhin hast du dämliche Ausreden immer parat“, warf ich ihm vor, richtete mich auf und strich mein Kleid glatt, während sein Blick mich fixierte. Der weiche Stoff in meinen Fingern ließ mich unerwarteter Weise bedauern mich nicht umgezogen zu haben. Irgendwie kam der Wunsch in mir hoch ihm gefallen zu wollen.
„Lucy Hamilton, seit wann sind wir denn so kritisch im Umgang mit deinem alten besten Freund?“ Entrüstet sah ich ihm in das feixende Gesicht. Es war nicht fair mir unsere gemeinsame Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen. Erinnerungen überwältigten mich blitzartig und vor meinem inneren Auge sah ich uns. Weinend lag ich im Schutz seiner Arme. Die Kinder im Feriencamp hatten sich wieder einen Spaß erlaubt mich wegen meines introvertierten Auftretens zu verspotten und er war herbeigestürzt um mir zu Hilfe zu eilen. Nachdem er sie alle vertrieben hatte kümmerte er sich liebevoll um mich. Nie hatte Patric damit aufgehört mich vor allem und jedem zu verteidigen.
„Du warst damals ein junges schlaksiges Mädchen.“, neckte er mich nun weiter, „Davon ist jedoch nichts mehr zu sehen, wie du weißt. Bei einer Frau deines Kalibers kann man sich nun mal nicht vorstellen, dass du mal eine Heulsuse warst.“ Vertraulich zwinkerte er mir zu. Ich lachte. Tatsächlich hatte ich wegen jeder Kleinigkeit früher geflennt.
„Nun, das kann ich nicht abstreiten“, gab ich grienend zu. Patric Turner hatte mich wieder um den kleinen Finger gewickelt. Intuitiv verdrehte ich die Augen.
„Alles wieder klar zwischen uns?“ Ich ließ auf meine Antwort warten, ergriff jedoch seine mir entgegen gereichte Hand und verdeutlichte mit einem “Alles wieder okay“ das ich ihm verziehen hatte. Da beugte er sich ohne Vorwarnung über mich und ehe ich es mir versah spürte ich eine zarte leichte Berührung auf meinen halb geöffneten Lippen. Unwillkürlich schloss ich meine Augen und spürte im Nachhinein weiterhin wie mein Mund von dem flüchtigen Kontakt seiner Lippen brannte. Gespanntes Knistern lag in der Luft um uns herum. Ein hauchzartes Rosa hatte sich auf meinen Wangen gebildet.
„Da wissen wir es wenigstens beide“, brach er das aufgetretene Schweigen zwischen uns. Mir stockte der Atem. Unter meinem Bauchnabel war ein Tumult ausgebrochen. Seit langer Zeit erlebte ich das Flattern von Schmetterlingen in meiner Bauchgegend wieder. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ungewollt stürzte die nächste Erinnerung augenblicklich über mich herein. Ich stand am Gang in der Schule und beobachtete aus einer dunklen Ecke wie er mit einigen Mädchen flirtete die ihn anhimmelten. Ich fühlte den Stich in meinem Herzen abermals. Das Gefühl von Eifersucht flammte nochmals in mir auf. Langsam verschwamm die Erinnerung und ich kam allmählich zu mir. Merkte die Wärme eines starken Oberkörpers an den ich meinen Kopf gelehnt hatte.
Die Umarmung in der ich mich schlagartig wieder fand saugte mir fast das letzte Fünkchen Leben aus dem Körper. Ich rang nach Atem.
„Lass mich… Ich bekomm ja kaum Luft“, stotterte ich wimmernd und lachte halbherzig. Ich prustete los unterdessen er seinen Griff um mich lockerte und meine Lungen sich von neuem mit Sauerstoff füllten. Mit glasigen Augen sah ich zu ihm hoch. Hatte ich ihn über all die Jahre hinweg geliebt? Die Frage entlockte mir eine einzelne Träne, welche nun leise und unbemerkt meine Wange entlanglief. Seufzend verbarg ich mein Gesicht im Kragen seines Hemdes.
„Ich bin verloren“, wisperte ich. In meinem kleinen Büro war es so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Mitten im Satz begann er mir zärtlich übers Haar zu streicheln und erwiderte sanft:
„Ich habe dich wieder gefunden Baby.“
Mit zittrigen Knien stand ich schließlich auf und wich vor ihm zurück. So vieles lag unausgesprochen zwischen uns was ich ihn fragen wollte, aber erstmals brauchte ich Sicherheit. Die Distanz würde mir helfen einen vernünftigen Gedanken zu fassen, das wusste ich einfach. Daher konzentrierte ich meinen Blick auf die Dokumente vor mir.
„Ich hole dich dann um sieben Zuhause ab, einverstanden?“ Trotz der Frage, wartete er meine Antwort nicht ab. Stattdessen musste ich einsehen, dass das eine Feststellung von ihm war, als ob wir eine stumme Vereinbarung miteinander gehabt hätten. Sekunden später echote ich Schritte auf meinem quietschenden Parkettboden, lauschte dem Geräusch wie die Tür ins Schloss fiel und sackte auf meinem Sessel zusammen ohne meinen Blick von den zahlreichen Akten zu heben. Die Zeit verstrich als ich meine Arbeit fortzusetzen versuchte.
Obwohl er bereits seit einigen Minuten mein Büro verlassen hatte roch ich permanent seinen Duft bei jeder noch so winzigen Bewegung. Unschlüssig ließ ich verzweifelt von meinen Unterlagen ab und starrte benommen auf die geschlossene Tür hinter der Patric mich konsterniert zurückgelassen hatte.









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