Der Geiger von Dunrobin Castle Teil 5

Autor: Kati
veröffentlicht am: 18.01.2008




Entsetzt stand sie auf und versuchte die Fassung zu bewahren. Ohne die Nachricht gelesen zu haben, ahnte Sebastian schon, was geschehen war und stand auf.
'Willst du eine rauchen?'
Sie nickte ihm zu und folgte ihm auf den Balkon. Er schloss die Tür, zündete zwei Zigaretten an und reichte ihr eine herüber.
Immer wieder schniefte sie und wischte die neu aufkommenden Tränen weg. Sebastian setzte sich auf den Boden und steckte seine Beine durch das Gitter der Balkonbrüstung. Anni tat es ihm gleich und legte ihren Kopf in den Nacken. So saßen sie schließlich über eine halbe Stunde nebeneinander und keiner der beiden sagte auch nur ein Wort, bis er sich dazu durch rang doch zu fragen.
'Willst du reden?'
'Mit dir?! Du hattest ja noch nicht einmal eine Freundin!'
Verletzt blickte er sie an.
'Ich weiß aber wohl was Liebe ist.' antwortete er ihr geknickt.
Wehmütig schaute sie zu ihm.
'Tut mir Leid. Ich wollte nicht so barsch sein.'
'Schon gut. Ich weiß ja, dass du manchmal etwas anders tickst.'
'Wie meinst du das?'
Wieder schniefte Anni, war aber dankbar, dass er scheinbar versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen.
'Naja, manchmal bist du echt fies zu mir. Und jetzt zum Beispiel bist du ganz anders.'
'Ist das jetzt gut?'
'Ich glaube schon.'
Er schnippte den Kippenstummel über die Brüstung und lehnte sich etwas nach hinten. Die Sonne drehte immer weiter und ihre Strahlen würden bald die Terrasse erreichen.'Du hattest also noch nie eine Freundin, dafür aber Sex?' wechselte Anni schließlich das Thema und blickte ihn fragend an.
Leicht nickte er.
'War es gut?'
'Hmm...'
'Warst du schon mal so richtig verliebt?'
'Schon, aber das ist schon etwas her.'
'Erzähl mal.'
'Lieber nicht...'
'Warum nicht?'
'Wieso willst du das wissen? Erzählst du das dann morgen wieder herum?'
'Wenn du dabei einen Ständer kriegst, vielleicht.'
Kurz huschte eine Schrecksekunde durch seinen Körper und er dachte an den gestrigen Abend zurück.
'Das war keine Absicht.'
'Ich weiß.'
'Es passiert einfach.'
'Ist ja auch nicht weiter tragisch.'
'Und wieso hast du mich dann trotzdem zum Gespött der Schule gemacht?'
Kurz blieb ihr die Spucke weg und sie wusste nicht, was sie ihm darauf antworten sollte.
'Tut mir Leid. Verzeihst du mir?'
Sie erkannte sein schwaches Nicken und war irgendwie total erleichtert.
Wieder saßen sie schweigend nebeneinander und blickten in die Berge.
'Es war gut.' durchdrang er die Stille mit seiner Stimme. 'Ich war damals in einem Kurs für musikalische Untermalung von Theaterstücken. Das Mädchen, in das ich mich verliebt habe, hieß Casandra und war zwei Jahre älter als ich. Ich war damals fünfzehn, glaube ich. Sie spielte gnadenlos gut Klavier und ich wollte, dass sie mir auch etwas beibringt. Also haben wir jeden Tag nach den Proben noch ein wenig Klavier spielen geübt. Ein paar Wochen nach meinem sechzehnten Geburtstag, sie hatte mich auf meiner Party versetzt, kam sie dann zu mir nach Hause. Ich war total überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hatte. Nachdem wir uns am Klavier meines Stiefvaters ausgetobt hatten, gingen wir auf mein Zimmer. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber sie hat mich einfach geküsst. Danach kam eins nach dem anderen und wir haben es getan. Kurze Zeit später zog sie sich wieder an und ging einfach, ohne ein Wort zu sagen. Als ich am nächsten Tag wieder zu den Proben kam, war Casandra nicht da und ich fragte, wo sie denn bliebe. Die Kursleiterin sagte mir dann, dass sie nicht mehr kommen würde, weil ihre Eltern mit ihr umgezogen waren. Ich war am Boden zerstört, mochte kaum noch essen und hab geheult wie ein Schlosshund. Ich rief sie an, schrieb ihr SMS, doch sie antwortete nicht. Nach einem Jahr, ich hatte sie noch immer nicht vergessen, sah ich gerade fern, als in den Nachrichten ein Bericht kam. Ich erkannte ihr Bild sofort und war wie versteinert.'
'Wurde sie entführt?!'
'Schlimmer. Sie hatte sich den goldenen Schuss gesetzt und war mit ihrem Freund zusammen in einer runter gekommenen Wohnung gestorben. Und wieder brach eine Welt für mich zusammen. Erschreckend war auch, dass auf ihrer Beerdigung kaum Leute anwesend waren. Es war still, zu still für meine Begriffe. Man hatte sie einfach vergessen.'
'Oh Basti... Das tut mir Leid.'
Sachte strich Anni ihm über die Hand und versuchte ein Lächeln auf das Gesicht zu bekommen. Doch es misslang ihr total, denn es wirkte, wie eine schiefe Fratze.
'Ist schon gut, mittlerweile bin ich darüber hinweg. Aber was ist mit dir?'
Fragend schaute er sie an. Sie zog ihre Hand von seiner weg und überlegte. Plötzlich griff er nach seiner Brille und nahm sie ab.
'Weißt du, wenn du dieses Ding da gegen eine ordentliche eintauschen würdest, dann sähest du wesentlich besser aus.'
'Erstens bin ich hier um zu lernen und nicht um gut aus zu sehen und zweitens umschiffst du gerade meine Frage.' antwortete er ihr nun gar nicht mehr so wortkarg.
'Hmm... Ist aber eine lange Geschichte.'
'Ich habe Zeit.'
Anni atmete tief durch und überlegte. Eigentlich könnte sie Marc jetzt in der Luft zerreißen, stattdessen sollte sie erzählen, wie sie sich kennen gelernt haben.
Sebastian lehnte seinen Kopf gegen die Brüstung und zündete wieder zwei Zigaretten an, um ihr eine davon zu reichen.
'Ich war gerade sechzehn geworden, als ich ihn traf. Ich war mit Isa in der Fußgängerzone unterwegs und da sah ich ihn. Er war da mit seinen Kumpels und machte das, was er am liebsten mochte. Breakdance. Um sie herum standen viele Leute und klatschten Beifall. Isa und ich haben uns an allen vorbei gedrängt und zugesehen. Na jedenfalls kam er irgendwann auf mich zu und meinte, dass er doch gerne meine Handynummer hätte. Die gab ich ihm auch und gleich am nächsten Tag hatte ich eine SMS von ihm, ob wir nicht mal was machen wollten. Allein. Ich war total aufgeregt und sagte zu. Am Abend trafen wir uns dann in einem Café und haben die ganze Zeit gequatscht und gelacht. Eine knappe Woche später haben wir uns das erste Mal geküsst. Das war total toll. Immer wenn ich Ferien hatte, verbrachte ich die meiste Zeit mit ihm. Er war damit auch sehr zufrieden, denn Anfangs dachte ich erst, dass er Schluss machen würde, weil ich in ein Internat gehe, aber er war anders. Auch als ich ihm sagte, dass ich noch nicht mit ihm schlafen will, zeigte er sehr viel Verständnis und ließ mir die Zeit, die ich brauchte. Unser und mein erstes Mal war, naja, es ging. Ich hatte es mir anders vorgestellt, unter anderen Umständen, aber gut.'
'Was meinst du damit?'
'Naja es war in diesen Sommerferien. Isa, ihr damaliger Freund Josh, Marc und ich waren campen. Es ist im Zelt passiert. Ich war die ganze Zeit mehr damit beschäftigt leise zu sein, als mich fallen zu lassen. Naja, dafür war es bei mir zu Hause wesentlich schöner.'
'Und was willst du jetzt machen?'
'Hmm?'
'Na wegen der Nachricht?'
Sebastian deutete auf ihr Handy. Unschlüssig zuckte Anni mit den Schultern.
'Was soll ich schon machen? Wenn ich jetzt anrufe, dann geht bestimmt diese Melissa dran und verleugnet ihn.'
'Dann rufe ich eben an.'
'Du? Was willst du denn sagen?'
'Dass ich ein Freund von ihm bin. Und wenn sie ihm das Handy gibt, dann gebe ich dir deines.'
'Das würdest du machen?'
'Sicher.'
'Also gut.'
Sie wählte Marc´s Nummer und übergab das Handy an Sebastian. Eine weibliche Stimme meldete sich.
'Hallo?'
'Jo! Ist Marc da?'
'Wer´s n da?'
'Geht dich doch nix an. Is´er da oder nicht?!'
'Moment.' Die Stimme entfernte sich. Siegessicher hob Sebastian den Daumen und nickte Anni zu. Gespannt blickte sie ihn an. 'Maaaarc! Da ist wer für dich am Telefon.'
'Wer denn?'
'Keine Ahnung, aber er will dich sprechen.'
Ein kurzes Knacken im Hörer und schnell gab Sebastian das Telefon weiter.
'Hallo?' brummelte es etwas genervt in die Muschel.
'Hallo, Marc.'
'Anni, äh, wie kommt´s denn, dass du mich anrufst?'
'Ach, ich wollte nur mal hören, wie es dir geht. Du hast mir heute noch gar nicht geschrieben und da dachte ich mir, ich rufe dich mal an.'
'Ja du... weißt du, ich habe nicht viel Zeit, weil äh, ich muss noch... äh... proben.'
'Proben?'
'Ja, für einen Auftritt!'
'Als was denn? Als schlechtester Lügner der Welt?'
'W-wie meinst du das?'
'Wer ist Melissa?!'
'Die? Äh, das ist eine Freundin von mir.'
'Was du nicht sagst.'
'Ja du, ich muss jetzt auch Schluss machen...'
'Du willst Schluss machen?!'
'Naja, das Gespräch. Das wird doch sonst auch zu teuer für dich und so...'
'Ich habe eine Flat, schon vergessen?!'
'Ah ja! Aber dein Akku ist doch gleich leer. Ich höre doch schon das Piepen?'
'Das muss wohl in deinem hohlen Kopf sein, DAS PIEPEN! Ich lasse mich nicht von dir verarschen Marc! Sprich doch einfach das aus, wovon ich schon weiß!'
'Ich weiß nicht, was du meinst!'
'Stell dich doch nicht dümmer, als du bist! Du gehst fremd! Was sonst?!'
'Das würde ich niemals tun!'
'Ah ja?! Deine Melissa hat mir da aber etwas anderes geschrieben!'
'Melissa? Warte kurz.'
Seine Stimme entfernte sich vom Hörer und Anni presste das Handy fest an ihr Ohr. Leise konnte sie sie sprechen hören.
'Hast du ihr etwa geschrieben?!'
'Warum nicht? Du hattest deinen Spaß und jetzt ist gut. Es war von einer kurzen Beziehungspause die Rede. Schick sie endlich zur Hölle und gut ist!'
'Ich wollte ihr das aber anders beibringen!'
'Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.'
'Aber...'
'Wenn du mich liebst, dann schickst du sie jetzt in die Hölle!' fuhr sie ihn gepresst an.Plötzlich knackte es wieder im Hörer und Marc meldete sich zurück.
'Anni?'
'Ich hasse dich! Du hast mich doch die ganze Zeit nur verarscht!'
'Anni warte...'
Doch sie legte einfach auf und hätte ihr Handy am liebsten über die Brüstung geschmissen. Wieder liefen ihr die Tränen durch das Gesicht und sie schniefte laut los. Ganz gentlemanlike reichte er ihr ein Taschentuch und zog an seiner Zigarette.
'Magst du drüber reden?'
Deprimiert schüttelte sie mit dem Kopf. Was sollte das? Warum hatte er ihr das angetan? Was hatte sie falsch gemacht und warum musste das ausgerechnet ihr passieren?
Ohne es wirklich zu bemerken lehnte sie sich gegen Sebastians Schulter und weinte in sein Hemd. Unsicher legte er seinen Arm um sie und sie sank auf seinen Schoß herunter. Die Sonne drehte immer weiter und schien ihnen nun ins Gesicht. Es war ein so schöner, warmer Tag, doch keiner der beiden dachte in diesem Moment daran, ihn mit irgend etwas Vergnüglichem zu verbringen. Die Zeit verging und Anni´s Tränen versiegten langsam aber sicher. Langsam richtete sie sich wieder auf und blickte auf die Uhr.
'Es ist schon spät und in fünfzehn Minuten gibt es Essen. Wenn du noch etwas abkriegen willst, musst du dich beeilen.'
'Was ist mit dir?'
'Mir ist es vergangen.'
'Ich muss nicht essen. Wenn du möchtest, bleibe ich hier.'
'Du hast doch heute nur gefrühstückt? Willst du nicht lieber...'
Er blickte sie an und schüttelte leicht den Kopf.
'Ich muss echt nicht essen. Ich habe sowieso keinen Hunger.'
Kurz schnaufte sie auf und zog eine Zigarette aus ihrer Schachtel.
'Ich rauche noch eine und dann gehen wir gemeinsam, ok?'
'Wenn du das möchtest?'
Kurz zwinkerte sie ihm zu und blickte wieder gen Himmel. Die Sonne begann bereits langsam unter zu gehen. Jeden Tag eine Minute früher, als am vorherigen. Doch noch waren ihre Strahlen stark genug, um ihnen den Schweiß auf die Stirn zu treiben. Schließlich warf Anni die Zigarette über die Brüstung und beide standen auf. Sie traten wieder in sein Zimmer, wo auf dem Schreibtisch noch immer die Hefte verteilt lagen.
'Wir haben ja gar keine Hausaufgaben gemacht!' stellte Anni geschockt fest.
'Du kannst von mir abschreiben. Aber nur heute, weil heute eben ein scheiß Tag ist.'
'Bist du mit deinen denn schon fertig?'
'Ich habe sie in den kleinen Pausen gemacht. Ist nicht schwer.'
'Danke, Basti. Du bist echt schwer in Ordnung.'
Verdutzt blickten sich beide an. Hatte er richtig gehört? Und was hatte sie ihm eben gesagt?
Schnell versuchte sie die Situation zu entschärfen.
'Bild dir da jetzt aber nichts drauf ein, klar?'
'Klar!' lächelte er ihr entgegen und folgte ihr in den Speisesaal, wo auch schon Isa und Charly auf sie warteten.
'Hey Anni! Hey Heimwehkind!' brüllte Charly und fing an zu grinsen.
'Halt die Backen.' entgegnete sie ihm kühl und bot Sebastian den Platz neben sich an. Nachdem sich alle etwas zu essen geholt hatten, wurde es wieder etwas ruhiger.'Sitzt der schon wieder an unserem Tisch?!' giftete Isa plötzlich los. 'Ich dachte, die Abreibung im Sportunterricht hätte gereicht?'
'Ja eben! Vielleicht hat er nicht lange genug drunter gehockt?' ergänzte Charly noch.'Vielleicht hätte man euch beide drunter stellen sollen, damit eure hohlen Birnen mal ein wenig abkühlen?' sagte Anni, ohne auch nur kurz auf zu schauen. Sebastians Herz raste. Sicher war es nicht gut, was Anni da machte. Sie ritt sich da in etwas hinein, was sie morgen vielleicht schon bereuen würde. Sanft stieß er sie mit dem Fuß an und schüttelte den Kopf, als sie zu ihm blickte.
'Was ist mit dir? Du bist irgendwie total komisch?' fragte Isa ihre Freundin und schon war Sebastian als Opfer abgehakt.
'Ich habe mit Marc Schluss gemacht. Oder besser er mit mir.'
'Was?!'
'Er hatte die ganze Zeit eine andere.'
'So ein Arsch!' Wütend schlug Isa die Faust auf den Tisch. Interessiert verfolgte Charly das Gespräch. Er hatte schon lange ein Auge auf Anni geworfen und jetzt, wo es diesen Marc nicht mehr gab, war der Weg für ihn endlich frei.
'Wenn er dich so verarscht hat, dann hat er dich nicht verdient.' schleimte Charly herum.'Du hast doch keine Ahnung, Charly. Du kennst ihn ja gar nicht!'
Sauer biss Anni in ihr Brot und kaute wild darauf herum. Sie hatte eigentlich gar keinen Appetit, aber da sie nichts zum Mittag gegessen hatte, würde ihr in der Nacht sicherlich der Magen knurren. Charly blickte sie etwas zerknirscht an und biss in seine saure Gurke.'Was ist? Hast du gedacht, dass ich jetzt über dich herfalle, nur weil Marc nicht mehr ist?''Naja, hätte ja sein können...'
'Hmm... Bestimmt nicht. Nicht in diesem Leben und im nächsten auch nicht.'
Das hatte gesessen und Sebastian konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Auch Anni grinste, als sie ihn dabei erwischte und biss wieder in ihr Brot. Das war endlich mal ein Essen, dass er genießen konnte. Sie bot ihm Schutz und so lange, wie sie auf ihrem 'Ich mach euch alle platt!'-Trip war, wusste er sich in Sicherheit und konnte auch mal lächeln, ohne dumm angemacht zu werden.
Die Aufteilung im Speisesaal war klar geregelt. Jede Klasse hatte einen langen Tisch für sich. Es waren elf Tafeln und eine gehörte den Lehrern, die sich so lautstark unterhielten, dass der ganze Saal etwas davon hatte. Nur interessierte es niemanden, also musste man dieses verkalkte Gequatsche eben übertönen, was die Lautstärke rasch ansteigen ließ. Um Sebastian herum wurde gelacht und gescherzt, gesprochen und gegessen und er fühlte sich wohl. Es tat gut, wenn man mal nicht der Grund war, warum gelacht oder geredet wurde. Anni saß etwas teilnahmslos neben ihm und kaute gelangweilt auf einer Tomate herum. Kurz blickte Sebastian zu ihr herüber, doch sie schien gar nicht mehr anwesend zu sein. Er griff zu seinem Messer und schnitt das Gemüse auf seinem Teller klein. Wieder blickte er zu ihr und noch immer keine Reaktion. Sachte schob er den Teller zu ihr herüber und schon huschte ein Lächeln über ihre Lippen, als sie den Gemüsesmiley entdeckte. Die Augen aus Radieschen, die Nase aus Schnittlauch, der Mund aus einer Tomatenspalte und die Haare aus sauren Gurken.
Sie blickte zu ihm und zwinkerte ihm zu. Dies blieb nicht unbemerkt und wütend knirschte Charly mit den Zähnen. Heute konnte er Sebastian nichts mehr rein würgen, aber morgen sah es bestimmt schon wieder anders aus. Nachdem alle ihr Tablett abgegeben hatten, machten sie sich auf den Weg zurück zu ihren Zimmern. Es hieß noch Duschen und Hausaufgaben machen, denn die meisten hatten den Rest des Tages am See verbracht.
Anni lief direkt in ihr Zimmer und schmiss die Tür hinter sich zu. Sie wollte nur noch ihre Ruhe und verdauen, was ihr heute widerfahren war. Schlimm genug, dass die Ferien zu Ende waren, jetzt musste dieser Arsch sie auch noch hängen lassen. Sie schmiss sich auf das Bett und fluchte in ihr Kissen, als es plötzlich an ihrer Tür klopfte.
'Weg! Ich will niemanden sehen.'
'Ann-Kathrin?'
'Wer ist da?'
'Ich bin es, Sebastian. Ich habe dein Handy noch!'
'Oh!'
Sie sprang auf und öffnete die Tür.
'Danke, das habe ich ja ganz vergessen.'
'Deine Hefte liegen auch noch bei mir. Willst du heute noch abschreiben oder morgen?'
'Morgen haben wir kein Mathe stimmt´s?'
'Ich weiß nicht. Ich habe den Stundenplan nicht so genau im Kopf.'
'Ich komme nachher rüber. Gemacht ist gemacht und ich muss mich morgen nicht damit herum ärgern.'
'Ist gut.'
'Ich gehe nur schnell duschen, dann komme ich.'
Sebastian machte kehrt und ging zurück in sein Zimmer. Kurz überlegte er. Wie wollte sie denn so schnell die Hausaufgaben abschreiben? Schließlich war um halb neun Bettruhe angesagt. Und sie ging doch immer erst gegen acht duschen? Er zuckte mit den Schultern, um sich damit selbst die Antwort auf seine Fragen zu geben und setzte sich an seinen Schreibtisch. Eigentlich müsste er heute noch in sein Tagebuch eintragen und es war ja auch genug passiert, was er ihm hätte schildern können, doch Lust hatte er darauf eigentlich nicht und so ließ er es eben bleiben. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach halb acht.

'Ja! Und wenn er so einen Anfall kriegt, dann dreht er total am Sender. Zumindest, wenn man den Aussagen von Miss Dallan Glauben schenkt.'
Chris rollte auf Charly´s Bett herum und zappte durch das Fernsehprogramm. Es lief mal wieder nur Schrott und so schaltete er die Kiste schließlich aus.
'Ist ja interessant. Dann ist dieses kleine Heimwehkind also ein Freak ja?'
'So könnte man das auch nennen.'
'Na dann wollen wir doch mal sehen, wie er sich hier macht, wenn die ganze Schule davon weiß.'
'Was willst du denn machen? Kannst ja schlecht überall Plakate aufhängen.'
'Das nicht, aber Handzettel tun ihren Dienst auch. Vielleicht fällt mir ja bis morgen noch etwas Besseres ein.'
'Und wenn du dabei erwischt wirst, dann fliegst du! Ich sag dir eins. Halt mich aus der Sache raus, klar? Ich hab damit nichts zu tun.'
'Ja, ja. So lange du mir Informationen lieferst, werde ich darüber hinweg sehen.'
'Wäre besser. Noch ein Anruf bei meinen Eltern und die springen im Dreieck. Drei Monate lang haben sie mir kein Taschengeld gegeben, weil ich Treckerfresse ein Bein gestellt habe.'Beide begannen zu grinsen und Chris fuhr fort.
'Kann ja keiner ahnen, dass dieses Trampel gleich auf die Fresse fliegt und ihre Zahnspange kaputt geht.'
'Naja, bei diesem riesen Ding wundert mich das nicht.'
'Alter, hast du dir die mal angesehen?'
'Was? Die Zahnspange?' fragend blickte Charly zu Chris.
'Nein, man. Treckerfresse. Die hat über die Sommerferien richtig dicke Hupen gekriegt!''Ist mir nicht aufgefallen.'
'Aber was für Teile!'
'Bist du scharf auf sie?'
'Was?! Bist du verrückt? Die würde ich nicht mal vögeln, wenn sie eine Tüte auf dem Kopf hätte!'
'Dann hör auf, von ihrem Vorbau zu schwärmen.'
'Naja, man könnte ja in seiner Phantasie das Gesicht löschen und stattdessen Anni´s einsetzen.'
Charly sprang auf und packte ihn am Kragen.
'Hüte deine Zunge oder ich schmeiße dich zum Fenster raus!'
'Ja man. Beruhig dich. War doch nur ein Scherz.'
'Und warum lachst du dann nicht?'
'Ach vergiss es.'
Entrüstet stand Chris auf und verließ mit einer knallenden Tür das Zimmer.

Unruhig blickte Sebastian auf die Uhr. Es war schon kurz nach acht und eigentlich müsste er jetzt mal duschen gehen, sonst wäre das Wasser kalt. Aber Anni war immer noch nicht da und noch so eine peinliche Situation im Bad wollte er nicht erleben. Trotz der Selbstzweifel zog er sich langsam aus und ging ins Bad. Wohlwollend hatte er seine Zimmertür nicht abgeschlossen, damit Anni nicht dachte, er hätte sie vergessen. Als er dann unter der Dusche stand, klopfte es an der Tür. Da Anni keine Antwort erhielt, öffnete sie sie leise und trat ein. Aus dem Bad vernahm sie das plätschernde Geräusch und ahnte, wo Sebastian gerade war. Mit ihrem Handtuchturban auf dem Kopf und ihrem Bademantel, den sie nach dem Duschen immer trug, setzte sie sich an den Schreibtisch und begann alles abzuschreiben. Sebastian sollte Recht behalten, als er ihr sagte, dass es nicht viel war. Schnell war alles fertig und zufrieden schlug sie die Hefte zu. Das Wassergeplätscher hatte seit geraumer Zeit aufgehört und doch kam er nicht aus dem Bad. Langsam lief sie zur Tür und klopfte leise an.'Basti? Ist alles in Ordnung?'
'Kannst ruhig rein kommen. Bin angezogen.'
Sie öffnete die Tür und trat ein. Ein Schwall von Nebel kam ihr entgegen und sie wedelte mit den Händen, damit sich dieser schneller verzog. Sebastian stand vor dem Spiegel und rasierte sich gerade. Interessiert blickte Anni ihn an.
'Seit wann rasierst du dich?'
'Seit drei Jahren oder so. Wieso?'
Die Rasierklinge, die er benutzte strich glatt durch sein Gesicht und er wusch den Schaum unter dem Wasserhahn ab.
'Sind solche Dinger hier überhaupt erlaubt?'
'So lange niemand weiß, dass ich es hier habe, schon.'
'Du bist witzig. Warum benutzt du nicht diese Dinger aus dem Supermarkt? In der Werbung zeigen die neuerdings welche, die vibrieren.'
'Ich weiß nicht. Damit kann ich es eben besser. Außerdem will ich mich rasieren und das in Ruhe, ohne einen Gesichtsorgasmus.'
Anni lachte kurz auf und starrte gespannt zu ihm, wie er mit dieser riesigen Klinge hantierte.'Wer hat dir denn beigebracht, dich so zu rasieren?'
'Mein Vater. Er hat sich auch mit dieser Klinge rasiert.'
'Und jetzt lässt er sich einen Vollbart wachsen?' schmunzelte sie ihm entgegen. Plötzlich ließ er das Messer auf den Rand des Waschbeckens sinken und blickte in den Spiegel.
'Er ist tot. Vor zwei Jahren an Krebs gestorben.'
'Oh! Das tut mir Leid, ich wusste ja nicht...'
'Schon gut. Nicht so schlimm.'
Wieder führte er die Klinge zu seinem Gesicht und musste sich anstrengen, dass er nicht zu doll zitterte. Noch zwei mal ließ er das Messer durch sein Gesicht gleiten und wusch sich dann den restlichen Schaum ab.
'Ich bin übrigens schon fertig mit abschreiben.' stellte Anni fest, als sie beide das Bad verließen.
'Dann willst du jetzt wieder in dein Zimmer?'
'Nein, wir haben ja noch ein bisschen Zeit. Wollen wir uns noch ein Eis holen?'
'Geht das denn?'
'Klar! Warte hier, ich düse mal schnell los.'
Sprachs, knallte die Tür zu und war verschwunden. Kurz schüttelte er den Kopf und begann ihre Schulhefte zu ordnen. Was für ein Chaos aber auch! Wer weiß, wie es in ihrem Zimmer aussah! Höchstwahrscheinlich hingen ihre Socken an den Deckenflutern und ihre Unterwäsche war auf dem Boden verstreut. Plötzlich zeichnete sich bei dem Gedanken daran, dass sie ihre Unterwäsche überall liegen ließ, eine deutliche Beule in seinem Bademantel ab. Entsetzt blickte er an sich herunter. Jetzt schnell an etwas anderes denken oder sie wäre wieder sauer auf ihn. Mathe, Führerschein, Durchfall! Irgendetwas! Von weitem hörte er schon, wie Anni auf das Zimmer zu gelaufen kam und Panik packte ihn.







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