Black Tiger Teil 8

Autor: Any
veröffentlicht am: 03.02.2008




Er konnte sie nicht finden.
`Selber Schuld, Raven… selber Schuld.´, dachte er verzweifelt. Jessie konnte doch noch nicht so weit gekommen sein. Auch, wenn sie für ihre Größe ziemlich flink war, Raven war einfach besser trainiert. Ah! Da vorne ist sie.

Jessie wischte sich die Tränen weg. 'Siehst du! Ich weine gar nicht!', sagte sie trotzig. Silver beäugte sie misstrauisch. 'Was ist mit dir los? Warum lasst du dich von ihm so fertig machen? Sonst bist du doch auch nicht so, aber immer wenn er bei dir ist, wirst du total sentimental!'
'So bin ich eben, ein Problem damit?'
'Nein!', abwehrend schüttelte Silver den Kopf. 'Es wundert mich nur.'
'Kann dir doch egal sein!', sie schrie den Vogel fast an.
'Was kann mir egal sein?', sie erschrak, als sie Ravens Stimme hinter ihr hörte.
'Alles!', zischte sie ihm wütend entgegen und wieder trat ein neuer Schwall Tränen aus ihren Augen hinaus.
'Mir ist aber nicht alles egal! Mir ist auch einiges sehr wichtig!'
'Und das wäre?'
'Zum Beispiel die Rettung der Welt!'
'Ach ja! Diese alberne Prophezeiung, von wegen ich wäre die `Tochterschlange´ und wäre die letzte Rettung! Was für ein Bullshit! Und ihr scheint das alle noch zu glauben! Ich bin 15! 15!!! Und ihr verlangt von mir, dass ich alleine im Dschungel mit meinem `Dunklen Bruder´ zwei schwarze Tiger, die vielleicht nicht mal existieren, suchen soll?! Ihr spinnt ja alle! Ich habe keine Lust mehr! Bringt mich sofort nach Hause!', Jessie hatte das alles gebrüllt, so laut, dass Silver vor Schreck fast von ihrer Schulter gefallen wäre. Jetzt war es schon fast ein Strom von Tränen, der unablässig ihre Wangen herunterfloss. Raven sagte nichts, sondern starrte sie nur an. Sie konnte nicht mehr zurück, dass wusste sie genauso gut wie er, und doch hatte er plötzlich das Gefühl, ihr helfen zu müssen. Sie zu beschützen.
Jessie fiel auf die Knie, vergrub ihr Gesicht in die Hände und schluchzte laut auf. Wie konnte er sie nur immer so verletzen? Jetzt, wo er sie so sah, taten ihm all die Dinge, die er ihr angetan hatte, leid. Langsam kam er auf sie zu und hockte sich neben sie. Er streckte einen Arm in Jessicas Richtung und berührte sie sanft an der Schulter. Sie schlug seinen Arm weg, aber sie war in dem Moment so schwach, das es mehr wie ein Streicheln wirkte, als ein Schlag. Nun schloss er sie ganz in die Arme. Sie wehrte sich nicht. Jessie legte ihre Arme um seinen Hals und ließ sich von ihm hochheben. Silver war inzwischen von ihrer Schulter geflogen und kreiste nun mit einem argwöhnischen Blick über den Beiden umher. Langsam trug Raven Jessie zurück. Sie zitterte am ganzen Körper.
Eine Weile trug er sie, an sich gedrückt, bis sie sich langsam wieder beruhigt hatte.
'Lass mich runter…', murmelte sie in seine Schulter.
'Wie bitte?', er hatte sie nicht verstanden.
'Ich möchte, dass du mich runter lässt…', wiederholte sie lauter, aber dadurch bemerkte Raven auch das Zittern ihrer Stimme.
'Hmmm… Nein.'
'Was heißt `Nein´?', sie blickte ihm mit ihren grünen Augen direkt in seine Schwarzen.'Nein heißt Nein.'
'Lass mich jetzt sofort runter!', sie wurde lauter.
'Nein.' Sie begann zu zappeln, doch er hielt sie mit einem eisernen Griff fest. 'Lass mich jetzt los!', kreischte sie so laut sie konnte. 'Hilfe! Er begrapscht mich!'
'Jetzt sei doch nicht so stur! Du kannst sowieso nicht auf deinen eigenen Beinen stehen und so kannst du mir auch nicht wieder weglaufen…' Empört blickte sie ihn an. 'Ich kann sehr wohl auf meinen eigenen Beinen stehen! Also lass - mich - runter!' Kurz lockerte Raven seine Umarmung und sie rutschte ein kleines Stück nach unten. Entsetzt kreischte sie auf und klammerte sich noch fester an ihn. Er lachte: 'Siehst du?'
'Was heißt da `Siehst du?´? Du kannst mich doch nicht einfach fallen lassen!'
'Aber du wolltest doch, dass ich dich los lasse.'
'Ja - Aber du solltest mich einfach hinunter und nicht fallen lassen! Bei deiner Größe hätte ich mich ernsthaft verletzen können!' Raven schmunzelte, aber es stimmte, er war wirklich groß. 1,89 um genau zu sein und sie war, wenn er das so schätzte, gerade mal 1,68. 'Ach was, glaubst du wirklich ich hätte dich auf den harten Steinboden fallen lassen?'
'Kann ich mir schon gut vorstellen, so würdest du mich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich verletzen! Das gefällt dir doch so, hab ich recht?'
'Was gefällt mir?' Er wusste die Antwort, aber er wollte sie nicht hören. 'Mich zu verletzen!' Die Worte hallten in seinem Kopf wieder. Er konnte es nicht einmal leugnen. Er hatte sie bis jetzt immer absichtlich verletzt. Sie hatte Recht. Jessicas Blick wurde plötzlich traurig. 'Das machen eh alle mit mir. Ich bin der Fußabtreter, aber Hey, bin ja nur ich, stört ja keinen…' Entsetzt blickte er sie an. So dachte sie über sich? Was hatte man nur mit diesem Mädchen gemacht? Als er sie das erste Mal gesehen hatte, war sie so voller Lebensfreude gewesen! Und jetzt? Sie war ein wandelnder Schatten, der versuchte, möglichst von niemandem gesehen zu werden. Aber das erste Treffen mit ihr war schon Jahre her. Sie konnte sich wahrscheinlich nicht einmal mehr an ihn erinnern.
'Weißt du, Martin, mein Exfreund hat mich zum ersten Mal, seit dem Verschwinden meines Vaters wieder ein wenig glücklich gemacht… Und weißt du, was er dann gemacht hat? Er hat mich fallen gelassen. Plötzlich war ich nur noch eine `Billige Schlampe´ für ihn… Alle haben mich gehasst danach… Ich war schon immer alleine und werde es auch bleiben… Ich hasse mein Leben! Und jetzt, wo meine Mutter sich sowieso nicht mehr an mich erinnert, gibt es für mich sowieso keinen Grund mehr zu leben.', Raven sah Jessica geschockt an. 'So was darfst du nicht sagen! Nur weil dieser Martin dich fallen gelassen hat, hast du dir dein Leben von ihm zerstören lassen?'
'Mein Leben war schon vorher kaputt! Er hat es mir nur noch einmal deutlich gemacht: Ich bin nichts wert! Am liebsten würde ich ster-…' Er verschloss ihre Lippen mit den seinen, bevor sie weiterreden konnte. Er wollte es nicht hören! Geschockt rasten ihre Blicke durch sein Gesicht, das ihrem so nahe war. Seine Lippen waren weich und angenehm. Sie schloss die Augen.

Eigentlich sollte es nur ein kurzer Kuss sein. Er hatte nichts zu bedeuten! Aber sie schmeckte so gut. Langsam ließ er seine Zunge über ihre Lippen gleiten. Sie öffnete leicht ihren Mund und Raven schob seine Zunge in den ihren.
Verdammt! Was tat er da? Er durfte ihr nicht so nahe kommen! Sie mochte ihn nicht mal! Sanft zog er sich zurück und ließ Jessie auf den Boden gleiten. Sie blickte ihn verwirrt an.'Ich-… Es tut mir Leid… Das wollte ich nicht…', stammelte er leise vor sich hin. Jessica verstand die Welt nicht mehr. Warum hatte er sie geküsst? Und die viel wichtigere Frage: Warum hatte sie ihn gewähren lassen? Es hatte ihr gefallen! Sehr gut sogar! Was war nur mit ihr los? Sonst war sie doch auch nicht so. 'Geht… Geht schon in Ordnung…', flüsterte sie ebenso leise zurück. Raven blickte sich um. Er hoffte, dass niemand sie gesehen hatte, dass würde schwere Folgen haben. Jessie merkte wie er zusehends nervöser wurde. Was hatte er nur zu verbergen?
'Wir sollten jetzt gehen.', er packte sie am Handgelenk und zog sie unsanft mit sich. Wie konnte ein so taktloser Mensch nur so gut küssen? Es war ihr ein Rätsel. Vor allem: Wie würde es jetzt weitergehen?
Den Rest des Weges redeten sie kein Wort mehr miteinander.
Er setzte sie vor ihrem Zimmer ab, machte kehrt und lief im Eiltempo zurück.
Als er außer Sichtweite war öffnete Jessie die Zimmertür und trat ein. Silver hatte sich wieder auf ihre Schulter gesetzt.
Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und starrte eine Weile vor sich hin.
'Ihr habt euch geküsst.', stellte Silver nach einer Weile fest. Er war genauso überrascht, wie Jessica gewesen, als Raven ihr plötzlich seine Lippen auf ihre drückte.
'Nein! Er hat mich geküsst!', widersprach sie dem Vogel, aber starrte weiterhin ins Leere.'Aber du hast ihn zurückgeküsst!'
'Stimmt doch gar nicht!'
'Sehr wohl! Ich hab´s genau gesehen! Ich dachte, dass du ihn nicht magst!'
'Tu ich auch nicht!'
'Warum küsst du ihn dann?'
'Er hat mich geküsst!'
'Ihr habt euch beide geküsst!'
'… Aber er hat mich zuerst-…', sie stockte als sie ein Klopfen an ihrer Tür vernahm. 'Herein?'
Die Tür öffnete sich und River trat ein. 'Ah! Gott sei Dank bist du wieder da! Ich habe mir schon Sorgen gemacht! Wo warst du?'
'Ich habe die Küche gesucht.', plötzlich grummelte ihr Magen wieder, durch die ganze Aufregung hatte sie ganz vergessen, was sie eigentlich gesucht hatte.
'Hat dir noch niemand gesagt, wo sie ist?', Jessie schüttelte den Kopf. 'Warte, du musst ja ziemlich hungrig sein, ich hol dir schnell was.', er rannte wieder zu Tür hinaus und kam kurze Zeit später mit zwei belegten Broten und ein paar Käfern für Silver zurück. Jessica und der kleine Vogel verschlangen ihr Frühstück gierig.
'Danke!', sagte Jessie, nachdem sie den letzten Krümel von ihrem Teller gegessen hatte. River schmunzelte. 'Eins wundert mich aber: Wieso hast du die Küche nicht gefunden? Sie ist nur vier Türen weiter Richtung Halle.'
'Ich bin in die andere Richtung gegangen und irgendwann hab ich mich eben verlaufen.''Wie bist du eigentlich zurückgekommen?'
'…Raven hat mich gefunden und hierher gebracht…'
'Raven? Mein Bruder? Aber woher wusste er-…?'
'Das war reiner Zufall! Er hat mir gesagt, dass er in der Gegend, in der er mich gefunden hatte, etwas zu erledigen hätte, mehr nicht. Dann hat er mich hierher gebracht.''Mehr nicht?' Jessie schüttelte den Kopf.
'Und er hat die auch nichts erzählt? Also ich meine wegen dem Geheimbund Viper und irgendetwas von unserer Vergangenheit?', hakte River nach. Wieder schüttelte sie den Kopf und bemerkte, wie er erleichtert aufatmete. Gerne hätte sie ihn gefragt, ob das mit seiner Mutter stimmte, aber sie hatte Raven versprochen, es nicht zu tun.
'Na gut… Hast du noch Lust nach draußen zu gehen?', fragte River und sah sie
erwartungsvoll an.
'Aber klar doch!'
'Na dann, komm!', sie hakte sich bei seinem breit gehaltenen Arm ein und gemeinsam traten sie wieder in den Gang. Er zog Jessie weiter Richtung Halle, aber kurze Zeit später bog er nach rechts ein.
Es dauerte eine ganze Weile bis sie endlich vor einem großen Tor stehen blieben.
'Wenn ich jetzt durch dieses Tor trete, was werde ich sehen?' Jessie war nervös. Sehr sogar.'Lass dich überraschen.', antwortete River geheimnisvoll. Er trat näher an den gewaltigen Griff der Tür heran, aber er legte seine Hand nicht auf ihn, sondern beugte sich ein wenig vor und schaute durch ein kleines Loch in der Türklinge. Ein heller Lichtstrahl fiel auf sein Auge und tastete es ab.
'Was ist das?', wollte Jessie wissen.
'Eine kleine Sicherheitsmaßnahme… Es überprüft deine Identität. So, jetzt du.'
'Was muss ich machen?'
'Schau einfach durch das kleine Loch hier.'
Zaghaft beugte Jessica sich vor und starrte durch die kleine Öffnung. Wie bei River zuvor, fuhr auch ihr ein Lichtstrahl durchs Auge.
Eine metallene Stimme ertönte: '`River´, bestätigt. `Tochterschlange´, bestätigt. Tor kann freigegeben werden.'
Ein leises Klicken ertönte und das Tor öffnete sich langsam. Aber dahinter lag nicht das, was Jessie erwartet hätte.
Es war nur ein kleiner Raum an dessen anderen Ende eine Art Lifttür war. Enttäuscht blickte sie zu River. 'Wir sind ja noch gar nicht draußen…'
'Nein, aber gleich.' Er nahm sie bei der Hand und führte sie langsam Richtung Lifttür. Als sie vor ihr standen, kam die ganze Prozedur mit der Identitätsüberprüfung noch einmal. Diesmal musste man seine Hand aber auf eine Hell leuchtende Fläche legen. Jessica fragte sich, woher der Geheimbund all ihre Daten hatte, aber wer wusste, was die noch so alles von ihr wussten. Wahrscheinlich wusste hier fast jeder mehr über sie, als sie selbst.
Die Tür öffnete sich und dahinter kam ein Glaslift zum Vorschein. Die Beiden traten ein. Langsam setzte der Lift sich in Bewegung.
Er wurde immer schneller. Gespannt sah Jessie durch das Glas hinauf. Sie erkannte einen immer größer werdenden Lichtring. Mit der Zeit erkannte sie, dass dort oben eine Steindecke war. Und je näher sie kamen, desto nervöser wurde sie. River starrte indessen gelangweilt auf seine Füße.
'Jessie! Wir werden gegen die Decke knallen!', krächzte Silver entsetzt auf. Mit angsterfüllten Augen blickte er sie an.
'River! Das ist eine Decke! Wir werden dagegen knallen!'
'Warts einfach ab…' Entsetzt starrte sie ihn an und dann wieder nach oben. Sie schloss ihre Augen und erwartete den Zusammenstoß, als plötzlich grelles Licht durch ihre geschlossenen Augenlider wahrnehmbar war. Zaghaft öffnete sie ein Auge.
Sie stand mitten im Dschungel! Es waren die selben Pflanzen wie in der Halle, aber die Bäume standen viel dichter zueinander und sie brauchte eine Weile, bis sie alles klar erkennen konnte, da das Licht sie blendete. Es musste dort unten dunkler gewesen sein, als sie gedacht hatte. Sie merkte, dass Silver unruhig auf ihrer Schulter herumtänzelte. Er war sichtlich nervös. Als sie endlich ein wenig mehr erkennen konnte, klappte ihr vor Staunen der Mund auf. Es war so schön hier draußen! Ein wohliges Gefühl machte sich in ihr breit. Ein Gefühl des zu Hause seins und ein endgültiges Erwachen aus einem langen Schlaf.
River beobachtete freudig Jessicas Reaktion. Ihre Augen hatten zu leuchten begonnen und ihre sonstige Blässe um die Nase herum verschwand mit einem Schlag. Sie hatten es geschafft! Die Tochterschlange war nun endlich aus ihrem langen Schlaf erwacht und war bereit sich ihrer Aufgabe zu stellen.
'Gefällt es dir?', fragte River nach einer Weile.
Mit glitzernden Augen sah Jessie zu ihm. 'Es ist wunderschön! Ich fühle mich so, als wäre ich endlich zu Hause! Als wäre ich endlich lebendig… Aus einem langen Schlaf erwacht.', erklärte sie ihr Empfinden.
'Das freut mich. Ich werde dir jetzt etwas die Gegend zeigen! Komm raus!', er hatte die Lifttür geöffnet und war einen Schritt hinaus getreten. Auffordernd streckte er ihr seine Hand entgegen, in die sie ihre legte. Als Jessie aus dem Lift gestiegen war, sah sie noch einmal zurück. Der Lift verschwand wieder unter der Erde und ein Fels schob sich wie von Geisterhand bewegt wieder darüber.
'Wie kommen wir wieder zurück?'
'Darum kümmern wir uns später, jetzt schau dich erst mal ein wenig um, ja?'
'OK.' Sie stapfte los. Silver war von ihrer Schulter gesprungen und flog jetzt neben ihnen her. 'Jessica! Unser Gespräch von vorhin ist noch nicht beendet!', mahnte der Vogel sie plötzlich. 'Ja… Schon klar, aber nicht jetzt. River ist da.'
Als sein Name genannt wurde drehte er seinen Kopf zu ihr. 'Was ist mit mir?'
'Nicht wichtig… Silver wollte mit mir nur über etwas reden, aber das kann ich nicht vor dir besprechen.', sie zwinkerte ihm zu, während er sie argwöhnisch musterte. 'Warum kannst du das nicht vor mir besprechen?'
'Weil du ein männliches Wesen bist, das das nichts angeht.'
'Aber er ist auch männlich!', er deutete auf Silver.
'Ja, aber kein Mensch.'
'Wie unfair!'
Jessie lächelte River entschuldigend an und schaute sich wieder die Landschaft an. Silver hatte recht gehabt. Es war laut hier draußen. Überall hörte sie Stimmen, und Flüstern. River hörte wahrscheinlich nur Tierlaute, aber im Gegensatz zu ihr, konnte er wahrscheinlich genau bestimmen, was für Tierstimmen es waren.
'Es ist sehr laut hier…', stellte sie nach einer Weile trocken fest, nur um irgendwas zu River zu sagen und von den anderen Tierstimmen abgelenkt zu sein.
'Hab ich dir doch gesagt! Also lass uns wieder rein gehen! Du hast eh schon alles gesehen.', sagte Silver hoffnungsvoll. Er wurde immer nervöser und schien Panik zu bekommen. 'Flieg einfach wieder in die Halle!'
'Und wie?'
'Na so, wie du auch das erste Mal hineingekommen bist.'
'Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich das gemacht habe!
'… Dann musst du wohl warten… Ich beeil mich auch, ja?'
'Aber wirklich beeilen!'
'Worum geht es?', wollte River wissen. Jessie machte eine wegwerfende Handbewegung. 'Nicht weiter wichtig. Er möchte nur, dass ich mich beeil, weil er wieder hinein will.''Will er denn nicht in der freien Natur sein? Er könnte seine Freunde besuchen, seine Familie.'
'Er möchte nicht.', Jessie wusste, dass sie niemandem erzählen sollte, was wirklich Silvers Beweggründe waren, wieder in das Hauptquartier zurück zu gehen. Er war quasi in der Hölle des Löwen. Aber wie würde es dann sein, wenn sie zu ihrer Mission aufbrechen würde?'Wieso denn?'
'Nicht wichtig… Bis wohin kann ich mich den ungefähr bewegen, ohne dass ich in Gefahr bin?'
'Also eigentlich solltest du bei dir zu Hause sein, aber auch da ist die Gefahr groß. Es spielt also nicht wirklich eine Rolle, du solltest dich nur so weit weg bewegen, dass du den Rückweg findest.'
'OK… Ich halte mich dran… Nur das ich so was von keinen Orientierungssinn habe.' Jessie lächelte ihn an und auch er grinste ein wenig.
'Was haben du und Raven eigentlich geredet?'
'…Nichts Interessantes…', sie wich seinem Blick aus. Irgendwie konnte sie bei ihm nicht so leicht lügen, wie sie es sonst bei anderen konnte.
'Und du bist dir ganz sicher?'
'Ja… Oh sieh mal! Ein Affe!' Sie zeigte in die Richtung des Tieres und River folgte ihr mit seinem Blick und starrte interessiert das Tier in dem Baumwipfele an. Der Affe kam ihr gerade recht. Sie wollte möglichst schnell vom Thema ablenken. 'Was ist das für ein Affe?''Du meinst, wie er heißt?'
'Ja.'
'Ich heiße Chipsy.', ertönte eine grelle Stimme von oben. 'Und ich bin kein `er´ sondern eine `sie´!'
'Oh, das tut mir Leid.', antwortete Jessie entschuldigend.
'Was tut dir Leid?', fragte River mit einem verwirrten Blick.
'Ach nichts… Ich rede mit dem Affen! Sie heißt Chipsy.'
'Nett.'
'Ja…'
'Das ist ein Cebuella pygmaea.'
'Bitte auf Deutsch.'
'Ein Zwergseidenäffchen.'
'Wie niedlich!'
'Ich bin nicht niedlich!', kam es empört von oben herunter. 'Und ein Zwerg bin ich schon gar nicht!'
'Doch!', rief Jessica belustigt hinauf.
'Püh…', demonstrativ drehte sich der kleine Affe weg, aber kurze Zeit später drehte er sich wieder um und kam langsam den Baum hinuntergeklettert, bis er auf einem Ast über Jessies und Rivers Köpfen saß.
'Wieso verstehst du mich eigentlich?'
'Ich habe da so eine Gabe…'
Chipsy legte den Kopf schief und sah sie mit ihren großen Runden Augen, die braun waren an. Ihr langer braun-schwarz gestreifter Schwanz peitschte unruhig hin und her. Eine Weile starrte das Tier River und sie an, wandte sich dann wieder ab und verschwand in den Baumkronen.
'Weißt du, wie sehr ich dich um deine Gabe beneide?', fragte River nach einer Weile.'Nein…'
'Ich habe mir schon immer gewünscht mit Tieren sprechen zu können, sie verstehen zu können, aber ich wusste, dass das nicht geht und dann kam Griffin und holte mich ab. Er hat mir eine völlig neue Welt gezeigt und gibt mir eine Chance, meinen Traum zu erfüllen! Vielleicht können ja nicht nur du und dein dunkler Bruder die Sprache der Tiere verstehen! Vielleicht kann ich es auch lernen, nach einer Weile!? Ich könnte damit so vieles verändern! Ihnen helfen!', seine Augen begannen bei diesen Worten zu leuchten.
'Denkst du wirklich, dass du so viel verändern könntest? Wer denkst du wird dir glauben? Du kannst nicht einfach zu einem Menschen gehen und sagen: Hey du! Ich kann mit Tieren reden und wenn du ihren Lebensraum zerstörst sind die nicht gerade erfreut darüber.'
'Du hast ja Recht, aber ich möchte doch so gerne helfen!'
'Ich verstehe dich ja, aber wärst du dann nicht sehr enttäuscht, wenn es nicht so klappt, wie du es gerne hättest?'
'Ich denke nicht daran! Mein Motto ist immer: Nie die Hoffnung aufgeben. Also solange ich die Hoffnung nicht verliere stehen mir alle Möglichkeiten offen.', er sagte das mit so einer Selbstverständlichkeit, dass Jessie erschauderte. Sie verstand ihn einfach nicht, aber genau deswegen mochte sie ihn so. Weil er sein eigenes Leben lebte und sich nichts von anderen einreden ließ.
'Werden du und Raven eigentlich mit mir und meinem dunklen Bruder mitreisen?', wollte sie wissen.
'Nein… Ihr müsst das ganz alleine schaffen. Raven und ich werden euch immer wieder zu Hilfe kommen, falls ihr welche benötigt, aber den Rest müsst ihr alleine schaffen.'
'Wie lang wird das Training dauern?'
'Das kommt drauf an, wie lernfähig ihr seid.'
'Ihr habt meinen Bruder ja schon ein paar Tage vor mir gefunden, oder?'
'Ja.'
'Hast du schon angefangen mit ihm zu trainieren?'
'Ja.'
'Das ist ja unfair! Dann kann er nachher alles viel besser als ich, weil er länger Unterricht hatte.'
'Ach was! Ich bin überzeugt davon, dass du die paar Tage Vorsprung die er hat, bald aufgeholt hast.'
'Bist du dir sicher?'
'Ziemlich sicher sogar.', sanft lächelte er sie an.
'Aber wie kannst du dir so sicher sein, wenn ich es selbst nicht mal so genau weiß?''Weil das Mädchen, dass ich bis jetzt kennen gelernt habe, eine unglaubliche Stärke besitzt und einfach etwas ganz Besonderes ist!' Das hatte er lieb gesagt! Sie schlang ihre Arme um ihn und drückte ihn an sich. 'Danke…', flüsterte sie ihm ins Ohr.
Eine Weile standen Jessica und River so da, bis sie die Umarmung wieder lösten. 'Ich muss jetzt mit deinem dunklen Bruder trainieren gehen… Tut mir Leid, Jessie.'
'Ach… Schon OK! Ich möchte nur endlich wissen, wer er ist!?' Bedauernd sah River sie an. 'Das erfährst du noch! Aber jetzt ist es zu früh! Du weißt gar nicht, was für Folgen es haben würde, wenn einer von euch beiden, die Identität des anderen, vor der gegebenen Zeit, herausfindet.'
'Wieso? Was würde denn passieren'
'Kann ich dir leider nicht sagen… Nicht jetzt.'
'Also wisst ihr was?! Diese ganze Heimlichtuerei nervt mich langsam schon wirklich! Echt schwer Vertrauen zu euch zu finden!'
'Vertraust du mir etwa nicht?'
'Nein… Ich kenne dich zu wenig.'
'Aber ein bisschen kannst du mir doch schon vertrauen, oder?', er setzte einen Hundeblick auf.
'Ja… so wenig!', sie deutete mit ihren Fingern die Größe an. River musste schmunzeln. 'So wenig nur? Tzzz… Jetzt bin ich beleidigt.', theatralisch machte er einen Schmollmund. 'Ach komm… So war das doch nicht gemeint! Wenn du jetzt schmollst, muss ich dich leider kitzeln.', frech blickte sie River in die dunkelblauen Augen. 'Das wagst du nicht!''Wetten doch?', und schon begann sie wie wild ihn zu pieksen und zu kitzeln. Er versuchte sein Lachen zurückzuhalten, aber irgendwann konnte er nicht mehr und prustete drauf los. 'Gnade, Gnade!!!', flehte er und nach einer Weile zeigte Jessie Erbarmen und ließ von ihm ab. 'Du bist fies!', sagte er keuchend.
'Mein zweiter Vorname ist `Fies´! Also liegt es nicht an mir, dass ich so bin wie ich bin!''So? An wen dann?'
'An meinen Eltern! Die haben mich immer so genannt.'
'Ha ha…', sagte River trocken.
'Das ist kein Scherz! Es ist war! Früher habe sie mich immer `fiese´ Kleine genannt!''Nicht dein Ernst, oder?'
'Doch!'
'Jetzt mal ehrlich! Wie heißt du mit vollem Namen?'
'… Wenn ich dir meinen sage, sagst du mir dann auch deinen?'
'Nein.'
'Dann sag ich dir meinen auch nicht.'
'Aber-…'
'Nein!'
'Bit-…'
'Nein!'
'Ich will-…'
'Nein!'
Geschlagen grummelte River irgendwas vor sich hin.
'Warum willst du mir deinen echten Namen eigentlich nicht sagen?'
'Weil ich das nicht darf.'
'Was meinst du mit `Weil ich das nicht darf´? Ist das nicht deine Entscheidung, wem du deinem Namen sagst und wem nicht?'
'Nein.'
'Warum?'
'Weil es so ist…'
'Keine zufriedenstellende Antwort.'
'Hab ich mir gedacht…'
Jessica war so neugierig, wie River wirklich hieß. Bei River gab es nicht mal einen Namen, denn man damit verbinden hätte können! OK… Bei Raven auch nicht… Raven! Er hatte sie geküsst! Wieso? Und wieso hatte es ihr gefallen?
River sah, dass sie über etwas nachdachte. 'Woran denkst du?'
'Nicht wichtig…' Jessie blickte ihm direkt in die Augen und sah, dass er sie verträumt anschaute. 'Was ist?'
'Nichts…'
'An was hast du gerade gedacht?'
'Daran, dass du ein wundervolles Mädchen bist und das ich, obwohl ich dich erst so kurz kenne, nicht will, dass dir irgendwas passiert!' Geschockt sah sie ihn an. Wie konnte er das sagen? Dachte er wirklich so über sie?
'Was… Was meinst du damit? Also… Meinst du das wirklich ehrlich?', unsicher sah sie ihm in die Augen.
'Ja.' Auf einmal fühlte sie sich glücklich! So etwas hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und er erwiderte das ihre.
'Warum kümmerst du dich so um mich?'
'Du bist mir eben ans Herz gewachsen.'
'Danke.', verwirrt blickte er sie an. 'Was meinst du mit `Danke´?'
'Na ja… Du bist der erste, der sich wirklich um mich kümmert, bei dem ich mich glücklich fühle… Seit Martin.', fügte sie leise hinzu. Sie spürte, dass ihr Tränen hochkamen. Er verfolgte sie! Jeden glücklichen Moment musste er zerstören. Warum konnte sie ihn nicht einfach vergessen?
Jessie hatte gelernt ihre Trauer zu unterdrücken, aber seit sie hier war hatte sie sich verändert. Sie war nicht mehr so verschlossen gegenüber anderen. Das Lebensgefühl war wieder da.'Ich muss fragen: Was hat dir dieser Martin angetan?', River war näher gekommen und hatte einen Arm um sie gelegt. Sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte, dass er nicht über sie lachen würde. Er würde Verständnis zeigen und sie trösten. Er würde für sie da sein!Das alles wurde ihr in diesem Moment bewusst und zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie volles Vertrauen zu jemandem. Es war ein Segen. Ein Segen für sie und ihre Seele.'Er war meine erste große Liebe… Eigentlich habe ich in seinen Augen gesehen, dass er böse ist, aber er war so lieb zu mir. Ich war mit ihm zusammen, fast ein halbes Jahr, aber plötzlich… hat er begonnen mich zu schimpfen, ich sei eine dreckige kleine Schlangen-…bitch…' Sie schniefte kurz auf. 'Er hat gesagt, ich sei hässlich und das keiner mich mochte. Ich habe mich immer mehr in mich zurückgezogen und verlor meine ganzen Freunde. Irgendwann standen alle auf seiner Seite und niemand scherte sich noch um mich… Weiß du? Ich habe wirklich gedacht, dass er mich liebt, dass er derjenige wäre, der mich aus meiner Fassade hervorlocken könne! Dass ich endlich meinen Vater vergessen würde und glücklich sein könnte, aber ich habe mich geirrt…'
Jessica fühlte sich befreit. Befreit von einer schweren Last, die lange auf ihren Schultern lag. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf.
'Das hat er wirklich zu dir gesagt?' River hatte sie nun ganz in seine Arme geschlossen. 'Ja.', wieder schniefte sie laut auf. Er streichelte ihr sanft durchs Haar. Sie standen eine Weile so da. Mit der Zeit beruhigte Jessica sich wieder und befreite sich aus Rivers Umarmung. 'Danke…', murmelte sie.
'Du bedankst dich wohl immer, hm?', hörte sie plötzlich eine Stimme sagen, aber sie kam nicht von River.







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