Zusammen

Autor: Idril
veröffentlicht am: 16.10.2007




Sie sah ihn schon von weiten und das erste Mal in ihren Leben spürte sie so etwas wie Angst. Wirkliche, abgrundtiefe Panik. Die Panik davor, dass er es ernst meinte. Hinter sich spürte sie die Anwesenheit von denen, die ihr gefolgt waren. Ihr Atem ging rasch von den vielen Stufen, die sie im Laufschritt genommen hatte.
Er stand so nah am Rand. Den Blick geradeaus gerichtet stand er einfach nur da. Wusste er, dass sie da war?
'Tu es nicht!', bat sie, so leise, dass er es unmöglich hätte hören können. Er tat es trotzdem. Ihre Worte erreichten ihn und er zuckte zusammen. Dann wandte er den Blick um. Ihre Augen trafen sich.
'Tu es nicht!', wiederholte sie, diesmal lauter, flehender. Noch immer sagte er nichts, sah sie nur an. Sie trat auf ihn zu. Zwei Schritte in seine Richtung, dann blieb sie stehen, zögernd. Wie würde er reagieren?
'Warum nicht?', fragte er nun kalt. Für einen Augenblick meinte sie, einen Tränenschimmer in seinen Augen zu erblicken, doch dann schüttelte sie den Kopf. Er hatte noch nie geweint! Und schon gar nicht vor ihr…
Immer war er der Unberechenbare gewesen, der Mann, der sie beschützen konnte, der alles für sie getan hat…wirklich alles!
Wirklich alles…
Und deswegen stand er nun auch hier. Er hatte sie beschützt und hatte in seinen Zorn ein Menschenleben ausgelöscht. Für sie. Für sie hatte er getötet.
Sie wusste nicht, wie es herausgekommen war. Aber auf einmal hatten alle auf sie eingeredet, auf sie eingeschrieen, wollten sie von ihm wegholen. Und auch jetzt waren sie da.'Joanna…', hörte sie die Stimme von ihrem besten Freund hinter sich, flehend, bittend, voller Verzweiflung. Genauso wie sie sich jetzt fühlte. Sein Blick traf sie erneut und er wandte sich ab. Wieder starrte er geradeaus, bloß nicht nach unten. Und das zerriss etwas in ihr.Ohne auf die Rufe ihrer Freunde zu achten eilte sie zu ihm, stieg neben ihn auf den Sims. Fassungslos sah er sie an.
'Geh!', befahl er, doch sie rührte sich nicht.
'Weißt du noch, was wir uns einmal geschworen haben? Wir haben gesagt, wir bleiben für immer zusammen. Nichts wird uns auseinander bringen. Nicht mal der Tod!' Eine einsame Träne rann über ihre Wange, als sie seine Hand ergriff.
'Ich habe keine Angst. Nicht, wenn du an meiner Seite bist. Nicht, wenn wir zusammen sind.' Ihre Finger verschränkten sich mit seinen. Noch immer sahen sie sich an.'Eins…', begann er leise zu zählen und sie schloss die Augen.
'Zwei…', fuhr er fort und ein Schauder der Angst überfiel sie. Ihre Finger verkrampften sich um seine. Sanft lockerte er ihren Griff. Sie öffnete die Augen, sah in seine.
'Verzeih mir, Joanna…', flüsterte er. Und sprang. Doch sie blieb stehen.
Ein heiserer Schrei entfuhr ihrer Kehle, als jemand den Arm um ihre Hüfte schlang und sie vom Sims zog.
'Nein! NEIN!' Ihre Schreie wurden nur durch die Schluchzer erstickt, die ihren Körper durchfuhren. Sie schrie seinen Namen, wollte sich losreißen, aber eisern wurde sie festgehalten.
Sie wollte zu ihm. Er brauchte sie. Sie brauchte ihn!
Heftig wand sie sich in den Armen ihres besten Freundes, der ihren Kopf an seine Brust presste. Ihre Kräfte verebbten, sie gab den Widerstand auf, schluchzte nur noch hilflos in sich hinein. Alles um sie herum verlor seine Bedeutung. Ihre Welt existierte nicht mehr. Wie sollte sie auch? Sie hatte den Mann, den sie liebte, für immer verloren…

Regen prasselte auf sie herunter, als sie vor seinem Grab stand, eine einzelne Rose in der Hand. Vorsichtig fuhren ihre Finger über die Dornen, rissen ihre Haut auf, doch sie spürte den Schmerz nicht. Er hatte sie retten wollen. Doch hatte er nicht begriffen, dass sie nur mit ihm in Sicherheit war? Langsam hockte sie sich hin und legte die Rose auf das Grab.
'Wir hatten uns geschworen, zusammen zu bleiben. Hast du das denn vergessen?', flüsterte sie und ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
'Tja, wenn wir nun getrennt wurden, bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als uns wieder zusammen zu bringen…'

Einen Tag später stand es in der Zeitung: Ein junges Mädchen wurde tot mit aufgeschnittenen Pulsadern auf dem Friedhof aufgefunden. Nur wenige Tage vorher hatte sich ihr Freund in den Tot gestürzt, nachdem er einen Mann erstochen hatte, der sie belästigt hatte.

Sie waren wieder vereint. Zusammen bis in den Tod.
Du bist bei mir, ich bin bei dir…
Wir lassen uns nie wieder los!









© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz