Die ganz groβe Liebe

Autor: Marie
veröffentlicht am: 07.09.2006




Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie diesen Abend aussah. Sie trug ein weiβes Sommerkleid, welches ihre sommerliche Bräune betonte. Die honigblonde Lockenmähne hatte sie offen gelassen und fiel ihr nun über den nackten Rücken. Eine Strähne hing ihr frech ins Gesicht. Er wusste noch genau wie liebevoll sie ihn mit ihren grauen madelförmigen Augen angesehen hatte. Er sah ihr zartes Gesicht noch genau vor sich, die schönen geschwungenen roten Lippen und kleinen Sommersprossen auf ihrer Nase. Alex konnte sich an jedes Detail seiner einstigen Liebe erinnern, welche er jedoch durch einen groβen Fehler verloren hatte. Damals war er noch jung gewesen und in gewisser Hinsicht auch dumm. Er hatte ihr genau das angetan, was er geschworen hatte nie zu tun. Treue war ihr heilig. Nach zwei Jahren Beziehung, beide waren erst zwanzig geworden, hatte er das Gefühl etwas verpasst zu haben. Eines nachts, Alex war, nach einem recht heftigen Streit mit ihr, mit seinen Kumpels unterwegs, lernte er Inez kennen. Sie war feurig und spontan, wild und unbezähmbar. Beide verbrachten nur eine Nacht zusammen. Schon morgens holte ihn das schlechte Gewissen ein. Er war hin- und hergerissen. Schlussendlich gestand er ihr doch seinen Fehltritt. Sie schrie nicht, sagte keinen Ton, nur eine stumme Träne lief ihr über die bleiche Wange. Dies tat Alex noch mehr weh. Sein Herz schrie. Er bat sie ihm zu verzeihen. Doch sie zog sich zurück, wollte ihn nicht mehr sehen, keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Tage und Wochen verstrichen. Sie verabschiedete sich in einem Brief von ihm, erklärte warum sie ihm nicht verzeihen konnte, oder sie es noch nicht konnte. '...es tut so weh dich zu sehen, ... du warst meine groβe Liebe und wirst es vermutlich auch immer bleiben...'
Sie bat ihn nicht mehr anzurufen. Er wurde schier wahnsinnig. Ein einziger Fehler trennte ihn von ihr.
Esther.
Drei Jahre waren seitdem vergangen. Der Schmerz lieβ nach, er wurde weniger, jedoch verschwand er nie ganz. Alex arbeitete nun in einer Werbeagentur, er hatte also einen guten Job, eine schöne Wohnung, und einen groβartigen Freundeskreis. Er konnte zufrieden sein. Zufrieden, nur eben nicht glücklich. Erst jetzt schätze er die Zeit die er mit Esther verbringen konnte.
Es war ein Tag wie jeder andere, Alex's Tag verlief routinemäßig. In der Mittagspause saβ er bei seinem besten Kumpel Toni in der Pizzeria und unterhielt sich mit ihm. Wie jeden Mittag. Als die Tür aufging kam eine junge Frau herein. Sie war mittelgroβ, modisch gekleidet, hatte langes Haar. Sie sah sich suchend nach einem Tisch um. Toni eilte zu ihr hin und wies ihr einen Tisch am Fenster an. Sie lächelte ihn scheu dankbar an. Alex drehte sich kurz um. Da sah er die honigblonde Wuschelmähne. Die junge Frau drehte sich noch einmal um. Er sah die grauen, nachdenklichen Augen. Sein Atem stockte. Esther!Diese Frau sah ihr zum Verwechseln ähnlich.
Toni kam zurück.
'Du siehst ja aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen.'
'Nein nein, ich dachte nur, dass ich diese Frau irgendwoher kenne.'
'Ach so. Sie kommt in der letzen Zeit öfters her.'
Noch immer sah Alex leicht verwirrt aus. Er trank hastig seinen Espresso. Als er das Lokal verlieβ, blickte er noch einmal zu der Frau hin. Sie entgegnete seinem Blick, jedoch schien sie ihn nicht zu kennen.
Alex stürmte hinaus. Sein Herz raste. Sie war es ganz gewiss.
'Ich muss wieder hinein. Ich muss mit ihr reden!'
Unsicher ging er wieder hinein.
'Hey Alex! Hast du was vergessen?', rief Toni ihm entgegen.
'Nein.', stotterte Alex. Er starrte auf Esther. Sie studierte gerade die Speisekarte.
'Alex! Was ist denn los?'. Toni zerrte ihn zu nach hinten in die Küche.
'Du siehst aus als wärst du dem Tod persönlich begegnet. Nun raus mit der Sprache!'.'Die Frau dort am Tisch ist Esther. Meine Esther.'
Toni sah ihn mit ungläubigen Augen an.
'Aber sie ist doch in Stuttgart!'.
'Ich muss mit ihr reden. Jetzt!'. Und schon stürmte Alex hinaus. Zögernd ging er auf sie zu.'Entschuldigung. Darf ich mich bitte setzen?'
'Ja, kein Problem.'. Sie sah nicht mal auf.
'Kann ich bitte mit dir reden?'
Esther hob überrascht den Kopf. Nun sah sie ihm genau in die Augen. Doch nichts regte sich in ihnen. Sie blickten ihn noch immer gleichgültig an.
'Kannst du dich noch an mich erinnern?'
Ein fast lautloses 'ja' ertönte.
Sie senkte den Kopf wieder über die Karte.
'Esther! Bitte sieh mich an. Ich wollte dir nur noch einmal sagen wie Leid es mir tut. Ich hab's nicht gewollt. Ich war jung und dumm. Es tut mir so Leid.'
'Okay'
'Das ist alles was du sagst?', er starrte sie ungläubig an.
'Ja, ich möchte nicht mehr darüber sprechen.'
Er blickte sie traurig an und erhob sich. Leise ging er hinaus.

Abends saβ Alex in seiner Wohnung, und dachte über den heutigen Tag nach. Sie war wieder hier. Seine Esther. Doch sie wollte ihn nicht mehr. Traurig ging Alex zu Bett. Er starrte hinaus in die Dunkelheit, und plötzlich stieg Kampfgeist in ihm auf. Er würde um sie kämpfen. Sie war die Liebe seines Lebens. Mit neuem Lebensmut schlief er dann auch ein.

Alex verbrachte den ganzen Vormittag bei Toni in der stillen Hoffnung Esther könnte auftauchen. Aber sie kam nicht, auch nicht am Nachmittag. Die folgenden Tage tauchte sie auch nicht auf. Alex wurde langsam nervös. Als Esther auch am nächsten Tag nicht erschien, wollte Alex ihre Adresse über Internet rausfinden. Und tatsächlich wurde er auch fündig. Sie wohnte nur zwei Straβen von seiner eigenen Wohnung entfernt. Alex entschied sich kurzentschlossen hinzufahren. Er wollte sie nur mal sehen.
Er parkte seinen Wagen am Straßenrand, stieg aus und schlenderte über den Bürgersteig.'Maienstraβe 72a. Das musste es sein.'
Es war ein groβes Gebäude mit einer schönen alten Fassade. Die Eingangstür war aus schwerem Holz und grün gestrichen. Hier wohnte sie also.

Er betrachtete gerade das Haus als sie aus ihrem Wagen stieg.
'Hi', sagte er schüchtern.
'Hi', entgegnete sie fast ebenso scheu.
'Es tut mir Leid, dass ich dich neulich so kühl behandelt habe.'
'Nein, ist schon gut!'
Stille. Er sah auf den Boden. Endlich fasste er sich ein Herz.
'Hast du Lust auf einen Café?', fragte er.
'Gerne.', sie lächelte.
Sie schlenderten zu einem kleinen Café auf der anderen Straβenseite. Es war gemütlich dort.
In den ersten Minuten sagte niemand ein Wort.
Er lächelte sie versonnen an.
'Ich will, dass wir Freunde werden.', begann sie.
'Klar klar. Das will ich auch.', stotterte er. Insgeheim hatte er sich jedoch mehr erhofft. Aber wenn sie es so wollte.
'Gut.', sie lächelte.
Die nächste halbe Stunde unterhielten sie sich gut. Die alte Geschichte war fast vergessen. Sie lachten und plauderten. Ihre Augen glänzten. Alex strahlte. Er hatte sie so vermisst.Als sie gehen musste gab sie ihm zaghaft die Hand. Er drückte sie sanft, hielt sie jedoch ungewöhnlich lange in seiner.
Glücklich schlenderte Alex zu seinem Auto und fuhr nach Hause.

In den nächsten Wochen und Tagen verbrachten sie immer mehr Zeit miteinander. Sie waren wieder Freunde wie früher. Sie gingen ins Kino, sogar einkaufen, oder manchmal gingen sie auch nur im Park spazieren. So wie an einem warmen Sommerabend. Sie saβen auf der Wiese im Park und schauten in die Sterne. Es war ganz still, man hörte nur ganz sanft die Grillen zirpen. Dieses Geräusch hatte etwas Beruhigendes. Esther deutete auf die Sterne im Himmel.
'Weiβt du noch, als wir früher oft hier saβen ? Es war immer so friedlich.'
'Ich weiβ. Wir waren meistens die einzigen, die dann noch hier waren.'
Er betrachtete sie verliebt von der Seite. Sie war noch immer so schön wie damals, wenn nicht schöner. Er sah ihre Augen die angestrengt in den Himmel starrten.
'Hey, was guckst du denn so?'
Er lächelte sie noch immer an.
Alex beugte seinen Kopf langsam zu ihr hinunter. Er sah ihr in die Augen, seine Lippen näherten sich zaghaft ihren. Sanft fing er an sie zu küssen. Sie erwiderte den Kuss zart, streichelte ihm mit der Hand über die Wange.
Doch plötzlich stieβ sie ihn weg. Sie schluchzte und rannte weg. Alex sah ihr fassungslos nach.
'Esther! Esther! Komm zurück, bitte.'
Er lief ihr nach. Erst am Straβenrand holte er sie ein und fasste sie am Arm.
'Was ist los?'
'Ich kann das nicht.'
'Wieso? Was habe ich falsch gemacht?'
'Bitte. Ich kann nicht. Es geht nicht!', sie blickte ihn traurig an.
Sie weinte und ging weg.
Er starrte ihr nach. Wer weiβ wie lange er so dastand. Er verstand die Welt nicht mehr.

In den nächsten Tagen hörte er nichts von Esther. Sie ging nicht ans Telefon und rief ihn auch nicht zurück. Er würde wahnsinnig werden.
Nach ein paar Tagen Funkstille, entschloss sich Alex zu ihr zu fahren. Auch Toni bestärkte ihn dazu.
Als er dann vor ihrem Haus stand, überlegte er was er ihr denn nun sagen sollte.
Unruhig ging er vor dem Haus auf und ab. Schlieβlich hatte er Mut gefasst und ging zur grünen Tür. Gerade als er sie öffnen wollte, trat Esther heraus.
Sie erstarrte. Aber auch Alex blickte ungläubig. Esther trug auf dem Arm ein kleines Mädchen. Alex vermochte nicht zu sagen wie alt sie war. Erst starrte er Esther an dann das Kind. Er ging ein Schritt zurück.
'Du... du bist...verheiratet?', stotterte er.
'Nein, nein, du verstehst das falsch.', rief sie.
'Oh mein Gott.'
Alex lief zum Auto und startete es. Er sah noch wie Esther auf das Auto zukam.
Doch er fuhr weg.
Er fuhr wie ein Irrer über die Straβe ohne Ziel. Er war außer sich. Er musste sich ablenken. Deswegen also war sie im Park so plötzlich weggelaufen. Erst nach und nach wurde ihm bewusst, dass er sie nie wieder bekam. Sie war nicht mehr seine Esther. Sie hatte nun eine Familie. Ein Kind.
Es tat sehr weh.

Er verbachte die nächsten Tage zu Hause. In der Agentur hatte er sich für ein paar Tage krank gemeldet. Das letzte was er nun bräuchte wäre nervige Kollegen und einen gestressten Chef, der ihm wegen der neuen Präsentation im Nacken saβ.

Mittwochs klingelte das Telefon. Doch er ging nicht ran. Über den Anrufbeantworter hörte er, dass es Esther war.
'Hi.' Ihre Stimme klang ruhig, jedoch mit einem traurigen Unterton.
'Wir müssen reden, bitte. Es ist wichtig. Ich warte heute Nachmittag um drei im Park auf dich. Bitte komm.'
Alex wusste nicht ob er sollte hingehen. Was wollte sie ihm noch sagen? Wollte sie ihm vielleicht ihren Mann vorstellen? Er lachte bitter.

Esther saβ fast den ganzen Nachmittag im Park. Wie sollte sie ihm das erklären? Würde er es verstehen? Er würde bestimmt zornig werden. Na ja, sie könnte das auch irgendwie verstehen. Sie rupfte an ein paar Grashalmen. Ihre Nervosität stieg von Minute zu Minute.Drei Uhr. Er war noch nicht da. Sie atmete ein paar Mal tief durch.
'Komm schon, Esther! Das klappt schon. Er wird dich schon nicht fressen.'
Halb vier. Endlich, da hinten sah sie ihn kommen. Er trug ein einfaches schwarzes T-Shirt und eine Jeanshose. Er sah so gut aus.
'Hallo.' Seine Stimme klang rau.
'Hi.', erwiderte sie leise.
'Nun? Was willst du mir sagen? Was sagt dein Mann dazu, dass du dich mit mir im Park triffst?'
Er klang ein wenig streitsüchtig, aber das kannte sie ja noch von früher.
'Ich bin nicht verheiratet und habe auch keinen Freund.'
Er atmete hörbar auf. Er blickte sie nun ganz anders an, nicht mehr so düster, sondern freundlich.
'Aber das Kind.'
'Nun ja es ist mein Kind. Sie heiβt Zofia. Sie ist fast zwei und vier Monate.'
Alex blickte sie ungläubig an.
'Zwei Jahre?', wiederholte er sprachlos, 'aber, aber...das heiβt...'
'Ja, ich war schwanger als wir uns trennten. Aber ich wusste es da noch nicht.'
Sie sah schuldbewusst zu boden. Alex starrte sie noch immer ungläubig an.
'Ich muss mich setzen.'
Dann fing er an zu grinsen.
'Ich bin Vater?'
'Ja'
Er nahm sanft ihre Hand.
'Kann ich sie sehen bitte?'
Esther nickte.

Die Kleine quickte begeistert als Alex sie auf den Arm nahm und kitzelte. Zofia lachte und griff mit ihren kleinen Händchen nach Alex schwarzen Haaren.
Esther betrachtete die beiden und wusste, dass es richtig war Alex die Wahrheit zu erzählen.Er sah glücklich aus.

Abends standen beide vor der Tür zur Zofia's Zimmer, die Kleine war endlich eingeschlafen.'Esther', flüsterte Alex, 'damals stand in dem Brief, dass ich deine groβe Liebe war und es vermutlich auch bleiben werde. Stimmt das noch?'
Sie blinzelte ihn an.
'Ja', flüsterte sie so leise, dass er es kaum hören konnte.
'Ich liebe dich, Esther.'
'Ach Alex, ich will nicht, dass du das nur wegen Zofia zur mir sagst.'
Sie wollte sich schon abwenden. Doch er ergriff ihre Hand.
'Warte. Nein, ich liebe dich wirklich. Ich wollte es dir schon im Park sagen, aber du bist ja weggerannt.'
Esther sah ihn nachdenklich von der Seite an.
Alex drückte ihre Hand liebevoll.
'Ich liebe dich auch.', Esther strahlte und ihr Lächeln war offen und glücklich.
Er zog sie näher zu sich und küsste sie leidenschaftlich, mit der einen Hand streichelte er ihr über den Rücken, und mit der anderen strich er ihr übers Haar. Esther fuhr ihm zärtlich über die Wangen.
'Ich liebe dich, ich liebe dich, ....', flüsterte er ihr ins Ohr.









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