Die Revolution der Madison Denver - Teil 2

Autor: emeliemia
veröffentlicht am: 25.04.2014


Weiter geht's mit meiner zweiten Geschichte, ich wünsche euch viel Vergnügen. Feedback ist natürlich erwünscht! :)


Es sind nur 15 Minuten, die meine Stadt, Neo Soul, von Neo Ber trennen. 15 Minuten lang werde ich von Kimberly voll gequatscht, bevor ich endlich aus diesen Zug raus kann.
Als im am Bahnsteig stehe, atme ich mehrmals tief durch.
Du musst das, was du gesehen hast, vergessen, Madison.
Vergessen, was man gesehen hat. Verdrängen, was man weiß.
Das wäre vielleicht das Beste, bevor ich mich selbst in Gefahr bringe. Aber ich weiß, dass ich es nicht vergessen, nicht verdrängen kann. Es wird an mir nagen, es wird mich nicht mehr schlafen lassen. Ein Teil von mir brennt bereits jetzt schon darauf zu wissen, was vor sich geht, warum die Passagiere belogen worden sind.
Ich setze mich in Bewegung und bin fast die Einzige, die noch auf dem Gleis ist. Hastig eile ich die Treppe hinunter, zum Ausgang hin, wo meine Mutter mit dem Auto auf mich wartet. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Augen der Einheimischen mich verfolgen, aus den dunklen Ecken, wo das Licht der Straßenlampen nicht mehr hinreicht.
»Hallo Mum.«, ich versuche meine Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen. Aber meine Mutter ist schwer zu täuschen. Sie mustert mich mit skeptischen Blick und sagt dann: »Du bist ja ganz blass, Maddi! Was ist passiert?«
Ich beiße mir auf die Lippe und fummele nach dem Gurt. Ich bin keine schlechte Lügnerin, nur bei meiner Mutter klappt es irgendwie nie. Sie merkt sofort, wenn ich nicht die Wahrheit sage.
»Sie haben die Jalousien hochfahren lassen, weil ein heftiges Unwetter, mit starken Hagel, über uns hereingebrochen ist. Das haben sie durchgesagt. Und dann, kurz bevor wir Ber erreicht haben, hat der Zug gehalten und es kam wieder eine Durchsage, dass Fachleute den Zug auf Schäden untersuchen würden. Das hat mir ein bisschen Angst gemacht, weil sonst noch nie die Jalousien hochgefahren wurden.«, sage ich leise und schaue auf meine Füße.
Du hast nicht gelogen, Madison, nur einige Details verschwiegen, versuche ich das aufkommende, schlechte Gewissen zu beruhigen.
Meine Mutter streichelt sachte meinen Arm und sagt: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Maddi. Es war nur ein Unwetter, so was passiert nun mal. Wir fahren jetzt nach Hause und du nimmst dir dann erst einmal ein schönes Bad, während ich das Essen fertig mache, in Ordnung?«
Ich nicke. Ein schönes Bad hört sich gut an. »In Ordnung.«

Spät am Abend, liege ich in meinem Bett und kann nicht einschlafen. Jedes Mal wenn ich die Augen schließe, sehe ich wieder tausende von blitzenden Augenpaaren. Böse, beschuldigend, verängstigt, beunruhigt … So sehen sie mich an. Nur ein einziges scheint mich neugierig zu beobachten.

Am nächsten Morgen habe ich das Gefühl, dass ich kaum geschlafen habe. Sie verfolgen mich überall hin. Zum Schrank, ins Bad, in die Küche. Und ich brauche nicht einmal die Augen zu schließen.
Geht weg! Haut ab!
Ich schüttele heftig den Kopf, damit ich wieder ein klares Bild vor Augen habe. In der Küche mache ich mir einen Kaffee, auch wenn ich das braune Zeug nicht mag. Aber wenn ich den Schultag überstehen will, dann brauche ich Koffein.
Der erste Schluck ist so bitter, dass ich die Flüssigkeit aus meinem Mund ins Spülbecken befördere. Stell dich nicht so an Madison, es gibt weit aus Schlimmeres als Kaffee! Ich verziehe das Gesicht, als ich die Tasse erneut an meinen Mund halte und das Zeug dann hinunterstürze. Hoffentlich war das jetzt nicht umsonst.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es Zeit wird zu gehen, wenn ich nicht den Zug verpassen will.
Von meinem Zuhause bis zum Bahnhof sind es gute vierzig Minuten, die ich laufen muss. Meine Mutter ist schon bei der Arbeit. Sie ist die Sekretärin des Bürgermeisters von Metropolis. Sie arbeitet also für Sharleens Vater, Mr. Jones. Im Grunde genommen arbeitet jeder für ihn, egal was er für einen Job hat. Bürgermeister von Metropolis zu sein ist das Höchste, was man je erreichen kann. Mr. Jones ist sozusagen unser Präsident.
Die Morgenluft ist frisch, aber nicht kalt und der Himmel ist in ein klares, helles Blau getaucht. Der Tag wird also wunderschön werden, was das Wetter angeht. Ich spüre, wie langsam das Koffein anschlägt und die Müdigkeit verdrängt. Mir fällt das Gehen von Schritt zu Schritt leichter.
Am Bahnhof angekommen, gehe ich schnurstracks zum Bahngleis. Dort wartet der Zug schon. Als ich einsteige, piepst mein Tablet einmal kurz auf. Ich hole es aus meinem Rucksack und sehe, dass Kimberly mir geschrieben hat, wo sie sitzt. Das macht sie jeden Morgen. Ich glaube, sie würde es kaum hinkriegen, eine Zugfahrt alleine durchzustehen. Kimberly ist vom Geist her immer noch wie ein Kleinkind. Aber ich glaube, dass es genau das ist, was ich so sehr an ihr mag. Bei ihr weiß ich ganz genau, wie ich mit ihr reden muss und wo die Grenzen liegen. Außerdem kann man richtig Spaß mit ihr haben, wenn Sharleen nicht gerade in der Nähe ist.
»Maddi, Maddi! Hier bin ich!«, ertönt ihre Stimme vom anderen Ende des Waggons. Sie winkt so kräftig mit ihrem Arm, sodass ihr trägerloses Top ein wenig nach unten rutscht und ein bisschen zu viel von ihrer nackten Haut preisgibt. Ich eile zu ihr hin, schaffe es aber nicht sie darauf hinzuweisen, denn sie schlingt ihre Arme um mich und zerdrückt mich fast.
»Ich weiß, es sind zwar weniger als 24 Stunden vergangen, aber ich habe dich trotzdem vermisst, Maddi.«, nuschelt sie glücklich in mein Ohr. Genau das meine ich. Die meisten halten Kimberly für dumm, aber wenn sie mir solche Dinge sagt, wird mir warm und ich muss lächeln. Okay, sie ist vielleicht extrem naiv und auch ein bisschen begriffsstutzig, aber sie ist meine Freundin. Und ich mag sie sehr.
»Ich dich auch, Kimmy.«, röchele ich. Kurz darauf lässt sie mich los und ich ziehe rasch ihr Top hoch.
»Es ist nach unten gerutscht, als du mir gewunken hast.«, erkläre ich leise auf ihren fragenden Gesichtsausdruck hin und setze mich auf einen der Sitze im Vierer, den sie für uns freigehalten hat.
Sie reißt erschrocken ihre Augen auf und sieht um sich. Das künstliche Licht der Lampen blitzt in ihren rosafarbenen Augen auf. Wie bei den Einheimischen…
»Glaubst du, das hat jemand gesehen?«, flüstert sie und setzt sich ebenfalls hin. Ich schüttele den Kopf. Wahrscheinlich haben es alle Passagiere hier im Waggon gesehen, urteile ich nach den Blicken, die einige Personen uns zuwerfen, aber das muss Kimberly nicht wissen. Sie wäre sonst vollkommen verstört. Und eine verstörte Kimberly ist anstrengend.
Der Zug setzt sich in Bewegung und mir wird mit einem Mal eiskalt. Was, wenn die Einheimischen erneut eine Attacke auf uns starten?
Kimberly plappert sichtlich erleichtert munter drauf los und berichtet mir ohne Punkt und Komma von den Ereignissen, die sich gestern noch ereignet haben. Ihr haben wie immer unglaublich viele, ihrer Meinung nach, gutaussehende Jungs geschrieben und sie nach einem Date gefragt und ich muss ihr jetzt helfen, einige auszusuchen, mit denen sie ausgehen soll.
»Soll ich nach dem Aussehen gehen?«, frage ich sie und versuche, die aufkommende Angst zu unterdrücken.
»Ja.«, nickt Kimberly, drückt mir ihr Tablet in die Hand. Es sind insgesamt neun Jungs, die alle mit dem Trend gehen, das bedeutet farbige Kontaktlinsen, ein paar farbige Strähnen im Haar und der typisch, moderne Kleidungsstil: grell, mit vielem Schnickschnack. Ich persönlich finde, dass die alle wie bunte Clowns aussehen. An meiner Schule bin ich eine der wenigen, die sich selbst noch treu geblieben ist. Ich trage keine farbigen Kontaktlinsen, noch sind meine Haare gefärbt oder es liegen Tonnen von Make-up in meinem Gesicht. Meine Kleidung besteht aus einfachen T-Shirts, Tops und Hosen.
Noah ist auch einer von denen, die nicht mit dem Trend mitgehen.
»Und?«, unterbricht Kimberly meine Gedankengänge. Ich starre blinzelnd auf das Foto auf dem Tablet. Der Junge trägt genau wie Sharleen gelbe Kontaktlinsen, die Haare sind schwarz.
»Der da.«, erwidere ich, obwohl ich mir nicht einmal die anderen angeguckt habe. Kimberly schnappt sich ihr Tablet, begutachtet den Jungen und nickt schließlich.
»Stimmt, der sieht gut aus. Danke!«
Ich nicke nur und schaue nach draußen. Doch im Bruchteil der nächsten Sekunde zucke ich zusammen und starre auf meine Füße.
Nicht nach draußen gucken, nicht nach draußen gucken!
Vor meinem inneren Auge erscheinen wieder die blitzenden Augen.
»Alles in Ordnung, Maddi?«, fragt Kimberly verwirrt. Ich nicke erneut und ziehe meine Jacke fester um mich.
»Mir ist nur ein wenig kalt.«, murmele ich. Meine Freundin nickt und widmet sich wieder ihrem Tablet.
Die fünfzehn Minuten vergehen ziemlich schnell. Sharleen stößt zu uns. »Hi, Mädels.«, sie drückt Kimberly ein Küsschen auf die Wange, mich umarmt sie. Ich bin nicht so der Ich-küsse-meine-Mädels-zur-Begrüßung-Typ und erstaunlicherweise können die beiden sich das merken.
Aus den Augenwinkeln erkenne ich eine Bewegung und als ich genauer hinsehe, entdecke ich Noah, wie er sich gerade hinsetzt. Rasch schaue ich woanders hin. Aber wieder schiebt sich dieser seltsam leuchtende Ausdruck in seinen Augen vor mein inneres Auge.
War das eine Botschaft?
Wenn Ja, wieso hat er sie nur an mich gerichtet?
Ich wage erneut einen kurzen Blick. Er hat ein Buch herausgeholt und scheint vollkommen darin vertieft zu sein. Von meinem Sitz aus kann ich nicht erkennen, welches Buch er liest, aber Noah scheint total fasziniert von der Geschichte zu sein, denn er saugt die Wörter und Sätze geradezu in sich auf.
Jetzt hat er endgültig bewiesen, dass er nicht zu den Anderen gehört. Heutzutage liest kaum jemand noch Bücher. Die Tablets haben beinahe alle Dinge ersetzt.
»Maddi? Hörst du mir überhaupt zu?«





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