In my Life - Teil 19

Autor: MarieCurie
veröffentlicht am: 12.06.2014


Vor meiner Haustür stehend, grübele ich, was ich nun tun soll. Ich habe keinen Schlüssel und im Garten schlafen will ich nicht. Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Der Garten, die Hintertür. Ich lasse sie Tagsüber immer einen Spalt für Lou offen und hatte eben keine Zeit sie zu schließen. Ich laufe seitlich der Hauswand zum Garten und schlüpfe durch die Hintertür. Ich stehe im Wohnzimmer, gehe zur Couch, lasse mich darauf nieder und schließe meine Augen. Im Halbschlaf bemerke ich Lou, die sich zu mir kuschelt.

Als ich aufwache bemerke ich als erstes das gleichmäßige laute schnarchen meiner Katze. Lou liegt auf meinem Bauch zusammengerollt und anscheinend glücklich. Ich stupse sie an, sie macht die Auge auf, streckt sich ausgiebig und springt dann zum Sessel und rollt sich dort wieder ein.
Ich schaue auf die Uhr. 7 Uhr, ach scheiße, Jani. Ich sprinte zur Tür, doch zu meiner Verwunderung war Jani nicht zu sehen. Egal. Ich schlurfe in die Küche, nehme das Telefon und melde mich für den Rest der Woche in der Schule Krank. Mir geht es auch nicht besonders gut. Ich habe Kopfschmerzen und meine Haut unter dem Verband beginnt wieder zu brennen. Ich schnüre den Verband ab, reibe die „Wunde“ erneut mit Creme ein und wickele wieder den Verband darum.
Dann gehe ich nach oben in mein Schlafzimmer und lege mich ins Bett. Mir ist kotzübel und ich kann nicht leugnen, dass es etwas mit Darius zu tun hat. Das Gefühl ausgenutzt zu werden ist wahrhaftig zum kotzen und leider wird dieses Gefühl auch nicht weniger, wenn ich mir einrede, dass Darius kein Arschloch ist. Er hat zwar schon betrunken mit mir geschlafen, und jetzt kann ich auch genau nachvollziehen wieso es soweit kam, aber er würde doch nicht so mit mir schlafen wollen, wenn er 3 Stunden vorher meinem Ex-Freund versichert hat, dass wir nur gute Freunde sind, oder? Ehrlich gesagt will ich erst einmal das Thema Darius abhaken. Ich will ihn aus meinem Kopf schaffen. Mit diesem Entschluss schlafe ich auch wieder ein.

In der Woche ist nichts spektakuläres passiert. Jani hat sich kurz nach mir erkundigt, ist dann wieder gegangen, da sie sich jetzt schon für die Prüfungen vorbereitet. Dann war ich Mittwoch noch bei Dad. Ihm scheint es wieder besser zu gehen. Steve war Donnerstags am Start. Wir haben gezockt und Musik gehört, doch kein Wort wurde über Darius verloren. Leider konnte ich diesen nicht ganz so leicht aus meinem Kopf verbannen, wie anfangs gedacht. Er hat mir mehrere SMS geschrieben. Ich solle bitte mit ihm reden und so etwas. Aber ich verspüre kein Bedürfnis dazu mit ihm zu reden. Ich brauche erst einen klaren Kopf und dann, dann von mir aus. Er hat es sogar gewagt, vor meiner Tür 4 Stunden lang zu kampieren, bevor er es aufgegeben hat und abgerauscht ist.
Mittwoch und Donnerstag vergingen schnell und jetzt sitze ich in meinem Bett, es ist 10 Uhr Morgens und es ist Freitag. Ich wollte heute eigentlich etwas mit Jani , Steve und Darius unternehmen, aber darauf habe ich nun wirklich keine Lust. Also nehme ich mein Handy in die Hand.

-Heyho, mir geht es immer noch nicht sehr gut. Ich bleib heute im Bett. Habt viel Spaß. Jani-

Vielleicht eine Minute oder sogar weniger später, kommt eine Antwort.

-Ach Scheiße, wenn\'s dir besser geht, komm dort hin wo wir letztens waren, ok? Steve-

Ich schreibe nur ein einfaches „Ja“ zurück und weiß nichts so recht mit mir anzufangen. Trotzdem stehe ich auf und gehe erst einmal duschen, dann mache ich mir etwas zu essen und spiele mit Lou. Ich setze mich auf die Couch, richte meinen Laserpointer auf die weiße Wand und wie im Galopp rennt meine total bescheuerte Katze auf die Wand zu, stoppt nur wenige Zentimeter davor und springt in die Luft. Ich lasse den Laserpointer von links nach rechts wandern und wieder zurück. Lou rennt wie wild von A nach B und wieder von B nach A und hat anscheinend Spaß dabei. Wenn ich sie dabei beobachte, wäre mir eine Boa Constrictor wieder einmal lieber, als dieses komplett dümmliche Wesen. Aber was soll ich tun? Ich mag Lou. Sie ist wie der Hund den ich nie hatte. Vielleicht bringe ich sie ja noch dazu sich auf dem Boden zu schlängeln. Mäuse schleppt sie ja schon mal an. Meistens an Sonntagen. Vielleicht ist das so eine Art Opfergabe für Katzen, wenn sie einem eine Ratte vor die Füße legen. Sie schauen dich dann mit einem Blick an der sagt. \'Hey Man, ich hab dir ne fette Ratte gebracht, jetzt bring mir was vernünftiges zu Fressen, Mensch!\' Ich lasse den roten Punkt wieder nach oben springen.
Das mache ich noch einige Male, als sich mein Handy meldet. Langsam stehe ich auf, nehme es in die Hand und starre auf den Bildschirm.
Krankenhaus steht dort. Ich habe die Nummer vorsichtshalber abgespeichert. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Ich gehe nicht ran, ziehe meine Schuhe an, schnappe mir den Schlüssel und fahre zum Krankenhaus. Irgendetwas ist passiert. Irgendwas muss passiert sein. Sonst würden sie nicht anrufen. An jeder roten Ampel trommele ich nervös wie eine Bekloppte auf dem Lenkrad herum. Das schlechte Gefühl breitet sich wie heiße Lava ganz langsam in meinem Körper aus. Am Krankenhaus angekommen, parke ich den Wagen Hollywood reif quer über zwei Parkplätzen .Im Galopp laufe ich an der Anmeldung im Erdgeschoss vorbei und rufe den Fahrstuhl. Als es mir zu lange dauert, renne ich zur Treppe und laufe ganze 7 Etagen nach oben. Aber das ist mir egal. Irgendetwas ist passiert.

Als ich auf der Station ankomme, auf der mein Dad liegt, schaue ich im Schwesternzimmer in ein blau-graues Augenpaar. Dieser Blick gefällt mir nicht. Sie schaut mich mit Mitleid an. Mitleid wofür? Sie führt mich in ein Nebenzimmer und bedeutet mir mich zu setzen, doch ich will lieber stehen bleiben. Ich will gerade Anstalten machen mich zu beschweren, da ich zu meinem Dad gehen will, da fängt sie an zu erklären.
„Frau Matthis. Ihr Vater hatte einen zweiten Herzinfarkt. Dies ist nicht sehr unüblich, doch haben wir nicht damit gerechnet, dass er den Zweiten innerhalb weniger Tage bekommt. Sein Herz hat einfach nicht mehr mitgespielt und wir hatten alle das Gefühl, dass er nicht mehr wollte und nicht mehr konnte. Er ist vor ein paar Stunden verstorben. Wir haben es zu spät bemerkt. Der Arzt war zu spät aufgetaucht. Das Pflegepersonal hat ihr Bestes gegeben, aber wir konnten ihm nicht mehr helfen, da neben dem Herzinfakt noch andere Faktoren eine wichtige Rolle beim Tod ihres Vaters spielten. Ich möchte Ihnen keine Fachbegriffe an den Kopf werfen, aber wenn Sie weitere Fragen und Wünsche haben, können sie gerne zu mir kommen.“

Das war\'s. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr. Ich atme schwer und kann nicht mehr aufhören. Ich muss mich hinsetzen. Irgendwohin. Einfach setzen. Ich fahre mir mit der Hand durch meine Haare, drücke meine Faust an meinen Mund und versuche so den aufkommenden Schluchzer zu unterdrücken. Aber er kommt und es war ein hässlicher Ton. Tränen rollen über meine Wangen und ich schüttele meinen Kopf, als würde ich so alles aus meinem Kopf rausbekommen, was schlecht ist. Ich sacke zusammen und setze mich auf den Boden. Den Kopf bette ich auf meinen aufgestellten Knie. Ich weine und warte darauf, dass die Krankenschwester lachend nach vorne springt und laut „Verarscht!“ ruft und mir dann sämtliche versteckte Kameras zeigt. Aber das kommt natürlich nicht.
Ich lasse jeden Ton und jedes Geräusch heraus, auch wenn sie noch so hässlich sind. Die Krankenschwester versteht, dass ich jetzt alleine sein muss. Sie geht und ich höre wie sich die Tür leise schließt. Mit dem klicken des Schlosses ist es besiegelt.
Meine Eltern sind jetzt beide tot und ich bin allein, ganz allein. Es ist so unwirklich. Mein Dad, der mehr oder weniger immer da war, ist jetzt einfach nicht mehr da. Er ist genauso weg, wie meine Mutter. Wie lange werde ich brauchen, bis ich an sein Grab gehe? Brauche ich auch so lange oder liegt mein altes Ich für immer in der Vergangenheit und mach ich es diesmal richtig? Soll es eine zweite Chance für mich sein, den Toten mehr Respekt zu zeigen? Dann ist es eine verdammt Beschissene. War mein Handeln in Bezug auf meine Mutter immer falsch? Das ist doch der blanke Wahnsinn.
Das passiert nur in schlechten Streifen, dass die Eltern einfach beide sterben. Das passiert keinen Mädchen aus Köln, sondern nur den Menschen in irgendwelchen Dramen im Fernsehen! Irgendwann wären sie sowieso gestorben, aber wieso so früh? Was haben sie nur getan, damit ihnen so etwas passiert? Was habe ich getan? Fragen die ich nicht beantworten kann. Ich bin jämmerlich. Sitze hier im Krankenhaus auf dem Boden und raffe mich nicht einmal dazu auf meinen Vater das letzte Mal in meinem Leben zu sehen, bevor er mir entrissen wird. Er wird mir nur noch auf Bildern erhalten bleiben und in meiner Erinnerung. Leider sehe ich jetzt schon die letzten Augenblicke mit Dad verschwommen und ich hoffe, dass sich das legt. Ich brauche diese Erinnerungen.
Ich erhebe mich träge und stehe auf wackeligen Beinen. Ich schlurfe zur Tür. Ich will meinen Dad noch ein mal sehen. Nur noch ein mal. Ihm ging es doch letztens gut, wieso ist er dann jetzt tot? Wollte er doch sterben? Er hat doch versprochen bei mir zu bleiben.
Zittrig frage ich die Schwester, wo mein Dad jetzt ist.
Sie sagen mir, dass er gerade gewaschen wird. Ich kann jetzt aber schon zu ihm, da die Pfleger gleich fertig sein müssten.
Ich betrete zögernd das Zimmer, das mir die Schwester gezeigt hat. Dort liegt er. Die Pfleger treten alle von ihm weg und verlassen schweigend den Raum. In ihren Blicken liegt pures Mitleid und Bedauern.

Seine haut ist schon ganz blass. Er sieht aus, als würde er schlafen und wäre er nicht in diesem Raum, der meine Hoffnung schwächer werden lässt, würde ich glauben, dass er gleich aufwacht und mich anlächelt. So wie er es die letzten paar Male immer getan hat.
„Dad..“ Ich halte mir eine Hand vor den Mund, schluchze und sacke auf meine Knie.
„Komm zurück, Dad.“, flüstere ich und meine Tränen klatschen auf dem Fußboden auf. Es ist so still in diesem Raum, dass man es sehr gut hört. Es ist so still und mit einem Mal wird mir bewusster denn je, dass ich nie wieder die Stimme und das Lachen meines Vaters hören werde. Nie wieder.
„Bitte, komm zurück.“ Ich lege mich auf den kalten Boden und wünsche mir, dass ich dort liegen würde anstatt er.
Das letzte was ich spüre sind kalte Gummihandschuhe auf meinem Gesicht und ein grelles Licht, dass abwechselnd in mein rechtes und in mein linkes Auge scheint.





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