Alea iacta est

Autor: Finnicka
veröffentlicht am: 24.03.2014


1. Kapitel
Es gibt unzählige Geschichten über Liebe und Schmerz, Verlust und Trauer, Sehnsucht und Hoffnung. In irgendeiner Weise ähneln sie sich alle - letztendlich gibt es ein Happy End, oder die unvermeidliche Niederlage. Doch ihre Geschichte ist anders.

Es war früher Morgen. Die Sonne hing noch tief am Himmel, streichelte nur sachte mit ihren schwachen Strahlen über die Dächer der Häuser, suchte sich ihren Weg durch die Fenster und kitzelte die verschlafenen Bewohner der Stadt an der Nase.
Sie wurde nicht von ihrem Wecker geweckt - das wurde sie nie. Eigentlich musste sie erst gegen sieben Uhr aufstehen, doch sie wachte stets etwas früher auf. Vielleicht lag es daran, dass sie abends schon so früh einschlief und daher immer relativ früh ausgeschlafen war. Oder auch daran, dass sie das furchtbare Geräusch ihres Weckers fürchtete und ihr Körper dementsprechend darauf programmiert war, vorher aus dem Schlaf zu erwachen. Vielleicht spielten da auch beide Faktoren zusammen.
Sie gähnte und streckte sich. Als sie einen Blick aus dem Fenster ihres Zimmer warf, stellte sie zufrieden fest, dass der Himmel wolkenlos war. Es würde ein wunderschöner Frühlingstag werden - viel zu schade, um ihn im Unterricht zu verschwenden.
Gut gelaunt sprang sie auf, bürstete sich rasch die Haare und schlich barfuß zu der hölzernen Tür.
Sie wohnte in einem Internat. Ihre Eltern hatte sie nie kennengelernt. Als kleines Kind war sie von Familie zu Familie gereicht worden, bis man sich dazu entschied, dass es besser wäre, sie gleich auf ein Internat zu packen. Eine Entscheidung, die sie mittlerweile gelernt hatte, zu akzeptieren.
Leise schlich sie über den Flur. Es war noch still. Die meisten der Schüler mussten wohl noch in ihren Betten liegen und schlafen. Das Ziel ihrer morgendlichen Wanderung war das Zimmer ihres Freundes. Es lag zwei Stockwerke weiter oben, dort, wo der Trakt der Jungs lag. Als sie die Tür erreichte, klopfte sie zaghaft an und wartet. Kurz darauf öffnete ein verschlafener Junge mit zerzausten, blonden Haar die Tür und musterte sie müde.
"Mia. Du bist es. Dir ist bewusst, dass wir noch nicht einmal halb sieben haben?"
"Tut mir leid, Jess", antwortete sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über seine Schulter zu lugen und einen Blick ins Innere zu erhaschen. "Schläft Finn noch?", wollte sie wissen.
"Mhm", brummte Jess und ließ sie vorbei ins Zimmer. Ihr Freund richtete sich gerade auf und lächelte, als er seine Freundin erblickte.
"Du bist aber schon früh wach", sagte er.
Grinsend ging sie zu ihm und kuschelte sich an seine Brust. "Ich konnte nicht mehr schlafen. Und da der Tag so wunderbar aussieht, dachte ich mir, dass ich dich zum schwänzen entführe?", sie grinste spitzbübisch. Finn hob eine Augenbraue und verzog den Mund, als er sie ausgiebig musterte. "Ich schreibe heute Mathe", entgegnete er knapp und schob sie ein Stück von sich. Sie zuckte mit den Schultern. "Es ist nur ein Test, oder? Es wird dich nicht umbringen, ihn zu verpassen", antwortete sie gleichgültig.
"Eigentlich...", setzte er an, doch sie unterbrach ihn, indem sie sich ihm zugewandt auf seinen Schoß setzte und sein Gesicht zwischen ihre Hände nahm. "Außerdem habe ich eine ganz spezielle Überraschung für dich, deswegen würde ich es mir an deiner Stelle lieber zweimal überlegen..." Sie gab ihm einen vielversprechenden Kuss.
"Mia", wieder schob Finn sie ein Stück von sich weg. Er warf seinem Zimmergenossen einen kurzen Blick zu. Dieser hob abwehrend die Hände und meinte: "Jaja, ich geh ja schon". Er verzog sich ins Bad und zog die Tür mit einem lauten Scheppern hinter sich ins Schloss.
"Du weißt, dass ich einem solchen Angebot nur schwer widerstehen kann", begann er auf's neue. "Aber..."
Wieder unterbrach sie ihn. "Dann tus nicht" Mit ihrem Körper drückte sie ihn nach hinten, sodass er auf dem Bett lag und sie sich über ihn beugen konnte. Sanft legte sie ihre Lippen auf die seine, während ihre Hände über seine muskulöse Brust strich. Einen Moment erwiderte er ihre Leidenschaft, doch dann warf er sie mit einer schnellen Bewegung auf den Rücken und erhob sich.
"Du weißt, dass ich in Mathe auf der Kippe steh."
Jetzt wurde sie wütend. "Dann nicht", fauchte sie und stapfte an ihm vorbei zur Tür. "Mach doch was du willst", keifte sie weiter und warf ihm über die Schulter einen zornigen Blick zu. "Ohne dich wird mein Tag sicherlich genau so sagenhaft!" Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer ihres Freundes und stapfte den Gang entlang.
Blöder Mistkerl, dachte sie. Manchmal könnte sie ihn einfach auf den Mond schießen. Er war so ein verdammter Spießer! "Du weißt, dass ich in Mathe auf der Kippe stehe", äffte sie ihn nach. "Glaub mir, lieber Finn. Dieser Test wird dich auch nicht retten", dachte sie boshaft. "Ich hoffe du verkackst ihn so richtig!" Doch dann stockte sie und seufzte. Sie sollte aufhören so gehässig zu sein. Sie wusste, dass sie zu wenig Verständnis für ihn Freund aufbrachte- doch genau dasselbe traf auch auf ihn zu. Es war nicht in der Lage, ihren Freiheitsdrang, ihren Drang hin und wieder mal nicht die Regeln befolgen zu wollen, zu verstehen. Er verstand nicht, warum sie auch einmal aus der Reihe tanzen musste.
Sie liebte ihren Freund. Er war seit ihrer Kindheit ihr einziger und bester Freund gewesen, den sie nur hin und wieder hatte sehen können, weil sie von Familie zu Familie geschickt wurde und schließlich auf dem Internat gelandet war. Es war reiner Zufall und großes Glück gewesen, dass Finn ebenfalls an dieser Schule angemeldet und aufgenommen wurde und sie sich somit öfter hatten sehen können.
Ohne ihnen wüsste sie nicht, wie sie die grauen Jahren ihrer Vergangenheit hätte überstehen können. Als ein Kind aufzuwachsen, ohne Liebe, ohne Vertrauen, ohne Geborgenheit, war nicht einfach. Vielleicht wäre sie heute ein verbittertes, gefühlskaltes Biest, wenn Finn nicht gewesen wäre und sich um sie gekümmert hätte.
Doch wie sehr sie ihn liebte, wie sehr sie ihn brauchte, wie wenig sie auf ihn in ihrem Leben verzichten konnte, irgendetwas fehlte in ihrer Beziehung. Sie stritten selten, und wenn sie das taten, so kam er meistens einige Stunden später und versuchte mit Vernunft und Einsicht den Streit zu beenden, entschuldigte sich und dann war es schon wieder vorbei. Es fehlte eine Menge Leidenschaft in ihrer Beziehung.
Doch wie sehr ihr das auch fehlte, wie wenig er ihr das geben konnte, sie hatte niemals in Erwägung gezogen, ihn zu verlassen. Ein Leben ohne ihn, war für sie nicht lebenswert. Sie liebte ihn, sie brauchte ihn.
Wieder seufzte sie. Sie konnte sich wirklich nicht beschweren. Er war ein absoluter Traumprinz - nicht nur, dass er ein sehr guter Zuhörer war, er war auch nicht ungern anzusehen. Er hatte rostbraunes Haar, dunkle, braune, fast schwarze Augen, einen durchtrainierten Körper, sonnengebräunte Haut und eine Ausstrahlung, dass Adonis schon fast neidisch werden konnte. Er verdrehte vielen Mädchen auf der Schule den Kopf. Viele waren neidisch auf Mia, neidisch, dass er mit ihr zusammen war - nicht dass sie hässlich war, im Gegenteil. Sie passten eigentlich ganz gut zusammen. Sie selbst hatte branes, langes Haar, azurblaue Augen und eine sportliche Statur - sie waren das Traumpaar Nummer eins an der Schule, mit vielen Neidern.
Das war einer der Gründe, warum Mia nicht viele Freunde hatte. Zudem kam sie mit den Mädels in ihrer Stufe sowieso nicht zurecht. Es waren alles aufgeblasene Tussen, mit zu langen Fingernägeln und falschen Haaren, die ihre Reize mit tiefen Ausschnitten und Mini-Röcke unterstrichen - zumindest in ihrer Freizeit. Am Internat selbst gab es zum Glück eine strikte Kleiderordnung und eine Schuluniform.
In ihrem Zimmer angekommen, nahm sie rasch eine kalte dusche, zog sich eine Jeans und Top an und verließ ungesehen das Schulgelände, um den Tag am nahegelegenen See zu verbringen. Nichts und niemand würde sie dazu bringen, den Tag eingesperrt in einem stickigen Klassenzimmer zu verbringen.






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